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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens

Feuerkunst schon früh weit in den Westen Europas getragen haben. Im vier¬
zehnten Jahrhundert wurden "steigende Feuer" in Kriegen europäischer Völker
verwandt. Bis zum Jahre 1630 bemühte man sich, diese Feuerwerkskörper zu
Kriegsgeschossen auszubilden, dann wichen sie den Kugeln der Geschütze und
gerieten als Geschoß in Vergessenheit. Nun brachten sie die Engländer am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts als technische Beute aus einem Kolonial¬
kriege wieder nach Europa. Der englische Artilleriegeneral Congreve verbesserte
das orientalische Geschoß durch die Errungenschaften der europäischen Waffen¬
technik. Seinen Namen trugen die Projektile, unter denen dreihundert Häuser
Kopenhagens in Asche sanken. Auch Napoleon eignete sich die alte Waffe an
und verwandte sie im Jahre 1811 bei der Belagerung von Cadiz. In dem¬
selben Jahre wurden in Preußen Versuche mit Kriegsraketen gemacht. Zwei
Jahre später nahmen englische Raketenbatterien an den Belagerungen von
Danzig und Wittenberg teil. In Dänemark wurde um das Jahr 1820 ein
eignes Artilleriekorps zur Anwendung von Raketen errichtet. Die Congreveschen
Raketen der Engländer trugen im Jahre 1816 wieder Verderben in eine Stadt,
diesmal in eine afrikanische -- Algier. Die Russen und die Polen bedienten
sich der Rakete in den Kämpfen des Jahres 1831. Als Erzeugnis der euro¬
päischen Waffentechnik verwandte sie der Pascha von Ägypten gegen Saint
Jean d'Acre und gegen die türkische Kavallerie. Mit Gewehrraketen schössen
die Rastadter Insurgenten im Jahre 1849 das Dorf Niederbühl in Brand.
Endlich verwandten die Franzosen im Jahre 1855 eine neue Kriegsrakete mit
Erfolg gegen Sebastopol. Das dürften die Hauptdaten der Kriegsgeschichte
dieses Geschosses sein.

Ein preußischer Militärschriftsteller, Hauptmann Bröcker, hat im Jahr¬
gang 1857 des Archivs für die preußischen Artillerie- und Ingenieur-Offiziere
die Rakete ein unglückliches Geschoß genannt, "weil einmal ihre Brauchbarkeit
für den Ernstgebranch, namentlich durch ihre sogenannten Erfinder über die
Maßen herausgestrichen worden ist, so daß gerechtes Mißtrauen erweckt wurde,
dann, weil dieses Mißtrauen, welches durch eklatante Beispiele aus der Kriegs¬
geschichte nicht gründlich gehoben werden konnte, Beurteilungen nach sich zog,
die der weitern Fortbildung der Kriegsrakete hemmend in den Weg traten".

Unglücklich ist das Geschoß nicht, eher glücklich. Es ist zwar schwach, und
andre Erzeugnisse der Waffentechnik haben es an Zerstörungskraft weit über¬
holt, aber gerade seine Schwäche, sein weicher, launiger Jnsektenflug wurde von
dem Menschengeiste so nutzbar gemacht, daß es, anstatt neue Wunden zu schlagen,
durch die Rettung von Menschenleben die Wunden heilt, die es als Kriegs¬
geschoß der Menschheit geschlagen hat, wie die Lanze Aedilis das Orakel
6 la<7c?"t erfüllte und die Wunde des Telephos heilte.

Schon früh, gleich nachdem die Rakete wieder im Abendlande bekannt ge¬
worden war, ging man in England daran, den Schwärmer zu zähmen, womit
die spielende Technik der Chinesen schon vor siebenhundert Jahren die Choes


Grenzboten II 1908 71
Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens

Feuerkunst schon früh weit in den Westen Europas getragen haben. Im vier¬
zehnten Jahrhundert wurden „steigende Feuer" in Kriegen europäischer Völker
verwandt. Bis zum Jahre 1630 bemühte man sich, diese Feuerwerkskörper zu
Kriegsgeschossen auszubilden, dann wichen sie den Kugeln der Geschütze und
gerieten als Geschoß in Vergessenheit. Nun brachten sie die Engländer am
Ende des achtzehnten Jahrhunderts als technische Beute aus einem Kolonial¬
kriege wieder nach Europa. Der englische Artilleriegeneral Congreve verbesserte
das orientalische Geschoß durch die Errungenschaften der europäischen Waffen¬
technik. Seinen Namen trugen die Projektile, unter denen dreihundert Häuser
Kopenhagens in Asche sanken. Auch Napoleon eignete sich die alte Waffe an
und verwandte sie im Jahre 1811 bei der Belagerung von Cadiz. In dem¬
selben Jahre wurden in Preußen Versuche mit Kriegsraketen gemacht. Zwei
Jahre später nahmen englische Raketenbatterien an den Belagerungen von
Danzig und Wittenberg teil. In Dänemark wurde um das Jahr 1820 ein
eignes Artilleriekorps zur Anwendung von Raketen errichtet. Die Congreveschen
Raketen der Engländer trugen im Jahre 1816 wieder Verderben in eine Stadt,
diesmal in eine afrikanische — Algier. Die Russen und die Polen bedienten
sich der Rakete in den Kämpfen des Jahres 1831. Als Erzeugnis der euro¬
päischen Waffentechnik verwandte sie der Pascha von Ägypten gegen Saint
Jean d'Acre und gegen die türkische Kavallerie. Mit Gewehrraketen schössen
die Rastadter Insurgenten im Jahre 1849 das Dorf Niederbühl in Brand.
Endlich verwandten die Franzosen im Jahre 1855 eine neue Kriegsrakete mit
Erfolg gegen Sebastopol. Das dürften die Hauptdaten der Kriegsgeschichte
dieses Geschosses sein.

Ein preußischer Militärschriftsteller, Hauptmann Bröcker, hat im Jahr¬
gang 1857 des Archivs für die preußischen Artillerie- und Ingenieur-Offiziere
die Rakete ein unglückliches Geschoß genannt, „weil einmal ihre Brauchbarkeit
für den Ernstgebranch, namentlich durch ihre sogenannten Erfinder über die
Maßen herausgestrichen worden ist, so daß gerechtes Mißtrauen erweckt wurde,
dann, weil dieses Mißtrauen, welches durch eklatante Beispiele aus der Kriegs¬
geschichte nicht gründlich gehoben werden konnte, Beurteilungen nach sich zog,
die der weitern Fortbildung der Kriegsrakete hemmend in den Weg traten".

Unglücklich ist das Geschoß nicht, eher glücklich. Es ist zwar schwach, und
andre Erzeugnisse der Waffentechnik haben es an Zerstörungskraft weit über¬
holt, aber gerade seine Schwäche, sein weicher, launiger Jnsektenflug wurde von
dem Menschengeiste so nutzbar gemacht, daß es, anstatt neue Wunden zu schlagen,
durch die Rettung von Menschenleben die Wunden heilt, die es als Kriegs¬
geschoß der Menschheit geschlagen hat, wie die Lanze Aedilis das Orakel
6 la<7c?«t erfüllte und die Wunde des Telephos heilte.

Schon früh, gleich nachdem die Rakete wieder im Abendlande bekannt ge¬
worden war, ging man in England daran, den Schwärmer zu zähmen, womit
die spielende Technik der Chinesen schon vor siebenhundert Jahren die Choes


Grenzboten II 1908 71
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[0561] Die preußische Artillerie im Dienste des Mstenrettungswesens Feuerkunst schon früh weit in den Westen Europas getragen haben. Im vier¬ zehnten Jahrhundert wurden „steigende Feuer" in Kriegen europäischer Völker verwandt. Bis zum Jahre 1630 bemühte man sich, diese Feuerwerkskörper zu Kriegsgeschossen auszubilden, dann wichen sie den Kugeln der Geschütze und gerieten als Geschoß in Vergessenheit. Nun brachten sie die Engländer am Ende des achtzehnten Jahrhunderts als technische Beute aus einem Kolonial¬ kriege wieder nach Europa. Der englische Artilleriegeneral Congreve verbesserte das orientalische Geschoß durch die Errungenschaften der europäischen Waffen¬ technik. Seinen Namen trugen die Projektile, unter denen dreihundert Häuser Kopenhagens in Asche sanken. Auch Napoleon eignete sich die alte Waffe an und verwandte sie im Jahre 1811 bei der Belagerung von Cadiz. In dem¬ selben Jahre wurden in Preußen Versuche mit Kriegsraketen gemacht. Zwei Jahre später nahmen englische Raketenbatterien an den Belagerungen von Danzig und Wittenberg teil. In Dänemark wurde um das Jahr 1820 ein eignes Artilleriekorps zur Anwendung von Raketen errichtet. Die Congreveschen Raketen der Engländer trugen im Jahre 1816 wieder Verderben in eine Stadt, diesmal in eine afrikanische — Algier. Die Russen und die Polen bedienten sich der Rakete in den Kämpfen des Jahres 1831. Als Erzeugnis der euro¬ päischen Waffentechnik verwandte sie der Pascha von Ägypten gegen Saint Jean d'Acre und gegen die türkische Kavallerie. Mit Gewehrraketen schössen die Rastadter Insurgenten im Jahre 1849 das Dorf Niederbühl in Brand. Endlich verwandten die Franzosen im Jahre 1855 eine neue Kriegsrakete mit Erfolg gegen Sebastopol. Das dürften die Hauptdaten der Kriegsgeschichte dieses Geschosses sein. Ein preußischer Militärschriftsteller, Hauptmann Bröcker, hat im Jahr¬ gang 1857 des Archivs für die preußischen Artillerie- und Ingenieur-Offiziere die Rakete ein unglückliches Geschoß genannt, „weil einmal ihre Brauchbarkeit für den Ernstgebranch, namentlich durch ihre sogenannten Erfinder über die Maßen herausgestrichen worden ist, so daß gerechtes Mißtrauen erweckt wurde, dann, weil dieses Mißtrauen, welches durch eklatante Beispiele aus der Kriegs¬ geschichte nicht gründlich gehoben werden konnte, Beurteilungen nach sich zog, die der weitern Fortbildung der Kriegsrakete hemmend in den Weg traten". Unglücklich ist das Geschoß nicht, eher glücklich. Es ist zwar schwach, und andre Erzeugnisse der Waffentechnik haben es an Zerstörungskraft weit über¬ holt, aber gerade seine Schwäche, sein weicher, launiger Jnsektenflug wurde von dem Menschengeiste so nutzbar gemacht, daß es, anstatt neue Wunden zu schlagen, durch die Rettung von Menschenleben die Wunden heilt, die es als Kriegs¬ geschoß der Menschheit geschlagen hat, wie die Lanze Aedilis das Orakel 6 la<7c?«t erfüllte und die Wunde des Telephos heilte. Schon früh, gleich nachdem die Rakete wieder im Abendlande bekannt ge¬ worden war, ging man in England daran, den Schwärmer zu zähmen, womit die spielende Technik der Chinesen schon vor siebenhundert Jahren die Choes Grenzboten II 1908 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/561>, abgerufen am 15.05.2024.