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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

Wünschen, daß die Mannschaft eines gestrandeten Schiffs bis zum letzten Augen¬
blick auf dem Wrack ausharre. Einem Verein, der seinen Bootsmannschaften
voraussichtlich nach dem Beispiel des englischen Vereins die einzige Aufgabe
stellte, Menschenleben zu retten, und die Weisung gab, das Gepäck der Schiff¬
brüchigen, wenn es irgendwie die Rettung erschwerte, über Bord zu werfen,
konnten die Vertreter der Versicherungsgesellschaften nur als Menschen, nicht
als Geschäftsleute Teilnahme entgegenbringen.

Die Regierung hielt den Gedanken des Ministers nicht für ausführbar.
Sie unterschätzte die sittliche und die politische Kultur der preußischen Küsten-
bevölkernng, indem sie urteilte: "Das Publikum hat sich bei uns nur zu sehr
gewöhnt, die Hülfe und die Anordnungen des Staats zu gewärtigen. Auch
dürfte bei uns das in England so durchgängig geweckte, wahrhaft nationale
Interesse für alles, was mit der Schiffahrt zusammenhängt, fehlen, wie denn
auch der Reichthum und werktätiges Christenthum in England selbstredend die er¬
forderlichen Mittel viel leichter flüssig machen, als dies bei uns gelingen
würde." Der Hafenbauinspektor hielt eine militärische Organisation des Rettungs¬
dienstes für geboten: "Wenn die Rettungsboote ihrem Zweck entsprechen sollen,
dann ist es allerdings erforderlich, daß dieselben mit einer Mannschaft ver¬
sehen werden, welche nicht allein mit der Bewegung des Bootes völlig ver¬
traut ist, sondern auch jederzeit bereit steht, den Dienst auf diesem Boot zu
übernehmen und in bezug auf die Ausführung des Rettungsdienstes lediglich
dem Kommando des Führers gehorcht, der unerschrocken keine Gefahr scheut,
wenn er nicht sichern Untergang vor Augen sieht. Von diesem Gesichtspunkt
aus, muß die Organisation militairisch, also es muß eine Mannschaft sein, welche
keinen freien Willen mehr besitzt, sondern nur eine übernommene Pflicht auf
Kommando des Vorgesetzten ausübt. Kein andrer freier Mann wird eine solche
Pflicht übernehmen, und so lang man auf die freiwillige Gestellung der Mann¬
schaft angewiesen ist, bleibt der Rettungsdienst immer von allerlei Zufälligkeiten
abhängig. Will der Staat eine bestimmte Besatzungsmannschaft des Rettungs¬
boots nicht lohnen und weist auf Privatvereine hin, so muß ich nach meinen
Erfahrungen . . . erklären, daß ich keine Hoffnung habe eine solche Anbahnung
verwirklicht zu sehen. Ich kann die Ansicht wohl theilen, daß es eigentümlich
ist, grade im schiffahrttreibenden Publikum so wenig Sinn für derartige segens¬
reiche Institutionen zu finden, aber es ist einmal so, und ob der Sinn geweckt
werden kann, bleibt sehr zu bezweifeln, da der Schlußpunkt aller dieser Vereine
immer Geldausgaben bleiben, bei denen mit wenigem nicht viel getan. Dazu
kommt, daß die jetzt bestehenden Rettungsanstalten im Publikum kein Vertrauen
genießen, man fühlt, daß in denselben dasjenige fehlt, was ihnen erst Leben
giebt, eine jederzeit bereite, mit dem Ganzen völlig vertraute Mannschaft. ..."
Die Negierung in Stralsund beantragte im Einvernehmen mit einem Vertreter
der Strcilsunder Kaufmannschaft zur Förderung des Rettungswesens die Ein¬
führung einer Abgabe von den Seeschiffen. Sie erwartete von dieser Abgabe


Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens

Wünschen, daß die Mannschaft eines gestrandeten Schiffs bis zum letzten Augen¬
blick auf dem Wrack ausharre. Einem Verein, der seinen Bootsmannschaften
voraussichtlich nach dem Beispiel des englischen Vereins die einzige Aufgabe
stellte, Menschenleben zu retten, und die Weisung gab, das Gepäck der Schiff¬
brüchigen, wenn es irgendwie die Rettung erschwerte, über Bord zu werfen,
konnten die Vertreter der Versicherungsgesellschaften nur als Menschen, nicht
als Geschäftsleute Teilnahme entgegenbringen.

Die Regierung hielt den Gedanken des Ministers nicht für ausführbar.
Sie unterschätzte die sittliche und die politische Kultur der preußischen Küsten-
bevölkernng, indem sie urteilte: „Das Publikum hat sich bei uns nur zu sehr
gewöhnt, die Hülfe und die Anordnungen des Staats zu gewärtigen. Auch
dürfte bei uns das in England so durchgängig geweckte, wahrhaft nationale
Interesse für alles, was mit der Schiffahrt zusammenhängt, fehlen, wie denn
auch der Reichthum und werktätiges Christenthum in England selbstredend die er¬
forderlichen Mittel viel leichter flüssig machen, als dies bei uns gelingen
würde." Der Hafenbauinspektor hielt eine militärische Organisation des Rettungs¬
dienstes für geboten: „Wenn die Rettungsboote ihrem Zweck entsprechen sollen,
dann ist es allerdings erforderlich, daß dieselben mit einer Mannschaft ver¬
sehen werden, welche nicht allein mit der Bewegung des Bootes völlig ver¬
traut ist, sondern auch jederzeit bereit steht, den Dienst auf diesem Boot zu
übernehmen und in bezug auf die Ausführung des Rettungsdienstes lediglich
dem Kommando des Führers gehorcht, der unerschrocken keine Gefahr scheut,
wenn er nicht sichern Untergang vor Augen sieht. Von diesem Gesichtspunkt
aus, muß die Organisation militairisch, also es muß eine Mannschaft sein, welche
keinen freien Willen mehr besitzt, sondern nur eine übernommene Pflicht auf
Kommando des Vorgesetzten ausübt. Kein andrer freier Mann wird eine solche
Pflicht übernehmen, und so lang man auf die freiwillige Gestellung der Mann¬
schaft angewiesen ist, bleibt der Rettungsdienst immer von allerlei Zufälligkeiten
abhängig. Will der Staat eine bestimmte Besatzungsmannschaft des Rettungs¬
boots nicht lohnen und weist auf Privatvereine hin, so muß ich nach meinen
Erfahrungen . . . erklären, daß ich keine Hoffnung habe eine solche Anbahnung
verwirklicht zu sehen. Ich kann die Ansicht wohl theilen, daß es eigentümlich
ist, grade im schiffahrttreibenden Publikum so wenig Sinn für derartige segens¬
reiche Institutionen zu finden, aber es ist einmal so, und ob der Sinn geweckt
werden kann, bleibt sehr zu bezweifeln, da der Schlußpunkt aller dieser Vereine
immer Geldausgaben bleiben, bei denen mit wenigem nicht viel getan. Dazu
kommt, daß die jetzt bestehenden Rettungsanstalten im Publikum kein Vertrauen
genießen, man fühlt, daß in denselben dasjenige fehlt, was ihnen erst Leben
giebt, eine jederzeit bereite, mit dem Ganzen völlig vertraute Mannschaft. ..."
Die Negierung in Stralsund beantragte im Einvernehmen mit einem Vertreter
der Strcilsunder Kaufmannschaft zur Förderung des Rettungswesens die Ein¬
führung einer Abgabe von den Seeschiffen. Sie erwartete von dieser Abgabe


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[0570] Die preußische Artillerie im Dienste des Uüstenrettungswesens Wünschen, daß die Mannschaft eines gestrandeten Schiffs bis zum letzten Augen¬ blick auf dem Wrack ausharre. Einem Verein, der seinen Bootsmannschaften voraussichtlich nach dem Beispiel des englischen Vereins die einzige Aufgabe stellte, Menschenleben zu retten, und die Weisung gab, das Gepäck der Schiff¬ brüchigen, wenn es irgendwie die Rettung erschwerte, über Bord zu werfen, konnten die Vertreter der Versicherungsgesellschaften nur als Menschen, nicht als Geschäftsleute Teilnahme entgegenbringen. Die Regierung hielt den Gedanken des Ministers nicht für ausführbar. Sie unterschätzte die sittliche und die politische Kultur der preußischen Küsten- bevölkernng, indem sie urteilte: „Das Publikum hat sich bei uns nur zu sehr gewöhnt, die Hülfe und die Anordnungen des Staats zu gewärtigen. Auch dürfte bei uns das in England so durchgängig geweckte, wahrhaft nationale Interesse für alles, was mit der Schiffahrt zusammenhängt, fehlen, wie denn auch der Reichthum und werktätiges Christenthum in England selbstredend die er¬ forderlichen Mittel viel leichter flüssig machen, als dies bei uns gelingen würde." Der Hafenbauinspektor hielt eine militärische Organisation des Rettungs¬ dienstes für geboten: „Wenn die Rettungsboote ihrem Zweck entsprechen sollen, dann ist es allerdings erforderlich, daß dieselben mit einer Mannschaft ver¬ sehen werden, welche nicht allein mit der Bewegung des Bootes völlig ver¬ traut ist, sondern auch jederzeit bereit steht, den Dienst auf diesem Boot zu übernehmen und in bezug auf die Ausführung des Rettungsdienstes lediglich dem Kommando des Führers gehorcht, der unerschrocken keine Gefahr scheut, wenn er nicht sichern Untergang vor Augen sieht. Von diesem Gesichtspunkt aus, muß die Organisation militairisch, also es muß eine Mannschaft sein, welche keinen freien Willen mehr besitzt, sondern nur eine übernommene Pflicht auf Kommando des Vorgesetzten ausübt. Kein andrer freier Mann wird eine solche Pflicht übernehmen, und so lang man auf die freiwillige Gestellung der Mann¬ schaft angewiesen ist, bleibt der Rettungsdienst immer von allerlei Zufälligkeiten abhängig. Will der Staat eine bestimmte Besatzungsmannschaft des Rettungs¬ boots nicht lohnen und weist auf Privatvereine hin, so muß ich nach meinen Erfahrungen . . . erklären, daß ich keine Hoffnung habe eine solche Anbahnung verwirklicht zu sehen. Ich kann die Ansicht wohl theilen, daß es eigentümlich ist, grade im schiffahrttreibenden Publikum so wenig Sinn für derartige segens¬ reiche Institutionen zu finden, aber es ist einmal so, und ob der Sinn geweckt werden kann, bleibt sehr zu bezweifeln, da der Schlußpunkt aller dieser Vereine immer Geldausgaben bleiben, bei denen mit wenigem nicht viel getan. Dazu kommt, daß die jetzt bestehenden Rettungsanstalten im Publikum kein Vertrauen genießen, man fühlt, daß in denselben dasjenige fehlt, was ihnen erst Leben giebt, eine jederzeit bereite, mit dem Ganzen völlig vertraute Mannschaft. ..." Die Negierung in Stralsund beantragte im Einvernehmen mit einem Vertreter der Strcilsunder Kaufmannschaft zur Förderung des Rettungswesens die Ein¬ führung einer Abgabe von den Seeschiffen. Sie erwartete von dieser Abgabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/570>, abgerufen am 15.05.2024.