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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die politische Lage in der Ostsee und Nordsee

! le russische Expansionsbestrebung ist im Osten durch den japanischen
Krieg und im Süden durch das jüngste Abkommen mit Gro߬
britannien zu einem vorläufigen Stillstande gekommen. Eine
natürliche Folge hiervon ist, daß Rußland sein Interesse wieder
I mehr nach Westen wendet. In geschickter Weise hat Jswolski jetzt
die Verhandlungen über die Aufrechterhaltung des status ano in der Ostsee zu
dem Versuche benutzt, eine Servitut zu beseitigen, die Rußland in einer Zusatz¬
konvention des Pariser Friedens auferlegt war: das Verbot, die Alandsinseln
zu befestigen.

Kometenartig tauchen auf dem Schauplatze der Weltgeschichte oft Fragen
auf, an deren Wiedererscheinen man gar nicht gedacht hatte. Wer weiß heute
noch etwas von dem gleichzeitig mit dem Krimkriege geführten Ostseekriege? Von
der Eroberung der kleinen russischen Festung Bomarsund auf den Alandsinseln
durch Baraguay d'Hilliers 1854 und von der Verpflichtung Rußlands, nie
wieder dort eine Festung anzulegen oder irgendwelche Heeres- oder Flotten -
etablissements zu errichten? Außerdem haben die meisten Zeitungsleser nur eine
ganz ungenaue Vorstellung von der geographischen Lage der Alandsinseln.

Die Alandsinselgruppe, an der schmalsten Stelle der nördlichen Ostsee
gelegen, ist vom geographischen Gesichtspunkte aus teils als zu Finnland,
teils als zu Schweden gehörend anzusehen, ist aber politisch seit 1809 russisches
Gebiet. Von altersher waren diese Inseln die Vrückensteine zwischen
Schweden und Finnland, und die frühere schwedische Kolonisation im Südwesten
Finnlands wurde über diese Inseln vermittelt. Ihre Bevölkerung von etwa
25000 Seelen ist immer noch schwedisch. Von einer selbständigen wirtschaftlichen
Bedeutung sind die Inseln nicht, weil Ackerbau, Fischfang und Kttstenfahrt ihrer
Bewohner sehr beschränkt und nur für den eignen Bedarf ausreichend sind. Da¬
gegen ist die strategische Lage der Inseln von der allergrößten Bedeutung.

Die Meeresstraße, die die Alandsinseln von der schwedischen Küste trennt,
ist nur etwa 30 Kilometer breit. Ihre Entfernung von Stockholm beträgt nur


Grenzboten I 1908 65


Die politische Lage in der Ostsee und Nordsee

! le russische Expansionsbestrebung ist im Osten durch den japanischen
Krieg und im Süden durch das jüngste Abkommen mit Gro߬
britannien zu einem vorläufigen Stillstande gekommen. Eine
natürliche Folge hiervon ist, daß Rußland sein Interesse wieder
I mehr nach Westen wendet. In geschickter Weise hat Jswolski jetzt
die Verhandlungen über die Aufrechterhaltung des status ano in der Ostsee zu
dem Versuche benutzt, eine Servitut zu beseitigen, die Rußland in einer Zusatz¬
konvention des Pariser Friedens auferlegt war: das Verbot, die Alandsinseln
zu befestigen.

Kometenartig tauchen auf dem Schauplatze der Weltgeschichte oft Fragen
auf, an deren Wiedererscheinen man gar nicht gedacht hatte. Wer weiß heute
noch etwas von dem gleichzeitig mit dem Krimkriege geführten Ostseekriege? Von
der Eroberung der kleinen russischen Festung Bomarsund auf den Alandsinseln
durch Baraguay d'Hilliers 1854 und von der Verpflichtung Rußlands, nie
wieder dort eine Festung anzulegen oder irgendwelche Heeres- oder Flotten -
etablissements zu errichten? Außerdem haben die meisten Zeitungsleser nur eine
ganz ungenaue Vorstellung von der geographischen Lage der Alandsinseln.

Die Alandsinselgruppe, an der schmalsten Stelle der nördlichen Ostsee
gelegen, ist vom geographischen Gesichtspunkte aus teils als zu Finnland,
teils als zu Schweden gehörend anzusehen, ist aber politisch seit 1809 russisches
Gebiet. Von altersher waren diese Inseln die Vrückensteine zwischen
Schweden und Finnland, und die frühere schwedische Kolonisation im Südwesten
Finnlands wurde über diese Inseln vermittelt. Ihre Bevölkerung von etwa
25000 Seelen ist immer noch schwedisch. Von einer selbständigen wirtschaftlichen
Bedeutung sind die Inseln nicht, weil Ackerbau, Fischfang und Kttstenfahrt ihrer
Bewohner sehr beschränkt und nur für den eignen Bedarf ausreichend sind. Da¬
gegen ist die strategische Lage der Inseln von der allergrößten Bedeutung.

Die Meeresstraße, die die Alandsinseln von der schwedischen Küste trennt,
ist nur etwa 30 Kilometer breit. Ihre Entfernung von Stockholm beträgt nur


Grenzboten I 1908 65
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[0509] [Abbildung] Die politische Lage in der Ostsee und Nordsee ! le russische Expansionsbestrebung ist im Osten durch den japanischen Krieg und im Süden durch das jüngste Abkommen mit Gro߬ britannien zu einem vorläufigen Stillstande gekommen. Eine natürliche Folge hiervon ist, daß Rußland sein Interesse wieder I mehr nach Westen wendet. In geschickter Weise hat Jswolski jetzt die Verhandlungen über die Aufrechterhaltung des status ano in der Ostsee zu dem Versuche benutzt, eine Servitut zu beseitigen, die Rußland in einer Zusatz¬ konvention des Pariser Friedens auferlegt war: das Verbot, die Alandsinseln zu befestigen. Kometenartig tauchen auf dem Schauplatze der Weltgeschichte oft Fragen auf, an deren Wiedererscheinen man gar nicht gedacht hatte. Wer weiß heute noch etwas von dem gleichzeitig mit dem Krimkriege geführten Ostseekriege? Von der Eroberung der kleinen russischen Festung Bomarsund auf den Alandsinseln durch Baraguay d'Hilliers 1854 und von der Verpflichtung Rußlands, nie wieder dort eine Festung anzulegen oder irgendwelche Heeres- oder Flotten - etablissements zu errichten? Außerdem haben die meisten Zeitungsleser nur eine ganz ungenaue Vorstellung von der geographischen Lage der Alandsinseln. Die Alandsinselgruppe, an der schmalsten Stelle der nördlichen Ostsee gelegen, ist vom geographischen Gesichtspunkte aus teils als zu Finnland, teils als zu Schweden gehörend anzusehen, ist aber politisch seit 1809 russisches Gebiet. Von altersher waren diese Inseln die Vrückensteine zwischen Schweden und Finnland, und die frühere schwedische Kolonisation im Südwesten Finnlands wurde über diese Inseln vermittelt. Ihre Bevölkerung von etwa 25000 Seelen ist immer noch schwedisch. Von einer selbständigen wirtschaftlichen Bedeutung sind die Inseln nicht, weil Ackerbau, Fischfang und Kttstenfahrt ihrer Bewohner sehr beschränkt und nur für den eignen Bedarf ausreichend sind. Da¬ gegen ist die strategische Lage der Inseln von der allergrößten Bedeutung. Die Meeresstraße, die die Alandsinseln von der schwedischen Küste trennt, ist nur etwa 30 Kilometer breit. Ihre Entfernung von Stockholm beträgt nur Grenzboten I 1908 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/509>, abgerufen am 03.06.2024.