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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

Kindertage durchbrachen und meine junge Seele, die von der Kälte der Kirchen
und der Grüfte, wo nur die Bilder von Feuer und Blut und Qual heiß waren,
fror, mit ihrer sonnigen Wiesenwärme umfingen, sie taten mir mehr. Die Farben
ihrer Schilderungen, die mein Heimweh noch verklärte, und die Farben und Formen
ihrer Bilder -- es waren gute Farbendrucke nach Aquarellen tüchtiger Künstler --
nährten meinen Farben- und Formensinn so kräftig und machten den Nachahmungs¬
trieb in mir so mächtig, daß ich als Quintaner und Quartaner die Bilder nachzu¬
malen suchte. Das lichte Blau ferner Berge, das tiefere Blau ferner Wälder, das
Gelbgrün des sonnigen Rasens, die bunten Mustangs, ihr farbiger Leder- und
Federschmuck, die hirschledernen Beinkleider der wilden Reiter, die mit Stachel¬
schweinborsten und bunten Glasperlen gestickten Mokassins, die Federkronen der
Häuptlinge, die Tomahawks, die Bogen, die Lanzen, die roten Friedenspfeifen, das
alles bildete ich ängstlich gewissenhaft nach. Und es gelang.

In zerlesnen, unzusammenhängenden Nummern kam mir um dieselbe Zeit
die Stuttgarter illustrierte Zeitung "Über Land und Meer" in die Hände. Darin
erschienen damals Bilder aus dem Vogelleben von Giacometti und Monatsbilder
von demselben Künstler, deren Motive ebenfalls dem Vogelleben entnommen waren.
Diese Bilder mit den lieben Vogelgestalten, die im Sonnenschein, die Flügel
spreitend, oder im Regen oder Schnee mit aufgeplustertem Gefieder enggedrängt
saßen, machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich habe sie seit jener Zeit nicht
mehr gesehen, soweit ich nach dem Erinnerungsbilde urteilen kann, waren sie scharf
beobachtet, naturalistisch, fast wie japanische Vogeldarstellungen. Der Holzschnitt, in
demi die Zeichnungen reproduziert waren, wirkte farbig. Aber der Naturalismus
dieser Bilder genügte mir noch nicht, ich wollte Farbe für die Tierchen, von denen
ich wußte oder vielmehr ahnte, daß sie bunt seien. Ich ahnte dies nur, denn ich
hatte schon lange keinen Vogel mehr gesehen als Sperlinge, Hühner und die rasch
durch mein Stückchen Himmelblau schießenden Schwalben. Vermutlich drängte mich
der farbig wirkende Holzschnitt zu dem Versuch, die schwarzen Drucke in bunte
Ölbilder zu übertragen. Wie ich zu den Farben und zu dem Malgrund gekommen
bin, weiß ich nicht mehr, die Farben rieb ich mit Leinöl selbst an und hatte daher
mit ihrer sandigen Rauheit zu kämpfen. Der Übersetzungsversuch mißlang natürlich,
ich hatte keine klare Vorstellung von der Buntheit unsrer Vogelwelt. Aber meine
Nachahmungslust ermattete nicht. Als mir die Übersetzung der Holzschnitte in die
Farbe nicht gelang, zeichnete ich die Holzschnitte mit dem Bleistift ab, und zwar
so, daß ich die Striche des Holzschnitts mit der größten Gewissenhaftigkeit nach¬
ahmte. Ein Monatsbild mit schweren Fliederblütentrauben, Vögeln und Maikäfern,
ein dem mich die Nachahmung des Holzschnittstichs besonders lockte und anstrengte,
sehe ich noch deutlich vor mir. So fand mein Naturalismus seine Befriedigung,
wenn auch auf einem Irrweg.

Als ich diese wilde Schule durchlaufen hatte, gönnte mir die damalige Schul¬
ordnung in der Quarta endlich die Teilnahme am Zeichenunterricht. Man ließ
mich schnell über die Stufen hinwegkommen, die man dareingebaut hatte, und am
Ende des Jahres zeichnete ich mit dem Bleistift Köpfe Raffaelscher Gestalten nach
Vorlagen. Aber der Schritt, den man mir erlaubte, war mir zu langsam. Ich
lernte damals im deutschen Unterricht Bürgers Lied vom braven Mann kennen.
Wir mußten es auswendig lernen, das tat ich nicht gern, die Hilferufe: O braver
Mann, braver Mann, zeige dich! Verloren, verloren, wer rettet mich? verletzten
etwas in mir. Die Abneigung gegen das Zurschautragen eines wirklichen oder gar
eines nachempfundnen Gefühls war und blieb so stark in mir, daß mir die ganze
Schulzeit hindurch vor dem Drankommen bei der Rezitation pathetischer Gedichte


Meine Jugend und die Religion

Kindertage durchbrachen und meine junge Seele, die von der Kälte der Kirchen
und der Grüfte, wo nur die Bilder von Feuer und Blut und Qual heiß waren,
fror, mit ihrer sonnigen Wiesenwärme umfingen, sie taten mir mehr. Die Farben
ihrer Schilderungen, die mein Heimweh noch verklärte, und die Farben und Formen
ihrer Bilder — es waren gute Farbendrucke nach Aquarellen tüchtiger Künstler —
nährten meinen Farben- und Formensinn so kräftig und machten den Nachahmungs¬
trieb in mir so mächtig, daß ich als Quintaner und Quartaner die Bilder nachzu¬
malen suchte. Das lichte Blau ferner Berge, das tiefere Blau ferner Wälder, das
Gelbgrün des sonnigen Rasens, die bunten Mustangs, ihr farbiger Leder- und
Federschmuck, die hirschledernen Beinkleider der wilden Reiter, die mit Stachel¬
schweinborsten und bunten Glasperlen gestickten Mokassins, die Federkronen der
Häuptlinge, die Tomahawks, die Bogen, die Lanzen, die roten Friedenspfeifen, das
alles bildete ich ängstlich gewissenhaft nach. Und es gelang.

In zerlesnen, unzusammenhängenden Nummern kam mir um dieselbe Zeit
die Stuttgarter illustrierte Zeitung „Über Land und Meer" in die Hände. Darin
erschienen damals Bilder aus dem Vogelleben von Giacometti und Monatsbilder
von demselben Künstler, deren Motive ebenfalls dem Vogelleben entnommen waren.
Diese Bilder mit den lieben Vogelgestalten, die im Sonnenschein, die Flügel
spreitend, oder im Regen oder Schnee mit aufgeplustertem Gefieder enggedrängt
saßen, machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich habe sie seit jener Zeit nicht
mehr gesehen, soweit ich nach dem Erinnerungsbilde urteilen kann, waren sie scharf
beobachtet, naturalistisch, fast wie japanische Vogeldarstellungen. Der Holzschnitt, in
demi die Zeichnungen reproduziert waren, wirkte farbig. Aber der Naturalismus
dieser Bilder genügte mir noch nicht, ich wollte Farbe für die Tierchen, von denen
ich wußte oder vielmehr ahnte, daß sie bunt seien. Ich ahnte dies nur, denn ich
hatte schon lange keinen Vogel mehr gesehen als Sperlinge, Hühner und die rasch
durch mein Stückchen Himmelblau schießenden Schwalben. Vermutlich drängte mich
der farbig wirkende Holzschnitt zu dem Versuch, die schwarzen Drucke in bunte
Ölbilder zu übertragen. Wie ich zu den Farben und zu dem Malgrund gekommen
bin, weiß ich nicht mehr, die Farben rieb ich mit Leinöl selbst an und hatte daher
mit ihrer sandigen Rauheit zu kämpfen. Der Übersetzungsversuch mißlang natürlich,
ich hatte keine klare Vorstellung von der Buntheit unsrer Vogelwelt. Aber meine
Nachahmungslust ermattete nicht. Als mir die Übersetzung der Holzschnitte in die
Farbe nicht gelang, zeichnete ich die Holzschnitte mit dem Bleistift ab, und zwar
so, daß ich die Striche des Holzschnitts mit der größten Gewissenhaftigkeit nach¬
ahmte. Ein Monatsbild mit schweren Fliederblütentrauben, Vögeln und Maikäfern,
ein dem mich die Nachahmung des Holzschnittstichs besonders lockte und anstrengte,
sehe ich noch deutlich vor mir. So fand mein Naturalismus seine Befriedigung,
wenn auch auf einem Irrweg.

Als ich diese wilde Schule durchlaufen hatte, gönnte mir die damalige Schul¬
ordnung in der Quarta endlich die Teilnahme am Zeichenunterricht. Man ließ
mich schnell über die Stufen hinwegkommen, die man dareingebaut hatte, und am
Ende des Jahres zeichnete ich mit dem Bleistift Köpfe Raffaelscher Gestalten nach
Vorlagen. Aber der Schritt, den man mir erlaubte, war mir zu langsam. Ich
lernte damals im deutschen Unterricht Bürgers Lied vom braven Mann kennen.
Wir mußten es auswendig lernen, das tat ich nicht gern, die Hilferufe: O braver
Mann, braver Mann, zeige dich! Verloren, verloren, wer rettet mich? verletzten
etwas in mir. Die Abneigung gegen das Zurschautragen eines wirklichen oder gar
eines nachempfundnen Gefühls war und blieb so stark in mir, daß mir die ganze
Schulzeit hindurch vor dem Drankommen bei der Rezitation pathetischer Gedichte


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[0240] Meine Jugend und die Religion Kindertage durchbrachen und meine junge Seele, die von der Kälte der Kirchen und der Grüfte, wo nur die Bilder von Feuer und Blut und Qual heiß waren, fror, mit ihrer sonnigen Wiesenwärme umfingen, sie taten mir mehr. Die Farben ihrer Schilderungen, die mein Heimweh noch verklärte, und die Farben und Formen ihrer Bilder — es waren gute Farbendrucke nach Aquarellen tüchtiger Künstler — nährten meinen Farben- und Formensinn so kräftig und machten den Nachahmungs¬ trieb in mir so mächtig, daß ich als Quintaner und Quartaner die Bilder nachzu¬ malen suchte. Das lichte Blau ferner Berge, das tiefere Blau ferner Wälder, das Gelbgrün des sonnigen Rasens, die bunten Mustangs, ihr farbiger Leder- und Federschmuck, die hirschledernen Beinkleider der wilden Reiter, die mit Stachel¬ schweinborsten und bunten Glasperlen gestickten Mokassins, die Federkronen der Häuptlinge, die Tomahawks, die Bogen, die Lanzen, die roten Friedenspfeifen, das alles bildete ich ängstlich gewissenhaft nach. Und es gelang. In zerlesnen, unzusammenhängenden Nummern kam mir um dieselbe Zeit die Stuttgarter illustrierte Zeitung „Über Land und Meer" in die Hände. Darin erschienen damals Bilder aus dem Vogelleben von Giacometti und Monatsbilder von demselben Künstler, deren Motive ebenfalls dem Vogelleben entnommen waren. Diese Bilder mit den lieben Vogelgestalten, die im Sonnenschein, die Flügel spreitend, oder im Regen oder Schnee mit aufgeplustertem Gefieder enggedrängt saßen, machten einen tiefen Eindruck auf mich. Ich habe sie seit jener Zeit nicht mehr gesehen, soweit ich nach dem Erinnerungsbilde urteilen kann, waren sie scharf beobachtet, naturalistisch, fast wie japanische Vogeldarstellungen. Der Holzschnitt, in demi die Zeichnungen reproduziert waren, wirkte farbig. Aber der Naturalismus dieser Bilder genügte mir noch nicht, ich wollte Farbe für die Tierchen, von denen ich wußte oder vielmehr ahnte, daß sie bunt seien. Ich ahnte dies nur, denn ich hatte schon lange keinen Vogel mehr gesehen als Sperlinge, Hühner und die rasch durch mein Stückchen Himmelblau schießenden Schwalben. Vermutlich drängte mich der farbig wirkende Holzschnitt zu dem Versuch, die schwarzen Drucke in bunte Ölbilder zu übertragen. Wie ich zu den Farben und zu dem Malgrund gekommen bin, weiß ich nicht mehr, die Farben rieb ich mit Leinöl selbst an und hatte daher mit ihrer sandigen Rauheit zu kämpfen. Der Übersetzungsversuch mißlang natürlich, ich hatte keine klare Vorstellung von der Buntheit unsrer Vogelwelt. Aber meine Nachahmungslust ermattete nicht. Als mir die Übersetzung der Holzschnitte in die Farbe nicht gelang, zeichnete ich die Holzschnitte mit dem Bleistift ab, und zwar so, daß ich die Striche des Holzschnitts mit der größten Gewissenhaftigkeit nach¬ ahmte. Ein Monatsbild mit schweren Fliederblütentrauben, Vögeln und Maikäfern, ein dem mich die Nachahmung des Holzschnittstichs besonders lockte und anstrengte, sehe ich noch deutlich vor mir. So fand mein Naturalismus seine Befriedigung, wenn auch auf einem Irrweg. Als ich diese wilde Schule durchlaufen hatte, gönnte mir die damalige Schul¬ ordnung in der Quarta endlich die Teilnahme am Zeichenunterricht. Man ließ mich schnell über die Stufen hinwegkommen, die man dareingebaut hatte, und am Ende des Jahres zeichnete ich mit dem Bleistift Köpfe Raffaelscher Gestalten nach Vorlagen. Aber der Schritt, den man mir erlaubte, war mir zu langsam. Ich lernte damals im deutschen Unterricht Bürgers Lied vom braven Mann kennen. Wir mußten es auswendig lernen, das tat ich nicht gern, die Hilferufe: O braver Mann, braver Mann, zeige dich! Verloren, verloren, wer rettet mich? verletzten etwas in mir. Die Abneigung gegen das Zurschautragen eines wirklichen oder gar eines nachempfundnen Gefühls war und blieb so stark in mir, daß mir die ganze Schulzeit hindurch vor dem Drankommen bei der Rezitation pathetischer Gedichte

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/240>, abgerufen am 13.05.2024.