Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Literarische Rundschau

Vordergrund des Interesses geschoben werden soll, die doch gegenüber den
männlichen Gliedern des Hauses Castell und ihren männlichen Gegen¬
spielern mehr im Hintergrunde bleibt, nicht voll heraustritt, uns nicht so
warm macht.

Die historischen Erzählungen von Wilhelm Arminius "Der Hegereiter von
Rothenburg und andre Novellen" (Berlin, Alexander Duncker) sind gegenüber
dem weithin ausgreifenden Roman August Sperls echte, knappe Novellen, die
beste unter ihnen die Titelerzählung. Der besiegte Ritter ist zum Hegereiter
der Reichsstadt Rothenburg geworden. Er hat Wider die Pflicht einen Ritter
des feindlichen Markgrafen von Ansbach bei sich gewahrt, anstatt den in der
Feldschlacht Gefangnen dem Rat zu übergeben. Der Gefangne war niemand
anders als Albrecht Achilles selbst, der nun mit den zur Verhandlung in der
Stadt anwesenden und unverrichteter Sache wieder abziehenden Genossen durchs
Tor davonreitet. Der Hegereiter Kreklinger wird gefangengesetzt, und erst die
höchste Not der wieder von den Fürsten und Bischöfen bekämpften Stadt macht
ihn frei. Aber während er an der Spitze der Städter zum Kampf auszieht
und nun den ersten Sieg ersieht, ist die Tochter zu Albrecht Achill entwichen,
halb in Angst, den längst Geliebten vor dem Kampf gegen den Vater zu warnen,
halb von ihrer Liebe hingezogen. Nach kurzem Rausch kehrt sie, weggeworfen^
zurück, und der gebrochne Vater, den Schwachheit und Verrat seiner Mitbürger
Preisgeben, fällt, innerlich wehrlos geworden, unter dem Beil der Gegner. Auch
bei Arminius ist alles voller Leben und durchaus vollgesogen von historischem
Schauen, das wirklich das Antlitz vergangner Zeiten mit emporbringt.

Wie mancher ungehobne Schatz gerade in dieser Literaturgattung noch
vorhanden ist, zeigt ein Blick in die Ausgewählten Werke von Julius Grosse,
die jetzt von der Tochter des Dichters (bei Alexander Duncker) in drei Bänden
mit Einleitungen von Adolf Bartels, Josef Ettlinger, Hanns von Gumppen-
berg, Franz Muncker herausgegeben werden. Denn sie bringen neben Grosses
feiner, vielfach wundervoll quellender Lyrik, neben ein paar bezeichnenden
epischen Dichtungen und zwei Dramen einen ganz vortrefflichen historischen
Roman aus der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, "Das Bürgerweib
von Weimar". Es ist nicht mehr die Zeit der Hexenprozesse. Aber in dem
durch Kriegsgerüchte, Teuerung und andre Not aufgeregten thüringischen Haupt¬
städtchen ergreift doch der Verdacht der Zauberei ein Bürgerhaus, dessen immer
wachsender Reichtum und dessen überstolzes Gebaren den Neid herausfordern.
Das ganze Weimar, vom Fürsten ab bis zu dem letzten Bedienten des Hofes,
dem letzten Marktweib, lebt hier, bunt durcheinander, eng verbunden, ganz und
gar hineingezogen in die Schickung dieser Bürgerfrau, die alles in Atem hält.
Die Fäden verschlingen sich und entwirren sich wieder, die tüchtige und echte
Frau behält das Spiel in der Hand, die dunkeln Mächte, die noch aus dem
Mittelalter in die Heller werdende Zeit hineindenken, müssen weichen. Hier hat
sich Grosses Dichterkraft zusammengehalten wie selten in seiner umfangreichen


Grenzboten III 1909 34
Literarische Rundschau

Vordergrund des Interesses geschoben werden soll, die doch gegenüber den
männlichen Gliedern des Hauses Castell und ihren männlichen Gegen¬
spielern mehr im Hintergrunde bleibt, nicht voll heraustritt, uns nicht so
warm macht.

Die historischen Erzählungen von Wilhelm Arminius „Der Hegereiter von
Rothenburg und andre Novellen" (Berlin, Alexander Duncker) sind gegenüber
dem weithin ausgreifenden Roman August Sperls echte, knappe Novellen, die
beste unter ihnen die Titelerzählung. Der besiegte Ritter ist zum Hegereiter
der Reichsstadt Rothenburg geworden. Er hat Wider die Pflicht einen Ritter
des feindlichen Markgrafen von Ansbach bei sich gewahrt, anstatt den in der
Feldschlacht Gefangnen dem Rat zu übergeben. Der Gefangne war niemand
anders als Albrecht Achilles selbst, der nun mit den zur Verhandlung in der
Stadt anwesenden und unverrichteter Sache wieder abziehenden Genossen durchs
Tor davonreitet. Der Hegereiter Kreklinger wird gefangengesetzt, und erst die
höchste Not der wieder von den Fürsten und Bischöfen bekämpften Stadt macht
ihn frei. Aber während er an der Spitze der Städter zum Kampf auszieht
und nun den ersten Sieg ersieht, ist die Tochter zu Albrecht Achill entwichen,
halb in Angst, den längst Geliebten vor dem Kampf gegen den Vater zu warnen,
halb von ihrer Liebe hingezogen. Nach kurzem Rausch kehrt sie, weggeworfen^
zurück, und der gebrochne Vater, den Schwachheit und Verrat seiner Mitbürger
Preisgeben, fällt, innerlich wehrlos geworden, unter dem Beil der Gegner. Auch
bei Arminius ist alles voller Leben und durchaus vollgesogen von historischem
Schauen, das wirklich das Antlitz vergangner Zeiten mit emporbringt.

Wie mancher ungehobne Schatz gerade in dieser Literaturgattung noch
vorhanden ist, zeigt ein Blick in die Ausgewählten Werke von Julius Grosse,
die jetzt von der Tochter des Dichters (bei Alexander Duncker) in drei Bänden
mit Einleitungen von Adolf Bartels, Josef Ettlinger, Hanns von Gumppen-
berg, Franz Muncker herausgegeben werden. Denn sie bringen neben Grosses
feiner, vielfach wundervoll quellender Lyrik, neben ein paar bezeichnenden
epischen Dichtungen und zwei Dramen einen ganz vortrefflichen historischen
Roman aus der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, „Das Bürgerweib
von Weimar". Es ist nicht mehr die Zeit der Hexenprozesse. Aber in dem
durch Kriegsgerüchte, Teuerung und andre Not aufgeregten thüringischen Haupt¬
städtchen ergreift doch der Verdacht der Zauberei ein Bürgerhaus, dessen immer
wachsender Reichtum und dessen überstolzes Gebaren den Neid herausfordern.
Das ganze Weimar, vom Fürsten ab bis zu dem letzten Bedienten des Hofes,
dem letzten Marktweib, lebt hier, bunt durcheinander, eng verbunden, ganz und
gar hineingezogen in die Schickung dieser Bürgerfrau, die alles in Atem hält.
Die Fäden verschlingen sich und entwirren sich wieder, die tüchtige und echte
Frau behält das Spiel in der Hand, die dunkeln Mächte, die noch aus dem
Mittelalter in die Heller werdende Zeit hineindenken, müssen weichen. Hier hat
sich Grosses Dichterkraft zusammengehalten wie selten in seiner umfangreichen


Grenzboten III 1909 34
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0267" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313970"/>
          <fw type="header" place="top"> Literarische Rundschau</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1116" prev="#ID_1115"> Vordergrund des Interesses geschoben werden soll, die doch gegenüber den<lb/>
männlichen Gliedern des Hauses Castell und ihren männlichen Gegen¬<lb/>
spielern mehr im Hintergrunde bleibt, nicht voll heraustritt, uns nicht so<lb/>
warm macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117"> Die historischen Erzählungen von Wilhelm Arminius &#x201E;Der Hegereiter von<lb/>
Rothenburg und andre Novellen" (Berlin, Alexander Duncker) sind gegenüber<lb/>
dem weithin ausgreifenden Roman August Sperls echte, knappe Novellen, die<lb/>
beste unter ihnen die Titelerzählung. Der besiegte Ritter ist zum Hegereiter<lb/>
der Reichsstadt Rothenburg geworden. Er hat Wider die Pflicht einen Ritter<lb/>
des feindlichen Markgrafen von Ansbach bei sich gewahrt, anstatt den in der<lb/>
Feldschlacht Gefangnen dem Rat zu übergeben. Der Gefangne war niemand<lb/>
anders als Albrecht Achilles selbst, der nun mit den zur Verhandlung in der<lb/>
Stadt anwesenden und unverrichteter Sache wieder abziehenden Genossen durchs<lb/>
Tor davonreitet. Der Hegereiter Kreklinger wird gefangengesetzt, und erst die<lb/>
höchste Not der wieder von den Fürsten und Bischöfen bekämpften Stadt macht<lb/>
ihn frei. Aber während er an der Spitze der Städter zum Kampf auszieht<lb/>
und nun den ersten Sieg ersieht, ist die Tochter zu Albrecht Achill entwichen,<lb/>
halb in Angst, den längst Geliebten vor dem Kampf gegen den Vater zu warnen,<lb/>
halb von ihrer Liebe hingezogen. Nach kurzem Rausch kehrt sie, weggeworfen^<lb/>
zurück, und der gebrochne Vater, den Schwachheit und Verrat seiner Mitbürger<lb/>
Preisgeben, fällt, innerlich wehrlos geworden, unter dem Beil der Gegner. Auch<lb/>
bei Arminius ist alles voller Leben und durchaus vollgesogen von historischem<lb/>
Schauen, das wirklich das Antlitz vergangner Zeiten mit emporbringt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118" next="#ID_1119"> Wie mancher ungehobne Schatz gerade in dieser Literaturgattung noch<lb/>
vorhanden ist, zeigt ein Blick in die Ausgewählten Werke von Julius Grosse,<lb/>
die jetzt von der Tochter des Dichters (bei Alexander Duncker) in drei Bänden<lb/>
mit Einleitungen von Adolf Bartels, Josef Ettlinger, Hanns von Gumppen-<lb/>
berg, Franz Muncker herausgegeben werden. Denn sie bringen neben Grosses<lb/>
feiner, vielfach wundervoll quellender Lyrik, neben ein paar bezeichnenden<lb/>
epischen Dichtungen und zwei Dramen einen ganz vortrefflichen historischen<lb/>
Roman aus der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, &#x201E;Das Bürgerweib<lb/>
von Weimar". Es ist nicht mehr die Zeit der Hexenprozesse. Aber in dem<lb/>
durch Kriegsgerüchte, Teuerung und andre Not aufgeregten thüringischen Haupt¬<lb/>
städtchen ergreift doch der Verdacht der Zauberei ein Bürgerhaus, dessen immer<lb/>
wachsender Reichtum und dessen überstolzes Gebaren den Neid herausfordern.<lb/>
Das ganze Weimar, vom Fürsten ab bis zu dem letzten Bedienten des Hofes,<lb/>
dem letzten Marktweib, lebt hier, bunt durcheinander, eng verbunden, ganz und<lb/>
gar hineingezogen in die Schickung dieser Bürgerfrau, die alles in Atem hält.<lb/>
Die Fäden verschlingen sich und entwirren sich wieder, die tüchtige und echte<lb/>
Frau behält das Spiel in der Hand, die dunkeln Mächte, die noch aus dem<lb/>
Mittelalter in die Heller werdende Zeit hineindenken, müssen weichen. Hier hat<lb/>
sich Grosses Dichterkraft zusammengehalten wie selten in seiner umfangreichen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1909 34</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0267] Literarische Rundschau Vordergrund des Interesses geschoben werden soll, die doch gegenüber den männlichen Gliedern des Hauses Castell und ihren männlichen Gegen¬ spielern mehr im Hintergrunde bleibt, nicht voll heraustritt, uns nicht so warm macht. Die historischen Erzählungen von Wilhelm Arminius „Der Hegereiter von Rothenburg und andre Novellen" (Berlin, Alexander Duncker) sind gegenüber dem weithin ausgreifenden Roman August Sperls echte, knappe Novellen, die beste unter ihnen die Titelerzählung. Der besiegte Ritter ist zum Hegereiter der Reichsstadt Rothenburg geworden. Er hat Wider die Pflicht einen Ritter des feindlichen Markgrafen von Ansbach bei sich gewahrt, anstatt den in der Feldschlacht Gefangnen dem Rat zu übergeben. Der Gefangne war niemand anders als Albrecht Achilles selbst, der nun mit den zur Verhandlung in der Stadt anwesenden und unverrichteter Sache wieder abziehenden Genossen durchs Tor davonreitet. Der Hegereiter Kreklinger wird gefangengesetzt, und erst die höchste Not der wieder von den Fürsten und Bischöfen bekämpften Stadt macht ihn frei. Aber während er an der Spitze der Städter zum Kampf auszieht und nun den ersten Sieg ersieht, ist die Tochter zu Albrecht Achill entwichen, halb in Angst, den längst Geliebten vor dem Kampf gegen den Vater zu warnen, halb von ihrer Liebe hingezogen. Nach kurzem Rausch kehrt sie, weggeworfen^ zurück, und der gebrochne Vater, den Schwachheit und Verrat seiner Mitbürger Preisgeben, fällt, innerlich wehrlos geworden, unter dem Beil der Gegner. Auch bei Arminius ist alles voller Leben und durchaus vollgesogen von historischem Schauen, das wirklich das Antlitz vergangner Zeiten mit emporbringt. Wie mancher ungehobne Schatz gerade in dieser Literaturgattung noch vorhanden ist, zeigt ein Blick in die Ausgewählten Werke von Julius Grosse, die jetzt von der Tochter des Dichters (bei Alexander Duncker) in drei Bänden mit Einleitungen von Adolf Bartels, Josef Ettlinger, Hanns von Gumppen- berg, Franz Muncker herausgegeben werden. Denn sie bringen neben Grosses feiner, vielfach wundervoll quellender Lyrik, neben ein paar bezeichnenden epischen Dichtungen und zwei Dramen einen ganz vortrefflichen historischen Roman aus der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts, „Das Bürgerweib von Weimar". Es ist nicht mehr die Zeit der Hexenprozesse. Aber in dem durch Kriegsgerüchte, Teuerung und andre Not aufgeregten thüringischen Haupt¬ städtchen ergreift doch der Verdacht der Zauberei ein Bürgerhaus, dessen immer wachsender Reichtum und dessen überstolzes Gebaren den Neid herausfordern. Das ganze Weimar, vom Fürsten ab bis zu dem letzten Bedienten des Hofes, dem letzten Marktweib, lebt hier, bunt durcheinander, eng verbunden, ganz und gar hineingezogen in die Schickung dieser Bürgerfrau, die alles in Atem hält. Die Fäden verschlingen sich und entwirren sich wieder, die tüchtige und echte Frau behält das Spiel in der Hand, die dunkeln Mächte, die noch aus dem Mittelalter in die Heller werdende Zeit hineindenken, müssen weichen. Hier hat sich Grosses Dichterkraft zusammengehalten wie selten in seiner umfangreichen Grenzboten III 1909 34

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/267
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/267>, abgerufen am 27.05.2024.