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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬
gebiete
Der Bergmann einst und jetzt

or dreißig Jahren: In der Morgenfrühe läutet die Zechenglocke zur
Einfahrt. Mit der Mappe unter dem Arm tritt der Steiger unter
die versammelten Bergleute: ,,'n Morgen, Sinn je olle do?" Ein
kurzes Gebet wird gesprochen. Dann geht es hinunter in die Grube.
Fleißig wird gearbeitet, aber ohne jede Überspannung der Kräfte.
Und wenn der Steiger durch die Stollen geht, fällt manches derbe
oder freundliche Wort ab. Sie wissen, daß sie zusammengehören. Beamter und
Arbeiter. Der eine kennt den andern.

Das war die patriarchalische Zeit im Bergwerksbetriebe. Auf ewigen kleinern
Zechen ist sie noch nicht ganz geschwunden. Da gehn die Veteranen der Arbeit
noch einfach zu ihrem "Alten", dem Betriebsfuhrer wenn eine Sorge sie druckt,
und wissen daß er ihnen hilft, soweit er kann Aber das sind Ausnahmen Die
gewaltige Vergrößerung der Betriebe - die Belegschaft mancher Zechen zahlt nach
Tausenden -.das Wechseln der Bergleute vou einer Arbeitsstelle zur andern ha
das persönliche Verhältnis zwischen Arbeitern und Beamten aufgehoben Es herrschder Arbeitsvertrag. Auch sonst hat sich manches geändert^ Die Arbeitszeit ist
verkürzt, die Arbeit selbst aber auch intensiver geworden. Der Fleiß gleicht mehr
einer nervösen Hast. Denn es muß gefördert werde" - soviel als möglich. Die
Bergleute vom alten Schlage haben eine lebhafte Empfindung von dieser Ver¬
änderung der Lage. Wer die frühern Zustände nicht gekannt hat, nimmt die gegen¬
wärtigen als etwas Gegebnes hin. - . - ^ .

n...^-inEinst und jetzt' Der Beobachter ist geneigt, in der Umgestaltung des Berg¬
werksbetriebs eine Revolution, nicht mehr eine Evolution zu sehen. Aber es ist
doch hier wie bei allen ähnlichen Erscheinungen: es hat sich nur eine beschleunigte
Entwicklung vollzogen die dem allgemeinen industriellen Fortschritte entspricht. Eine
weniger schnelle Entwicklung läßt sich feststellen -- bei den Bergleute" selbst. Es
scheint, als wäre das tote Material wandlungsfähiger als die Menschen. Bei
ihnen stößt man immer wieder auf die Tradition. Freilich ist auch hier manches
anders geworden Die Bergleute in ihrer Gesamtheit haben längst aufgehört, ein
Stand zu sein, eine Knappschaft im alten Sinne. Zu viele fremde Elemente sind
eingedrungen, die mehr Gelegenheitsarbeiter sind. Dennoch lebt in der Mehrzahl
der Bergleute noch das Bewußtsein, eine besondre Arbeiterklasse darzustellen, nicht
N'it jedem gewöhnlichen Lohnarbeiter auf einer Stufe zu stehn. Der Bergbau wird
als eine Art Handwerk gewertet, besonders von den Alteingesessenen. Sie sind stolz
auf ihren Beruf, ein Zug, der sich nie bei gewöhnlichen Lohnarbeitern findet.

Nur selten sieht man noch die alte, schmucke und doch ernste Bergmanns¬
kleidung, die sonst bei festlichen Gelegenheiten, bei Beerdigungen getragen wurde
und immer an das Wort erinnert: "Mitten wir im Leben sind mit dem Tod
umfangen." Wie hoch war doch in dieser Beziehung die Kultur der alten Zeit,
daß die persönlichen Empfindungen der Menschen ihren Ausdruck selbst in der




Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬
gebiete
Der Bergmann einst und jetzt

or dreißig Jahren: In der Morgenfrühe läutet die Zechenglocke zur
Einfahrt. Mit der Mappe unter dem Arm tritt der Steiger unter
die versammelten Bergleute: ,,'n Morgen, Sinn je olle do?" Ein
kurzes Gebet wird gesprochen. Dann geht es hinunter in die Grube.
Fleißig wird gearbeitet, aber ohne jede Überspannung der Kräfte.
Und wenn der Steiger durch die Stollen geht, fällt manches derbe
oder freundliche Wort ab. Sie wissen, daß sie zusammengehören. Beamter und
Arbeiter. Der eine kennt den andern.

Das war die patriarchalische Zeit im Bergwerksbetriebe. Auf ewigen kleinern
Zechen ist sie noch nicht ganz geschwunden. Da gehn die Veteranen der Arbeit
noch einfach zu ihrem „Alten", dem Betriebsfuhrer wenn eine Sorge sie druckt,
und wissen daß er ihnen hilft, soweit er kann Aber das sind Ausnahmen Die
gewaltige Vergrößerung der Betriebe - die Belegschaft mancher Zechen zahlt nach
Tausenden -.das Wechseln der Bergleute vou einer Arbeitsstelle zur andern ha
das persönliche Verhältnis zwischen Arbeitern und Beamten aufgehoben Es herrschder Arbeitsvertrag. Auch sonst hat sich manches geändert^ Die Arbeitszeit ist
verkürzt, die Arbeit selbst aber auch intensiver geworden. Der Fleiß gleicht mehr
einer nervösen Hast. Denn es muß gefördert werde» - soviel als möglich. Die
Bergleute vom alten Schlage haben eine lebhafte Empfindung von dieser Ver¬
änderung der Lage. Wer die frühern Zustände nicht gekannt hat, nimmt die gegen¬
wärtigen als etwas Gegebnes hin. - . - ^ .

n...^-inEinst und jetzt' Der Beobachter ist geneigt, in der Umgestaltung des Berg¬
werksbetriebs eine Revolution, nicht mehr eine Evolution zu sehen. Aber es ist
doch hier wie bei allen ähnlichen Erscheinungen: es hat sich nur eine beschleunigte
Entwicklung vollzogen die dem allgemeinen industriellen Fortschritte entspricht. Eine
weniger schnelle Entwicklung läßt sich feststellen — bei den Bergleute» selbst. Es
scheint, als wäre das tote Material wandlungsfähiger als die Menschen. Bei
ihnen stößt man immer wieder auf die Tradition. Freilich ist auch hier manches
anders geworden Die Bergleute in ihrer Gesamtheit haben längst aufgehört, ein
Stand zu sein, eine Knappschaft im alten Sinne. Zu viele fremde Elemente sind
eingedrungen, die mehr Gelegenheitsarbeiter sind. Dennoch lebt in der Mehrzahl
der Bergleute noch das Bewußtsein, eine besondre Arbeiterklasse darzustellen, nicht
N'it jedem gewöhnlichen Lohnarbeiter auf einer Stufe zu stehn. Der Bergbau wird
als eine Art Handwerk gewertet, besonders von den Alteingesessenen. Sie sind stolz
auf ihren Beruf, ein Zug, der sich nie bei gewöhnlichen Lohnarbeitern findet.

Nur selten sieht man noch die alte, schmucke und doch ernste Bergmanns¬
kleidung, die sonst bei festlichen Gelegenheiten, bei Beerdigungen getragen wurde
und immer an das Wort erinnert: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod
umfangen." Wie hoch war doch in dieser Beziehung die Kultur der alten Zeit,
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[0295] [Abbildung] Skizzen und Bilder aus dem westfälischen Industrie¬ gebiete Der Bergmann einst und jetzt or dreißig Jahren: In der Morgenfrühe läutet die Zechenglocke zur Einfahrt. Mit der Mappe unter dem Arm tritt der Steiger unter die versammelten Bergleute: ,,'n Morgen, Sinn je olle do?" Ein kurzes Gebet wird gesprochen. Dann geht es hinunter in die Grube. Fleißig wird gearbeitet, aber ohne jede Überspannung der Kräfte. Und wenn der Steiger durch die Stollen geht, fällt manches derbe oder freundliche Wort ab. Sie wissen, daß sie zusammengehören. Beamter und Arbeiter. Der eine kennt den andern. Das war die patriarchalische Zeit im Bergwerksbetriebe. Auf ewigen kleinern Zechen ist sie noch nicht ganz geschwunden. Da gehn die Veteranen der Arbeit noch einfach zu ihrem „Alten", dem Betriebsfuhrer wenn eine Sorge sie druckt, und wissen daß er ihnen hilft, soweit er kann Aber das sind Ausnahmen Die gewaltige Vergrößerung der Betriebe - die Belegschaft mancher Zechen zahlt nach Tausenden -.das Wechseln der Bergleute vou einer Arbeitsstelle zur andern ha das persönliche Verhältnis zwischen Arbeitern und Beamten aufgehoben Es herrschder Arbeitsvertrag. Auch sonst hat sich manches geändert^ Die Arbeitszeit ist verkürzt, die Arbeit selbst aber auch intensiver geworden. Der Fleiß gleicht mehr einer nervösen Hast. Denn es muß gefördert werde» - soviel als möglich. Die Bergleute vom alten Schlage haben eine lebhafte Empfindung von dieser Ver¬ änderung der Lage. Wer die frühern Zustände nicht gekannt hat, nimmt die gegen¬ wärtigen als etwas Gegebnes hin. - . - ^ . n...^-inEinst und jetzt' Der Beobachter ist geneigt, in der Umgestaltung des Berg¬ werksbetriebs eine Revolution, nicht mehr eine Evolution zu sehen. Aber es ist doch hier wie bei allen ähnlichen Erscheinungen: es hat sich nur eine beschleunigte Entwicklung vollzogen die dem allgemeinen industriellen Fortschritte entspricht. Eine weniger schnelle Entwicklung läßt sich feststellen — bei den Bergleute» selbst. Es scheint, als wäre das tote Material wandlungsfähiger als die Menschen. Bei ihnen stößt man immer wieder auf die Tradition. Freilich ist auch hier manches anders geworden Die Bergleute in ihrer Gesamtheit haben längst aufgehört, ein Stand zu sein, eine Knappschaft im alten Sinne. Zu viele fremde Elemente sind eingedrungen, die mehr Gelegenheitsarbeiter sind. Dennoch lebt in der Mehrzahl der Bergleute noch das Bewußtsein, eine besondre Arbeiterklasse darzustellen, nicht N'it jedem gewöhnlichen Lohnarbeiter auf einer Stufe zu stehn. Der Bergbau wird als eine Art Handwerk gewertet, besonders von den Alteingesessenen. Sie sind stolz auf ihren Beruf, ein Zug, der sich nie bei gewöhnlichen Lohnarbeitern findet. Nur selten sieht man noch die alte, schmucke und doch ernste Bergmanns¬ kleidung, die sonst bei festlichen Gelegenheiten, bei Beerdigungen getragen wurde und immer an das Wort erinnert: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen." Wie hoch war doch in dieser Beziehung die Kultur der alten Zeit, daß die persönlichen Empfindungen der Menschen ihren Ausdruck selbst in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/295>, abgerufen am 15.05.2024.