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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Wenn man danach trachtet, die Ägypter nach und nach zur Selbstregierung
zu erziehen, so kann dies nach allgemeiner übereinstimmender Anschauung nur
durch die Errichtung von Provinzialräten und Gemeindevertretungen geschehen.
Derartige Einrichtungen würden aber nur dann von Wert sein, wenn sie im¬
stande waren, auch den Fremden gegenüber selbständig aufzutreten. Von ganz
besondrer Wichtigkeit erscheint der Erlaß von Gesetzen über den Handel mit
alkoholischen Getränken, der fast vollständig in der Hand von Europäern liegt
und erst dann eine Einschränkung erfahren könnte, wenn es möglich wäre,
die Gesetzgebung auf die Europäer auszudehnen. Große Mißstände liegen auf
dem Gebiete der Kinderarbeit vor, die dringend einer Abstellung auf dem
Wege der Gesetzgebung bedürfen. Ebenso erscheint der Erlaß eingehender gesetz¬
licher Bestimmungen über das Bauwesen notwendig. Bestimmungen gegen
den Gebrauch falscher Maße und Gewichte werden nur dann einen Wert haben,
wenn sie gleichmüßig gegen Eingeborne wie gegen Europäer in Anwendung
gebracht werden können. Ebenso würde es im Interesse der Europäer der
verschiedensten Nationalitäten liegen, wenn ein Gesetz zustande käme, das die
Frage der Gewährung von Patenten, des Musterschutzes und des Urheberrechts
behandelte.^

Schon diese wenigen Beispiele zeigen deutlich, daß es eine der wichtigsten
Aufgaben der Negierung sein muß, ein System auszuarbeiten, dessen gesetz¬
lichen Bestimmungen Eingeborne wie Europäer gleichermaßen unterworfen
wären. Wenn aber Lord Cromer in seinem letzten Bericht die Grundlinien
für dieses System angegeben hat und seinen endgiltigen Entschluß nur von
der Aufnahme abhängig machen wollte, die sein Plan bei den führenden euro¬
päischen und ägyptischen Persönlichkeiten finden würde, so hat sich leider
bis zum heutigen Tage eine Übereinstimmung über diese Frage nicht erreichen
lassen. - - ' ' '

Die am Ende des Jahres 1906 stattgehabten Neuwahlen für den "Gesetz¬
gebenden Rat" und für die "Generalversammlung" geben Veranlassung, mit
einigen kurzen Worten auf die bei diesen Wahlen zutage getretner Erschei¬
nungen einzugehen. Im allgemeinen hat jeder erwachsne Ägypter das Recht
zu wählen. Die in den Wahllisten eingetragnen Wühler wühlen nun Dele¬
gierte, die ihrerseits die Mitglieder der Generalversammlung und der Provinzial-
rätc wählen.

Die Mitglieder des Gesetzgebenden Rates werden von den Provinzialräten
oder in den Städten, wo keine Provinzialräte vorhanden sind, unmittelbar von
den Delegierten gewählt.

In Kairo leben ungefähr 134000 erwachsne männliche Ägypter, von
denen aber nur 34000 als Wähler in den Listen laufen. Von diesen haben
nur 1500 abgestimmt, das heißt 4,4 Prozent von den in den Wählerlisten
geführten und nur 1,1 Prozent von der Gesamtzahl. An dem zweiten Wahlakt
haben nur zwölf Delegierte teilgenommen, da in einem von den dreizehn


Wenn man danach trachtet, die Ägypter nach und nach zur Selbstregierung
zu erziehen, so kann dies nach allgemeiner übereinstimmender Anschauung nur
durch die Errichtung von Provinzialräten und Gemeindevertretungen geschehen.
Derartige Einrichtungen würden aber nur dann von Wert sein, wenn sie im¬
stande waren, auch den Fremden gegenüber selbständig aufzutreten. Von ganz
besondrer Wichtigkeit erscheint der Erlaß von Gesetzen über den Handel mit
alkoholischen Getränken, der fast vollständig in der Hand von Europäern liegt
und erst dann eine Einschränkung erfahren könnte, wenn es möglich wäre,
die Gesetzgebung auf die Europäer auszudehnen. Große Mißstände liegen auf
dem Gebiete der Kinderarbeit vor, die dringend einer Abstellung auf dem
Wege der Gesetzgebung bedürfen. Ebenso erscheint der Erlaß eingehender gesetz¬
licher Bestimmungen über das Bauwesen notwendig. Bestimmungen gegen
den Gebrauch falscher Maße und Gewichte werden nur dann einen Wert haben,
wenn sie gleichmüßig gegen Eingeborne wie gegen Europäer in Anwendung
gebracht werden können. Ebenso würde es im Interesse der Europäer der
verschiedensten Nationalitäten liegen, wenn ein Gesetz zustande käme, das die
Frage der Gewährung von Patenten, des Musterschutzes und des Urheberrechts
behandelte.^

Schon diese wenigen Beispiele zeigen deutlich, daß es eine der wichtigsten
Aufgaben der Negierung sein muß, ein System auszuarbeiten, dessen gesetz¬
lichen Bestimmungen Eingeborne wie Europäer gleichermaßen unterworfen
wären. Wenn aber Lord Cromer in seinem letzten Bericht die Grundlinien
für dieses System angegeben hat und seinen endgiltigen Entschluß nur von
der Aufnahme abhängig machen wollte, die sein Plan bei den führenden euro¬
päischen und ägyptischen Persönlichkeiten finden würde, so hat sich leider
bis zum heutigen Tage eine Übereinstimmung über diese Frage nicht erreichen
lassen. - - ' ' '

Die am Ende des Jahres 1906 stattgehabten Neuwahlen für den „Gesetz¬
gebenden Rat" und für die „Generalversammlung" geben Veranlassung, mit
einigen kurzen Worten auf die bei diesen Wahlen zutage getretner Erschei¬
nungen einzugehen. Im allgemeinen hat jeder erwachsne Ägypter das Recht
zu wählen. Die in den Wahllisten eingetragnen Wühler wühlen nun Dele¬
gierte, die ihrerseits die Mitglieder der Generalversammlung und der Provinzial-
rätc wählen.

Die Mitglieder des Gesetzgebenden Rates werden von den Provinzialräten
oder in den Städten, wo keine Provinzialräte vorhanden sind, unmittelbar von
den Delegierten gewählt.

In Kairo leben ungefähr 134000 erwachsne männliche Ägypter, von
denen aber nur 34000 als Wähler in den Listen laufen. Von diesen haben
nur 1500 abgestimmt, das heißt 4,4 Prozent von den in den Wählerlisten
geführten und nur 1,1 Prozent von der Gesamtzahl. An dem zweiten Wahlakt
haben nur zwölf Delegierte teilgenommen, da in einem von den dreizehn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/430>, abgerufen am 17.06.2024.