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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

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Neue Lyrik

Die Fülle der Bilder in dem starken Buch bringt es mit sich, daß nicht
alles gleichmäßig gelungen ist, ja daß manches anmutet wie ein allzueifriges
Suchen nach Bildern, die nun in Farbe und Umriß nicht vollendet wurden.
Im ganzen sind diese Klänge aus Litauen Zeugnisse einer ungewöhnlichen
lyrischen Persönlichkeit, deren starker Eigenwille nie nach dem Aparten sucht
aber immer das Besondre findet.

Lulu von Strauß und Torney ist auch eine Verwandte jenes Göttinger
Dichterkreises, von dem ich oben gesprochen habe, und der überhaupt an adlichen
Mitgliedern reich ist. Die "Neuen Balladen und Lieder", die sie jetzt (bei Egon
Fleischel u. Co. in Berlin) hat erscheinen lassen, zeigen die alte, nun bei der
Erzählerin in Vers und Prosa schon gewohnte Gegenständlichkeit, freilich im
Gegensatz zu den Novellen und im Einklang mit den ältern Romanen auch eine
gewisse Neigung zur Breite, die nicht immer da zu schließen weiß, wo das letzte
Wort gesprochen werden muß. Die auch bei Münchhausen beliebte Ballade in
mehreren einzelnen Stücken ist für mein Gefühl nicht immer mit Glück gewählt,
wo die Zusammenpressung des Stoffs in eine enger geschlossene Dichtung zu
erwarten wäre. Im ganzen ist der Eindruck des Bandes nicht so stark wie der
des ersten, besonders auch in den Liedern, die den Balladen folgen. Ein schönes
Bild, das mir besonders auffiel, setze ich her:

Sehr fern von all diesen Poeten steht Max Haushofer, der am 10. April
verstorbne Münchner Dichter.*) Die Sammlung "Der Gast der Einsamkeit
und andre Gedichte", die nach seinem Tode (bei Cotta) erschienen ist, zeigt
ihn als das, was man früher, zur Zeit von König Max, als den Münchner
Poeten -c"r" e^ozc^ bezeichnete, wie sich denn die Eigenart einer Schule oder
eines Kreises häufig am deutlichsten nicht in den eigentlichen Führern, sondern
in einem jüngern Genossen ausdrückt. Es ist doch überall die äußere Form,
die über die innere siegt, das Bemühen, eine formale Schönheit zu erreichen,
unabhängig von dem, was das Gesetz des Stoffs selbst verlangt. Und wenn
selbst eine so große Begabung wie die Geibels aus dem gewaltigen Umfange
ihrer Poesie nur mit einem bescheidnen Teil in die Zukunft hinübertreten konnte,
so wird von Haushofers Lyrik kaum etwas bleiben. Und doch war er einmal
freier, wie es ein schönes Jugendgedicht des Bandes zeigt.

Wo komm ich hin?

[Beginn Spaltensatz] Ich komme nicht zur Klarheit,
Bis ich gestorben bin!
Die alte Wunderbarheit,
Sie zieht mich immer hin. [Spaltenumbruch] Ich sehe Geister schwanken,
Wo andern keine sind;
Es spricht in tiefen Gedanken
Zu mir der Abendwind. [Ende Spaltensatz]


*) Vgl. über ihn die jüngst erschienene Schrift: Max Haushofer, der Dichter, von Oskar
Hey. Stuttgart und Berlin, Cotta.
Neue Lyrik

Die Fülle der Bilder in dem starken Buch bringt es mit sich, daß nicht
alles gleichmäßig gelungen ist, ja daß manches anmutet wie ein allzueifriges
Suchen nach Bildern, die nun in Farbe und Umriß nicht vollendet wurden.
Im ganzen sind diese Klänge aus Litauen Zeugnisse einer ungewöhnlichen
lyrischen Persönlichkeit, deren starker Eigenwille nie nach dem Aparten sucht
aber immer das Besondre findet.

Lulu von Strauß und Torney ist auch eine Verwandte jenes Göttinger
Dichterkreises, von dem ich oben gesprochen habe, und der überhaupt an adlichen
Mitgliedern reich ist. Die „Neuen Balladen und Lieder", die sie jetzt (bei Egon
Fleischel u. Co. in Berlin) hat erscheinen lassen, zeigen die alte, nun bei der
Erzählerin in Vers und Prosa schon gewohnte Gegenständlichkeit, freilich im
Gegensatz zu den Novellen und im Einklang mit den ältern Romanen auch eine
gewisse Neigung zur Breite, die nicht immer da zu schließen weiß, wo das letzte
Wort gesprochen werden muß. Die auch bei Münchhausen beliebte Ballade in
mehreren einzelnen Stücken ist für mein Gefühl nicht immer mit Glück gewählt,
wo die Zusammenpressung des Stoffs in eine enger geschlossene Dichtung zu
erwarten wäre. Im ganzen ist der Eindruck des Bandes nicht so stark wie der
des ersten, besonders auch in den Liedern, die den Balladen folgen. Ein schönes
Bild, das mir besonders auffiel, setze ich her:

Sehr fern von all diesen Poeten steht Max Haushofer, der am 10. April
verstorbne Münchner Dichter.*) Die Sammlung „Der Gast der Einsamkeit
und andre Gedichte", die nach seinem Tode (bei Cotta) erschienen ist, zeigt
ihn als das, was man früher, zur Zeit von König Max, als den Münchner
Poeten -c«r" e^ozc^ bezeichnete, wie sich denn die Eigenart einer Schule oder
eines Kreises häufig am deutlichsten nicht in den eigentlichen Führern, sondern
in einem jüngern Genossen ausdrückt. Es ist doch überall die äußere Form,
die über die innere siegt, das Bemühen, eine formale Schönheit zu erreichen,
unabhängig von dem, was das Gesetz des Stoffs selbst verlangt. Und wenn
selbst eine so große Begabung wie die Geibels aus dem gewaltigen Umfange
ihrer Poesie nur mit einem bescheidnen Teil in die Zukunft hinübertreten konnte,
so wird von Haushofers Lyrik kaum etwas bleiben. Und doch war er einmal
freier, wie es ein schönes Jugendgedicht des Bandes zeigt.

Wo komm ich hin?

[Beginn Spaltensatz] Ich komme nicht zur Klarheit,
Bis ich gestorben bin!
Die alte Wunderbarheit,
Sie zieht mich immer hin. [Spaltenumbruch] Ich sehe Geister schwanken,
Wo andern keine sind;
Es spricht in tiefen Gedanken
Zu mir der Abendwind. [Ende Spaltensatz]


*) Vgl. über ihn die jüngst erschienene Schrift: Max Haushofer, der Dichter, von Oskar
Hey. Stuttgart und Berlin, Cotta.
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[0693] Neue Lyrik Die Fülle der Bilder in dem starken Buch bringt es mit sich, daß nicht alles gleichmäßig gelungen ist, ja daß manches anmutet wie ein allzueifriges Suchen nach Bildern, die nun in Farbe und Umriß nicht vollendet wurden. Im ganzen sind diese Klänge aus Litauen Zeugnisse einer ungewöhnlichen lyrischen Persönlichkeit, deren starker Eigenwille nie nach dem Aparten sucht aber immer das Besondre findet. Lulu von Strauß und Torney ist auch eine Verwandte jenes Göttinger Dichterkreises, von dem ich oben gesprochen habe, und der überhaupt an adlichen Mitgliedern reich ist. Die „Neuen Balladen und Lieder", die sie jetzt (bei Egon Fleischel u. Co. in Berlin) hat erscheinen lassen, zeigen die alte, nun bei der Erzählerin in Vers und Prosa schon gewohnte Gegenständlichkeit, freilich im Gegensatz zu den Novellen und im Einklang mit den ältern Romanen auch eine gewisse Neigung zur Breite, die nicht immer da zu schließen weiß, wo das letzte Wort gesprochen werden muß. Die auch bei Münchhausen beliebte Ballade in mehreren einzelnen Stücken ist für mein Gefühl nicht immer mit Glück gewählt, wo die Zusammenpressung des Stoffs in eine enger geschlossene Dichtung zu erwarten wäre. Im ganzen ist der Eindruck des Bandes nicht so stark wie der des ersten, besonders auch in den Liedern, die den Balladen folgen. Ein schönes Bild, das mir besonders auffiel, setze ich her: Sehr fern von all diesen Poeten steht Max Haushofer, der am 10. April verstorbne Münchner Dichter.*) Die Sammlung „Der Gast der Einsamkeit und andre Gedichte", die nach seinem Tode (bei Cotta) erschienen ist, zeigt ihn als das, was man früher, zur Zeit von König Max, als den Münchner Poeten -c«r" e^ozc^ bezeichnete, wie sich denn die Eigenart einer Schule oder eines Kreises häufig am deutlichsten nicht in den eigentlichen Führern, sondern in einem jüngern Genossen ausdrückt. Es ist doch überall die äußere Form, die über die innere siegt, das Bemühen, eine formale Schönheit zu erreichen, unabhängig von dem, was das Gesetz des Stoffs selbst verlangt. Und wenn selbst eine so große Begabung wie die Geibels aus dem gewaltigen Umfange ihrer Poesie nur mit einem bescheidnen Teil in die Zukunft hinübertreten konnte, so wird von Haushofers Lyrik kaum etwas bleiben. Und doch war er einmal freier, wie es ein schönes Jugendgedicht des Bandes zeigt. Wo komm ich hin? Ich komme nicht zur Klarheit, Bis ich gestorben bin! Die alte Wunderbarheit, Sie zieht mich immer hin. Ich sehe Geister schwanken, Wo andern keine sind; Es spricht in tiefen Gedanken Zu mir der Abendwind. *) Vgl. über ihn die jüngst erschienene Schrift: Max Haushofer, der Dichter, von Oskar Hey. Stuttgart und Berlin, Cotta.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/693>, abgerufen am 17.06.2024.