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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Bismarck und Thiers als Unterhändler

der deutschen Diplomatie in der Beschleunigung des Friedensschlusses, damit die
neutralen Mächte verhindert würden, sich über ihre Einmischung zu verständigen.
Er holte in bezug auf die Kriegskostenentschädigung Gutachten von Finanzmännern
ein und beschäftigte sich vor allem mit der Frage, die er schon in dem (oben
S. 321 angeführten) Rundschreiben vom 13. September betont hatte, auf welche
Weise Deutschland seine Grenze zu sichern habe. Im April des Nevolutions-
jahres 1848 hatte er die Befreiung Polens ein weniger würdiges Ziel des Ehr¬
geizes genannt als "die deutsche Fahne auf den Dom von Straßburg zu pflanzen".
Jetzt konnte er dieses Ziel erreichen, jetzt schaute ganz Deutschland auf die
.wunderschöne Stadt", auf die Bismarck als Realpolitiker aber nur deshalb blickte,
weil sie für ihn der ..Schlüssel zum eignen Hause" war. weil er Deutschland
mit allen Kräften gegen erneute Angriffe sichern wollte. Nicht um ein Beute¬
stück war es ihm zu tun, sondern um Bürgschaft des Friedens. Er betrachtete
die Erwerbung des Elsaß als Schlußstein der deutschen Einheit, da "der Keil,
den die Ecke des Elsaß bei Weißenburg in Deutschland hineinschob. Süddeutsch¬
land wirksamer von Norddeutschland trennte als die politische Mainlinie" --
so äußerte er in der wichtigen Reichstagsrede vom 2. Mai 1871. Und wie
auf Straßburg, so schaute er auch auf Metz. Schon in dem uns bekannten
Rundschreiben vom 16. September hob er hervor, daß die beiden Festungen in
deutscher Hand nur defensiven Charakter gewonnen. Offenbar war er aber,
wenigstens nach der am 4. November zu Thiers getaner Äußerung (oben S. 326).
w bezug auf die Forderung von Metz nicht so fest entschlossen wie wegen Straß-
burgs; in diesem Punkte kann ich der Ansicht von Lorenz (S. 509) nicht ganz
beipflichten. Grundsätzlich war er zu keiner Zeit gegen die Erwerbung von Metz*);
er betrachtete die Angelegenheit ausschließlich vom Standpunkte des Schutzes
und der Sicherheit der deutschen Grenzen. Auch in dieser Frage gingen nun
die Meinungen der einflußreichen Persönlichkeiten zuzeiten auseinander,
fürstlichen Kreisen wurden grundsätzliche Bedenken geäußert; und acht nur das.
Sprach doch sogar der preußische Kronprinz in einer vorübergehenden Sttmmung
der Entmutigung am 9. Januar, wie sein Generalstabschef Blumenthal schreib,
"von Frieden i tout xrix und Herausgabe des eroberten Landstnches. selbst
Lothringen und Elsaß".

.^^<"
Ob sich die Forderung von Metz wirklich wurde aufrechterhalten lassen,
darüber stiegen in Bismarck erst dann ernste Zweifel auf, als seine Sorge, den
Frieden zu Deutschlands Vorteil zu sichern, immer dringender wurde. Nußland
hatte am 31. Oktober erklärt, daß es sich an den Pariser Vertrag von 1856
nicht mehr gebunden erachten könne. Die dadurch aufgerollte Schwarze-Meer-
Frage stand anfangs "recht wie ein drohendes Gewölk" am politischen Himmel;



Vgdarüberim allgemeinen die Schrift von Jacob, Bismarck und die Erwerbung
Elsaß-Lothringens 1870/71 (Straßburg, 190S, van Houten),
Grenzboten IV 1908
Bismarck und Thiers als Unterhändler

der deutschen Diplomatie in der Beschleunigung des Friedensschlusses, damit die
neutralen Mächte verhindert würden, sich über ihre Einmischung zu verständigen.
Er holte in bezug auf die Kriegskostenentschädigung Gutachten von Finanzmännern
ein und beschäftigte sich vor allem mit der Frage, die er schon in dem (oben
S. 321 angeführten) Rundschreiben vom 13. September betont hatte, auf welche
Weise Deutschland seine Grenze zu sichern habe. Im April des Nevolutions-
jahres 1848 hatte er die Befreiung Polens ein weniger würdiges Ziel des Ehr¬
geizes genannt als „die deutsche Fahne auf den Dom von Straßburg zu pflanzen".
Jetzt konnte er dieses Ziel erreichen, jetzt schaute ganz Deutschland auf die
.wunderschöne Stadt", auf die Bismarck als Realpolitiker aber nur deshalb blickte,
weil sie für ihn der ..Schlüssel zum eignen Hause" war. weil er Deutschland
mit allen Kräften gegen erneute Angriffe sichern wollte. Nicht um ein Beute¬
stück war es ihm zu tun, sondern um Bürgschaft des Friedens. Er betrachtete
die Erwerbung des Elsaß als Schlußstein der deutschen Einheit, da „der Keil,
den die Ecke des Elsaß bei Weißenburg in Deutschland hineinschob. Süddeutsch¬
land wirksamer von Norddeutschland trennte als die politische Mainlinie" —
so äußerte er in der wichtigen Reichstagsrede vom 2. Mai 1871. Und wie
auf Straßburg, so schaute er auch auf Metz. Schon in dem uns bekannten
Rundschreiben vom 16. September hob er hervor, daß die beiden Festungen in
deutscher Hand nur defensiven Charakter gewonnen. Offenbar war er aber,
wenigstens nach der am 4. November zu Thiers getaner Äußerung (oben S. 326).
w bezug auf die Forderung von Metz nicht so fest entschlossen wie wegen Straß-
burgs; in diesem Punkte kann ich der Ansicht von Lorenz (S. 509) nicht ganz
beipflichten. Grundsätzlich war er zu keiner Zeit gegen die Erwerbung von Metz*);
er betrachtete die Angelegenheit ausschließlich vom Standpunkte des Schutzes
und der Sicherheit der deutschen Grenzen. Auch in dieser Frage gingen nun
die Meinungen der einflußreichen Persönlichkeiten zuzeiten auseinander,
fürstlichen Kreisen wurden grundsätzliche Bedenken geäußert; und acht nur das.
Sprach doch sogar der preußische Kronprinz in einer vorübergehenden Sttmmung
der Entmutigung am 9. Januar, wie sein Generalstabschef Blumenthal schreib,
"von Frieden i tout xrix und Herausgabe des eroberten Landstnches. selbst
Lothringen und Elsaß".

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Ob sich die Forderung von Metz wirklich wurde aufrechterhalten lassen,
darüber stiegen in Bismarck erst dann ernste Zweifel auf, als seine Sorge, den
Frieden zu Deutschlands Vorteil zu sichern, immer dringender wurde. Nußland
hatte am 31. Oktober erklärt, daß es sich an den Pariser Vertrag von 1856
nicht mehr gebunden erachten könne. Die dadurch aufgerollte Schwarze-Meer-
Frage stand anfangs „recht wie ein drohendes Gewölk" am politischen Himmel;



Vgdarüberim allgemeinen die Schrift von Jacob, Bismarck und die Erwerbung
Elsaß-Lothringens 1870/71 (Straßburg, 190S, van Houten),
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[0425] Bismarck und Thiers als Unterhändler der deutschen Diplomatie in der Beschleunigung des Friedensschlusses, damit die neutralen Mächte verhindert würden, sich über ihre Einmischung zu verständigen. Er holte in bezug auf die Kriegskostenentschädigung Gutachten von Finanzmännern ein und beschäftigte sich vor allem mit der Frage, die er schon in dem (oben S. 321 angeführten) Rundschreiben vom 13. September betont hatte, auf welche Weise Deutschland seine Grenze zu sichern habe. Im April des Nevolutions- jahres 1848 hatte er die Befreiung Polens ein weniger würdiges Ziel des Ehr¬ geizes genannt als „die deutsche Fahne auf den Dom von Straßburg zu pflanzen". Jetzt konnte er dieses Ziel erreichen, jetzt schaute ganz Deutschland auf die .wunderschöne Stadt", auf die Bismarck als Realpolitiker aber nur deshalb blickte, weil sie für ihn der ..Schlüssel zum eignen Hause" war. weil er Deutschland mit allen Kräften gegen erneute Angriffe sichern wollte. Nicht um ein Beute¬ stück war es ihm zu tun, sondern um Bürgschaft des Friedens. Er betrachtete die Erwerbung des Elsaß als Schlußstein der deutschen Einheit, da „der Keil, den die Ecke des Elsaß bei Weißenburg in Deutschland hineinschob. Süddeutsch¬ land wirksamer von Norddeutschland trennte als die politische Mainlinie" — so äußerte er in der wichtigen Reichstagsrede vom 2. Mai 1871. Und wie auf Straßburg, so schaute er auch auf Metz. Schon in dem uns bekannten Rundschreiben vom 16. September hob er hervor, daß die beiden Festungen in deutscher Hand nur defensiven Charakter gewonnen. Offenbar war er aber, wenigstens nach der am 4. November zu Thiers getaner Äußerung (oben S. 326). w bezug auf die Forderung von Metz nicht so fest entschlossen wie wegen Straß- burgs; in diesem Punkte kann ich der Ansicht von Lorenz (S. 509) nicht ganz beipflichten. Grundsätzlich war er zu keiner Zeit gegen die Erwerbung von Metz*); er betrachtete die Angelegenheit ausschließlich vom Standpunkte des Schutzes und der Sicherheit der deutschen Grenzen. Auch in dieser Frage gingen nun die Meinungen der einflußreichen Persönlichkeiten zuzeiten auseinander, fürstlichen Kreisen wurden grundsätzliche Bedenken geäußert; und acht nur das. Sprach doch sogar der preußische Kronprinz in einer vorübergehenden Sttmmung der Entmutigung am 9. Januar, wie sein Generalstabschef Blumenthal schreib, "von Frieden i tout xrix und Herausgabe des eroberten Landstnches. selbst Lothringen und Elsaß". .^^<„ Ob sich die Forderung von Metz wirklich wurde aufrechterhalten lassen, darüber stiegen in Bismarck erst dann ernste Zweifel auf, als seine Sorge, den Frieden zu Deutschlands Vorteil zu sichern, immer dringender wurde. Nußland hatte am 31. Oktober erklärt, daß es sich an den Pariser Vertrag von 1856 nicht mehr gebunden erachten könne. Die dadurch aufgerollte Schwarze-Meer- Frage stand anfangs „recht wie ein drohendes Gewölk" am politischen Himmel; Vgdarüberim allgemeinen die Schrift von Jacob, Bismarck und die Erwerbung Elsaß-Lothringens 1870/71 (Straßburg, 190S, van Houten), Grenzboten IV 1908

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/425>, abgerufen am 22.05.2024.