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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Sieben unveröffentlichte Briefe des Staatsministers Freiherrn von Manteuffel

Die Kunde von diesem Vorgang rief bei den andern deutschen Mittelstaaten
eine gewaltige Aufregung hervor. Sie fanden in dem Vorgehen Preußens
eine Rücksichtslosigkeit gegen ihre souveräne Würde und wurden darin lebhaft
von Österreich bestärkt, das -- als Gegenschachzug -- auf Anfang Januar 1852
die Regierungen sämtlicher deutschen Bundesstaaten zu Verhandlungen über
einen Zoll- und Handelsvertrag nach Wien berief, gleichzeitig aber, als Preußen
die Teilnahme ablehnte, neben diesen offnen Erörterungen eine geheime Ver¬
handlung mit Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, beiden Hessen und Nassau
führte.

Während sich die süddeutsche,: Staaten mit Österreich ohne Schwierig¬
keit über den Inhalt eines bedeutungsvollen Handelsvertrags und über die
Wünschbarkeit der vollen Zolleinigung verständigten, hatten sie andrerseits
keine Neigung, durch einen österreichischen Zollverein ohne Preußen lediglich
den Herrn zu wechseln. Preußen, sicher darauf rechnend, daß die Fortdauer
des preußischen Zollvereins für die süddeutschen Industriellen ein Lebens¬
bedürfnis sei, erklärte denn auch sogleich, daß von der Unterhandlung über
einen österreichischen Handelsvertrag erst dann die Rede sein könne, wenn der
Zollverein auf Grund des Septembervertrags neu konstituiert sei, während
Österreich und die demnächst in Darmstadt koalierten sieben Staaten die
Gleichzeitigkeit der beiden Unterhandlungen begehrten. An dieser Formfrage
entzündete sich die diplomatische Aktion, an der für Württemberg der Privat-
sekretür des Königs, Staatsrat Klindworth, lebhaften Anteil nahm. Bemühe,
den König aus den Garnen der Darmstädter Koalierten zu befreien und
zugleich eine diplomatische Spannung, die zwischen den Höfen von Berlin und
Stuttgart seit einigen Jahren bestand, zu beseitigen, überhäufte er den Minister
Manteuffel mit Berichten, worauf sich dieser veranlaßt sah, auch ihm gegen¬
über den Standpunkt der preußischen Regierung möglichst deutlich zu formu¬
lieren. Aus diesem Anlaß entstand die nachstehende, bisher unveröffentlichte
Manteuffelkorrespondenz.




Berlin, den 24. Juni 1852. Manteuffel an Klindworth.

Eurer Hochwohlgeboren habe ich zugesagt, über die bei Ihrer letzten persön¬
lichen Anwesenheit besprochenen Gegenstände meine Ansicht nach Einziehung der
erforderlichen Information schriftlich auszusprechen, und ich nehme, obwohl von
allen Seiten mit Geschäften bestürmt, doch keinen Anstand, dies in Nachstehendem
so gut zu thun, als es die Beschränktheit meiner Zeit gestattet.

Die Schritte, welche Eure Hochwohlgeboren als von hier aus zu ergreifende
Initiative vorgeschlagen hatten, haben Bedenken und Anstand gefunden. Diese be¬
ruhen keineswegs auf einem Verkennen des gegenwärtigen wichtigen Moments und
noch weniger auf Mangel an Vertrauen in die Person Sr. Majestät des Königs
von Württemberg als vielmehr in einer gewissen Zurückhaltung, welche manche in
letzter Zeit gemachte Erfahrungen anzurathen scheinen. Von allen Seiten werden
Preußen hegemonische Gelüste vorgeworfen. Ich halte diesen Vorwurf für einen


Sieben unveröffentlichte Briefe des Staatsministers Freiherrn von Manteuffel

Die Kunde von diesem Vorgang rief bei den andern deutschen Mittelstaaten
eine gewaltige Aufregung hervor. Sie fanden in dem Vorgehen Preußens
eine Rücksichtslosigkeit gegen ihre souveräne Würde und wurden darin lebhaft
von Österreich bestärkt, das — als Gegenschachzug — auf Anfang Januar 1852
die Regierungen sämtlicher deutschen Bundesstaaten zu Verhandlungen über
einen Zoll- und Handelsvertrag nach Wien berief, gleichzeitig aber, als Preußen
die Teilnahme ablehnte, neben diesen offnen Erörterungen eine geheime Ver¬
handlung mit Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, beiden Hessen und Nassau
führte.

Während sich die süddeutsche,: Staaten mit Österreich ohne Schwierig¬
keit über den Inhalt eines bedeutungsvollen Handelsvertrags und über die
Wünschbarkeit der vollen Zolleinigung verständigten, hatten sie andrerseits
keine Neigung, durch einen österreichischen Zollverein ohne Preußen lediglich
den Herrn zu wechseln. Preußen, sicher darauf rechnend, daß die Fortdauer
des preußischen Zollvereins für die süddeutschen Industriellen ein Lebens¬
bedürfnis sei, erklärte denn auch sogleich, daß von der Unterhandlung über
einen österreichischen Handelsvertrag erst dann die Rede sein könne, wenn der
Zollverein auf Grund des Septembervertrags neu konstituiert sei, während
Österreich und die demnächst in Darmstadt koalierten sieben Staaten die
Gleichzeitigkeit der beiden Unterhandlungen begehrten. An dieser Formfrage
entzündete sich die diplomatische Aktion, an der für Württemberg der Privat-
sekretür des Königs, Staatsrat Klindworth, lebhaften Anteil nahm. Bemühe,
den König aus den Garnen der Darmstädter Koalierten zu befreien und
zugleich eine diplomatische Spannung, die zwischen den Höfen von Berlin und
Stuttgart seit einigen Jahren bestand, zu beseitigen, überhäufte er den Minister
Manteuffel mit Berichten, worauf sich dieser veranlaßt sah, auch ihm gegen¬
über den Standpunkt der preußischen Regierung möglichst deutlich zu formu¬
lieren. Aus diesem Anlaß entstand die nachstehende, bisher unveröffentlichte
Manteuffelkorrespondenz.




Berlin, den 24. Juni 1852. Manteuffel an Klindworth.

Eurer Hochwohlgeboren habe ich zugesagt, über die bei Ihrer letzten persön¬
lichen Anwesenheit besprochenen Gegenstände meine Ansicht nach Einziehung der
erforderlichen Information schriftlich auszusprechen, und ich nehme, obwohl von
allen Seiten mit Geschäften bestürmt, doch keinen Anstand, dies in Nachstehendem
so gut zu thun, als es die Beschränktheit meiner Zeit gestattet.

Die Schritte, welche Eure Hochwohlgeboren als von hier aus zu ergreifende
Initiative vorgeschlagen hatten, haben Bedenken und Anstand gefunden. Diese be¬
ruhen keineswegs auf einem Verkennen des gegenwärtigen wichtigen Moments und
noch weniger auf Mangel an Vertrauen in die Person Sr. Majestät des Königs
von Württemberg als vielmehr in einer gewissen Zurückhaltung, welche manche in
letzter Zeit gemachte Erfahrungen anzurathen scheinen. Von allen Seiten werden
Preußen hegemonische Gelüste vorgeworfen. Ich halte diesen Vorwurf für einen


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[0675] Sieben unveröffentlichte Briefe des Staatsministers Freiherrn von Manteuffel Die Kunde von diesem Vorgang rief bei den andern deutschen Mittelstaaten eine gewaltige Aufregung hervor. Sie fanden in dem Vorgehen Preußens eine Rücksichtslosigkeit gegen ihre souveräne Würde und wurden darin lebhaft von Österreich bestärkt, das — als Gegenschachzug — auf Anfang Januar 1852 die Regierungen sämtlicher deutschen Bundesstaaten zu Verhandlungen über einen Zoll- und Handelsvertrag nach Wien berief, gleichzeitig aber, als Preußen die Teilnahme ablehnte, neben diesen offnen Erörterungen eine geheime Ver¬ handlung mit Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, beiden Hessen und Nassau führte. Während sich die süddeutsche,: Staaten mit Österreich ohne Schwierig¬ keit über den Inhalt eines bedeutungsvollen Handelsvertrags und über die Wünschbarkeit der vollen Zolleinigung verständigten, hatten sie andrerseits keine Neigung, durch einen österreichischen Zollverein ohne Preußen lediglich den Herrn zu wechseln. Preußen, sicher darauf rechnend, daß die Fortdauer des preußischen Zollvereins für die süddeutschen Industriellen ein Lebens¬ bedürfnis sei, erklärte denn auch sogleich, daß von der Unterhandlung über einen österreichischen Handelsvertrag erst dann die Rede sein könne, wenn der Zollverein auf Grund des Septembervertrags neu konstituiert sei, während Österreich und die demnächst in Darmstadt koalierten sieben Staaten die Gleichzeitigkeit der beiden Unterhandlungen begehrten. An dieser Formfrage entzündete sich die diplomatische Aktion, an der für Württemberg der Privat- sekretür des Königs, Staatsrat Klindworth, lebhaften Anteil nahm. Bemühe, den König aus den Garnen der Darmstädter Koalierten zu befreien und zugleich eine diplomatische Spannung, die zwischen den Höfen von Berlin und Stuttgart seit einigen Jahren bestand, zu beseitigen, überhäufte er den Minister Manteuffel mit Berichten, worauf sich dieser veranlaßt sah, auch ihm gegen¬ über den Standpunkt der preußischen Regierung möglichst deutlich zu formu¬ lieren. Aus diesem Anlaß entstand die nachstehende, bisher unveröffentlichte Manteuffelkorrespondenz. Berlin, den 24. Juni 1852. Manteuffel an Klindworth. Eurer Hochwohlgeboren habe ich zugesagt, über die bei Ihrer letzten persön¬ lichen Anwesenheit besprochenen Gegenstände meine Ansicht nach Einziehung der erforderlichen Information schriftlich auszusprechen, und ich nehme, obwohl von allen Seiten mit Geschäften bestürmt, doch keinen Anstand, dies in Nachstehendem so gut zu thun, als es die Beschränktheit meiner Zeit gestattet. Die Schritte, welche Eure Hochwohlgeboren als von hier aus zu ergreifende Initiative vorgeschlagen hatten, haben Bedenken und Anstand gefunden. Diese be¬ ruhen keineswegs auf einem Verkennen des gegenwärtigen wichtigen Moments und noch weniger auf Mangel an Vertrauen in die Person Sr. Majestät des Königs von Württemberg als vielmehr in einer gewissen Zurückhaltung, welche manche in letzter Zeit gemachte Erfahrungen anzurathen scheinen. Von allen Seiten werden Preußen hegemonische Gelüste vorgeworfen. Ich halte diesen Vorwurf für einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/675>, abgerufen am 17.06.2024.