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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das gesellige Leben bei den Griechen

und ordnen und wirken und bewahren, etwa was in einem jeglichen von uns
die Seele ist." Und so trieb man sich denn auf den Märkten, in den Luder
und Hallen herum, um neues zu erfahren, um sich im lebhaften Verkehr mit
dem Freund und Nachbarn auszusprechen und zu lernen. Dieses "^"^e/^
war es, das wir so schlecht übersetzen können, weil es so viele Begriffe in sich
schließt, wie: in den Buden der Händler sich herumtreiben, auf dem Markte
Verkehren, feilschen, deklamieren, ratschlagen, politisieren, schlendern. Dies war
"süßes Leben, schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und des Wirkens!"
Namentlich war es die Politik, die von den jungen Athenern eifrig getrieben
und verfolgt wurde; zur Zeit der sizilischen Expedition malten junge Herren
der Gesellschaft die Karte von Sizilien, Libyen und Karthago in den Sand
der Palüstren und disputierten eifrig über die bevorstehenden Ereignisse. Wehe
dem, der sich als Sonderling von der bunten Menge abschloß, wer dem Bei¬
spiele des Misanthropen Timon folgte oder allein speiste und sich ausschloß
von dem Interesse für Poesie und Kunst; die Komiker verfolgten ihn mit bitterm
Spott, wie Alexis, der den "Alleiuefser" oder Phrynichos, der das Lustspiel
"Der Sonderling" schrieb.

Die edelste Blüte dieser Geselligkeit war die Männerfreundschaft, die in
den guten Zeiten eine Reinheit und ideale Verklärung an sich trug, die wir
uns kaum vorstellen können. Das klassische Beispiel war hier Sokrates; auf
den außerordentlichen Einfluß, den der Meister mit seiner gewaltigen, faszinierenden
Persönlichkeit auf die Jünger ausübte, einzugehn, ist hier nicht der Ort. Die
Werke des Platon sind die Denkmäler dieser Freundschaft. Auch im Haupt¬
wunsche des Griechen: "gesund sein, ein schönes, imponierendes Äußere zu haben,
sich ehrlich erworbnen Reichtums zu erfreuen", erscheint als letzter Wunsch: "und
die Jugend genießen mit lieben Freunden!" Und sie haben ihre Jugend ge¬
nossen, die Griechen, im Verein mit frohen Gefährten, beim Sport und beim
Turnen, in der Palüstrci und der Rennbahn, aber auch bei ernsten und heiligen
Dingen, wie beim Gottesdienst und der Pflege der edeln Künste -- und schließlich
schlössen sie sich aus praktischen Gründen zusammen. Das darf uns nicht
wundernehmen, denn den Griechen haben wir uns nicht nur als idealen, welt¬
entrückten, schönheitsdurstigen Schwärmer vorzustellen, sondern er war auch ein
recht schlaues Weltkind, das seinen Vorteil klug zu wahren wußte und recht
wohl einsah, daß der Einzelne nicht weit kommt, daß ein enger Zusammenschluß
im großen Strom der Menge sehr wichtig sein konnte. Darin sehen wir eine
Ähnlichkeit mit dem praktischsten Volke, den Engländern, und fast will es uns
scheinen, als weise auch das griechische geradlinige Gesicht Verwandtschaft mit
dem englischen Typus auf.

Fragen wir uns nun, wie der Grieche seinen Hang zur Geselligkeit be-
tätigte, so treten uns zahlreiche Vereine entgegen, die die verschiedenste Be¬
stimmung haben können, vom idealen Zwecke des gemeinschaftlichen Gottesdienstes
bis zum platten, alltäglichen des Amüsements und des Essens und Trinkens.


Das gesellige Leben bei den Griechen

und ordnen und wirken und bewahren, etwa was in einem jeglichen von uns
die Seele ist." Und so trieb man sich denn auf den Märkten, in den Luder
und Hallen herum, um neues zu erfahren, um sich im lebhaften Verkehr mit
dem Freund und Nachbarn auszusprechen und zu lernen. Dieses «^«^e/^
war es, das wir so schlecht übersetzen können, weil es so viele Begriffe in sich
schließt, wie: in den Buden der Händler sich herumtreiben, auf dem Markte
Verkehren, feilschen, deklamieren, ratschlagen, politisieren, schlendern. Dies war
„süßes Leben, schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und des Wirkens!"
Namentlich war es die Politik, die von den jungen Athenern eifrig getrieben
und verfolgt wurde; zur Zeit der sizilischen Expedition malten junge Herren
der Gesellschaft die Karte von Sizilien, Libyen und Karthago in den Sand
der Palüstren und disputierten eifrig über die bevorstehenden Ereignisse. Wehe
dem, der sich als Sonderling von der bunten Menge abschloß, wer dem Bei¬
spiele des Misanthropen Timon folgte oder allein speiste und sich ausschloß
von dem Interesse für Poesie und Kunst; die Komiker verfolgten ihn mit bitterm
Spott, wie Alexis, der den „Alleiuefser" oder Phrynichos, der das Lustspiel
„Der Sonderling" schrieb.

Die edelste Blüte dieser Geselligkeit war die Männerfreundschaft, die in
den guten Zeiten eine Reinheit und ideale Verklärung an sich trug, die wir
uns kaum vorstellen können. Das klassische Beispiel war hier Sokrates; auf
den außerordentlichen Einfluß, den der Meister mit seiner gewaltigen, faszinierenden
Persönlichkeit auf die Jünger ausübte, einzugehn, ist hier nicht der Ort. Die
Werke des Platon sind die Denkmäler dieser Freundschaft. Auch im Haupt¬
wunsche des Griechen: „gesund sein, ein schönes, imponierendes Äußere zu haben,
sich ehrlich erworbnen Reichtums zu erfreuen", erscheint als letzter Wunsch: „und
die Jugend genießen mit lieben Freunden!" Und sie haben ihre Jugend ge¬
nossen, die Griechen, im Verein mit frohen Gefährten, beim Sport und beim
Turnen, in der Palüstrci und der Rennbahn, aber auch bei ernsten und heiligen
Dingen, wie beim Gottesdienst und der Pflege der edeln Künste — und schließlich
schlössen sie sich aus praktischen Gründen zusammen. Das darf uns nicht
wundernehmen, denn den Griechen haben wir uns nicht nur als idealen, welt¬
entrückten, schönheitsdurstigen Schwärmer vorzustellen, sondern er war auch ein
recht schlaues Weltkind, das seinen Vorteil klug zu wahren wußte und recht
wohl einsah, daß der Einzelne nicht weit kommt, daß ein enger Zusammenschluß
im großen Strom der Menge sehr wichtig sein konnte. Darin sehen wir eine
Ähnlichkeit mit dem praktischsten Volke, den Engländern, und fast will es uns
scheinen, als weise auch das griechische geradlinige Gesicht Verwandtschaft mit
dem englischen Typus auf.

Fragen wir uns nun, wie der Grieche seinen Hang zur Geselligkeit be-
tätigte, so treten uns zahlreiche Vereine entgegen, die die verschiedenste Be¬
stimmung haben können, vom idealen Zwecke des gemeinschaftlichen Gottesdienstes
bis zum platten, alltäglichen des Amüsements und des Essens und Trinkens.


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[0472] Das gesellige Leben bei den Griechen und ordnen und wirken und bewahren, etwa was in einem jeglichen von uns die Seele ist." Und so trieb man sich denn auf den Märkten, in den Luder und Hallen herum, um neues zu erfahren, um sich im lebhaften Verkehr mit dem Freund und Nachbarn auszusprechen und zu lernen. Dieses «^«^e/^ war es, das wir so schlecht übersetzen können, weil es so viele Begriffe in sich schließt, wie: in den Buden der Händler sich herumtreiben, auf dem Markte Verkehren, feilschen, deklamieren, ratschlagen, politisieren, schlendern. Dies war „süßes Leben, schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins und des Wirkens!" Namentlich war es die Politik, die von den jungen Athenern eifrig getrieben und verfolgt wurde; zur Zeit der sizilischen Expedition malten junge Herren der Gesellschaft die Karte von Sizilien, Libyen und Karthago in den Sand der Palüstren und disputierten eifrig über die bevorstehenden Ereignisse. Wehe dem, der sich als Sonderling von der bunten Menge abschloß, wer dem Bei¬ spiele des Misanthropen Timon folgte oder allein speiste und sich ausschloß von dem Interesse für Poesie und Kunst; die Komiker verfolgten ihn mit bitterm Spott, wie Alexis, der den „Alleiuefser" oder Phrynichos, der das Lustspiel „Der Sonderling" schrieb. Die edelste Blüte dieser Geselligkeit war die Männerfreundschaft, die in den guten Zeiten eine Reinheit und ideale Verklärung an sich trug, die wir uns kaum vorstellen können. Das klassische Beispiel war hier Sokrates; auf den außerordentlichen Einfluß, den der Meister mit seiner gewaltigen, faszinierenden Persönlichkeit auf die Jünger ausübte, einzugehn, ist hier nicht der Ort. Die Werke des Platon sind die Denkmäler dieser Freundschaft. Auch im Haupt¬ wunsche des Griechen: „gesund sein, ein schönes, imponierendes Äußere zu haben, sich ehrlich erworbnen Reichtums zu erfreuen", erscheint als letzter Wunsch: „und die Jugend genießen mit lieben Freunden!" Und sie haben ihre Jugend ge¬ nossen, die Griechen, im Verein mit frohen Gefährten, beim Sport und beim Turnen, in der Palüstrci und der Rennbahn, aber auch bei ernsten und heiligen Dingen, wie beim Gottesdienst und der Pflege der edeln Künste — und schließlich schlössen sie sich aus praktischen Gründen zusammen. Das darf uns nicht wundernehmen, denn den Griechen haben wir uns nicht nur als idealen, welt¬ entrückten, schönheitsdurstigen Schwärmer vorzustellen, sondern er war auch ein recht schlaues Weltkind, das seinen Vorteil klug zu wahren wußte und recht wohl einsah, daß der Einzelne nicht weit kommt, daß ein enger Zusammenschluß im großen Strom der Menge sehr wichtig sein konnte. Darin sehen wir eine Ähnlichkeit mit dem praktischsten Volke, den Engländern, und fast will es uns scheinen, als weise auch das griechische geradlinige Gesicht Verwandtschaft mit dem englischen Typus auf. Fragen wir uns nun, wie der Grieche seinen Hang zur Geselligkeit be- tätigte, so treten uns zahlreiche Vereine entgegen, die die verschiedenste Be¬ stimmung haben können, vom idealen Zwecke des gemeinschaftlichen Gottesdienstes bis zum platten, alltäglichen des Amüsements und des Essens und Trinkens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/472>, abgerufen am 22.05.2024.