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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

Die architektonische Tätigkeit der behördlichen Bauweise reicht über viele
Jahrzehnte zurück; man hat erkannt, daß die von den behördlichen Vaubureaux
ausgeführten Bauten schier alle zwanzig Jahre nahezu umgebaut werden müssen.
Die hohen Reparaturkosten oder die Jnstandhaltungskosten erreichen nach zwei
Jahrzehnten in der Regel eine solche Höhe, daß sie das Baukapital nahezu
verdoppeln und den Kosten einer Neuaufführung gleichkommen. Diese hohen
Unterhaltungskosten sind das Ergebnis des Sparsinnes. Die scheinbar billige
Bauausführung ergibt sich durch den im Submissionswesen entwickelten Grund¬
satz, daß der Billigste die Lieferung der Baumaterialien usw. bekommt. Die
durch Konkurrenz erfolgende Preisunterbietung geht unfehlbar auf Kosten der
Qualität und legt von vornherein den Vernichtungskeim in die nach dem Grund¬
satz der höchsten Billigkeit durchgeführten Bauwerke. Die erzwungne Billigkeit
und der darauf beruhende Qualitätsmangel ist die Ursache fortwährender Schad¬
haftigkeit, Reparaturbedürftigkeit, kostspieliger Untersuchungen, Beaufsichtigungen
und ähnlicher Übelstände.

Eine weitere Quelle der enormen Verteuerungen auf Staatskosten liegt in
der Notwendigkeit, einen großen Beamtenkörper zu halten, der in Zeiten starker
Bautätigkeit noch mehr anwächst und vom Staat auch in den Jahren geringerer
Bautätigkeit erhalten werden muß. Um den Effekt jenes Sparsinnes genau zu
berechnen, ist es nötig, die hohen Kosten des Baubeamtenetats während der
unbeschäftigten oder wenig beschäftigten Zeit in Rechnung zu stellen; sie würden
die Kalkulation der Bauämter wesentlich ungünstig verschieben. Um eines von
vielen Beispielen anzudeuten, sei erwähnt, daß mit der Schaffung einfacher
Schaufenster an einem bestimmten Staatsgebäude während eines halben Jahres
zwei Oberbaurüte und eine entsprechende Anzahl Subalterner Architekturbeamten
beschäftigt waren. Was kosten diese Schaufenster in Wirklichkeit? Und was
würden diese Schaufenster nach dem Tarif der freien Architektenschaft kosten?
Es ist nur einer der ungezählten Fälle, wo der baubehördliche Sparsinn im
schreienden Mißverhältnis zu den verhältnismüßig verschwindenden Kosten¬
ansprüchen des Privatarchitekten steht. Um diesen kolossalen Budgetbelastungen
einigermaßen entgegenzuwirken, ist die baubehördliche Architekturtätigkeit genötigt,
bei den Ausführungs- und Lieferungsarbeiten auf möglichst große Billigkeit zu
sehn und die verderblichste Wirkung des Submissionswesens zu fördern. Der
Ruin des Gewerbes, die Bedrückung der Arbeitslöhne, die Verfälschung und
Verschlechterung der Qualität, die wirtschaftliche Unterbindung der weitesten
Volksschichten sind zum Teil auch der mittelbare oder unmittelbare Ausfluß der
bureaukratischen Architekturtätigkeit, die ihr Daseinsrecht vornehmlich auf das
Sparsystem gründet. Auch wenn in einzelnen Fällen ein Kompromiß versucht
und der billigste Bewerber zuweilen ausgeschlossen wird, so kann aus nahe¬
liegenden Gründen die Baubehörde niemals dauernd die besten und darum
teuersten Offerten berücksichtigen. Sie kann niemals das Prinzip der Qualität
fordern, sie muß viel eher aus Selbsterhaltungstrieb das Gegenteil tun. Von


Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz

Die architektonische Tätigkeit der behördlichen Bauweise reicht über viele
Jahrzehnte zurück; man hat erkannt, daß die von den behördlichen Vaubureaux
ausgeführten Bauten schier alle zwanzig Jahre nahezu umgebaut werden müssen.
Die hohen Reparaturkosten oder die Jnstandhaltungskosten erreichen nach zwei
Jahrzehnten in der Regel eine solche Höhe, daß sie das Baukapital nahezu
verdoppeln und den Kosten einer Neuaufführung gleichkommen. Diese hohen
Unterhaltungskosten sind das Ergebnis des Sparsinnes. Die scheinbar billige
Bauausführung ergibt sich durch den im Submissionswesen entwickelten Grund¬
satz, daß der Billigste die Lieferung der Baumaterialien usw. bekommt. Die
durch Konkurrenz erfolgende Preisunterbietung geht unfehlbar auf Kosten der
Qualität und legt von vornherein den Vernichtungskeim in die nach dem Grund¬
satz der höchsten Billigkeit durchgeführten Bauwerke. Die erzwungne Billigkeit
und der darauf beruhende Qualitätsmangel ist die Ursache fortwährender Schad¬
haftigkeit, Reparaturbedürftigkeit, kostspieliger Untersuchungen, Beaufsichtigungen
und ähnlicher Übelstände.

Eine weitere Quelle der enormen Verteuerungen auf Staatskosten liegt in
der Notwendigkeit, einen großen Beamtenkörper zu halten, der in Zeiten starker
Bautätigkeit noch mehr anwächst und vom Staat auch in den Jahren geringerer
Bautätigkeit erhalten werden muß. Um den Effekt jenes Sparsinnes genau zu
berechnen, ist es nötig, die hohen Kosten des Baubeamtenetats während der
unbeschäftigten oder wenig beschäftigten Zeit in Rechnung zu stellen; sie würden
die Kalkulation der Bauämter wesentlich ungünstig verschieben. Um eines von
vielen Beispielen anzudeuten, sei erwähnt, daß mit der Schaffung einfacher
Schaufenster an einem bestimmten Staatsgebäude während eines halben Jahres
zwei Oberbaurüte und eine entsprechende Anzahl Subalterner Architekturbeamten
beschäftigt waren. Was kosten diese Schaufenster in Wirklichkeit? Und was
würden diese Schaufenster nach dem Tarif der freien Architektenschaft kosten?
Es ist nur einer der ungezählten Fälle, wo der baubehördliche Sparsinn im
schreienden Mißverhältnis zu den verhältnismüßig verschwindenden Kosten¬
ansprüchen des Privatarchitekten steht. Um diesen kolossalen Budgetbelastungen
einigermaßen entgegenzuwirken, ist die baubehördliche Architekturtätigkeit genötigt,
bei den Ausführungs- und Lieferungsarbeiten auf möglichst große Billigkeit zu
sehn und die verderblichste Wirkung des Submissionswesens zu fördern. Der
Ruin des Gewerbes, die Bedrückung der Arbeitslöhne, die Verfälschung und
Verschlechterung der Qualität, die wirtschaftliche Unterbindung der weitesten
Volksschichten sind zum Teil auch der mittelbare oder unmittelbare Ausfluß der
bureaukratischen Architekturtätigkeit, die ihr Daseinsrecht vornehmlich auf das
Sparsystem gründet. Auch wenn in einzelnen Fällen ein Kompromiß versucht
und der billigste Bewerber zuweilen ausgeschlossen wird, so kann aus nahe¬
liegenden Gründen die Baubehörde niemals dauernd die besten und darum
teuersten Offerten berücksichtigen. Sie kann niemals das Prinzip der Qualität
fordern, sie muß viel eher aus Selbsterhaltungstrieb das Gegenteil tun. Von


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[0230] Der Baubureaukratismus und seine kunstfeindliche Tendenz Die architektonische Tätigkeit der behördlichen Bauweise reicht über viele Jahrzehnte zurück; man hat erkannt, daß die von den behördlichen Vaubureaux ausgeführten Bauten schier alle zwanzig Jahre nahezu umgebaut werden müssen. Die hohen Reparaturkosten oder die Jnstandhaltungskosten erreichen nach zwei Jahrzehnten in der Regel eine solche Höhe, daß sie das Baukapital nahezu verdoppeln und den Kosten einer Neuaufführung gleichkommen. Diese hohen Unterhaltungskosten sind das Ergebnis des Sparsinnes. Die scheinbar billige Bauausführung ergibt sich durch den im Submissionswesen entwickelten Grund¬ satz, daß der Billigste die Lieferung der Baumaterialien usw. bekommt. Die durch Konkurrenz erfolgende Preisunterbietung geht unfehlbar auf Kosten der Qualität und legt von vornherein den Vernichtungskeim in die nach dem Grund¬ satz der höchsten Billigkeit durchgeführten Bauwerke. Die erzwungne Billigkeit und der darauf beruhende Qualitätsmangel ist die Ursache fortwährender Schad¬ haftigkeit, Reparaturbedürftigkeit, kostspieliger Untersuchungen, Beaufsichtigungen und ähnlicher Übelstände. Eine weitere Quelle der enormen Verteuerungen auf Staatskosten liegt in der Notwendigkeit, einen großen Beamtenkörper zu halten, der in Zeiten starker Bautätigkeit noch mehr anwächst und vom Staat auch in den Jahren geringerer Bautätigkeit erhalten werden muß. Um den Effekt jenes Sparsinnes genau zu berechnen, ist es nötig, die hohen Kosten des Baubeamtenetats während der unbeschäftigten oder wenig beschäftigten Zeit in Rechnung zu stellen; sie würden die Kalkulation der Bauämter wesentlich ungünstig verschieben. Um eines von vielen Beispielen anzudeuten, sei erwähnt, daß mit der Schaffung einfacher Schaufenster an einem bestimmten Staatsgebäude während eines halben Jahres zwei Oberbaurüte und eine entsprechende Anzahl Subalterner Architekturbeamten beschäftigt waren. Was kosten diese Schaufenster in Wirklichkeit? Und was würden diese Schaufenster nach dem Tarif der freien Architektenschaft kosten? Es ist nur einer der ungezählten Fälle, wo der baubehördliche Sparsinn im schreienden Mißverhältnis zu den verhältnismüßig verschwindenden Kosten¬ ansprüchen des Privatarchitekten steht. Um diesen kolossalen Budgetbelastungen einigermaßen entgegenzuwirken, ist die baubehördliche Architekturtätigkeit genötigt, bei den Ausführungs- und Lieferungsarbeiten auf möglichst große Billigkeit zu sehn und die verderblichste Wirkung des Submissionswesens zu fördern. Der Ruin des Gewerbes, die Bedrückung der Arbeitslöhne, die Verfälschung und Verschlechterung der Qualität, die wirtschaftliche Unterbindung der weitesten Volksschichten sind zum Teil auch der mittelbare oder unmittelbare Ausfluß der bureaukratischen Architekturtätigkeit, die ihr Daseinsrecht vornehmlich auf das Sparsystem gründet. Auch wenn in einzelnen Fällen ein Kompromiß versucht und der billigste Bewerber zuweilen ausgeschlossen wird, so kann aus nahe¬ liegenden Gründen die Baubehörde niemals dauernd die besten und darum teuersten Offerten berücksichtigen. Sie kann niemals das Prinzip der Qualität fordern, sie muß viel eher aus Selbsterhaltungstrieb das Gegenteil tun. Von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/230>, abgerufen am 15.05.2024.