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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Oberlehrer Haut

nicht und kann gleichwohl malen. Warum? Weil man ein Wort will, hinter
welches mau seineu wahren Geschmack verstecken kann, ein Wort, bei dem man zeit¬
gemäß und als Kunstkenner erscheint, während man sich gleichzeitig freut, wenn
mau am rechten Ort Lüsternheiten begegnet, welche den Heiden zu er¬
bärmlich waren; vor allem aber, weil mau sich durch Kaulbachs Anbetung von
dem imponierender Ernst anderer Werke befreien kann.

Man wird sich sonach entschließen müssen, in Zukunft zwischen "Malern"
und "Malcnkönnern" zu unterscheiden. Es sind die Malenkönner einfach
die Fortsetzer des pikanten Prinzips, welches sich in der Belletristik
(Eugen Sue ze.) überboten hat und in der Malerei vor der Polizei ge¬
sichert ist; des pikanten Prinzips, dessen Wesen darin besteht, radikal in der An¬
schauung und servil im Leben zu sein, oder (vom Standpunkt der Kunst aus ge¬
sprochen) durch bestechende Lackieruugsfertigkeit geschützt, den frivolen Geist der Zeit
zu kitzeln in seinen gereiztesten Fibern.

Wir fügen noch ein Wort über die so hcinfige Berufung auf die belgischen
Maler und Malenkönner als Muster für die deutschen bei. In Antwerpen studierten
im Jahre 1850 sechzehn junge Deutsche, um als vollbürtige Mnlenkönner dereinst
die deutsche Kunst mit der nötige" Nationalität zu betreiben. Wappers, der Gründer
der belgischen Schule, fragte deu Vorstand der dortigen Anstalt, einen sehr ge¬
bildeten und tüchtigen Mann, wie er mit unser" jungen Leute" zufrieden sei. Die
Antwort lautete: ,,we"" ich Einen kommen sehe, der da meint, bei uns malen zu
lernen und im übrigen Deutscher zu bleiben, so kann ich nichts sagen als: schade drum"
(moi ^'s us als risn c^o vonn uns xsrts). So urteilen die Belgier selbst, und die
Deutschen sind die Narren, die vom Ausland das "Maleukönuen" holen wollen! --

Vielleicht ist es, um jedem Einwand zu begegnen, nicht überflüssig, schließlich
noch Rahl zu erwähnen, der neben den drei Obengenannten den größten Ruf als
Malenkönner besitzt und ihn, weil er der solideste und männlichste ist, in der Tat
verdient. Rasis Stellung ist nur ein neuer Beleg zu dem Inhalt des bisher
Gesagten. Will er, was er gemalt hat, verkaufen, so muß er zu seinem großen
Verdruß eigens eine Lantenschlcigerin oder eine sich ein- oder ausschuürende Schöne
malen. -- Damit genug für die, die in der Sache sehen wollen; die Andern sind
nicht zu belehren.




Oberlehrer Haut
Lernt Lie Roman von
(Fortsetzung)

i vermein, Mutter! Und ich hatte mir doch gestern so bestimmt vor¬
genommen, daß ich heute früh aufwachen wollte!

Es geschah jeden Morgen, daß Berry aus ihrem tiefsten, ge¬
sundesten Schlaf in die Höhe fuhr, durch Frau Haut aufgeweckt, die
mit dem Kaffeebrett vor ihr stand. Es war für Berry also ganz
^unmöglich, ihren Vorsatz auszuführen und so früh aufzustehn, daß
sie mit dem Kaffee zu der Mutter kommen konnte!

Frau Haut lächelte und setzte den Kaffee auf den Nachttisch:

Wir haben noch Ferien, Kind! Und ich möchte gern, daß du die Zeit aus¬
nutzt, solange sie noch währt.


Oberlehrer Haut

nicht und kann gleichwohl malen. Warum? Weil man ein Wort will, hinter
welches mau seineu wahren Geschmack verstecken kann, ein Wort, bei dem man zeit¬
gemäß und als Kunstkenner erscheint, während man sich gleichzeitig freut, wenn
mau am rechten Ort Lüsternheiten begegnet, welche den Heiden zu er¬
bärmlich waren; vor allem aber, weil mau sich durch Kaulbachs Anbetung von
dem imponierender Ernst anderer Werke befreien kann.

Man wird sich sonach entschließen müssen, in Zukunft zwischen „Malern"
und „Malcnkönnern" zu unterscheiden. Es sind die Malenkönner einfach
die Fortsetzer des pikanten Prinzips, welches sich in der Belletristik
(Eugen Sue ze.) überboten hat und in der Malerei vor der Polizei ge¬
sichert ist; des pikanten Prinzips, dessen Wesen darin besteht, radikal in der An¬
schauung und servil im Leben zu sein, oder (vom Standpunkt der Kunst aus ge¬
sprochen) durch bestechende Lackieruugsfertigkeit geschützt, den frivolen Geist der Zeit
zu kitzeln in seinen gereiztesten Fibern.

Wir fügen noch ein Wort über die so hcinfige Berufung auf die belgischen
Maler und Malenkönner als Muster für die deutschen bei. In Antwerpen studierten
im Jahre 1850 sechzehn junge Deutsche, um als vollbürtige Mnlenkönner dereinst
die deutsche Kunst mit der nötige» Nationalität zu betreiben. Wappers, der Gründer
der belgischen Schule, fragte deu Vorstand der dortigen Anstalt, einen sehr ge¬
bildeten und tüchtigen Mann, wie er mit unser» jungen Leute» zufrieden sei. Die
Antwort lautete: ,,we»» ich Einen kommen sehe, der da meint, bei uns malen zu
lernen und im übrigen Deutscher zu bleiben, so kann ich nichts sagen als: schade drum"
(moi ^'s us als risn c^o vonn uns xsrts). So urteilen die Belgier selbst, und die
Deutschen sind die Narren, die vom Ausland das „Maleukönuen" holen wollen! —

Vielleicht ist es, um jedem Einwand zu begegnen, nicht überflüssig, schließlich
noch Rahl zu erwähnen, der neben den drei Obengenannten den größten Ruf als
Malenkönner besitzt und ihn, weil er der solideste und männlichste ist, in der Tat
verdient. Rasis Stellung ist nur ein neuer Beleg zu dem Inhalt des bisher
Gesagten. Will er, was er gemalt hat, verkaufen, so muß er zu seinem großen
Verdruß eigens eine Lantenschlcigerin oder eine sich ein- oder ausschuürende Schöne
malen. — Damit genug für die, die in der Sache sehen wollen; die Andern sind
nicht zu belehren.




Oberlehrer Haut
Lernt Lie Roman von
(Fortsetzung)

i vermein, Mutter! Und ich hatte mir doch gestern so bestimmt vor¬
genommen, daß ich heute früh aufwachen wollte!

Es geschah jeden Morgen, daß Berry aus ihrem tiefsten, ge¬
sundesten Schlaf in die Höhe fuhr, durch Frau Haut aufgeweckt, die
mit dem Kaffeebrett vor ihr stand. Es war für Berry also ganz
^unmöglich, ihren Vorsatz auszuführen und so früh aufzustehn, daß
sie mit dem Kaffee zu der Mutter kommen konnte!

Frau Haut lächelte und setzte den Kaffee auf den Nachttisch:

Wir haben noch Ferien, Kind! Und ich möchte gern, daß du die Zeit aus¬
nutzt, solange sie noch währt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/47>, abgerufen am 22.05.2024.