Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nationale politische Erziehung

Reden, wenigstens nicht mit Erfolg. Als kürzlich eine große Tageszeitung
die Neichstagsersatzwahl in Glauchau-Meerane besprach, bei der Molkenbuhr an
Stelle Auers gewühlt wurde, da sagte sie resigniert: "In diesem Kreise wachsen
schon die Arbeiterkinder in völlig sozialdemokratischer Umgebung auf; wenn
der junge Arbeiter die Schule verläßt, hat er meist schon eine fertige Welt¬
anschauung, und diese ist rot." Wie soll es denn auch anders sein, wenn
sich nicht einmal die Schule bemüht, ein Gegengewicht gegen den Einfluß der
sozialdemokratischen Umgebung zu schaffen? Wenn der junge Arbeiter bei
seinem Eintritt ins Leben nie etwas andres kennen gelernt hat als die Lehren
des Sozialismus, kann man dann erwarten, daß er konservativ oder national¬
liberal wählt? Unbilliges darf man nicht verlangen. Wenn man die politische
Erziehung des Volkes grundsätzlich vernachlässigt, darf man sich nicht zu sehr
wundern, daß die Massen denen folgen, die sie jahraus jahrein planmäßig
bearbeiten und ihnen eine goldne Zukunft versprechen. Wenn man aber will,
daß wenigstens ein Teil der Massen die Irrlehren der Demagogen erkennt
und einsieht, daß diese unmögliches versprechen, so wird man sich entschließen
müssen, die politische Einsicht des Volkes zu fördern. Diese Arbeit können nur die
Bildungsanstalten des Staates leisten, von der Volksschule aufwärts bis zur
Universität. Erst wenn auf diese Weise politische Kenntnisse verbreitet worden
sind, wenn die durchschnittliche politische Bildung des Volkes gehoben und
damit eine Grundlage geschaffen ist, erst dann wird man sich mit Erfolg an
die wenden können, die im Leben stehn und als Reichstagswühler berufen
find, an der Lenkung unsrer Geschicke mitzuwirken. Nur die Schule kann diese
Arbeit leisten, und es ist auch nur der Deutsche, der so doktrinär und so un¬
praktisch ist, daß er sich dieser Erkenntnis verschließt. In Frankreich ist schon in
den Volks-Mittel- und Fachschulen lnsel-llstion viviaus Gegenstand des Unter¬
richts, und in einem Lehrbuche für diesen Unterricht finden sich zum Beispiel
folgende Sätze: Ils sitovsn <mi us vots pas abäiaus sg. pg,re as souvsrg-initS.
II us sulüt xg,s as voter: it lÄut Sö lÄirs uns oxmiou xolitiizus. II v g, ach
sitovens ani hö ässintörssssut ach Mg-irsL xuMauss, <zu äiseut: ^s rü'su
imoque; ^'s us ni'sssuxs <zus as wes Mg-irss. Los vitvvsns-lÄ food as
rü-z-uvais vitovsris, ass sZoistss se ass ssts. Li nous us kaisicms x1v.s as
xolitiaus, un uMtrs visnärg-it <mi nous l^mehr^it äans ass ^nsrrss iiMstss,
ovinus 1e llrsut Mais Uapolson I se ^axolövQ III se rions vsri'lors uns
vouvslls invasion.

Ähnlich ist es in der Schweiz. In einigen Kantonen wird schon in den
Volksschulen, in andern erst in den Mittel- und Fortbildungsschulen Ver-
fafsungs- und Vaterlandskunde gelehrt, meist in Verbindung mit volkswirt¬
schaftlicher Heimatkunde. Dann aber hat man dort nach einem Mittel gesucht,
die politischen Kenntnisse der jungen Männer beurteilen zu können, und hat
es in der Rekrutenprüfung gefunden. Der schweizerische Rekrut muß sich einer
Prüfung unterwerfen in deutscher Sprache, Geschichte, Geographie, Lesen und


Nationale politische Erziehung

Reden, wenigstens nicht mit Erfolg. Als kürzlich eine große Tageszeitung
die Neichstagsersatzwahl in Glauchau-Meerane besprach, bei der Molkenbuhr an
Stelle Auers gewühlt wurde, da sagte sie resigniert: „In diesem Kreise wachsen
schon die Arbeiterkinder in völlig sozialdemokratischer Umgebung auf; wenn
der junge Arbeiter die Schule verläßt, hat er meist schon eine fertige Welt¬
anschauung, und diese ist rot." Wie soll es denn auch anders sein, wenn
sich nicht einmal die Schule bemüht, ein Gegengewicht gegen den Einfluß der
sozialdemokratischen Umgebung zu schaffen? Wenn der junge Arbeiter bei
seinem Eintritt ins Leben nie etwas andres kennen gelernt hat als die Lehren
des Sozialismus, kann man dann erwarten, daß er konservativ oder national¬
liberal wählt? Unbilliges darf man nicht verlangen. Wenn man die politische
Erziehung des Volkes grundsätzlich vernachlässigt, darf man sich nicht zu sehr
wundern, daß die Massen denen folgen, die sie jahraus jahrein planmäßig
bearbeiten und ihnen eine goldne Zukunft versprechen. Wenn man aber will,
daß wenigstens ein Teil der Massen die Irrlehren der Demagogen erkennt
und einsieht, daß diese unmögliches versprechen, so wird man sich entschließen
müssen, die politische Einsicht des Volkes zu fördern. Diese Arbeit können nur die
Bildungsanstalten des Staates leisten, von der Volksschule aufwärts bis zur
Universität. Erst wenn auf diese Weise politische Kenntnisse verbreitet worden
sind, wenn die durchschnittliche politische Bildung des Volkes gehoben und
damit eine Grundlage geschaffen ist, erst dann wird man sich mit Erfolg an
die wenden können, die im Leben stehn und als Reichstagswühler berufen
find, an der Lenkung unsrer Geschicke mitzuwirken. Nur die Schule kann diese
Arbeit leisten, und es ist auch nur der Deutsche, der so doktrinär und so un¬
praktisch ist, daß er sich dieser Erkenntnis verschließt. In Frankreich ist schon in
den Volks-Mittel- und Fachschulen lnsel-llstion viviaus Gegenstand des Unter¬
richts, und in einem Lehrbuche für diesen Unterricht finden sich zum Beispiel
folgende Sätze: Ils sitovsn <mi us vots pas abäiaus sg. pg,re as souvsrg-initS.
II us sulüt xg,s as voter: it lÄut Sö lÄirs uns oxmiou xolitiizus. II v g, ach
sitovens ani hö ässintörssssut ach Mg-irsL xuMauss, <zu äiseut: ^s rü'su
imoque; ^'s us ni'sssuxs <zus as wes Mg-irss. Los vitvvsns-lÄ food as
rü-z-uvais vitovsris, ass sZoistss se ass ssts. Li nous us kaisicms x1v.s as
xolitiaus, un uMtrs visnärg-it <mi nous l^mehr^it äans ass ^nsrrss iiMstss,
ovinus 1e llrsut Mais Uapolson I se ^axolövQ III se rions vsri'lors uns
vouvslls invasion.

Ähnlich ist es in der Schweiz. In einigen Kantonen wird schon in den
Volksschulen, in andern erst in den Mittel- und Fortbildungsschulen Ver-
fafsungs- und Vaterlandskunde gelehrt, meist in Verbindung mit volkswirt¬
schaftlicher Heimatkunde. Dann aber hat man dort nach einem Mittel gesucht,
die politischen Kenntnisse der jungen Männer beurteilen zu können, und hat
es in der Rekrutenprüfung gefunden. Der schweizerische Rekrut muß sich einer
Prüfung unterwerfen in deutscher Sprache, Geschichte, Geographie, Lesen und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303498"/>
          <fw type="header" place="top"> Nationale politische Erziehung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_286" prev="#ID_285"> Reden, wenigstens nicht mit Erfolg. Als kürzlich eine große Tageszeitung<lb/>
die Neichstagsersatzwahl in Glauchau-Meerane besprach, bei der Molkenbuhr an<lb/>
Stelle Auers gewühlt wurde, da sagte sie resigniert: &#x201E;In diesem Kreise wachsen<lb/>
schon die Arbeiterkinder in völlig sozialdemokratischer Umgebung auf; wenn<lb/>
der junge Arbeiter die Schule verläßt, hat er meist schon eine fertige Welt¬<lb/>
anschauung, und diese ist rot." Wie soll es denn auch anders sein, wenn<lb/>
sich nicht einmal die Schule bemüht, ein Gegengewicht gegen den Einfluß der<lb/>
sozialdemokratischen Umgebung zu schaffen? Wenn der junge Arbeiter bei<lb/>
seinem Eintritt ins Leben nie etwas andres kennen gelernt hat als die Lehren<lb/>
des Sozialismus, kann man dann erwarten, daß er konservativ oder national¬<lb/>
liberal wählt? Unbilliges darf man nicht verlangen. Wenn man die politische<lb/>
Erziehung des Volkes grundsätzlich vernachlässigt, darf man sich nicht zu sehr<lb/>
wundern, daß die Massen denen folgen, die sie jahraus jahrein planmäßig<lb/>
bearbeiten und ihnen eine goldne Zukunft versprechen. Wenn man aber will,<lb/>
daß wenigstens ein Teil der Massen die Irrlehren der Demagogen erkennt<lb/>
und einsieht, daß diese unmögliches versprechen, so wird man sich entschließen<lb/>
müssen, die politische Einsicht des Volkes zu fördern. Diese Arbeit können nur die<lb/>
Bildungsanstalten des Staates leisten, von der Volksschule aufwärts bis zur<lb/>
Universität. Erst wenn auf diese Weise politische Kenntnisse verbreitet worden<lb/>
sind, wenn die durchschnittliche politische Bildung des Volkes gehoben und<lb/>
damit eine Grundlage geschaffen ist, erst dann wird man sich mit Erfolg an<lb/>
die wenden können, die im Leben stehn und als Reichstagswühler berufen<lb/>
find, an der Lenkung unsrer Geschicke mitzuwirken. Nur die Schule kann diese<lb/>
Arbeit leisten, und es ist auch nur der Deutsche, der so doktrinär und so un¬<lb/>
praktisch ist, daß er sich dieser Erkenntnis verschließt. In Frankreich ist schon in<lb/>
den Volks-Mittel- und Fachschulen lnsel-llstion viviaus Gegenstand des Unter¬<lb/>
richts, und in einem Lehrbuche für diesen Unterricht finden sich zum Beispiel<lb/>
folgende Sätze: Ils sitovsn &lt;mi us vots pas abäiaus sg. pg,re as souvsrg-initS.<lb/>
II us sulüt xg,s as voter: it lÄut Sö lÄirs uns oxmiou xolitiizus. II v g, ach<lb/>
sitovens ani hö ässintörssssut ach Mg-irsL xuMauss, &lt;zu äiseut: ^s rü'su<lb/>
imoque; ^'s us ni'sssuxs &lt;zus as wes Mg-irss. Los vitvvsns-lÄ food as<lb/>
rü-z-uvais vitovsris, ass sZoistss se ass ssts. Li nous us kaisicms x1v.s as<lb/>
xolitiaus, un uMtrs visnärg-it &lt;mi nous l^mehr^it äans ass ^nsrrss iiMstss,<lb/>
ovinus 1e llrsut Mais Uapolson I se ^axolövQ III se rions vsri'lors uns<lb/>
vouvslls invasion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_287" next="#ID_288"> Ähnlich ist es in der Schweiz. In einigen Kantonen wird schon in den<lb/>
Volksschulen, in andern erst in den Mittel- und Fortbildungsschulen Ver-<lb/>
fafsungs- und Vaterlandskunde gelehrt, meist in Verbindung mit volkswirt¬<lb/>
schaftlicher Heimatkunde. Dann aber hat man dort nach einem Mittel gesucht,<lb/>
die politischen Kenntnisse der jungen Männer beurteilen zu können, und hat<lb/>
es in der Rekrutenprüfung gefunden. Der schweizerische Rekrut muß sich einer<lb/>
Prüfung unterwerfen in deutscher Sprache, Geschichte, Geographie, Lesen und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] Nationale politische Erziehung Reden, wenigstens nicht mit Erfolg. Als kürzlich eine große Tageszeitung die Neichstagsersatzwahl in Glauchau-Meerane besprach, bei der Molkenbuhr an Stelle Auers gewühlt wurde, da sagte sie resigniert: „In diesem Kreise wachsen schon die Arbeiterkinder in völlig sozialdemokratischer Umgebung auf; wenn der junge Arbeiter die Schule verläßt, hat er meist schon eine fertige Welt¬ anschauung, und diese ist rot." Wie soll es denn auch anders sein, wenn sich nicht einmal die Schule bemüht, ein Gegengewicht gegen den Einfluß der sozialdemokratischen Umgebung zu schaffen? Wenn der junge Arbeiter bei seinem Eintritt ins Leben nie etwas andres kennen gelernt hat als die Lehren des Sozialismus, kann man dann erwarten, daß er konservativ oder national¬ liberal wählt? Unbilliges darf man nicht verlangen. Wenn man die politische Erziehung des Volkes grundsätzlich vernachlässigt, darf man sich nicht zu sehr wundern, daß die Massen denen folgen, die sie jahraus jahrein planmäßig bearbeiten und ihnen eine goldne Zukunft versprechen. Wenn man aber will, daß wenigstens ein Teil der Massen die Irrlehren der Demagogen erkennt und einsieht, daß diese unmögliches versprechen, so wird man sich entschließen müssen, die politische Einsicht des Volkes zu fördern. Diese Arbeit können nur die Bildungsanstalten des Staates leisten, von der Volksschule aufwärts bis zur Universität. Erst wenn auf diese Weise politische Kenntnisse verbreitet worden sind, wenn die durchschnittliche politische Bildung des Volkes gehoben und damit eine Grundlage geschaffen ist, erst dann wird man sich mit Erfolg an die wenden können, die im Leben stehn und als Reichstagswühler berufen find, an der Lenkung unsrer Geschicke mitzuwirken. Nur die Schule kann diese Arbeit leisten, und es ist auch nur der Deutsche, der so doktrinär und so un¬ praktisch ist, daß er sich dieser Erkenntnis verschließt. In Frankreich ist schon in den Volks-Mittel- und Fachschulen lnsel-llstion viviaus Gegenstand des Unter¬ richts, und in einem Lehrbuche für diesen Unterricht finden sich zum Beispiel folgende Sätze: Ils sitovsn <mi us vots pas abäiaus sg. pg,re as souvsrg-initS. II us sulüt xg,s as voter: it lÄut Sö lÄirs uns oxmiou xolitiizus. II v g, ach sitovens ani hö ässintörssssut ach Mg-irsL xuMauss, <zu äiseut: ^s rü'su imoque; ^'s us ni'sssuxs <zus as wes Mg-irss. Los vitvvsns-lÄ food as rü-z-uvais vitovsris, ass sZoistss se ass ssts. Li nous us kaisicms x1v.s as xolitiaus, un uMtrs visnärg-it <mi nous l^mehr^it äans ass ^nsrrss iiMstss, ovinus 1e llrsut Mais Uapolson I se ^axolövQ III se rions vsri'lors uns vouvslls invasion. Ähnlich ist es in der Schweiz. In einigen Kantonen wird schon in den Volksschulen, in andern erst in den Mittel- und Fortbildungsschulen Ver- fafsungs- und Vaterlandskunde gelehrt, meist in Verbindung mit volkswirt¬ schaftlicher Heimatkunde. Dann aber hat man dort nach einem Mittel gesucht, die politischen Kenntnisse der jungen Männer beurteilen zu können, und hat es in der Rekrutenprüfung gefunden. Der schweizerische Rekrut muß sich einer Prüfung unterwerfen in deutscher Sprache, Geschichte, Geographie, Lesen und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/82>, abgerufen am 10.06.2024.