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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Veit Valentin

seiner Belehrungen herausspringen. Was er schuf, wollte ja -- Nachbildungen
wie zum Beispiel die der Antigone und bescheidne, aber leichtgeschürzte und doch
gehaltvolle Gelegenheitsfestdichtungen abgerechnet -- nicht selbst Kunst sein,
sondern Wissenschaft der Kunst, und die Wissenschaft muß nun einmal lehrhaft
sein, und dieser ernste Forscher mochte eben der Strenge der Wissenschaft nichts
vergeben. Leichiflüssigkeit war, so sehr auch seine Schreibweise Klarheit und
Sicherheit der Gedankenführung mit Tiefe vereinigte, nun einmal nicht die Sache
seiner Darstellung, und gegen die Mühen schwerer Gedankenfracht hat das große
Publikum ein sichres Mittel: es drückt sich um sie herum. Drei seiner Werke,
die sich auch leichter faßlicher Gefälligkeit nähern, sind aber doch in etwas weitere
Leserkreise eingedrungen, wenn auch jetzt bei weitem noch nicht in dem Maße,
wie sie es verdienen: sein Beitrag zu dem großen Sammelwerke von Dohm,
"Kunst und Künstler des neunzehnten Jahrhunderts", über die sogenannten
Nazarener (Cornelius, Overbeck, Schmorr, Veit, Führich), 1883 und 1885;
die in dem köstlichen Buche "Kunst, Künstler und Kunstwerke" (1889) ge¬
sammelten Aufsätze und endlich "Goethes Faustdichtung in ihrer künstlerischen
Einheit dargestellt" (1394). Am meisten begegnet uns sein Name noch in den nach
ihm und H. Schiller benannten Deutschen Schulaufgaben des Ehlermannschen
Verlages. Die zahlreichen von Veit Valentin selber in dieser Sammlung
herausgegebnen Dichterwerke sind aber in einer so tiefsinnigen Gliederung, einer
Betrachtung nach so hohen Gesichtspunkten kommentiert und kommen denkfauler
Bequemlichkeit und Oberflächlichkeit so wenig entgegen, daß bei diesen Ausgaben
dem gewöhnlichen Schüler und auch wohl manchem Lehrer nicht recht geheuer
zumute ist. In einem engern, für ihn und an sich höchst ansehnlichen Kreise
seiner Vaterstadt Frankfurt am Main hat aber Veit Valentin der Vater eine
lange, ihn beglückende und mächtig ausfüllende unmittelbare Notorietät besessen
als der fünfzehn Jahre lang (von 1885 bis 1900) amtierende Vorsitzende des
Akademischen Gesamtausschusses des Freien deutschen Hochstifts, eine Stellung,
mit der an sich ein leitender Gesamteinfluß auf dieses illustre Bildungsinstitut
verbunden ist und bei diesem in persönlichen Beiträgen und organisatorischer
Tätigkeit unermüdlich regen und berufnen Geiste sicherlich in hervorragendem
Maße verbunden war.

Der junge Veit Valentin ist Historiker und gehört zu den glücklichen
Naturen, bei denen die Wahl des Berufs durch eine ganz entschiedn" Anlage
und Neigung vorweg bestimmt ist. Als ich an den heranwachsenden Jüngling
-- er war Obersekundaner, es sind erst acht Jahre her -- die übliche Haupt¬
frage eines väterlichen Freundes richtete, was er denn werden wollte, ant¬
wortete er mit leuchtenden Augen ohne Besinnung: Historiker. Drei Aufgaben
hat die Geschichtswissenschaft: die Erforschung des Geschehenen, die Darstellung
des Erforschten, das Urteil über das Dargestellte an dem Maßstabe politischer,
sittlicher und kultureller, letzthin auch philosophisch-religiöser Leitgedanken. Die
reine Forschung pflegt nüchtern gehalten zu werden und sich nur an die Fach-


Veit Valentin

seiner Belehrungen herausspringen. Was er schuf, wollte ja — Nachbildungen
wie zum Beispiel die der Antigone und bescheidne, aber leichtgeschürzte und doch
gehaltvolle Gelegenheitsfestdichtungen abgerechnet — nicht selbst Kunst sein,
sondern Wissenschaft der Kunst, und die Wissenschaft muß nun einmal lehrhaft
sein, und dieser ernste Forscher mochte eben der Strenge der Wissenschaft nichts
vergeben. Leichiflüssigkeit war, so sehr auch seine Schreibweise Klarheit und
Sicherheit der Gedankenführung mit Tiefe vereinigte, nun einmal nicht die Sache
seiner Darstellung, und gegen die Mühen schwerer Gedankenfracht hat das große
Publikum ein sichres Mittel: es drückt sich um sie herum. Drei seiner Werke,
die sich auch leichter faßlicher Gefälligkeit nähern, sind aber doch in etwas weitere
Leserkreise eingedrungen, wenn auch jetzt bei weitem noch nicht in dem Maße,
wie sie es verdienen: sein Beitrag zu dem großen Sammelwerke von Dohm,
„Kunst und Künstler des neunzehnten Jahrhunderts", über die sogenannten
Nazarener (Cornelius, Overbeck, Schmorr, Veit, Führich), 1883 und 1885;
die in dem köstlichen Buche „Kunst, Künstler und Kunstwerke" (1889) ge¬
sammelten Aufsätze und endlich „Goethes Faustdichtung in ihrer künstlerischen
Einheit dargestellt" (1394). Am meisten begegnet uns sein Name noch in den nach
ihm und H. Schiller benannten Deutschen Schulaufgaben des Ehlermannschen
Verlages. Die zahlreichen von Veit Valentin selber in dieser Sammlung
herausgegebnen Dichterwerke sind aber in einer so tiefsinnigen Gliederung, einer
Betrachtung nach so hohen Gesichtspunkten kommentiert und kommen denkfauler
Bequemlichkeit und Oberflächlichkeit so wenig entgegen, daß bei diesen Ausgaben
dem gewöhnlichen Schüler und auch wohl manchem Lehrer nicht recht geheuer
zumute ist. In einem engern, für ihn und an sich höchst ansehnlichen Kreise
seiner Vaterstadt Frankfurt am Main hat aber Veit Valentin der Vater eine
lange, ihn beglückende und mächtig ausfüllende unmittelbare Notorietät besessen
als der fünfzehn Jahre lang (von 1885 bis 1900) amtierende Vorsitzende des
Akademischen Gesamtausschusses des Freien deutschen Hochstifts, eine Stellung,
mit der an sich ein leitender Gesamteinfluß auf dieses illustre Bildungsinstitut
verbunden ist und bei diesem in persönlichen Beiträgen und organisatorischer
Tätigkeit unermüdlich regen und berufnen Geiste sicherlich in hervorragendem
Maße verbunden war.

Der junge Veit Valentin ist Historiker und gehört zu den glücklichen
Naturen, bei denen die Wahl des Berufs durch eine ganz entschiedn« Anlage
und Neigung vorweg bestimmt ist. Als ich an den heranwachsenden Jüngling
— er war Obersekundaner, es sind erst acht Jahre her — die übliche Haupt¬
frage eines väterlichen Freundes richtete, was er denn werden wollte, ant¬
wortete er mit leuchtenden Augen ohne Besinnung: Historiker. Drei Aufgaben
hat die Geschichtswissenschaft: die Erforschung des Geschehenen, die Darstellung
des Erforschten, das Urteil über das Dargestellte an dem Maßstabe politischer,
sittlicher und kultureller, letzthin auch philosophisch-religiöser Leitgedanken. Die
reine Forschung pflegt nüchtern gehalten zu werden und sich nur an die Fach-


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[0232] Veit Valentin seiner Belehrungen herausspringen. Was er schuf, wollte ja — Nachbildungen wie zum Beispiel die der Antigone und bescheidne, aber leichtgeschürzte und doch gehaltvolle Gelegenheitsfestdichtungen abgerechnet — nicht selbst Kunst sein, sondern Wissenschaft der Kunst, und die Wissenschaft muß nun einmal lehrhaft sein, und dieser ernste Forscher mochte eben der Strenge der Wissenschaft nichts vergeben. Leichiflüssigkeit war, so sehr auch seine Schreibweise Klarheit und Sicherheit der Gedankenführung mit Tiefe vereinigte, nun einmal nicht die Sache seiner Darstellung, und gegen die Mühen schwerer Gedankenfracht hat das große Publikum ein sichres Mittel: es drückt sich um sie herum. Drei seiner Werke, die sich auch leichter faßlicher Gefälligkeit nähern, sind aber doch in etwas weitere Leserkreise eingedrungen, wenn auch jetzt bei weitem noch nicht in dem Maße, wie sie es verdienen: sein Beitrag zu dem großen Sammelwerke von Dohm, „Kunst und Künstler des neunzehnten Jahrhunderts", über die sogenannten Nazarener (Cornelius, Overbeck, Schmorr, Veit, Führich), 1883 und 1885; die in dem köstlichen Buche „Kunst, Künstler und Kunstwerke" (1889) ge¬ sammelten Aufsätze und endlich „Goethes Faustdichtung in ihrer künstlerischen Einheit dargestellt" (1394). Am meisten begegnet uns sein Name noch in den nach ihm und H. Schiller benannten Deutschen Schulaufgaben des Ehlermannschen Verlages. Die zahlreichen von Veit Valentin selber in dieser Sammlung herausgegebnen Dichterwerke sind aber in einer so tiefsinnigen Gliederung, einer Betrachtung nach so hohen Gesichtspunkten kommentiert und kommen denkfauler Bequemlichkeit und Oberflächlichkeit so wenig entgegen, daß bei diesen Ausgaben dem gewöhnlichen Schüler und auch wohl manchem Lehrer nicht recht geheuer zumute ist. In einem engern, für ihn und an sich höchst ansehnlichen Kreise seiner Vaterstadt Frankfurt am Main hat aber Veit Valentin der Vater eine lange, ihn beglückende und mächtig ausfüllende unmittelbare Notorietät besessen als der fünfzehn Jahre lang (von 1885 bis 1900) amtierende Vorsitzende des Akademischen Gesamtausschusses des Freien deutschen Hochstifts, eine Stellung, mit der an sich ein leitender Gesamteinfluß auf dieses illustre Bildungsinstitut verbunden ist und bei diesem in persönlichen Beiträgen und organisatorischer Tätigkeit unermüdlich regen und berufnen Geiste sicherlich in hervorragendem Maße verbunden war. Der junge Veit Valentin ist Historiker und gehört zu den glücklichen Naturen, bei denen die Wahl des Berufs durch eine ganz entschiedn« Anlage und Neigung vorweg bestimmt ist. Als ich an den heranwachsenden Jüngling — er war Obersekundaner, es sind erst acht Jahre her — die übliche Haupt¬ frage eines väterlichen Freundes richtete, was er denn werden wollte, ant¬ wortete er mit leuchtenden Augen ohne Besinnung: Historiker. Drei Aufgaben hat die Geschichtswissenschaft: die Erforschung des Geschehenen, die Darstellung des Erforschten, das Urteil über das Dargestellte an dem Maßstabe politischer, sittlicher und kultureller, letzthin auch philosophisch-religiöser Leitgedanken. Die reine Forschung pflegt nüchtern gehalten zu werden und sich nur an die Fach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/232>, abgerufen am 31.05.2024.