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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

Brest-Litowsk liegt am Westrande des Polesie, in der gangbaren Zone,
die zwischen dem Polesie und der Bialowiezer Sumpflandschaft in das Reichs¬
innere führt, zentral in dem befestigten Raume von Russisch-Polen, am Zu¬
sammenfluß des Bug und Muchawiec, die beide teils infolge ihrer Wassermasse,
teils infolge ihres Sumpfanlandes beträchtliche Hindernisse bilden. Brest-Litowsk
ist ein doppelter Brückenkopf von 30 Kilometer Umfang mit mehreren Muchawiec-
und drei Bugbrücken, bildet einen Stützpunkt für die Vugverteidigung, erschwert
die Umgehung dieses Flusses und sperrt die über diesen Punkt von Wolhynien
und Polen kommenden nördlichen und durch das Polesie ius Innere Rußlands
zurückführenden Bahnen und Straßen und die Wassertrausportlinien Bug nud
Muchawiec. Vom Innern Rußlands führen aus der Richtung von Dwinsk,
Moskau, Houel, Kijew sechs Gleise. Dadurch wie durch die von hier Bug
aufwärts und gegen die Weichsel und Wolhynien ausstrahlenden Kommunikationen
(acht Gleise und viele rein militärischen Zwecken dienende Straßen) erlangt
Brest-Litowsk große Bedeutung für eine im befestigten Zentralraume an der
Weichsel auftretende Armee wie als Zentralpunkt für Operationen gegen einen
die mittlere Weichsel forcierenden oder umgehenden Gegner. Die Festungswerke
bestehn aus einem Kernwerk an der Mündung des Muchawiec in den Bug und
dem Gürtel. Das Kernwerk besteht aus einer ausgedehnten Dcfensionskaserne
als Mittelpunkt und einer alten, im permanenten Stile erbauten Hauptumfassung;
das Mauerwerk ist nur gegen Sicht gedeckt. Am Eisenbahndamm nördlich vom
Kernwerk liegen das Fort Graf Berg und eine Batterie, deren Geschützemplacements
an den Eisenbahndamm anschließen und die Maskierung der Nordfront des
Kernwerks durch deu Damm wettmachen sollen. Fort Graf Berg hat Lüuett-
form. Die Brücke über den Mnchawiec ist dnrch eine nördlich aufgestellte
Batterie geschützt.

Die Stadt (45000 Einwohner, starker Handel) liegt im östlichen Vorfelde
des Noyaus. Der Gürtel besteht ans drei provisorischen, nicht sturmfreien
(trockne Gräben, keine Grabenbestreichung) Werken an der Nord- und der
Ostfront, sonst aus permanenten Werten, mit dem Charakter von Einheits¬
werken mit Hoch- und Niederwall und Grabenflnnkierung aus Koffern. Die
Hohlbauten sind nur granatsicher. Der Lagerraum innerhalb des Gürtels ist
teilweise von dominierenden Geschützstellungen im Vorfeldc eingesehn; nach
Urteilen der russischen Militärpresse hat ein gewaltsamer Angriff viel Aussicht
auf Erfolg. Die Entfernung der Gürtelwerke von deu Brücken betrügt 4 bis
5 Kilometer, die Entfernung der Forts voneinander 2 bis 4 Kilometer; die
Stadt selbst liegt kaum 2 Kilometer hinter der östlichen Gürtellinie. Die Be¬
satzung soll im Kriegsfalle aus 40000 bis 50000 Mann, die Armierung aus
1000 Geschützen bestehn; zahlreiches Geschützmaterial wurde wahrend des Krieges
mit Japan aus der Festung entnommen; der Ersatz dnrch moderne Kaliber
ist im Gange. Das Vvrterrain der Festung ist eben; der Ostfront liegen
Waldungen vor, nördlich vom Bug liegen die Gürtclforts etwa 20 Meter höher


Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands

Brest-Litowsk liegt am Westrande des Polesie, in der gangbaren Zone,
die zwischen dem Polesie und der Bialowiezer Sumpflandschaft in das Reichs¬
innere führt, zentral in dem befestigten Raume von Russisch-Polen, am Zu¬
sammenfluß des Bug und Muchawiec, die beide teils infolge ihrer Wassermasse,
teils infolge ihres Sumpfanlandes beträchtliche Hindernisse bilden. Brest-Litowsk
ist ein doppelter Brückenkopf von 30 Kilometer Umfang mit mehreren Muchawiec-
und drei Bugbrücken, bildet einen Stützpunkt für die Vugverteidigung, erschwert
die Umgehung dieses Flusses und sperrt die über diesen Punkt von Wolhynien
und Polen kommenden nördlichen und durch das Polesie ius Innere Rußlands
zurückführenden Bahnen und Straßen und die Wassertrausportlinien Bug nud
Muchawiec. Vom Innern Rußlands führen aus der Richtung von Dwinsk,
Moskau, Houel, Kijew sechs Gleise. Dadurch wie durch die von hier Bug
aufwärts und gegen die Weichsel und Wolhynien ausstrahlenden Kommunikationen
(acht Gleise und viele rein militärischen Zwecken dienende Straßen) erlangt
Brest-Litowsk große Bedeutung für eine im befestigten Zentralraume an der
Weichsel auftretende Armee wie als Zentralpunkt für Operationen gegen einen
die mittlere Weichsel forcierenden oder umgehenden Gegner. Die Festungswerke
bestehn aus einem Kernwerk an der Mündung des Muchawiec in den Bug und
dem Gürtel. Das Kernwerk besteht aus einer ausgedehnten Dcfensionskaserne
als Mittelpunkt und einer alten, im permanenten Stile erbauten Hauptumfassung;
das Mauerwerk ist nur gegen Sicht gedeckt. Am Eisenbahndamm nördlich vom
Kernwerk liegen das Fort Graf Berg und eine Batterie, deren Geschützemplacements
an den Eisenbahndamm anschließen und die Maskierung der Nordfront des
Kernwerks durch deu Damm wettmachen sollen. Fort Graf Berg hat Lüuett-
form. Die Brücke über den Mnchawiec ist dnrch eine nördlich aufgestellte
Batterie geschützt.

Die Stadt (45000 Einwohner, starker Handel) liegt im östlichen Vorfelde
des Noyaus. Der Gürtel besteht ans drei provisorischen, nicht sturmfreien
(trockne Gräben, keine Grabenbestreichung) Werken an der Nord- und der
Ostfront, sonst aus permanenten Werten, mit dem Charakter von Einheits¬
werken mit Hoch- und Niederwall und Grabenflnnkierung aus Koffern. Die
Hohlbauten sind nur granatsicher. Der Lagerraum innerhalb des Gürtels ist
teilweise von dominierenden Geschützstellungen im Vorfeldc eingesehn; nach
Urteilen der russischen Militärpresse hat ein gewaltsamer Angriff viel Aussicht
auf Erfolg. Die Entfernung der Gürtelwerke von deu Brücken betrügt 4 bis
5 Kilometer, die Entfernung der Forts voneinander 2 bis 4 Kilometer; die
Stadt selbst liegt kaum 2 Kilometer hinter der östlichen Gürtellinie. Die Be¬
satzung soll im Kriegsfalle aus 40000 bis 50000 Mann, die Armierung aus
1000 Geschützen bestehn; zahlreiches Geschützmaterial wurde wahrend des Krieges
mit Japan aus der Festung entnommen; der Ersatz dnrch moderne Kaliber
ist im Gange. Das Vvrterrain der Festung ist eben; der Ostfront liegen
Waldungen vor, nördlich vom Bug liegen die Gürtclforts etwa 20 Meter höher


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[0318] Die Bedeutung der Befestigungen Westrußlands Brest-Litowsk liegt am Westrande des Polesie, in der gangbaren Zone, die zwischen dem Polesie und der Bialowiezer Sumpflandschaft in das Reichs¬ innere führt, zentral in dem befestigten Raume von Russisch-Polen, am Zu¬ sammenfluß des Bug und Muchawiec, die beide teils infolge ihrer Wassermasse, teils infolge ihres Sumpfanlandes beträchtliche Hindernisse bilden. Brest-Litowsk ist ein doppelter Brückenkopf von 30 Kilometer Umfang mit mehreren Muchawiec- und drei Bugbrücken, bildet einen Stützpunkt für die Vugverteidigung, erschwert die Umgehung dieses Flusses und sperrt die über diesen Punkt von Wolhynien und Polen kommenden nördlichen und durch das Polesie ius Innere Rußlands zurückführenden Bahnen und Straßen und die Wassertrausportlinien Bug nud Muchawiec. Vom Innern Rußlands führen aus der Richtung von Dwinsk, Moskau, Houel, Kijew sechs Gleise. Dadurch wie durch die von hier Bug aufwärts und gegen die Weichsel und Wolhynien ausstrahlenden Kommunikationen (acht Gleise und viele rein militärischen Zwecken dienende Straßen) erlangt Brest-Litowsk große Bedeutung für eine im befestigten Zentralraume an der Weichsel auftretende Armee wie als Zentralpunkt für Operationen gegen einen die mittlere Weichsel forcierenden oder umgehenden Gegner. Die Festungswerke bestehn aus einem Kernwerk an der Mündung des Muchawiec in den Bug und dem Gürtel. Das Kernwerk besteht aus einer ausgedehnten Dcfensionskaserne als Mittelpunkt und einer alten, im permanenten Stile erbauten Hauptumfassung; das Mauerwerk ist nur gegen Sicht gedeckt. Am Eisenbahndamm nördlich vom Kernwerk liegen das Fort Graf Berg und eine Batterie, deren Geschützemplacements an den Eisenbahndamm anschließen und die Maskierung der Nordfront des Kernwerks durch deu Damm wettmachen sollen. Fort Graf Berg hat Lüuett- form. Die Brücke über den Mnchawiec ist dnrch eine nördlich aufgestellte Batterie geschützt. Die Stadt (45000 Einwohner, starker Handel) liegt im östlichen Vorfelde des Noyaus. Der Gürtel besteht ans drei provisorischen, nicht sturmfreien (trockne Gräben, keine Grabenbestreichung) Werken an der Nord- und der Ostfront, sonst aus permanenten Werten, mit dem Charakter von Einheits¬ werken mit Hoch- und Niederwall und Grabenflnnkierung aus Koffern. Die Hohlbauten sind nur granatsicher. Der Lagerraum innerhalb des Gürtels ist teilweise von dominierenden Geschützstellungen im Vorfeldc eingesehn; nach Urteilen der russischen Militärpresse hat ein gewaltsamer Angriff viel Aussicht auf Erfolg. Die Entfernung der Gürtelwerke von deu Brücken betrügt 4 bis 5 Kilometer, die Entfernung der Forts voneinander 2 bis 4 Kilometer; die Stadt selbst liegt kaum 2 Kilometer hinter der östlichen Gürtellinie. Die Be¬ satzung soll im Kriegsfalle aus 40000 bis 50000 Mann, die Armierung aus 1000 Geschützen bestehn; zahlreiches Geschützmaterial wurde wahrend des Krieges mit Japan aus der Festung entnommen; der Ersatz dnrch moderne Kaliber ist im Gange. Das Vvrterrain der Festung ist eben; der Ostfront liegen Waldungen vor, nördlich vom Bug liegen die Gürtclforts etwa 20 Meter höher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/318>, abgerufen am 22.05.2024.