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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die Bingersdorfer Brücke

Der Weg lag still hinter ihr wie vor ihr. Nichts war zu hören als ein
Knicken und Klingen im Walde und ferner Vogelruf. Sie atmete auf, aber
die einsame Stille war ihr auch nicht lieb. So kam sie nicht los von unruhigen
Gedanken.

. . . Was wollte er denn, der große Mensch? Sonntag für Sonntag saß
er nun in der Mühle, immer ganz dicht beim Schenktisch, und sobald sie sich nur
blicken ließ, sah er mit großen, sonderbaren Augen zu ihr hin.

Zuerst hatte sie nur gedacht: Was ist denn mit dem? Dann redeten die
Mädchen davon, und schließlich wurde es ihr unheimlich.

Sie kannte ihn ja kaum. Sein Vater war Fuhrwerksbesitzer in Gomritz
drüben, hatte alle die Botenfuhren nach der Stadt, lieh Wagen aus und machte,
wie man sagte, ein schönes Geld.

Der Fritz war noch nicht lange von den Soldaten zurück, und. sagte die
Frau in der Mühle, wie sie da wiederkommen, kann man nie wissen; da lernen
sie viel Schlechtes. Was sollte auch Gutes danach kommen, wenn so einer sich an
sie heranmachte!

Wenn sie ihr nur nicht alle Angst gemacht hätten . . . neulich war bei Langen¬
dorf eine so häßliche Geschichte passiert: ein reicher roher Bursche hatte sich an einer
Magd vergriffen.

Das mußten sie ihr natürlich gleich erzählen!

Ein unbestimmtes Bangen trieb sie schneller und schneller vorwärts, und endlich
fing sie zu laufen an. Ihr straffes dunkelblondes Haar löste sich ein wenig, hob
sich über der Stirn und flatterte ihr lose um die Schläfen.

Es lief sich gut den weichen grasbewachsnen Weg entlang, und schließlich
machte es ihr Spaß. So hielt sie nicht eher an, als bis sie zum Holzkreuz kam
und die Brücke vor sich sah.

So -- nun noch da drüber, dann war sie im freien Felde und nicht weit
vom Dorf.

Lange war sie nicht über die alte Brücke gegangen. Das letztemal als kleines
Mädchen. Sie konnte sichs noch gut erinnern. Zwei hatten sie gehalten, weil sie
sich so vor dem Wasser fürchtete, und sie hatte noch die Augen fest zugemacht, sonst
wäre sie vor lauter Angst doch noch reingefallen.

Ja damals!

Sie lachte vor sich hin, trat auf die Bohlen -- und erschrak. Was war
denn das mit der Geländerstange?

Ganz da draußen hing sie; und wie sie den Arm auch streckte, sie konnte
nicht hinlangen.

Und ihr Herz klopfte laut. Aber was halfs? rüber mußte sie, und so tat
sie ein paar schnelle Schritte vorwärts.

Noch war Böschungsgrün unter dem Steg und angeschwemmtes Land. Dann
aber schimmerte zwischen dem breiten Spalt der unruhige Wasserspiegel herauf.

Und plötzlich sah sie überall nichts als rinnendes Wasser, überall ein Flimmern,
Glitzern und Wirbeln . . . und ehe sie recht wußte, was sie tat, wandte sie sich jäh
um und lief ans Ufer zurück.

Dort stand sie schwer atmend und ganz verwirrt.

Was war das eben?

War sie denn immer noch so furchtsam und dumm? Das wäre ja noch schöner!
Sie mußte doch über den Steg!

So biß sie die Zähne fest in die Unterlippe, zog die Stirn kraus und ballte
die Hände.

Und mit festem Schritt trat sie auf das Holz.


Die Bingersdorfer Brücke

Der Weg lag still hinter ihr wie vor ihr. Nichts war zu hören als ein
Knicken und Klingen im Walde und ferner Vogelruf. Sie atmete auf, aber
die einsame Stille war ihr auch nicht lieb. So kam sie nicht los von unruhigen
Gedanken.

. . . Was wollte er denn, der große Mensch? Sonntag für Sonntag saß
er nun in der Mühle, immer ganz dicht beim Schenktisch, und sobald sie sich nur
blicken ließ, sah er mit großen, sonderbaren Augen zu ihr hin.

Zuerst hatte sie nur gedacht: Was ist denn mit dem? Dann redeten die
Mädchen davon, und schließlich wurde es ihr unheimlich.

Sie kannte ihn ja kaum. Sein Vater war Fuhrwerksbesitzer in Gomritz
drüben, hatte alle die Botenfuhren nach der Stadt, lieh Wagen aus und machte,
wie man sagte, ein schönes Geld.

Der Fritz war noch nicht lange von den Soldaten zurück, und. sagte die
Frau in der Mühle, wie sie da wiederkommen, kann man nie wissen; da lernen
sie viel Schlechtes. Was sollte auch Gutes danach kommen, wenn so einer sich an
sie heranmachte!

Wenn sie ihr nur nicht alle Angst gemacht hätten . . . neulich war bei Langen¬
dorf eine so häßliche Geschichte passiert: ein reicher roher Bursche hatte sich an einer
Magd vergriffen.

Das mußten sie ihr natürlich gleich erzählen!

Ein unbestimmtes Bangen trieb sie schneller und schneller vorwärts, und endlich
fing sie zu laufen an. Ihr straffes dunkelblondes Haar löste sich ein wenig, hob
sich über der Stirn und flatterte ihr lose um die Schläfen.

Es lief sich gut den weichen grasbewachsnen Weg entlang, und schließlich
machte es ihr Spaß. So hielt sie nicht eher an, als bis sie zum Holzkreuz kam
und die Brücke vor sich sah.

So — nun noch da drüber, dann war sie im freien Felde und nicht weit
vom Dorf.

Lange war sie nicht über die alte Brücke gegangen. Das letztemal als kleines
Mädchen. Sie konnte sichs noch gut erinnern. Zwei hatten sie gehalten, weil sie
sich so vor dem Wasser fürchtete, und sie hatte noch die Augen fest zugemacht, sonst
wäre sie vor lauter Angst doch noch reingefallen.

Ja damals!

Sie lachte vor sich hin, trat auf die Bohlen — und erschrak. Was war
denn das mit der Geländerstange?

Ganz da draußen hing sie; und wie sie den Arm auch streckte, sie konnte
nicht hinlangen.

Und ihr Herz klopfte laut. Aber was halfs? rüber mußte sie, und so tat
sie ein paar schnelle Schritte vorwärts.

Noch war Böschungsgrün unter dem Steg und angeschwemmtes Land. Dann
aber schimmerte zwischen dem breiten Spalt der unruhige Wasserspiegel herauf.

Und plötzlich sah sie überall nichts als rinnendes Wasser, überall ein Flimmern,
Glitzern und Wirbeln . . . und ehe sie recht wußte, was sie tat, wandte sie sich jäh
um und lief ans Ufer zurück.

Dort stand sie schwer atmend und ganz verwirrt.

Was war das eben?

War sie denn immer noch so furchtsam und dumm? Das wäre ja noch schöner!
Sie mußte doch über den Steg!

So biß sie die Zähne fest in die Unterlippe, zog die Stirn kraus und ballte
die Hände.

Und mit festem Schritt trat sie auf das Holz.


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[0155] Die Bingersdorfer Brücke Der Weg lag still hinter ihr wie vor ihr. Nichts war zu hören als ein Knicken und Klingen im Walde und ferner Vogelruf. Sie atmete auf, aber die einsame Stille war ihr auch nicht lieb. So kam sie nicht los von unruhigen Gedanken. . . . Was wollte er denn, der große Mensch? Sonntag für Sonntag saß er nun in der Mühle, immer ganz dicht beim Schenktisch, und sobald sie sich nur blicken ließ, sah er mit großen, sonderbaren Augen zu ihr hin. Zuerst hatte sie nur gedacht: Was ist denn mit dem? Dann redeten die Mädchen davon, und schließlich wurde es ihr unheimlich. Sie kannte ihn ja kaum. Sein Vater war Fuhrwerksbesitzer in Gomritz drüben, hatte alle die Botenfuhren nach der Stadt, lieh Wagen aus und machte, wie man sagte, ein schönes Geld. Der Fritz war noch nicht lange von den Soldaten zurück, und. sagte die Frau in der Mühle, wie sie da wiederkommen, kann man nie wissen; da lernen sie viel Schlechtes. Was sollte auch Gutes danach kommen, wenn so einer sich an sie heranmachte! Wenn sie ihr nur nicht alle Angst gemacht hätten . . . neulich war bei Langen¬ dorf eine so häßliche Geschichte passiert: ein reicher roher Bursche hatte sich an einer Magd vergriffen. Das mußten sie ihr natürlich gleich erzählen! Ein unbestimmtes Bangen trieb sie schneller und schneller vorwärts, und endlich fing sie zu laufen an. Ihr straffes dunkelblondes Haar löste sich ein wenig, hob sich über der Stirn und flatterte ihr lose um die Schläfen. Es lief sich gut den weichen grasbewachsnen Weg entlang, und schließlich machte es ihr Spaß. So hielt sie nicht eher an, als bis sie zum Holzkreuz kam und die Brücke vor sich sah. So — nun noch da drüber, dann war sie im freien Felde und nicht weit vom Dorf. Lange war sie nicht über die alte Brücke gegangen. Das letztemal als kleines Mädchen. Sie konnte sichs noch gut erinnern. Zwei hatten sie gehalten, weil sie sich so vor dem Wasser fürchtete, und sie hatte noch die Augen fest zugemacht, sonst wäre sie vor lauter Angst doch noch reingefallen. Ja damals! Sie lachte vor sich hin, trat auf die Bohlen — und erschrak. Was war denn das mit der Geländerstange? Ganz da draußen hing sie; und wie sie den Arm auch streckte, sie konnte nicht hinlangen. Und ihr Herz klopfte laut. Aber was halfs? rüber mußte sie, und so tat sie ein paar schnelle Schritte vorwärts. Noch war Böschungsgrün unter dem Steg und angeschwemmtes Land. Dann aber schimmerte zwischen dem breiten Spalt der unruhige Wasserspiegel herauf. Und plötzlich sah sie überall nichts als rinnendes Wasser, überall ein Flimmern, Glitzern und Wirbeln . . . und ehe sie recht wußte, was sie tat, wandte sie sich jäh um und lief ans Ufer zurück. Dort stand sie schwer atmend und ganz verwirrt. Was war das eben? War sie denn immer noch so furchtsam und dumm? Das wäre ja noch schöner! Sie mußte doch über den Steg! So biß sie die Zähne fest in die Unterlippe, zog die Stirn kraus und ballte die Hände. Und mit festem Schritt trat sie auf das Holz.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/155>, abgerufen am 05.06.2024.