Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Wort Schroinds über das "Malen-Können"

besondre Pcirteieinseitigkeiten der künstlerischen Art in stetem Werden und
Vergehen unausbleiblich aus dem bestehenden Zwiespalt zwischen Unerschöpf¬
lichkeit der künstlerischen Aufgaben und Ausdrucksmittel auf der einen, Be¬
dingtheit der schaffenden künstlerischen Persönlichkeit auf der andern Seite.
Was sich dem zeitgenössischen Beobachter im Bilde von künstlerischen Partei¬
kämpfen darstellt, das beständig sich erneuernde Abweichen von der herrschend
gewordnen Norm, der Widerstreit zwischen Alt und Jung, der modische
Wechsel in der Bevorzugung bald dieser, bald jener unter den verschiednen
künstlerischen Möglichkeiten, das sich ablösende Hervorkehren zeitweilig mehr
des Geistigen, zeitweilig mehr des Sinnlichen im Wesen der Kunst, darf als
unvermeidliche Begleiterscheinung eines nie rastenden Entwicklungsprozesses
angesehen werden. Trotz der Unreife und Ungeklärtheit, die den Bestrebungen
solcher noch im Fluß begriffner künstlerischer Parteikämpfe notwendigerweise
anhaften, darf doch nicht verkannt werden, daß sie Teilerscheinungen einer
Vorwärtsbewegung auf derselben nie ein Ende erreichenden Bahn sind, auf der
man, wenn man rückwärts schaut, die Stationen der Kunstgeschichte erblickt, in
erstarrtem Zustande, geschichtlich abgeschlossen die Reihe der Kunstschöpfungen
vor sich sieht, die jedem Zeitalter, jeder Nation, jedem einzelnen Großen der
Kunstgeschichte sein besondres charakteristisches Gepräge geben.

Freilich ist, wenn man eine Vorwärtsbewegung in den parteimüßig
organisierten Kunstbestrebungen unsrer Zeit anerkennt, dies nicht ohne weiteres
gleichbedeutend mit einem Lobe. Denn die Bahn, die die Kunstgeschichte
bisher durchlaufen hat und ferner durchlaufen wird, birgt Klippen und Ab¬
gründe, die vermieden werden müssen; eine Vorwärtsbewegung aber gibt
es auch auf Irrwegen. Am allerwenigsten begibt sich ein Beurteiler unsrer
gegenwärtigen Kunst dadurch, daß er Parteibestrebungen, schon bevor sie den
Gang ihrer Entwicklung vollendet haben, soviel als möglich in das Licht
historischer Betrachtung gerückt wissen will und neuen Zeiten und Menschen
unweigerlich ihr volles Selbstbestimmungsrecht, jedem Zeitalter seine eigne
Kunst zuzugestehn bereit ist, des Rechtes, nun aber auch zur Klärung des
Urteils genan zu unterscheiden, was in den Parteibestrebungen rein künstlerischer,
was fremdartiger Natur ist, inwieweit die im Kampfe angewandten Mittel,
durch die dem eignen Interesse geniitzt, dem Gegner Abbruch getan werden
soll, in einem ehrlichen Kampfe erlaubt und nicht durch Trug vergiftet oder
wegen ungerechter, von blinder Leidenschaft regierter Handhabung tadelnswert
sind. Vielleicht spielen persönlich-egoistische Beweggründe und jener unaus¬
rottbare hesiodische Haß des Töpfers gegen den Töpfer mit; vielleicht ist es
nur ein trügerischer Schein, wenn ein neu heranwachsendes Künstlergeschlecht
Unabhängigkeit von der nächst vorhergegangnen Generation zur Schau trägt;
vielleicht ist es gerade durch eine weitgehende Abhängigkeit von ihr beherrscht,
nur eine besondre Art von Abhängigkeit, nämlich jene, für die ein geistreicher
Franzose den Namen eontrs-imitation erfunden hat, und die sich darin äußert,


Ein Wort Schroinds über das „Malen-Können"

besondre Pcirteieinseitigkeiten der künstlerischen Art in stetem Werden und
Vergehen unausbleiblich aus dem bestehenden Zwiespalt zwischen Unerschöpf¬
lichkeit der künstlerischen Aufgaben und Ausdrucksmittel auf der einen, Be¬
dingtheit der schaffenden künstlerischen Persönlichkeit auf der andern Seite.
Was sich dem zeitgenössischen Beobachter im Bilde von künstlerischen Partei¬
kämpfen darstellt, das beständig sich erneuernde Abweichen von der herrschend
gewordnen Norm, der Widerstreit zwischen Alt und Jung, der modische
Wechsel in der Bevorzugung bald dieser, bald jener unter den verschiednen
künstlerischen Möglichkeiten, das sich ablösende Hervorkehren zeitweilig mehr
des Geistigen, zeitweilig mehr des Sinnlichen im Wesen der Kunst, darf als
unvermeidliche Begleiterscheinung eines nie rastenden Entwicklungsprozesses
angesehen werden. Trotz der Unreife und Ungeklärtheit, die den Bestrebungen
solcher noch im Fluß begriffner künstlerischer Parteikämpfe notwendigerweise
anhaften, darf doch nicht verkannt werden, daß sie Teilerscheinungen einer
Vorwärtsbewegung auf derselben nie ein Ende erreichenden Bahn sind, auf der
man, wenn man rückwärts schaut, die Stationen der Kunstgeschichte erblickt, in
erstarrtem Zustande, geschichtlich abgeschlossen die Reihe der Kunstschöpfungen
vor sich sieht, die jedem Zeitalter, jeder Nation, jedem einzelnen Großen der
Kunstgeschichte sein besondres charakteristisches Gepräge geben.

Freilich ist, wenn man eine Vorwärtsbewegung in den parteimüßig
organisierten Kunstbestrebungen unsrer Zeit anerkennt, dies nicht ohne weiteres
gleichbedeutend mit einem Lobe. Denn die Bahn, die die Kunstgeschichte
bisher durchlaufen hat und ferner durchlaufen wird, birgt Klippen und Ab¬
gründe, die vermieden werden müssen; eine Vorwärtsbewegung aber gibt
es auch auf Irrwegen. Am allerwenigsten begibt sich ein Beurteiler unsrer
gegenwärtigen Kunst dadurch, daß er Parteibestrebungen, schon bevor sie den
Gang ihrer Entwicklung vollendet haben, soviel als möglich in das Licht
historischer Betrachtung gerückt wissen will und neuen Zeiten und Menschen
unweigerlich ihr volles Selbstbestimmungsrecht, jedem Zeitalter seine eigne
Kunst zuzugestehn bereit ist, des Rechtes, nun aber auch zur Klärung des
Urteils genan zu unterscheiden, was in den Parteibestrebungen rein künstlerischer,
was fremdartiger Natur ist, inwieweit die im Kampfe angewandten Mittel,
durch die dem eignen Interesse geniitzt, dem Gegner Abbruch getan werden
soll, in einem ehrlichen Kampfe erlaubt und nicht durch Trug vergiftet oder
wegen ungerechter, von blinder Leidenschaft regierter Handhabung tadelnswert
sind. Vielleicht spielen persönlich-egoistische Beweggründe und jener unaus¬
rottbare hesiodische Haß des Töpfers gegen den Töpfer mit; vielleicht ist es
nur ein trügerischer Schein, wenn ein neu heranwachsendes Künstlergeschlecht
Unabhängigkeit von der nächst vorhergegangnen Generation zur Schau trägt;
vielleicht ist es gerade durch eine weitgehende Abhängigkeit von ihr beherrscht,
nur eine besondre Art von Abhängigkeit, nämlich jene, für die ein geistreicher
Franzose den Namen eontrs-imitation erfunden hat, und die sich darin äußert,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/310451"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Wort Schroinds über das &#x201E;Malen-Können"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_111" prev="#ID_110"> besondre Pcirteieinseitigkeiten der künstlerischen Art in stetem Werden und<lb/>
Vergehen unausbleiblich aus dem bestehenden Zwiespalt zwischen Unerschöpf¬<lb/>
lichkeit der künstlerischen Aufgaben und Ausdrucksmittel auf der einen, Be¬<lb/>
dingtheit der schaffenden künstlerischen Persönlichkeit auf der andern Seite.<lb/>
Was sich dem zeitgenössischen Beobachter im Bilde von künstlerischen Partei¬<lb/>
kämpfen darstellt, das beständig sich erneuernde Abweichen von der herrschend<lb/>
gewordnen Norm, der Widerstreit zwischen Alt und Jung, der modische<lb/>
Wechsel in der Bevorzugung bald dieser, bald jener unter den verschiednen<lb/>
künstlerischen Möglichkeiten, das sich ablösende Hervorkehren zeitweilig mehr<lb/>
des Geistigen, zeitweilig mehr des Sinnlichen im Wesen der Kunst, darf als<lb/>
unvermeidliche Begleiterscheinung eines nie rastenden Entwicklungsprozesses<lb/>
angesehen werden. Trotz der Unreife und Ungeklärtheit, die den Bestrebungen<lb/>
solcher noch im Fluß begriffner künstlerischer Parteikämpfe notwendigerweise<lb/>
anhaften, darf doch nicht verkannt werden, daß sie Teilerscheinungen einer<lb/>
Vorwärtsbewegung auf derselben nie ein Ende erreichenden Bahn sind, auf der<lb/>
man, wenn man rückwärts schaut, die Stationen der Kunstgeschichte erblickt, in<lb/>
erstarrtem Zustande, geschichtlich abgeschlossen die Reihe der Kunstschöpfungen<lb/>
vor sich sieht, die jedem Zeitalter, jeder Nation, jedem einzelnen Großen der<lb/>
Kunstgeschichte sein besondres charakteristisches Gepräge geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_112" next="#ID_113"> Freilich ist, wenn man eine Vorwärtsbewegung in den parteimüßig<lb/>
organisierten Kunstbestrebungen unsrer Zeit anerkennt, dies nicht ohne weiteres<lb/>
gleichbedeutend mit einem Lobe. Denn die Bahn, die die Kunstgeschichte<lb/>
bisher durchlaufen hat und ferner durchlaufen wird, birgt Klippen und Ab¬<lb/>
gründe, die vermieden werden müssen; eine Vorwärtsbewegung aber gibt<lb/>
es auch auf Irrwegen. Am allerwenigsten begibt sich ein Beurteiler unsrer<lb/>
gegenwärtigen Kunst dadurch, daß er Parteibestrebungen, schon bevor sie den<lb/>
Gang ihrer Entwicklung vollendet haben, soviel als möglich in das Licht<lb/>
historischer Betrachtung gerückt wissen will und neuen Zeiten und Menschen<lb/>
unweigerlich ihr volles Selbstbestimmungsrecht, jedem Zeitalter seine eigne<lb/>
Kunst zuzugestehn bereit ist, des Rechtes, nun aber auch zur Klärung des<lb/>
Urteils genan zu unterscheiden, was in den Parteibestrebungen rein künstlerischer,<lb/>
was fremdartiger Natur ist, inwieweit die im Kampfe angewandten Mittel,<lb/>
durch die dem eignen Interesse geniitzt, dem Gegner Abbruch getan werden<lb/>
soll, in einem ehrlichen Kampfe erlaubt und nicht durch Trug vergiftet oder<lb/>
wegen ungerechter, von blinder Leidenschaft regierter Handhabung tadelnswert<lb/>
sind. Vielleicht spielen persönlich-egoistische Beweggründe und jener unaus¬<lb/>
rottbare hesiodische Haß des Töpfers gegen den Töpfer mit; vielleicht ist es<lb/>
nur ein trügerischer Schein, wenn ein neu heranwachsendes Künstlergeschlecht<lb/>
Unabhängigkeit von der nächst vorhergegangnen Generation zur Schau trägt;<lb/>
vielleicht ist es gerade durch eine weitgehende Abhängigkeit von ihr beherrscht,<lb/>
nur eine besondre Art von Abhängigkeit, nämlich jene, für die ein geistreicher<lb/>
Franzose den Namen eontrs-imitation erfunden hat, und die sich darin äußert,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] Ein Wort Schroinds über das „Malen-Können" besondre Pcirteieinseitigkeiten der künstlerischen Art in stetem Werden und Vergehen unausbleiblich aus dem bestehenden Zwiespalt zwischen Unerschöpf¬ lichkeit der künstlerischen Aufgaben und Ausdrucksmittel auf der einen, Be¬ dingtheit der schaffenden künstlerischen Persönlichkeit auf der andern Seite. Was sich dem zeitgenössischen Beobachter im Bilde von künstlerischen Partei¬ kämpfen darstellt, das beständig sich erneuernde Abweichen von der herrschend gewordnen Norm, der Widerstreit zwischen Alt und Jung, der modische Wechsel in der Bevorzugung bald dieser, bald jener unter den verschiednen künstlerischen Möglichkeiten, das sich ablösende Hervorkehren zeitweilig mehr des Geistigen, zeitweilig mehr des Sinnlichen im Wesen der Kunst, darf als unvermeidliche Begleiterscheinung eines nie rastenden Entwicklungsprozesses angesehen werden. Trotz der Unreife und Ungeklärtheit, die den Bestrebungen solcher noch im Fluß begriffner künstlerischer Parteikämpfe notwendigerweise anhaften, darf doch nicht verkannt werden, daß sie Teilerscheinungen einer Vorwärtsbewegung auf derselben nie ein Ende erreichenden Bahn sind, auf der man, wenn man rückwärts schaut, die Stationen der Kunstgeschichte erblickt, in erstarrtem Zustande, geschichtlich abgeschlossen die Reihe der Kunstschöpfungen vor sich sieht, die jedem Zeitalter, jeder Nation, jedem einzelnen Großen der Kunstgeschichte sein besondres charakteristisches Gepräge geben. Freilich ist, wenn man eine Vorwärtsbewegung in den parteimüßig organisierten Kunstbestrebungen unsrer Zeit anerkennt, dies nicht ohne weiteres gleichbedeutend mit einem Lobe. Denn die Bahn, die die Kunstgeschichte bisher durchlaufen hat und ferner durchlaufen wird, birgt Klippen und Ab¬ gründe, die vermieden werden müssen; eine Vorwärtsbewegung aber gibt es auch auf Irrwegen. Am allerwenigsten begibt sich ein Beurteiler unsrer gegenwärtigen Kunst dadurch, daß er Parteibestrebungen, schon bevor sie den Gang ihrer Entwicklung vollendet haben, soviel als möglich in das Licht historischer Betrachtung gerückt wissen will und neuen Zeiten und Menschen unweigerlich ihr volles Selbstbestimmungsrecht, jedem Zeitalter seine eigne Kunst zuzugestehn bereit ist, des Rechtes, nun aber auch zur Klärung des Urteils genan zu unterscheiden, was in den Parteibestrebungen rein künstlerischer, was fremdartiger Natur ist, inwieweit die im Kampfe angewandten Mittel, durch die dem eignen Interesse geniitzt, dem Gegner Abbruch getan werden soll, in einem ehrlichen Kampfe erlaubt und nicht durch Trug vergiftet oder wegen ungerechter, von blinder Leidenschaft regierter Handhabung tadelnswert sind. Vielleicht spielen persönlich-egoistische Beweggründe und jener unaus¬ rottbare hesiodische Haß des Töpfers gegen den Töpfer mit; vielleicht ist es nur ein trügerischer Schein, wenn ein neu heranwachsendes Künstlergeschlecht Unabhängigkeit von der nächst vorhergegangnen Generation zur Schau trägt; vielleicht ist es gerade durch eine weitgehende Abhängigkeit von ihr beherrscht, nur eine besondre Art von Abhängigkeit, nämlich jene, für die ein geistreicher Franzose den Namen eontrs-imitation erfunden hat, und die sich darin äußert,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/40
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/40>, abgerufen am 22.05.2024.