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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Das Wesen der Freimaurerei

scheidenden Grundgedanken, ihr Wesen sei etwas völlig Verschwommenes.
Behauptete doch noch kürzlich eine angesehene Tageszeitung, die Freimaurer
wüßten eigentlich selbst nicht, was sie wollten, ihr Dichten und Trachten
ergehe sich in leeren Formen und in unklarer, grundsatzloser Gefühlsschwärmerei.
Man entdeckt da keinen einheitlichen Positivismus, keinen fruchtbaren Zentral¬
gedanken im Freimaurertum und urteilt etwa: Die Freimaurerei ist in
germanischen Ländern ein harmloses Klubwesen mit allerhand theatralischen
Beiwerk, gegenseitiger Unterstützung und unbedeutender Wohltätigkeit, in ro¬
manischen Ländern aber eine geheime Organisation, die den Zweck verfolgt, im
Namen der "Toleranz" die Religion zu bekämpfen oder in ähnlicher Weise
zum Ärger der ganzen Christenheit rein destruktiv zu wirken.

Ist die Freimaurerei wirklich so wesenlos und wertlos? Wer sich tiefer
mit ihrem Geist und ihrer Geschichte befaßt, wird dieser Meinung nicht sein.
Es kommt nur darauf an, das Wesentliche und Entscheidende der Freimaurerei
aus der Flucht der Erscheinungen klar und deutlich herauszuheben.

Ein landläufiger Irrtum ist der, im Logentum und seinen Gebräuchen
das Wesentliche des Freimaurertums zu sehen. Schon Lessing nimmt gegen
diesen Irrtum Stellung, indem er feststellt: "Ihrem Wesen nach ist die Frei¬
maurerei eben so alt als die bürgerliche Gesellschaft", d. h. also: viel älter
als jedes Logenwesen. "Die Loge, sagt er, verhält sich zur Freimaurerei wie
die Kirche zum Glauben." Sie ist nur eine Gemeinschaft und Stätte zur
Pflege der Freimaurerei. Diese selbst aber kann ohne jede Logencinrichtung
bestehn und ist ohne diese ihrem Wesen nach immer vorhanden gewesen und
auch heute noch in weitem Umfange vorhanden außerhalb des Logentums.
Es gibt zahllose Vertreter der das Freimaurertum charakterisierenden An¬
schauungen und Bestrebungen, die dem Logentum völlig fernstehn. In der
Logensprache redet man hier von "Maurern ohne Schurz".

Das Wesentliche, das Entscheidende der Freimaurerei ist eine bestimmte
Weltanschauung und Strebensrichtung. Dieser eigenartige Freimaurergeist
aber wird gekennzeichnet durch den Begriff und die Forderung: Humanität!
Der Humanitätsdienst ist es denn auch, der dem Logentum die erwähnten un¬
ablässigen Angriffe gewisser kirchlicher Mächte, insbesondre die des Jesuitentums
zuzieht. Diese Gegner erkennen das Wesentliche und Bedeutsame der Frei¬
maurerei hie und da besser als manche von denen, die sich heute "Freimaurer"
nennen. Wie sehr der Humanitätsgedanke den Kern des Freimaurertums aus¬
macht, das ist zum Beispiel in einer umfangreichen Schrift des Jesuitenpaters
Pachtler "Der Götze der Humanität oder das Positive der Freimaurerei" ein-
gehend erörtert.

Der Humauitätsgedanke nun, dieser freimaurerische Positivismus, ist tat¬
sächlich weit länger in der Welt als die Freimaurerlogen, die sich in ihrer
jetzigen Gestalt mit Sicherheit nur bis zum Jahre 1717 zurückverfolgen lassen.
Er ist auch älter als jene Vorläufer der Logen -- von den Vereinigungen


Das Wesen der Freimaurerei

scheidenden Grundgedanken, ihr Wesen sei etwas völlig Verschwommenes.
Behauptete doch noch kürzlich eine angesehene Tageszeitung, die Freimaurer
wüßten eigentlich selbst nicht, was sie wollten, ihr Dichten und Trachten
ergehe sich in leeren Formen und in unklarer, grundsatzloser Gefühlsschwärmerei.
Man entdeckt da keinen einheitlichen Positivismus, keinen fruchtbaren Zentral¬
gedanken im Freimaurertum und urteilt etwa: Die Freimaurerei ist in
germanischen Ländern ein harmloses Klubwesen mit allerhand theatralischen
Beiwerk, gegenseitiger Unterstützung und unbedeutender Wohltätigkeit, in ro¬
manischen Ländern aber eine geheime Organisation, die den Zweck verfolgt, im
Namen der „Toleranz" die Religion zu bekämpfen oder in ähnlicher Weise
zum Ärger der ganzen Christenheit rein destruktiv zu wirken.

Ist die Freimaurerei wirklich so wesenlos und wertlos? Wer sich tiefer
mit ihrem Geist und ihrer Geschichte befaßt, wird dieser Meinung nicht sein.
Es kommt nur darauf an, das Wesentliche und Entscheidende der Freimaurerei
aus der Flucht der Erscheinungen klar und deutlich herauszuheben.

Ein landläufiger Irrtum ist der, im Logentum und seinen Gebräuchen
das Wesentliche des Freimaurertums zu sehen. Schon Lessing nimmt gegen
diesen Irrtum Stellung, indem er feststellt: „Ihrem Wesen nach ist die Frei¬
maurerei eben so alt als die bürgerliche Gesellschaft", d. h. also: viel älter
als jedes Logenwesen. „Die Loge, sagt er, verhält sich zur Freimaurerei wie
die Kirche zum Glauben." Sie ist nur eine Gemeinschaft und Stätte zur
Pflege der Freimaurerei. Diese selbst aber kann ohne jede Logencinrichtung
bestehn und ist ohne diese ihrem Wesen nach immer vorhanden gewesen und
auch heute noch in weitem Umfange vorhanden außerhalb des Logentums.
Es gibt zahllose Vertreter der das Freimaurertum charakterisierenden An¬
schauungen und Bestrebungen, die dem Logentum völlig fernstehn. In der
Logensprache redet man hier von „Maurern ohne Schurz".

Das Wesentliche, das Entscheidende der Freimaurerei ist eine bestimmte
Weltanschauung und Strebensrichtung. Dieser eigenartige Freimaurergeist
aber wird gekennzeichnet durch den Begriff und die Forderung: Humanität!
Der Humanitätsdienst ist es denn auch, der dem Logentum die erwähnten un¬
ablässigen Angriffe gewisser kirchlicher Mächte, insbesondre die des Jesuitentums
zuzieht. Diese Gegner erkennen das Wesentliche und Bedeutsame der Frei¬
maurerei hie und da besser als manche von denen, die sich heute „Freimaurer"
nennen. Wie sehr der Humanitätsgedanke den Kern des Freimaurertums aus¬
macht, das ist zum Beispiel in einer umfangreichen Schrift des Jesuitenpaters
Pachtler „Der Götze der Humanität oder das Positive der Freimaurerei" ein-
gehend erörtert.

Der Humauitätsgedanke nun, dieser freimaurerische Positivismus, ist tat¬
sächlich weit länger in der Welt als die Freimaurerlogen, die sich in ihrer
jetzigen Gestalt mit Sicherheit nur bis zum Jahre 1717 zurückverfolgen lassen.
Er ist auch älter als jene Vorläufer der Logen — von den Vereinigungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/32>, abgerufen am 22.05.2024.