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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Das gesellige Leben bei den Griechen

Handelsgenossenschaften bei größern Unternehmungen, die ein bedeutendes Kapital
hatten, wie bei der Pacht von Staatsgefallen, beim Abbau von Bergwerken,
denn selten stand einem Manne das nötige Kapital zum Bergbaubetriebe zur
Verfügung.

Aber auch die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung vergaß das Altertum
nicht; wenn freilich das Versicherungswesen heute viel entwickelter ist als da¬
mals, so tauchte doch schon in alexandrinischer Zeit der Assekurauzgedanke mit
Prämie auf. Es gab ferner Krankenkassen, von der Stadt oder vom Demos
eingerichtet, ein Bezirksarzt war angestellt, von den Bürgern wurde eine Ärzte¬
steuer erhoben. Auch Sterbelassen, wie die Fraternität zu Leipzig, finden wir
vor, nur daß nicht, wie dort, das Leichentuch über den verstorbnen Konfrater
gebreitet, sondern ihm ein Kranz aufgesetzt wird. Auch für den Leichenstein
trägt der Verein Sorge. Ferner taten sich Familien zu einem Erbbegräbnis
zusammen, namentlich kauften untereinander verwandte Familien solche Begräbnis¬
plätze, und der gemeinsame Leichenstein deckte die Reste der Mitglieder. Überall
sehen wir den praktischen Sinn der Griechen: der Einzelne schließt sich an eine
Mehrheit an, da er allein in der großen Gesellschaft nicht weiterkommt. Ebenso
gehören unter die gemeinnützigen Vereine die Genossenschaften von Junggesellen
oder Witwern, die lieber in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten als allein im
öden Hause ihre Mahlzeiten einnahmen; man tat sich so zu Tischgenossenschaften
zusammen und speiste, wie die meisten unsrer Junggesellen ans Bequemlichkeit
am Abonnementsmittagstisch, bei einer gemeinsamen Tafel. Hier sind wir schon
an den Vereinen angelangt, die ohne ernsten Hintergrund und ohne den Ge¬
danken der gegenseitigen Unterstützung nur dem Vergnügen und dem Scherze
gewidmet waren. So gab es in Athen einen Klub vou sechzig Mitgliedern,
die 7->!.c-iro7rat0t, kurz "die Sechzig" genannt, unter dem Protektorat des alten
Zechers und Schmausbruders Herakles; hier war es gewiß wenig Religiosität,
die die fideler Brüder zusammenhielt, die im Demos Diomeia nahe beim
Kynossarkes ihr Klublokal aufgeschlagen hatten. Lief irgendein Bonmot in der
Stadt herum, wurde irgendeine heitere Anekdote erzählt, gleich hieß es: "die
Sechzig Habens gesagt!" So wurden diese lustigen Herren die Meister des
Witzes, ja ihre Klubwitze wurden sogar gesammelt, und Philipp von Mazedonien
ließ sich die Witzekollektion schicken und honorierte die Geistesblitze mit dein
königlichen Geschenke von einem Talent. Weniger harmloser Art war der Klub
des Jthyphallikus, über dessen tolle Mitglieder wir aus Demosthenes Rede
gegen Koror näheres erfahren und dabei einen tiefen Einblick tun in die
korrupten Zustünde der attischen jourissso cloröo; eine nächtliche Skandalgeschichte,
eine Schlägerei und eine Trunkenheitsszene sind uns dort vortrefflich geschildert.
Fast an Frivolität grenzte die Tendenz eines andern Vcrgnügungsvereins aus
der spätesten Zeit: Antonius, der geistvolle Wüstling, gründete mit den Seinen
den Verein der "Brüder vom unnachahmlichen Leben", deren Sinn war, jeden
Tag seine Kollegen zu bewirten. Später, als es den lustigen Genossen an die


Das gesellige Leben bei den Griechen

Handelsgenossenschaften bei größern Unternehmungen, die ein bedeutendes Kapital
hatten, wie bei der Pacht von Staatsgefallen, beim Abbau von Bergwerken,
denn selten stand einem Manne das nötige Kapital zum Bergbaubetriebe zur
Verfügung.

Aber auch die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung vergaß das Altertum
nicht; wenn freilich das Versicherungswesen heute viel entwickelter ist als da¬
mals, so tauchte doch schon in alexandrinischer Zeit der Assekurauzgedanke mit
Prämie auf. Es gab ferner Krankenkassen, von der Stadt oder vom Demos
eingerichtet, ein Bezirksarzt war angestellt, von den Bürgern wurde eine Ärzte¬
steuer erhoben. Auch Sterbelassen, wie die Fraternität zu Leipzig, finden wir
vor, nur daß nicht, wie dort, das Leichentuch über den verstorbnen Konfrater
gebreitet, sondern ihm ein Kranz aufgesetzt wird. Auch für den Leichenstein
trägt der Verein Sorge. Ferner taten sich Familien zu einem Erbbegräbnis
zusammen, namentlich kauften untereinander verwandte Familien solche Begräbnis¬
plätze, und der gemeinsame Leichenstein deckte die Reste der Mitglieder. Überall
sehen wir den praktischen Sinn der Griechen: der Einzelne schließt sich an eine
Mehrheit an, da er allein in der großen Gesellschaft nicht weiterkommt. Ebenso
gehören unter die gemeinnützigen Vereine die Genossenschaften von Junggesellen
oder Witwern, die lieber in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten als allein im
öden Hause ihre Mahlzeiten einnahmen; man tat sich so zu Tischgenossenschaften
zusammen und speiste, wie die meisten unsrer Junggesellen ans Bequemlichkeit
am Abonnementsmittagstisch, bei einer gemeinsamen Tafel. Hier sind wir schon
an den Vereinen angelangt, die ohne ernsten Hintergrund und ohne den Ge¬
danken der gegenseitigen Unterstützung nur dem Vergnügen und dem Scherze
gewidmet waren. So gab es in Athen einen Klub vou sechzig Mitgliedern,
die 7->!.c-iro7rat0t, kurz „die Sechzig" genannt, unter dem Protektorat des alten
Zechers und Schmausbruders Herakles; hier war es gewiß wenig Religiosität,
die die fideler Brüder zusammenhielt, die im Demos Diomeia nahe beim
Kynossarkes ihr Klublokal aufgeschlagen hatten. Lief irgendein Bonmot in der
Stadt herum, wurde irgendeine heitere Anekdote erzählt, gleich hieß es: „die
Sechzig Habens gesagt!" So wurden diese lustigen Herren die Meister des
Witzes, ja ihre Klubwitze wurden sogar gesammelt, und Philipp von Mazedonien
ließ sich die Witzekollektion schicken und honorierte die Geistesblitze mit dein
königlichen Geschenke von einem Talent. Weniger harmloser Art war der Klub
des Jthyphallikus, über dessen tolle Mitglieder wir aus Demosthenes Rede
gegen Koror näheres erfahren und dabei einen tiefen Einblick tun in die
korrupten Zustünde der attischen jourissso cloröo; eine nächtliche Skandalgeschichte,
eine Schlägerei und eine Trunkenheitsszene sind uns dort vortrefflich geschildert.
Fast an Frivolität grenzte die Tendenz eines andern Vcrgnügungsvereins aus
der spätesten Zeit: Antonius, der geistvolle Wüstling, gründete mit den Seinen
den Verein der „Brüder vom unnachahmlichen Leben", deren Sinn war, jeden
Tag seine Kollegen zu bewirten. Später, als es den lustigen Genossen an die


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[0477] Das gesellige Leben bei den Griechen Handelsgenossenschaften bei größern Unternehmungen, die ein bedeutendes Kapital hatten, wie bei der Pacht von Staatsgefallen, beim Abbau von Bergwerken, denn selten stand einem Manne das nötige Kapital zum Bergbaubetriebe zur Verfügung. Aber auch die Vereine zur gegenseitigen Unterstützung vergaß das Altertum nicht; wenn freilich das Versicherungswesen heute viel entwickelter ist als da¬ mals, so tauchte doch schon in alexandrinischer Zeit der Assekurauzgedanke mit Prämie auf. Es gab ferner Krankenkassen, von der Stadt oder vom Demos eingerichtet, ein Bezirksarzt war angestellt, von den Bürgern wurde eine Ärzte¬ steuer erhoben. Auch Sterbelassen, wie die Fraternität zu Leipzig, finden wir vor, nur daß nicht, wie dort, das Leichentuch über den verstorbnen Konfrater gebreitet, sondern ihm ein Kranz aufgesetzt wird. Auch für den Leichenstein trägt der Verein Sorge. Ferner taten sich Familien zu einem Erbbegräbnis zusammen, namentlich kauften untereinander verwandte Familien solche Begräbnis¬ plätze, und der gemeinsame Leichenstein deckte die Reste der Mitglieder. Überall sehen wir den praktischen Sinn der Griechen: der Einzelne schließt sich an eine Mehrheit an, da er allein in der großen Gesellschaft nicht weiterkommt. Ebenso gehören unter die gemeinnützigen Vereine die Genossenschaften von Junggesellen oder Witwern, die lieber in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten als allein im öden Hause ihre Mahlzeiten einnahmen; man tat sich so zu Tischgenossenschaften zusammen und speiste, wie die meisten unsrer Junggesellen ans Bequemlichkeit am Abonnementsmittagstisch, bei einer gemeinsamen Tafel. Hier sind wir schon an den Vereinen angelangt, die ohne ernsten Hintergrund und ohne den Ge¬ danken der gegenseitigen Unterstützung nur dem Vergnügen und dem Scherze gewidmet waren. So gab es in Athen einen Klub vou sechzig Mitgliedern, die 7->!.c-iro7rat0t, kurz „die Sechzig" genannt, unter dem Protektorat des alten Zechers und Schmausbruders Herakles; hier war es gewiß wenig Religiosität, die die fideler Brüder zusammenhielt, die im Demos Diomeia nahe beim Kynossarkes ihr Klublokal aufgeschlagen hatten. Lief irgendein Bonmot in der Stadt herum, wurde irgendeine heitere Anekdote erzählt, gleich hieß es: „die Sechzig Habens gesagt!" So wurden diese lustigen Herren die Meister des Witzes, ja ihre Klubwitze wurden sogar gesammelt, und Philipp von Mazedonien ließ sich die Witzekollektion schicken und honorierte die Geistesblitze mit dein königlichen Geschenke von einem Talent. Weniger harmloser Art war der Klub des Jthyphallikus, über dessen tolle Mitglieder wir aus Demosthenes Rede gegen Koror näheres erfahren und dabei einen tiefen Einblick tun in die korrupten Zustünde der attischen jourissso cloröo; eine nächtliche Skandalgeschichte, eine Schlägerei und eine Trunkenheitsszene sind uns dort vortrefflich geschildert. Fast an Frivolität grenzte die Tendenz eines andern Vcrgnügungsvereins aus der spätesten Zeit: Antonius, der geistvolle Wüstling, gründete mit den Seinen den Verein der „Brüder vom unnachahmlichen Leben", deren Sinn war, jeden Tag seine Kollegen zu bewirten. Später, als es den lustigen Genossen an die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/477>, abgerufen am 15.05.2024.