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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78H

Wohl niöglich gewesen. Aber seine Charakterschwäche und Oberflächlichkeit sowie
andre, außer ihm liegende Verhältnisse ließen es nicht mehr dahin kommen.
Seit dem Mai 1788, wo Brienne und Lamoignon mit ihren Reformplänen
hervorgetreten waren, nahm der Gedanke der den Staat zersetzenden Selbst¬
verwaltung, des Provinzialpartikularismus, eine erschreckende Gestalt an; es
schien, als ob sich Frankreich in seine Provinzen auflösen wollte, so laut wurde
der Ruf nach Provinzialständen, die ja nun auch nach Neckers Programm
an Stelle der Provinzialversammlungen in Aussicht gestellt wurden. Andre böse
Zeichen der Zeit bestanden in der immer offner hervortretenden Verhöhnung
des Königs; in den heimlichen Versuchen, den elenden Herzog von Orleans
auf den Thron zu bringen; in den Plänen der Geliebten des Grafen von der
Provence, des königlichen Bruders, unter Entfernung der Königin Marie
Antoinette eine Regentschaft unter Leitung ihres Freundes einzurichten; endlich
in dem vielfachen Versagen der Armee, in der sich von den Generalen herab
bis zu den Gemeinen die Disziplinlosigkeiten häuften. Und alledem gegenüber
fuhr Necker mit seinen Sympathiekundgebungen für den dritten Stand fort;
wie er denn alle Schriften zugunsten der beiden ersten Stände unterdrückte und
sich über die Verlegenheiten der Privilegierten freute, da er sie dann in den
Generalständen gefügiger zu finden hoffte. Zu spät gingen ihm, seinem Be¬
wunderer, dem österreichischen Botschafter, und der Königin die Augen auf;
zu spät erkannte er, wo hinaus die antimvnarchische Gesinnung des dritten
Standes, der herrschende Geist der Tollheit führen mußten. Neckers Vertrauen
brach vollends zusammen, als sich der Getreidemangel infolge der ungünstigen
Ernte fühlbar zu machen begann, und als die Wahlen zu den Generalständen
immer radikalere Wünsche zelligem und vielfach unerwünschte Kandidaten zu¬
tage förderten. Zu spät suchte er durch die Eröffnungsrede der Generalstände
am 5. Mai 1789 einzulenken; in ihr brachte er es nur dahin, daß die Ne¬
gierung gar keine Partei mehr für sich hatte. Denn in dem Bestreben, wirklich
unparteiisch zu sein, schmeichelte er bald dem Adel, bald dem dritten Stande
und verdarb es dadurch mit beiden. Was nützte es demgegenüber, wenn er
die Drohung durchblicken ließ, daß die Regierung die von ihr berufnen
Generalstände auch wieder entlassen könne, und daß die Finanzen auch ohne
diese in Ordnung zu bringen seien; Behauptungen, die doch nur neue Mi߬
stimmung und Erregung hervorrufen mußten. Was noch die Wahlen zu jener
Versammlung angeht, so sei hier nur bemerkt, daß der Wahlmodus überaus
kompliziert war, noch weit verwickelter als in diesen Tagen der zu den rus¬
sischen Dünen, daß man sich aber im großen und ganzen an die Bestimmungen
hielt, die in den Bureaus der zweiten Notabelnversammlung festgesetzt worden
waren. Bei den Wahlen selbst zeigten sich hier und da Gegensätze, und zwar
noch mehr zwischen den beiden ersten Ständen als zwischen dem Adel und dem
dritten Stande, zwischen denen in den meisten Fällen sonst ein gutes Einver¬
nehmen vorherrschte, sodaß sie öfters eine gemeinsame Denkschrift lMier) für


Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78H

Wohl niöglich gewesen. Aber seine Charakterschwäche und Oberflächlichkeit sowie
andre, außer ihm liegende Verhältnisse ließen es nicht mehr dahin kommen.
Seit dem Mai 1788, wo Brienne und Lamoignon mit ihren Reformplänen
hervorgetreten waren, nahm der Gedanke der den Staat zersetzenden Selbst¬
verwaltung, des Provinzialpartikularismus, eine erschreckende Gestalt an; es
schien, als ob sich Frankreich in seine Provinzen auflösen wollte, so laut wurde
der Ruf nach Provinzialständen, die ja nun auch nach Neckers Programm
an Stelle der Provinzialversammlungen in Aussicht gestellt wurden. Andre böse
Zeichen der Zeit bestanden in der immer offner hervortretenden Verhöhnung
des Königs; in den heimlichen Versuchen, den elenden Herzog von Orleans
auf den Thron zu bringen; in den Plänen der Geliebten des Grafen von der
Provence, des königlichen Bruders, unter Entfernung der Königin Marie
Antoinette eine Regentschaft unter Leitung ihres Freundes einzurichten; endlich
in dem vielfachen Versagen der Armee, in der sich von den Generalen herab
bis zu den Gemeinen die Disziplinlosigkeiten häuften. Und alledem gegenüber
fuhr Necker mit seinen Sympathiekundgebungen für den dritten Stand fort;
wie er denn alle Schriften zugunsten der beiden ersten Stände unterdrückte und
sich über die Verlegenheiten der Privilegierten freute, da er sie dann in den
Generalständen gefügiger zu finden hoffte. Zu spät gingen ihm, seinem Be¬
wunderer, dem österreichischen Botschafter, und der Königin die Augen auf;
zu spät erkannte er, wo hinaus die antimvnarchische Gesinnung des dritten
Standes, der herrschende Geist der Tollheit führen mußten. Neckers Vertrauen
brach vollends zusammen, als sich der Getreidemangel infolge der ungünstigen
Ernte fühlbar zu machen begann, und als die Wahlen zu den Generalständen
immer radikalere Wünsche zelligem und vielfach unerwünschte Kandidaten zu¬
tage förderten. Zu spät suchte er durch die Eröffnungsrede der Generalstände
am 5. Mai 1789 einzulenken; in ihr brachte er es nur dahin, daß die Ne¬
gierung gar keine Partei mehr für sich hatte. Denn in dem Bestreben, wirklich
unparteiisch zu sein, schmeichelte er bald dem Adel, bald dem dritten Stande
und verdarb es dadurch mit beiden. Was nützte es demgegenüber, wenn er
die Drohung durchblicken ließ, daß die Regierung die von ihr berufnen
Generalstände auch wieder entlassen könne, und daß die Finanzen auch ohne
diese in Ordnung zu bringen seien; Behauptungen, die doch nur neue Mi߬
stimmung und Erregung hervorrufen mußten. Was noch die Wahlen zu jener
Versammlung angeht, so sei hier nur bemerkt, daß der Wahlmodus überaus
kompliziert war, noch weit verwickelter als in diesen Tagen der zu den rus¬
sischen Dünen, daß man sich aber im großen und ganzen an die Bestimmungen
hielt, die in den Bureaus der zweiten Notabelnversammlung festgesetzt worden
waren. Bei den Wahlen selbst zeigten sich hier und da Gegensätze, und zwar
noch mehr zwischen den beiden ersten Ständen als zwischen dem Adel und dem
dritten Stande, zwischen denen in den meisten Fällen sonst ein gutes Einver¬
nehmen vorherrschte, sodaß sie öfters eine gemeinsame Denkschrift lMier) für


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[0317] Vorgeschichte der französischen Revolution von ^78H Wohl niöglich gewesen. Aber seine Charakterschwäche und Oberflächlichkeit sowie andre, außer ihm liegende Verhältnisse ließen es nicht mehr dahin kommen. Seit dem Mai 1788, wo Brienne und Lamoignon mit ihren Reformplänen hervorgetreten waren, nahm der Gedanke der den Staat zersetzenden Selbst¬ verwaltung, des Provinzialpartikularismus, eine erschreckende Gestalt an; es schien, als ob sich Frankreich in seine Provinzen auflösen wollte, so laut wurde der Ruf nach Provinzialständen, die ja nun auch nach Neckers Programm an Stelle der Provinzialversammlungen in Aussicht gestellt wurden. Andre böse Zeichen der Zeit bestanden in der immer offner hervortretenden Verhöhnung des Königs; in den heimlichen Versuchen, den elenden Herzog von Orleans auf den Thron zu bringen; in den Plänen der Geliebten des Grafen von der Provence, des königlichen Bruders, unter Entfernung der Königin Marie Antoinette eine Regentschaft unter Leitung ihres Freundes einzurichten; endlich in dem vielfachen Versagen der Armee, in der sich von den Generalen herab bis zu den Gemeinen die Disziplinlosigkeiten häuften. Und alledem gegenüber fuhr Necker mit seinen Sympathiekundgebungen für den dritten Stand fort; wie er denn alle Schriften zugunsten der beiden ersten Stände unterdrückte und sich über die Verlegenheiten der Privilegierten freute, da er sie dann in den Generalständen gefügiger zu finden hoffte. Zu spät gingen ihm, seinem Be¬ wunderer, dem österreichischen Botschafter, und der Königin die Augen auf; zu spät erkannte er, wo hinaus die antimvnarchische Gesinnung des dritten Standes, der herrschende Geist der Tollheit führen mußten. Neckers Vertrauen brach vollends zusammen, als sich der Getreidemangel infolge der ungünstigen Ernte fühlbar zu machen begann, und als die Wahlen zu den Generalständen immer radikalere Wünsche zelligem und vielfach unerwünschte Kandidaten zu¬ tage förderten. Zu spät suchte er durch die Eröffnungsrede der Generalstände am 5. Mai 1789 einzulenken; in ihr brachte er es nur dahin, daß die Ne¬ gierung gar keine Partei mehr für sich hatte. Denn in dem Bestreben, wirklich unparteiisch zu sein, schmeichelte er bald dem Adel, bald dem dritten Stande und verdarb es dadurch mit beiden. Was nützte es demgegenüber, wenn er die Drohung durchblicken ließ, daß die Regierung die von ihr berufnen Generalstände auch wieder entlassen könne, und daß die Finanzen auch ohne diese in Ordnung zu bringen seien; Behauptungen, die doch nur neue Mi߬ stimmung und Erregung hervorrufen mußten. Was noch die Wahlen zu jener Versammlung angeht, so sei hier nur bemerkt, daß der Wahlmodus überaus kompliziert war, noch weit verwickelter als in diesen Tagen der zu den rus¬ sischen Dünen, daß man sich aber im großen und ganzen an die Bestimmungen hielt, die in den Bureaus der zweiten Notabelnversammlung festgesetzt worden waren. Bei den Wahlen selbst zeigten sich hier und da Gegensätze, und zwar noch mehr zwischen den beiden ersten Ständen als zwischen dem Adel und dem dritten Stande, zwischen denen in den meisten Fällen sonst ein gutes Einver¬ nehmen vorherrschte, sodaß sie öfters eine gemeinsame Denkschrift lMier) für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/317>, abgerufen am 12.05.2024.