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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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David Friedrich Strauß

ihrer Wissenschaft mit seinem Leben Jesu geleistet hat, aufs übelste gelohnt.
Nicht bloß wurde er von ihrem Haß verfolgt, solange er lebte, auch nach
seinem Tode sind sie ihm in keiner Weise gerecht geworden. Die einen sehen
in ihm noch heute den Herostratus, der die Brandfackel in ihr sorgsam gehütetes
Heiligtum geworfen hat, und fluchen ihm deshalb wirklich mit haßerfüllter
Seele. Andre, die sachlich vielleicht gar nicht so weit von ihm abstehn, rücken
nur um so geflissentlicher zur Seite und danken Gott, daß sie nicht sind wie
dieser schlimmste aller Ungläubigen und Ketzer. Ja es hat Zeiten gegeben, wo
es in allen deutschen Staaten als die beste Empfehlung für den Staats- und
Kirchendienst galt, wenn sich einer recht ostentativ gegen die Straußischen An¬
sichten verwahrte und sich möglichst brüsk von Strauß lossagte; daraufhin
konnte er dann schon eher selbst ein freies Wörtlein wagen." Seine meisten
Biographen seien nun Theologen gewesen, und so sei denn sein Bild -- von
Zelters kleiner Skizze abgesehen -- "noch immer nicht objektiv und nicht hell
genug herausgekommen". Zudem haben die frühern Biographen mit Einschluß
Hausraths seine Briefe teils noch gar nicht, teils nicht vollständig gekannt; diese
aber "zeigen einen ganz andern Menschen, als seine Schriften allein bis dahin
hatten vermuten lassen".

Nach einer trotz manchen Nöten der Eltern im Vaterhause glücklich und
froh verlaufnen Kindheit kam Strauß nach Blaubeuren, in die eine der vier
württembergischen Klosterschulen. Die Nachteile und der Zwang dieser Anstalten,
über die Ziegler ausführlich handelt, hat Strauß bei seiner vorwiegenden
Neigung fürs Bücherstudium, für das dort vortrefflich gesorgt war, keineswegs
schmerzlich empfunden. Er lebte heiter und zu Scherzen aufgelegt unter seinen
Kameraden, mit deren mehreren ihn innige Freundschaft verband. Friedrich
Bischer hat seinem Freunde Strauß aus der Seele gesprochen, wenn er in
seinem Aufsatz "Dr. Strauß und die Württemberger" schreibt: "Ich möchte die
Erinnerung an dies Zusammenleben, ich möchte die geistige Verbindung mit
einer enggeschlossenen Zahl von Freunden, die eine gemeinschaftliche Überzeugung
zusammenhält, ich möchte diesen fürs Leben gewonnenen Schatz des Geistes um
keinen Preis hergeben. Einer größern Anzahl junger Leute, die sich in diesen
Anstalten zusammenfinden, fehlt es nie an originellen Individualitäten, die ent¬
weder selbst witzig oder Ursache sind, daß andre witzig werden; ein eigentüm¬
licher Lokalhumor, ein komischer Sagenkreis, ein Lexikon von Spitznamen, eine
Reibung erfinderischer Neckereien bildet sich, eine Jugendlust, die mancher hinter
den grauen Klostermauern nicht gesucht hätte. Hier wirkt die Friktion mit dem
bitter empfundnen Zwange als mächtiger Hebel mit; die List umgeht in heitern
Maskeraden das Gesetz und parodiert den bittern Ernst grämlicher Vorgesetzten
durch joviale Satire." Dafür, daß nicht Krethi und Plethi in den Kloster¬
schulen zusammenströmten, war durch strenge Vorschriften gesorgt; so eine
"Promotion" -- so heißt dort ein Jahrgang -- war durch drei Prüfungen


David Friedrich Strauß

ihrer Wissenschaft mit seinem Leben Jesu geleistet hat, aufs übelste gelohnt.
Nicht bloß wurde er von ihrem Haß verfolgt, solange er lebte, auch nach
seinem Tode sind sie ihm in keiner Weise gerecht geworden. Die einen sehen
in ihm noch heute den Herostratus, der die Brandfackel in ihr sorgsam gehütetes
Heiligtum geworfen hat, und fluchen ihm deshalb wirklich mit haßerfüllter
Seele. Andre, die sachlich vielleicht gar nicht so weit von ihm abstehn, rücken
nur um so geflissentlicher zur Seite und danken Gott, daß sie nicht sind wie
dieser schlimmste aller Ungläubigen und Ketzer. Ja es hat Zeiten gegeben, wo
es in allen deutschen Staaten als die beste Empfehlung für den Staats- und
Kirchendienst galt, wenn sich einer recht ostentativ gegen die Straußischen An¬
sichten verwahrte und sich möglichst brüsk von Strauß lossagte; daraufhin
konnte er dann schon eher selbst ein freies Wörtlein wagen." Seine meisten
Biographen seien nun Theologen gewesen, und so sei denn sein Bild — von
Zelters kleiner Skizze abgesehen — „noch immer nicht objektiv und nicht hell
genug herausgekommen". Zudem haben die frühern Biographen mit Einschluß
Hausraths seine Briefe teils noch gar nicht, teils nicht vollständig gekannt; diese
aber „zeigen einen ganz andern Menschen, als seine Schriften allein bis dahin
hatten vermuten lassen".

Nach einer trotz manchen Nöten der Eltern im Vaterhause glücklich und
froh verlaufnen Kindheit kam Strauß nach Blaubeuren, in die eine der vier
württembergischen Klosterschulen. Die Nachteile und der Zwang dieser Anstalten,
über die Ziegler ausführlich handelt, hat Strauß bei seiner vorwiegenden
Neigung fürs Bücherstudium, für das dort vortrefflich gesorgt war, keineswegs
schmerzlich empfunden. Er lebte heiter und zu Scherzen aufgelegt unter seinen
Kameraden, mit deren mehreren ihn innige Freundschaft verband. Friedrich
Bischer hat seinem Freunde Strauß aus der Seele gesprochen, wenn er in
seinem Aufsatz „Dr. Strauß und die Württemberger" schreibt: „Ich möchte die
Erinnerung an dies Zusammenleben, ich möchte die geistige Verbindung mit
einer enggeschlossenen Zahl von Freunden, die eine gemeinschaftliche Überzeugung
zusammenhält, ich möchte diesen fürs Leben gewonnenen Schatz des Geistes um
keinen Preis hergeben. Einer größern Anzahl junger Leute, die sich in diesen
Anstalten zusammenfinden, fehlt es nie an originellen Individualitäten, die ent¬
weder selbst witzig oder Ursache sind, daß andre witzig werden; ein eigentüm¬
licher Lokalhumor, ein komischer Sagenkreis, ein Lexikon von Spitznamen, eine
Reibung erfinderischer Neckereien bildet sich, eine Jugendlust, die mancher hinter
den grauen Klostermauern nicht gesucht hätte. Hier wirkt die Friktion mit dem
bitter empfundnen Zwange als mächtiger Hebel mit; die List umgeht in heitern
Maskeraden das Gesetz und parodiert den bittern Ernst grämlicher Vorgesetzten
durch joviale Satire." Dafür, daß nicht Krethi und Plethi in den Kloster¬
schulen zusammenströmten, war durch strenge Vorschriften gesorgt; so eine
„Promotion" — so heißt dort ein Jahrgang — war durch drei Prüfungen


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[0630] David Friedrich Strauß ihrer Wissenschaft mit seinem Leben Jesu geleistet hat, aufs übelste gelohnt. Nicht bloß wurde er von ihrem Haß verfolgt, solange er lebte, auch nach seinem Tode sind sie ihm in keiner Weise gerecht geworden. Die einen sehen in ihm noch heute den Herostratus, der die Brandfackel in ihr sorgsam gehütetes Heiligtum geworfen hat, und fluchen ihm deshalb wirklich mit haßerfüllter Seele. Andre, die sachlich vielleicht gar nicht so weit von ihm abstehn, rücken nur um so geflissentlicher zur Seite und danken Gott, daß sie nicht sind wie dieser schlimmste aller Ungläubigen und Ketzer. Ja es hat Zeiten gegeben, wo es in allen deutschen Staaten als die beste Empfehlung für den Staats- und Kirchendienst galt, wenn sich einer recht ostentativ gegen die Straußischen An¬ sichten verwahrte und sich möglichst brüsk von Strauß lossagte; daraufhin konnte er dann schon eher selbst ein freies Wörtlein wagen." Seine meisten Biographen seien nun Theologen gewesen, und so sei denn sein Bild — von Zelters kleiner Skizze abgesehen — „noch immer nicht objektiv und nicht hell genug herausgekommen". Zudem haben die frühern Biographen mit Einschluß Hausraths seine Briefe teils noch gar nicht, teils nicht vollständig gekannt; diese aber „zeigen einen ganz andern Menschen, als seine Schriften allein bis dahin hatten vermuten lassen". Nach einer trotz manchen Nöten der Eltern im Vaterhause glücklich und froh verlaufnen Kindheit kam Strauß nach Blaubeuren, in die eine der vier württembergischen Klosterschulen. Die Nachteile und der Zwang dieser Anstalten, über die Ziegler ausführlich handelt, hat Strauß bei seiner vorwiegenden Neigung fürs Bücherstudium, für das dort vortrefflich gesorgt war, keineswegs schmerzlich empfunden. Er lebte heiter und zu Scherzen aufgelegt unter seinen Kameraden, mit deren mehreren ihn innige Freundschaft verband. Friedrich Bischer hat seinem Freunde Strauß aus der Seele gesprochen, wenn er in seinem Aufsatz „Dr. Strauß und die Württemberger" schreibt: „Ich möchte die Erinnerung an dies Zusammenleben, ich möchte die geistige Verbindung mit einer enggeschlossenen Zahl von Freunden, die eine gemeinschaftliche Überzeugung zusammenhält, ich möchte diesen fürs Leben gewonnenen Schatz des Geistes um keinen Preis hergeben. Einer größern Anzahl junger Leute, die sich in diesen Anstalten zusammenfinden, fehlt es nie an originellen Individualitäten, die ent¬ weder selbst witzig oder Ursache sind, daß andre witzig werden; ein eigentüm¬ licher Lokalhumor, ein komischer Sagenkreis, ein Lexikon von Spitznamen, eine Reibung erfinderischer Neckereien bildet sich, eine Jugendlust, die mancher hinter den grauen Klostermauern nicht gesucht hätte. Hier wirkt die Friktion mit dem bitter empfundnen Zwange als mächtiger Hebel mit; die List umgeht in heitern Maskeraden das Gesetz und parodiert den bittern Ernst grämlicher Vorgesetzten durch joviale Satire." Dafür, daß nicht Krethi und Plethi in den Kloster¬ schulen zusammenströmten, war durch strenge Vorschriften gesorgt; so eine „Promotion" — so heißt dort ein Jahrgang — war durch drei Prüfungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/630>, abgerufen am 22.05.2024.