Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der rote Hahn

Klein-Jnger, so etwas mußt du nicht sagen, hörst du. Das bringt nur Ver¬
druß. Die Hausfrau streichelte Jngers Wange still und sanft.

Mutter -- soll man nicht immer die Wahrheit sagen -- wenn man ge¬
fragt wird?

Aber man soll so etwas nicht ausschreien. Frau Hilmer wandte sich um und
wollte ins Haus gehn.

Hör einmal, Mutter, sagte Jnger und vertrat ihr den Weg. Ehe es im
Herbst brannte, gingt ihr, du und der Vater, herum und ließet die Köpfe hängen,
und ihr sagtet, es stünde ganz schlimm. Und seit das Ganze überstanden war,
ist es uns so gut gegangen wie nie vorher, soweit ich zurückdenken kann.

Das haben wir dem Brand und der Versicherung zu verdanken. Herrgott,
wir haben doch das Feuer nicht selbst angelegt, weshalb sollen wir die Dinge nicht
erzählen, wie sie sind?

Frau Hilmer schwieg und ging langsam dem Hause z". Dann sagte sie ein
wenig kurz: Seht nun, daß ihr mit der Arbeit fertig werdet, Kinder. Ich gehe
hinauf und ziehe mich zum Mittagessen um.

Tue das, Mütterchen. signe und ich werden die Wasche schon schaffen. Und
Jnger lächelte der Mutter freundlich nach. Dann wandte sie sich an signe.

Kannst du begreifen, weshalb Mutter niemals von dem Brande sprechen will?

signe stand mit einem Hemd in der Hand da, das sie eben auf die Leine
hängen wollte.

Ach ja, sagte sie, das kann ich sehr wohl.

Möchtest du da nun nicht so gut sein und es mir sagen? fragte Jnger.

Über so etwas spricht man nicht, Jnger. Du würdest doch auch Hofjäger¬
meisters auf Duelund nicht erzählen, daß Seydewitz und Justesen hier heraus¬
kommen und Steuerpfändungen vornehmen.

Das ist doch kein Unglück, meinte Jnger.

signe verließ das Thema: Nein, Seydewitz findet gewiß, daß es kein Un¬
glück ist.

Jnger machte sich wieder an die Arbeit.

signe, findest du nicht, daß Seydewitz ein schrecklicher Lasse ist? Gott weiß,
was er jetzt hier draußen will. Nun haben wir ein halbes Jahr vor ihm
Ruhe gehabt.

Ich finde ihn himmlisch, meinte signe ganz im Ernst.

Jnger amüsierte sich darüber.

Himmlisch -- wo hast du das gräßliche Wort her, himmlisch! Wenn er
dasteht und einen mit seinen stechenden Augen anblickt -- ach, ich hasse diesen
Männerblick, ich könnte ihm ins Gesicht schlagen.

Das wäre Sünde, er ist so hübsch, sagte signe lachend.

Jnger trat dicht vor sie hin: Kannst du denn nicht auch rasend ans ihn
werden? Denn er sieht dich natürlich ebenso unverschämt an.

Er hat solche himmlische Augen, sagte signe ein wenig verlegen.

Jnger geriet in Eifer: Ah, signe, dn solltest selbst hören, wie sich das an¬
hört. Aber dir gefällt es natürlich gerade. Dann machte sie sich wieder an die
Wäsche.

Du bist noch so grün, mein Kind, aber das kommt noch.

Was kommt noch? fragte Jnger.

Das! sagte signe wieder mit Lachen.

Was?

Männer. Denn sie kann wundervoll sein -- die Liebe.


Der rote Hahn

Klein-Jnger, so etwas mußt du nicht sagen, hörst du. Das bringt nur Ver¬
druß. Die Hausfrau streichelte Jngers Wange still und sanft.

Mutter — soll man nicht immer die Wahrheit sagen — wenn man ge¬
fragt wird?

Aber man soll so etwas nicht ausschreien. Frau Hilmer wandte sich um und
wollte ins Haus gehn.

Hör einmal, Mutter, sagte Jnger und vertrat ihr den Weg. Ehe es im
Herbst brannte, gingt ihr, du und der Vater, herum und ließet die Köpfe hängen,
und ihr sagtet, es stünde ganz schlimm. Und seit das Ganze überstanden war,
ist es uns so gut gegangen wie nie vorher, soweit ich zurückdenken kann.

Das haben wir dem Brand und der Versicherung zu verdanken. Herrgott,
wir haben doch das Feuer nicht selbst angelegt, weshalb sollen wir die Dinge nicht
erzählen, wie sie sind?

Frau Hilmer schwieg und ging langsam dem Hause z». Dann sagte sie ein
wenig kurz: Seht nun, daß ihr mit der Arbeit fertig werdet, Kinder. Ich gehe
hinauf und ziehe mich zum Mittagessen um.

Tue das, Mütterchen. signe und ich werden die Wasche schon schaffen. Und
Jnger lächelte der Mutter freundlich nach. Dann wandte sie sich an signe.

Kannst du begreifen, weshalb Mutter niemals von dem Brande sprechen will?

signe stand mit einem Hemd in der Hand da, das sie eben auf die Leine
hängen wollte.

Ach ja, sagte sie, das kann ich sehr wohl.

Möchtest du da nun nicht so gut sein und es mir sagen? fragte Jnger.

Über so etwas spricht man nicht, Jnger. Du würdest doch auch Hofjäger¬
meisters auf Duelund nicht erzählen, daß Seydewitz und Justesen hier heraus¬
kommen und Steuerpfändungen vornehmen.

Das ist doch kein Unglück, meinte Jnger.

signe verließ das Thema: Nein, Seydewitz findet gewiß, daß es kein Un¬
glück ist.

Jnger machte sich wieder an die Arbeit.

signe, findest du nicht, daß Seydewitz ein schrecklicher Lasse ist? Gott weiß,
was er jetzt hier draußen will. Nun haben wir ein halbes Jahr vor ihm
Ruhe gehabt.

Ich finde ihn himmlisch, meinte signe ganz im Ernst.

Jnger amüsierte sich darüber.

Himmlisch — wo hast du das gräßliche Wort her, himmlisch! Wenn er
dasteht und einen mit seinen stechenden Augen anblickt — ach, ich hasse diesen
Männerblick, ich könnte ihm ins Gesicht schlagen.

Das wäre Sünde, er ist so hübsch, sagte signe lachend.

Jnger trat dicht vor sie hin: Kannst du denn nicht auch rasend ans ihn
werden? Denn er sieht dich natürlich ebenso unverschämt an.

Er hat solche himmlische Augen, sagte signe ein wenig verlegen.

Jnger geriet in Eifer: Ah, signe, dn solltest selbst hören, wie sich das an¬
hört. Aber dir gefällt es natürlich gerade. Dann machte sie sich wieder an die
Wäsche.

Du bist noch so grün, mein Kind, aber das kommt noch.

Was kommt noch? fragte Jnger.

Das! sagte signe wieder mit Lachen.

Was?

Männer. Denn sie kann wundervoll sein — die Liebe.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0385" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314088"/>
          <fw type="header" place="top"> Der rote Hahn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1761"> Klein-Jnger, so etwas mußt du nicht sagen, hörst du. Das bringt nur Ver¬<lb/>
druß.  Die Hausfrau streichelte Jngers Wange still und sanft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1762"> Mutter &#x2014; soll man nicht immer die Wahrheit sagen &#x2014; wenn man ge¬<lb/>
fragt wird?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1763"> Aber man soll so etwas nicht ausschreien. Frau Hilmer wandte sich um und<lb/>
wollte ins Haus gehn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1764"> Hör einmal, Mutter, sagte Jnger und vertrat ihr den Weg. Ehe es im<lb/>
Herbst brannte, gingt ihr, du und der Vater, herum und ließet die Köpfe hängen,<lb/>
und ihr sagtet, es stünde ganz schlimm. Und seit das Ganze überstanden war,<lb/>
ist es uns so gut gegangen wie nie vorher, soweit ich zurückdenken kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1765"> Das haben wir dem Brand und der Versicherung zu verdanken. Herrgott,<lb/>
wir haben doch das Feuer nicht selbst angelegt, weshalb sollen wir die Dinge nicht<lb/>
erzählen, wie sie sind?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1766"> Frau Hilmer schwieg und ging langsam dem Hause z». Dann sagte sie ein<lb/>
wenig kurz: Seht nun, daß ihr mit der Arbeit fertig werdet, Kinder. Ich gehe<lb/>
hinauf und ziehe mich zum Mittagessen um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1767"> Tue das, Mütterchen. signe und ich werden die Wasche schon schaffen. Und<lb/>
Jnger lächelte der Mutter freundlich nach.  Dann wandte sie sich an signe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1768"> Kannst du begreifen, weshalb Mutter niemals von dem Brande sprechen will?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1769"> signe stand mit einem Hemd in der Hand da, das sie eben auf die Leine<lb/>
hängen wollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1770"> Ach ja, sagte sie, das kann ich sehr wohl.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1771"> Möchtest du da nun nicht so gut sein und es mir sagen? fragte Jnger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1772"> Über so etwas spricht man nicht, Jnger. Du würdest doch auch Hofjäger¬<lb/>
meisters auf Duelund nicht erzählen, daß Seydewitz und Justesen hier heraus¬<lb/>
kommen und Steuerpfändungen vornehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1773"> Das ist doch kein Unglück, meinte Jnger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1774"> signe verließ das Thema: Nein, Seydewitz findet gewiß, daß es kein Un¬<lb/>
glück ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1775"> Jnger machte sich wieder an die Arbeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1776"> signe, findest du nicht, daß Seydewitz ein schrecklicher Lasse ist? Gott weiß,<lb/>
was er jetzt hier draußen will. Nun haben wir ein halbes Jahr vor ihm<lb/>
Ruhe gehabt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1777"> Ich finde ihn himmlisch, meinte signe ganz im Ernst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1778"> Jnger amüsierte sich darüber.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1779"> Himmlisch &#x2014; wo hast du das gräßliche Wort her, himmlisch! Wenn er<lb/>
dasteht und einen mit seinen stechenden Augen anblickt &#x2014; ach, ich hasse diesen<lb/>
Männerblick, ich könnte ihm ins Gesicht schlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1780"> Das wäre Sünde, er ist so hübsch, sagte signe lachend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1781"> Jnger trat dicht vor sie hin: Kannst du denn nicht auch rasend ans ihn<lb/>
werden? Denn er sieht dich natürlich ebenso unverschämt an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1782"> Er hat solche himmlische Augen, sagte signe ein wenig verlegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1783"> Jnger geriet in Eifer: Ah, signe, dn solltest selbst hören, wie sich das an¬<lb/>
hört. Aber dir gefällt es natürlich gerade. Dann machte sie sich wieder an die<lb/>
Wäsche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1784"> Du bist noch so grün, mein Kind, aber das kommt noch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1785"> Was kommt noch? fragte Jnger.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1786"> Das! sagte signe wieder mit Lachen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1787"> Was?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1788"> Männer.  Denn sie kann wundervoll sein &#x2014; die Liebe.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0385] Der rote Hahn Klein-Jnger, so etwas mußt du nicht sagen, hörst du. Das bringt nur Ver¬ druß. Die Hausfrau streichelte Jngers Wange still und sanft. Mutter — soll man nicht immer die Wahrheit sagen — wenn man ge¬ fragt wird? Aber man soll so etwas nicht ausschreien. Frau Hilmer wandte sich um und wollte ins Haus gehn. Hör einmal, Mutter, sagte Jnger und vertrat ihr den Weg. Ehe es im Herbst brannte, gingt ihr, du und der Vater, herum und ließet die Köpfe hängen, und ihr sagtet, es stünde ganz schlimm. Und seit das Ganze überstanden war, ist es uns so gut gegangen wie nie vorher, soweit ich zurückdenken kann. Das haben wir dem Brand und der Versicherung zu verdanken. Herrgott, wir haben doch das Feuer nicht selbst angelegt, weshalb sollen wir die Dinge nicht erzählen, wie sie sind? Frau Hilmer schwieg und ging langsam dem Hause z». Dann sagte sie ein wenig kurz: Seht nun, daß ihr mit der Arbeit fertig werdet, Kinder. Ich gehe hinauf und ziehe mich zum Mittagessen um. Tue das, Mütterchen. signe und ich werden die Wasche schon schaffen. Und Jnger lächelte der Mutter freundlich nach. Dann wandte sie sich an signe. Kannst du begreifen, weshalb Mutter niemals von dem Brande sprechen will? signe stand mit einem Hemd in der Hand da, das sie eben auf die Leine hängen wollte. Ach ja, sagte sie, das kann ich sehr wohl. Möchtest du da nun nicht so gut sein und es mir sagen? fragte Jnger. Über so etwas spricht man nicht, Jnger. Du würdest doch auch Hofjäger¬ meisters auf Duelund nicht erzählen, daß Seydewitz und Justesen hier heraus¬ kommen und Steuerpfändungen vornehmen. Das ist doch kein Unglück, meinte Jnger. signe verließ das Thema: Nein, Seydewitz findet gewiß, daß es kein Un¬ glück ist. Jnger machte sich wieder an die Arbeit. signe, findest du nicht, daß Seydewitz ein schrecklicher Lasse ist? Gott weiß, was er jetzt hier draußen will. Nun haben wir ein halbes Jahr vor ihm Ruhe gehabt. Ich finde ihn himmlisch, meinte signe ganz im Ernst. Jnger amüsierte sich darüber. Himmlisch — wo hast du das gräßliche Wort her, himmlisch! Wenn er dasteht und einen mit seinen stechenden Augen anblickt — ach, ich hasse diesen Männerblick, ich könnte ihm ins Gesicht schlagen. Das wäre Sünde, er ist so hübsch, sagte signe lachend. Jnger trat dicht vor sie hin: Kannst du denn nicht auch rasend ans ihn werden? Denn er sieht dich natürlich ebenso unverschämt an. Er hat solche himmlische Augen, sagte signe ein wenig verlegen. Jnger geriet in Eifer: Ah, signe, dn solltest selbst hören, wie sich das an¬ hört. Aber dir gefällt es natürlich gerade. Dann machte sie sich wieder an die Wäsche. Du bist noch so grün, mein Kind, aber das kommt noch. Was kommt noch? fragte Jnger. Das! sagte signe wieder mit Lachen. Was? Männer. Denn sie kann wundervoll sein — die Liebe.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/385
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/385>, abgerufen am 14.05.2024.