Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


England und Indien

>""le Sorge, mit der ganz England auf Indien, die Quelle seines
Ä!^ Reichtums und das Hauptfundament seiner Weltmacht, trotz der
^ moskowitischen Niederlage im fernen Osten zu schauen pflegt, ist
^ wohl verständlich. Beruht doch die materielle Macht des Mutter¬
ssi landes über diese reichste, größte und dichtbevölkertste seiner
Kolonien nnr auf äußerlich schön verzierten, im Innern aber hohlen Säulen,
deren Zuscimmenbrnch, wenn der äußere Putz heruntergekrcitzt ist, über Nacht er¬
folgen kann, während andrerseits die Regierung an der Newa nicht darauf ver¬
zichten kann noch darf, dem russischen Koloß den zu seiner Fortentwicklung un¬
bedingt notwendigen Zutritt zum Weltmeer zu verschaffen; hierzu aber erscheint
wenigstens der Besitz eines Teils vou Indien und unter Umständen Afghanistans,
Länder, durch die das Zarenreich allein noch auf eine verhältnismäßig kurze
Strecke davon getrennt ist, eine zwingende Notwendigkeit. Und daß dieses Ziel nicht
aus den Augen verloren worden ist, sondern trotz aller offizieller Freundlichkeit
und trotz der Flottenbesuche mit langsam aber sicher arbeitender slawischer
Zähigkeit verfolgt wird, ist längst kein Geheimnis und durch den fortschreitenden
Ausbau des Bahnnetzes nach der afghanischen Grenze hin und das langsame
aber zielbewußte Vorschieben immer größerer Truppenkörper längs der neuen
Eisenbahnlinien sowie durch manche andre, nicht bedeutungslose Vorgänge und
Zeichen dem aufmerksamen Beobachter überzeugend vor Augen geführt worden.

Dementsprechend sind auch Englands Bestrebungen seit einigen Jahren mit
erhöhter Energie und Emsigkeit darauf gerichtet, dem stillen aber bedrohlichen
Gebaren Rußlands durch geeignete Schutz- und Abwehrmaßregeln möglichst
entgegenzutreten. Nicht ohne Grund wurde kürzlich das Verbleiben des
(!oilimWäor-in-0uiök in Indien, des Generals Viscount Kitchener von Khartum.
über die gewohnten fünf Jahre hinaus verlängert, sondern weil man ihn für
die geeignetste und bedeutendste, wenn nicht einzige Persönlichkeit erachtet (nach
ihm käme überhaupt nur noch Generalleutnant Sir John French in Frage), den
Großbritannien für diesen wichtigsten militärischen Posten hat, und weil die von


Grenzboten IV 1907 1


England und Indien

>«»le Sorge, mit der ganz England auf Indien, die Quelle seines
Ä!^ Reichtums und das Hauptfundament seiner Weltmacht, trotz der
^ moskowitischen Niederlage im fernen Osten zu schauen pflegt, ist
^ wohl verständlich. Beruht doch die materielle Macht des Mutter¬
ssi landes über diese reichste, größte und dichtbevölkertste seiner
Kolonien nnr auf äußerlich schön verzierten, im Innern aber hohlen Säulen,
deren Zuscimmenbrnch, wenn der äußere Putz heruntergekrcitzt ist, über Nacht er¬
folgen kann, während andrerseits die Regierung an der Newa nicht darauf ver¬
zichten kann noch darf, dem russischen Koloß den zu seiner Fortentwicklung un¬
bedingt notwendigen Zutritt zum Weltmeer zu verschaffen; hierzu aber erscheint
wenigstens der Besitz eines Teils vou Indien und unter Umständen Afghanistans,
Länder, durch die das Zarenreich allein noch auf eine verhältnismäßig kurze
Strecke davon getrennt ist, eine zwingende Notwendigkeit. Und daß dieses Ziel nicht
aus den Augen verloren worden ist, sondern trotz aller offizieller Freundlichkeit
und trotz der Flottenbesuche mit langsam aber sicher arbeitender slawischer
Zähigkeit verfolgt wird, ist längst kein Geheimnis und durch den fortschreitenden
Ausbau des Bahnnetzes nach der afghanischen Grenze hin und das langsame
aber zielbewußte Vorschieben immer größerer Truppenkörper längs der neuen
Eisenbahnlinien sowie durch manche andre, nicht bedeutungslose Vorgänge und
Zeichen dem aufmerksamen Beobachter überzeugend vor Augen geführt worden.

Dementsprechend sind auch Englands Bestrebungen seit einigen Jahren mit
erhöhter Energie und Emsigkeit darauf gerichtet, dem stillen aber bedrohlichen
Gebaren Rußlands durch geeignete Schutz- und Abwehrmaßregeln möglichst
entgegenzutreten. Nicht ohne Grund wurde kürzlich das Verbleiben des
(!oilimWäor-in-0uiök in Indien, des Generals Viscount Kitchener von Khartum.
über die gewohnten fünf Jahre hinaus verlängert, sondern weil man ihn für
die geeignetste und bedeutendste, wenn nicht einzige Persönlichkeit erachtet (nach
ihm käme überhaupt nur noch Generalleutnant Sir John French in Frage), den
Großbritannien für diesen wichtigsten militärischen Posten hat, und weil die von


Grenzboten IV 1907 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0009" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/303425"/>
              <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341885_303415/figures/grenzboten_341885_303415_303425_000.jpg"/><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> England und Indien</head><lb/>
          <p xml:id="ID_8"> &gt;«»le Sorge, mit der ganz England auf Indien, die Quelle seines<lb/>
Ä!^ Reichtums und das Hauptfundament seiner Weltmacht, trotz der<lb/>
^ moskowitischen Niederlage im fernen Osten zu schauen pflegt, ist<lb/>
^ wohl verständlich. Beruht doch die materielle Macht des Mutter¬<lb/>
ssi landes über diese reichste, größte und dichtbevölkertste seiner<lb/>
Kolonien nnr auf äußerlich schön verzierten, im Innern aber hohlen Säulen,<lb/>
deren Zuscimmenbrnch, wenn der äußere Putz heruntergekrcitzt ist, über Nacht er¬<lb/>
folgen kann, während andrerseits die Regierung an der Newa nicht darauf ver¬<lb/>
zichten kann noch darf, dem russischen Koloß den zu seiner Fortentwicklung un¬<lb/>
bedingt notwendigen Zutritt zum Weltmeer zu verschaffen; hierzu aber erscheint<lb/>
wenigstens der Besitz eines Teils vou Indien und unter Umständen Afghanistans,<lb/>
Länder, durch die das Zarenreich allein noch auf eine verhältnismäßig kurze<lb/>
Strecke davon getrennt ist, eine zwingende Notwendigkeit. Und daß dieses Ziel nicht<lb/>
aus den Augen verloren worden ist, sondern trotz aller offizieller Freundlichkeit<lb/>
und trotz der Flottenbesuche mit langsam aber sicher arbeitender slawischer<lb/>
Zähigkeit verfolgt wird, ist längst kein Geheimnis und durch den fortschreitenden<lb/>
Ausbau des Bahnnetzes nach der afghanischen Grenze hin und das langsame<lb/>
aber zielbewußte Vorschieben immer größerer Truppenkörper längs der neuen<lb/>
Eisenbahnlinien sowie durch manche andre, nicht bedeutungslose Vorgänge und<lb/>
Zeichen dem aufmerksamen Beobachter überzeugend vor Augen geführt worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> Dementsprechend sind auch Englands Bestrebungen seit einigen Jahren mit<lb/>
erhöhter Energie und Emsigkeit darauf gerichtet, dem stillen aber bedrohlichen<lb/>
Gebaren Rußlands durch geeignete Schutz- und Abwehrmaßregeln möglichst<lb/>
entgegenzutreten. Nicht ohne Grund wurde kürzlich das Verbleiben des<lb/>
(!oilimWäor-in-0uiök in Indien, des Generals Viscount Kitchener von Khartum.<lb/>
über die gewohnten fünf Jahre hinaus verlängert, sondern weil man ihn für<lb/>
die geeignetste und bedeutendste, wenn nicht einzige Persönlichkeit erachtet (nach<lb/>
ihm käme überhaupt nur noch Generalleutnant Sir John French in Frage), den<lb/>
Großbritannien für diesen wichtigsten militärischen Posten hat, und weil die von</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1907 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009] [Abbildung] England und Indien >«»le Sorge, mit der ganz England auf Indien, die Quelle seines Ä!^ Reichtums und das Hauptfundament seiner Weltmacht, trotz der ^ moskowitischen Niederlage im fernen Osten zu schauen pflegt, ist ^ wohl verständlich. Beruht doch die materielle Macht des Mutter¬ ssi landes über diese reichste, größte und dichtbevölkertste seiner Kolonien nnr auf äußerlich schön verzierten, im Innern aber hohlen Säulen, deren Zuscimmenbrnch, wenn der äußere Putz heruntergekrcitzt ist, über Nacht er¬ folgen kann, während andrerseits die Regierung an der Newa nicht darauf ver¬ zichten kann noch darf, dem russischen Koloß den zu seiner Fortentwicklung un¬ bedingt notwendigen Zutritt zum Weltmeer zu verschaffen; hierzu aber erscheint wenigstens der Besitz eines Teils vou Indien und unter Umständen Afghanistans, Länder, durch die das Zarenreich allein noch auf eine verhältnismäßig kurze Strecke davon getrennt ist, eine zwingende Notwendigkeit. Und daß dieses Ziel nicht aus den Augen verloren worden ist, sondern trotz aller offizieller Freundlichkeit und trotz der Flottenbesuche mit langsam aber sicher arbeitender slawischer Zähigkeit verfolgt wird, ist längst kein Geheimnis und durch den fortschreitenden Ausbau des Bahnnetzes nach der afghanischen Grenze hin und das langsame aber zielbewußte Vorschieben immer größerer Truppenkörper längs der neuen Eisenbahnlinien sowie durch manche andre, nicht bedeutungslose Vorgänge und Zeichen dem aufmerksamen Beobachter überzeugend vor Augen geführt worden. Dementsprechend sind auch Englands Bestrebungen seit einigen Jahren mit erhöhter Energie und Emsigkeit darauf gerichtet, dem stillen aber bedrohlichen Gebaren Rußlands durch geeignete Schutz- und Abwehrmaßregeln möglichst entgegenzutreten. Nicht ohne Grund wurde kürzlich das Verbleiben des (!oilimWäor-in-0uiök in Indien, des Generals Viscount Kitchener von Khartum. über die gewohnten fünf Jahre hinaus verlängert, sondern weil man ihn für die geeignetste und bedeutendste, wenn nicht einzige Persönlichkeit erachtet (nach ihm käme überhaupt nur noch Generalleutnant Sir John French in Frage), den Großbritannien für diesen wichtigsten militärischen Posten hat, und weil die von Grenzboten IV 1907 1

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/9
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_303415/9>, abgerufen am 17.06.2024.