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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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jeder Schriftstellerei

Lesern wegen feines anregenden Tones, seiner gesunden Absicht und des vielen
direkt Brauchbaren darin. Ach, wem allen möchte ich allein das nette kleine
Kapitel über das Porträt ins Gemüt hinein vorlesen!

Noch stehn wir am Anfang des Jahres, und so sei Gegenwart und Ver¬
gangenheit noch einmal verbunden mit dem Hinweis auf solche Kalender, die
Landschaftkunst und Heimatkunstgeschichte Pflegen und -- ein erfreuliches Zeichen
der Zeit -- hier und dort in deutschen Gegenden jetzt aufkommen. Man sollte da
nicht immer bloß den Kalender der eignen Heimat für sich kaufen, sondern auch
nach auswärts verschenken, der Tante in Hamburg zum Beispiel einmal den
Leipziger Kalender und dem Freund im Elsaß die "Altfränkischen Bilder"
(Würzburg, Stürtz), die nun schon ins vierzehnte Jahr gehn.




Über Schriftstellerei
George Gissing. von übersetzt aus dem Englischen von Brix Förster

lürde man nur Journale literarischen Inhalts zu Gesicht be¬
kommen und beurteilte nach ihnen unsre Zeit, so könnte man
leicht zu der Ansicht verführt werden, unsre Kultur mache große
und gediegne Fortschritte, und die Welt habe schon einen Höhe¬
punkt in der Erleuchtung der Geister erreicht. Woche für Woche
> werfe ich einen forschenden Blick in die massenhaft anschwellenden
Ankündigungen von Büchern; ich bemerke eine große Menge von Buchhändler¬
firmen, die eifrig bemüht sind, jeder Art von Büchern Vorschub zu leisten,
alten wie neuen; ich sehe unzählige Namen von Autoren, tätig in jedem
Gebiet der Literatur.*) Viel von dem Annoncierten entlarvt sich von selbst als
nur von ephemeren oder von gar keinem Wert; aber welche Masse wird ge¬
druckt, um die Aufmerksamkeit der Gebildeten und Wißbegierigen zu erregen!
Dem großen Publikum wird eine Reihe klassischer Autoren dargeboten, sehr
schön in der Ausstattung und spottbillig im Preise. Wahrlich! niemals
breitete man früher vor den Augen der Kenner solche Schätze aus, so wohl¬
feil und so geschmackvoll. Für die reichen Leute stehn pompöse Bände zur
Verfügung, Prachtausgaben, wahre Kunstwerke, auf deren Herstellung ohne
Rücksicht auf die Kosten die unglaublichste Sorgfalt und Geschicklichkeit ver¬
wandt worden ist. Wieder in andern Büchern ist die Weisheit aller Völker und
Zeitalter aufgespeichert; mag einer irgendein Studium ergriffen haben, er
wird hier alles finden, was er zu wissen begehrt, was jemals und auf jedem
Gebiet die Gelehrsamkeit zutage gefördert hat. Die Wissenschaft bringt ihre
neusten Entdeckungen am Himmel und auf der Erde auf den Markt, sie
spricht eine Sprache, verständlich sowohl für den Philosophen in seiner Studier¬
stube wie für das Volk auf dem Marktplatz. Zahllose Publikationen ent¬
halten ergötzliche, phantasievolle Essays oder witzigen und geistreichen Kleinkram,
eine Blumenlese aus allen Bereichen menschlichen Interesses. Novellisten



*) Die Äußerungen in diesem Artikel sind leider auch für Deutschland zutreffend. Eine
eingehende Würdigung des englischen Schriftstellers Gissing gibt Groth im 2. Bande >S- 356 f.)
von Müllers Geschichte der englischen Literatur (Leipzig, Bibliographisches Institut, 1907).
jeder Schriftstellerei

Lesern wegen feines anregenden Tones, seiner gesunden Absicht und des vielen
direkt Brauchbaren darin. Ach, wem allen möchte ich allein das nette kleine
Kapitel über das Porträt ins Gemüt hinein vorlesen!

Noch stehn wir am Anfang des Jahres, und so sei Gegenwart und Ver¬
gangenheit noch einmal verbunden mit dem Hinweis auf solche Kalender, die
Landschaftkunst und Heimatkunstgeschichte Pflegen und — ein erfreuliches Zeichen
der Zeit — hier und dort in deutschen Gegenden jetzt aufkommen. Man sollte da
nicht immer bloß den Kalender der eignen Heimat für sich kaufen, sondern auch
nach auswärts verschenken, der Tante in Hamburg zum Beispiel einmal den
Leipziger Kalender und dem Freund im Elsaß die „Altfränkischen Bilder"
(Würzburg, Stürtz), die nun schon ins vierzehnte Jahr gehn.




Über Schriftstellerei
George Gissing. von übersetzt aus dem Englischen von Brix Förster

lürde man nur Journale literarischen Inhalts zu Gesicht be¬
kommen und beurteilte nach ihnen unsre Zeit, so könnte man
leicht zu der Ansicht verführt werden, unsre Kultur mache große
und gediegne Fortschritte, und die Welt habe schon einen Höhe¬
punkt in der Erleuchtung der Geister erreicht. Woche für Woche
> werfe ich einen forschenden Blick in die massenhaft anschwellenden
Ankündigungen von Büchern; ich bemerke eine große Menge von Buchhändler¬
firmen, die eifrig bemüht sind, jeder Art von Büchern Vorschub zu leisten,
alten wie neuen; ich sehe unzählige Namen von Autoren, tätig in jedem
Gebiet der Literatur.*) Viel von dem Annoncierten entlarvt sich von selbst als
nur von ephemeren oder von gar keinem Wert; aber welche Masse wird ge¬
druckt, um die Aufmerksamkeit der Gebildeten und Wißbegierigen zu erregen!
Dem großen Publikum wird eine Reihe klassischer Autoren dargeboten, sehr
schön in der Ausstattung und spottbillig im Preise. Wahrlich! niemals
breitete man früher vor den Augen der Kenner solche Schätze aus, so wohl¬
feil und so geschmackvoll. Für die reichen Leute stehn pompöse Bände zur
Verfügung, Prachtausgaben, wahre Kunstwerke, auf deren Herstellung ohne
Rücksicht auf die Kosten die unglaublichste Sorgfalt und Geschicklichkeit ver¬
wandt worden ist. Wieder in andern Büchern ist die Weisheit aller Völker und
Zeitalter aufgespeichert; mag einer irgendein Studium ergriffen haben, er
wird hier alles finden, was er zu wissen begehrt, was jemals und auf jedem
Gebiet die Gelehrsamkeit zutage gefördert hat. Die Wissenschaft bringt ihre
neusten Entdeckungen am Himmel und auf der Erde auf den Markt, sie
spricht eine Sprache, verständlich sowohl für den Philosophen in seiner Studier¬
stube wie für das Volk auf dem Marktplatz. Zahllose Publikationen ent¬
halten ergötzliche, phantasievolle Essays oder witzigen und geistreichen Kleinkram,
eine Blumenlese aus allen Bereichen menschlichen Interesses. Novellisten



*) Die Äußerungen in diesem Artikel sind leider auch für Deutschland zutreffend. Eine
eingehende Würdigung des englischen Schriftstellers Gissing gibt Groth im 2. Bande >S- 356 f.)
von Müllers Geschichte der englischen Literatur (Leipzig, Bibliographisches Institut, 1907).
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[0044] jeder Schriftstellerei Lesern wegen feines anregenden Tones, seiner gesunden Absicht und des vielen direkt Brauchbaren darin. Ach, wem allen möchte ich allein das nette kleine Kapitel über das Porträt ins Gemüt hinein vorlesen! Noch stehn wir am Anfang des Jahres, und so sei Gegenwart und Ver¬ gangenheit noch einmal verbunden mit dem Hinweis auf solche Kalender, die Landschaftkunst und Heimatkunstgeschichte Pflegen und — ein erfreuliches Zeichen der Zeit — hier und dort in deutschen Gegenden jetzt aufkommen. Man sollte da nicht immer bloß den Kalender der eignen Heimat für sich kaufen, sondern auch nach auswärts verschenken, der Tante in Hamburg zum Beispiel einmal den Leipziger Kalender und dem Freund im Elsaß die „Altfränkischen Bilder" (Würzburg, Stürtz), die nun schon ins vierzehnte Jahr gehn. Über Schriftstellerei George Gissing. von übersetzt aus dem Englischen von Brix Förster lürde man nur Journale literarischen Inhalts zu Gesicht be¬ kommen und beurteilte nach ihnen unsre Zeit, so könnte man leicht zu der Ansicht verführt werden, unsre Kultur mache große und gediegne Fortschritte, und die Welt habe schon einen Höhe¬ punkt in der Erleuchtung der Geister erreicht. Woche für Woche > werfe ich einen forschenden Blick in die massenhaft anschwellenden Ankündigungen von Büchern; ich bemerke eine große Menge von Buchhändler¬ firmen, die eifrig bemüht sind, jeder Art von Büchern Vorschub zu leisten, alten wie neuen; ich sehe unzählige Namen von Autoren, tätig in jedem Gebiet der Literatur.*) Viel von dem Annoncierten entlarvt sich von selbst als nur von ephemeren oder von gar keinem Wert; aber welche Masse wird ge¬ druckt, um die Aufmerksamkeit der Gebildeten und Wißbegierigen zu erregen! Dem großen Publikum wird eine Reihe klassischer Autoren dargeboten, sehr schön in der Ausstattung und spottbillig im Preise. Wahrlich! niemals breitete man früher vor den Augen der Kenner solche Schätze aus, so wohl¬ feil und so geschmackvoll. Für die reichen Leute stehn pompöse Bände zur Verfügung, Prachtausgaben, wahre Kunstwerke, auf deren Herstellung ohne Rücksicht auf die Kosten die unglaublichste Sorgfalt und Geschicklichkeit ver¬ wandt worden ist. Wieder in andern Büchern ist die Weisheit aller Völker und Zeitalter aufgespeichert; mag einer irgendein Studium ergriffen haben, er wird hier alles finden, was er zu wissen begehrt, was jemals und auf jedem Gebiet die Gelehrsamkeit zutage gefördert hat. Die Wissenschaft bringt ihre neusten Entdeckungen am Himmel und auf der Erde auf den Markt, sie spricht eine Sprache, verständlich sowohl für den Philosophen in seiner Studier¬ stube wie für das Volk auf dem Marktplatz. Zahllose Publikationen ent¬ halten ergötzliche, phantasievolle Essays oder witzigen und geistreichen Kleinkram, eine Blumenlese aus allen Bereichen menschlichen Interesses. Novellisten *) Die Äußerungen in diesem Artikel sind leider auch für Deutschland zutreffend. Eine eingehende Würdigung des englischen Schriftstellers Gissing gibt Groth im 2. Bande >S- 356 f.) von Müllers Geschichte der englischen Literatur (Leipzig, Bibliographisches Institut, 1907).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/44>, abgerufen am 15.05.2024.