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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr.

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Die Schwierigkeiten der innerpolitischen Tage
Wilhelm von Massoiv von

echt unerfreulich sind die Aussichten, die uns der Reichstag am
Jahresschluß eröffnet hat, ehe er in die Weihnachtspause einge¬
treten ist. Gewiß wird festzuhalten sein, daß wir noch am Anfang
der großen Arbeit stehn, die der Reichstag in diesem Winter zu
leisten hat; es besteht noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu
werfen. Aber gerade weil es noch Zeit ist, begangne Fehler wieder gut zu
machen, sollte die Arbeitspause recht gründlich zum Nachdenken über die Lage
benutzt werden.

Zunächst hat die Kommission zur Beratung der Neichssinanzreform Wege
eingeschlagen, die unmöglich zum Ziel führen können. Und doch unterscheidet sich
die gegenwärtige Lage von mancher frühern politischen Kampfzeit eben dadurch,
dnß das Ziel von alleu bürgerlichen Parteien als dringend notwendig anerkannt
worden ist. Nicht nur die Blockparteien, sondern auch das Zentrum sind sich
darüber klar geworden, daß die Reichssincmzreform zustande kommen muß. Das
Fortwirtschaften -- oder soll man nach berühmten Mustern sagen: "Fort¬
wursteln?" -- auf den bisherigen Grundlagen ist schlechterdings unmöglich.
Konservative und Demokraten, Liberale und Ultramontane haben es gleichmäßig
betont. Unter solcher Voraussetzung müßten praktische Erwägungen doch wohl
die Wirkung haben, die Parteien auf den Weg zu führen, auf dem die Erreichung
des Ziels möglich ist. Es wird auch dann noch manche Schwierigkeiten zu
überwinden geben, Schwierigkeiten, die die natürliche Folge von Parteigrund¬
sätzen sind, die nicht ohne weiteres aufgegeben werden können. So werden die
Konservativen vorläufig unter dein Einfluß des starke" Widerwillens stehn,
der namentlich in den Kreisen des Grundbesitzes gegen die geplante Nachlaßstener
herrscht, und ebenso werden die Liberalen, die sich schweren Herzens zu not¬
wendigen Zugeständnissen in bezug auf die indirekten Steuern bequemt haben,
doch dem Druck der Interessenten nur eine beschränkte Widerstandsfähigkeit ent¬
gegensetzen und immer bestrebt sein, die Vorlage so umzumodeln, daß ihre Zu¬
geständnisse möglichst klein erscheinen. Aber die bestehenden Gegensätze dieser


Grenzboten IV 1908 82 a


Die Schwierigkeiten der innerpolitischen Tage
Wilhelm von Massoiv von

echt unerfreulich sind die Aussichten, die uns der Reichstag am
Jahresschluß eröffnet hat, ehe er in die Weihnachtspause einge¬
treten ist. Gewiß wird festzuhalten sein, daß wir noch am Anfang
der großen Arbeit stehn, die der Reichstag in diesem Winter zu
leisten hat; es besteht noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu
werfen. Aber gerade weil es noch Zeit ist, begangne Fehler wieder gut zu
machen, sollte die Arbeitspause recht gründlich zum Nachdenken über die Lage
benutzt werden.

Zunächst hat die Kommission zur Beratung der Neichssinanzreform Wege
eingeschlagen, die unmöglich zum Ziel führen können. Und doch unterscheidet sich
die gegenwärtige Lage von mancher frühern politischen Kampfzeit eben dadurch,
dnß das Ziel von alleu bürgerlichen Parteien als dringend notwendig anerkannt
worden ist. Nicht nur die Blockparteien, sondern auch das Zentrum sind sich
darüber klar geworden, daß die Reichssincmzreform zustande kommen muß. Das
Fortwirtschaften — oder soll man nach berühmten Mustern sagen: „Fort¬
wursteln?" — auf den bisherigen Grundlagen ist schlechterdings unmöglich.
Konservative und Demokraten, Liberale und Ultramontane haben es gleichmäßig
betont. Unter solcher Voraussetzung müßten praktische Erwägungen doch wohl
die Wirkung haben, die Parteien auf den Weg zu führen, auf dem die Erreichung
des Ziels möglich ist. Es wird auch dann noch manche Schwierigkeiten zu
überwinden geben, Schwierigkeiten, die die natürliche Folge von Parteigrund¬
sätzen sind, die nicht ohne weiteres aufgegeben werden können. So werden die
Konservativen vorläufig unter dein Einfluß des starke» Widerwillens stehn,
der namentlich in den Kreisen des Grundbesitzes gegen die geplante Nachlaßstener
herrscht, und ebenso werden die Liberalen, die sich schweren Herzens zu not¬
wendigen Zugeständnissen in bezug auf die indirekten Steuern bequemt haben,
doch dem Druck der Interessenten nur eine beschränkte Widerstandsfähigkeit ent¬
gegensetzen und immer bestrebt sein, die Vorlage so umzumodeln, daß ihre Zu¬
geständnisse möglichst klein erscheinen. Aber die bestehenden Gegensätze dieser


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[0621] [Abbildung] Die Schwierigkeiten der innerpolitischen Tage Wilhelm von Massoiv von echt unerfreulich sind die Aussichten, die uns der Reichstag am Jahresschluß eröffnet hat, ehe er in die Weihnachtspause einge¬ treten ist. Gewiß wird festzuhalten sein, daß wir noch am Anfang der großen Arbeit stehn, die der Reichstag in diesem Winter zu leisten hat; es besteht noch kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Aber gerade weil es noch Zeit ist, begangne Fehler wieder gut zu machen, sollte die Arbeitspause recht gründlich zum Nachdenken über die Lage benutzt werden. Zunächst hat die Kommission zur Beratung der Neichssinanzreform Wege eingeschlagen, die unmöglich zum Ziel führen können. Und doch unterscheidet sich die gegenwärtige Lage von mancher frühern politischen Kampfzeit eben dadurch, dnß das Ziel von alleu bürgerlichen Parteien als dringend notwendig anerkannt worden ist. Nicht nur die Blockparteien, sondern auch das Zentrum sind sich darüber klar geworden, daß die Reichssincmzreform zustande kommen muß. Das Fortwirtschaften — oder soll man nach berühmten Mustern sagen: „Fort¬ wursteln?" — auf den bisherigen Grundlagen ist schlechterdings unmöglich. Konservative und Demokraten, Liberale und Ultramontane haben es gleichmäßig betont. Unter solcher Voraussetzung müßten praktische Erwägungen doch wohl die Wirkung haben, die Parteien auf den Weg zu führen, auf dem die Erreichung des Ziels möglich ist. Es wird auch dann noch manche Schwierigkeiten zu überwinden geben, Schwierigkeiten, die die natürliche Folge von Parteigrund¬ sätzen sind, die nicht ohne weiteres aufgegeben werden können. So werden die Konservativen vorläufig unter dein Einfluß des starke» Widerwillens stehn, der namentlich in den Kreisen des Grundbesitzes gegen die geplante Nachlaßstener herrscht, und ebenso werden die Liberalen, die sich schweren Herzens zu not¬ wendigen Zugeständnissen in bezug auf die indirekten Steuern bequemt haben, doch dem Druck der Interessenten nur eine beschränkte Widerstandsfähigkeit ent¬ gegensetzen und immer bestrebt sein, die Vorlage so umzumodeln, daß ihre Zu¬ geständnisse möglichst klein erscheinen. Aber die bestehenden Gegensätze dieser Grenzboten IV 1908 82 a

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_310410/621>, abgerufen am 22.05.2024.