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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der Blockgedcmke

Industrie, Handel und Verkehr für das Leben des deutschen Staates gewormeu.
Daß diese Erwerbszweige ihrer selbst wegen einer liberalem Gesetzgebung und Ver¬
waltung bedürfen als die patriarchalischen Verhältnisse des Ackerbaustaates, bedarf
nicht erst des Beweises. Daß den in diesen Berufen tätigen Teilen des Bürgertums,
die auch prozentual berechnet immer größer werden, ein stärkerer Einfluß auf
die Politik eingeräumt wird als bisher, ist eine Forderung der Billigkeit. Daß
ein Volk, das Weltpolitik und Weltwirtschaft treibt, nicht dauernd konservativ
regiert werden kann, ist eine Schulweisheit, deren Nichtachtung sich über kurz
oder lang sicher rächen muß. Daß den liberalen Gedankengängen die Gleich¬
berechtigung mit den konservativen zuerkannt wird, ist eine Forderung, die die
Liberalen aller Schattierungen stellen müssen.

Solange die Konservativen diese Gleichberechtigung nicht anerkennen, so¬
lange sie für diese Forderung, wie es jüngst noch ihr Führer von Heydebrand
getan hat, nur Hohn und Spott haben, werden die Liberalen sie bis aufs
äußerste bekämpfen müssen. Der Einsatz, den die Konservativen wagen, ist hoch.
Bleiben sie auf die Hilfe der Ultramontanen und Polen angewiesen, so wird
ihre protestantische Wählerschaft bald genug in hellen Haufen von ihnen ab¬
fallen, sie werden mit ungeahnter Schnelligkeit zu Schleppenträgern des Zentrums
degradiert werden. Wenn sich dadurch die destruktiven Tendenzen im schwarz¬
blauen Block immer mehr verstärken, wenn die Reichsverdrossenheit wächst, wenn
die linksstehenden Parteien durch die Politik dieses neuen Blocks erstickt werden,
dann wird sich auch die Reichsregierung-- vielleicht schweren Herzens -- auf
einen Block der Linken stützen müssen, und die Konservativen werden dann, wenn
auch nicht mehr in einer Droschke, so doch in einem Automobil ins Parlament
fahren können.

Versteht man also in konservativen Kreisen die Haltung der National¬
liberalen bei der Reichssinanzreform in ihrer ganzen Tragweite zu würdigen?
Eine Partei, bei der es geradezu Tradition ist, bei jeder nationalen Aufgabe
anzutun, versagt mit einemmal in der denkbar schroffsten Form. Noch auf
keinem Parteitage, an dem wir teilgenommen haben, loderte eine derartige
helle Begeisterung, war eine derartige Einmütigkeit vorhanden wie auf dem
Berliner Parteitage vom 4. Juli 1909. Wenn sich trotz des Bruchs mit
allen Parteitraditionen nicht eine Stimme der Mißbilligung erhebt, wenn eine
Versammlung von mehr als 700 Männern in innerer Ergriffenheit plötzlich
das Lied: "Deutschland, Deutschland über alles!" anstimme, wenn alte, ergraute
Männer der Partei in Träne" ausbrechen, dann sollten auch die politischen
Gegner einmal der Bedeutung solcher Tatsachen still nachhängen und nicht mit
Redensarten von dem Einfluß der Jungliberalen und dergleichen kommen.

Wollen die Konservativen die Gleichberechtigung des liberalen Ge¬
dankens anerkennen, so ist ein neuer Block möglich, sonst nicht. Hierüber
muß absolute Klarheit herrschen. Aber auch Klarheit darüber, daß die Libe¬
ralen zu gut dazu sind, den Konservativen und ihrer Politik Handlangerdienste


Der Blockgedcmke

Industrie, Handel und Verkehr für das Leben des deutschen Staates gewormeu.
Daß diese Erwerbszweige ihrer selbst wegen einer liberalem Gesetzgebung und Ver¬
waltung bedürfen als die patriarchalischen Verhältnisse des Ackerbaustaates, bedarf
nicht erst des Beweises. Daß den in diesen Berufen tätigen Teilen des Bürgertums,
die auch prozentual berechnet immer größer werden, ein stärkerer Einfluß auf
die Politik eingeräumt wird als bisher, ist eine Forderung der Billigkeit. Daß
ein Volk, das Weltpolitik und Weltwirtschaft treibt, nicht dauernd konservativ
regiert werden kann, ist eine Schulweisheit, deren Nichtachtung sich über kurz
oder lang sicher rächen muß. Daß den liberalen Gedankengängen die Gleich¬
berechtigung mit den konservativen zuerkannt wird, ist eine Forderung, die die
Liberalen aller Schattierungen stellen müssen.

Solange die Konservativen diese Gleichberechtigung nicht anerkennen, so¬
lange sie für diese Forderung, wie es jüngst noch ihr Führer von Heydebrand
getan hat, nur Hohn und Spott haben, werden die Liberalen sie bis aufs
äußerste bekämpfen müssen. Der Einsatz, den die Konservativen wagen, ist hoch.
Bleiben sie auf die Hilfe der Ultramontanen und Polen angewiesen, so wird
ihre protestantische Wählerschaft bald genug in hellen Haufen von ihnen ab¬
fallen, sie werden mit ungeahnter Schnelligkeit zu Schleppenträgern des Zentrums
degradiert werden. Wenn sich dadurch die destruktiven Tendenzen im schwarz¬
blauen Block immer mehr verstärken, wenn die Reichsverdrossenheit wächst, wenn
die linksstehenden Parteien durch die Politik dieses neuen Blocks erstickt werden,
dann wird sich auch die Reichsregierung— vielleicht schweren Herzens — auf
einen Block der Linken stützen müssen, und die Konservativen werden dann, wenn
auch nicht mehr in einer Droschke, so doch in einem Automobil ins Parlament
fahren können.

Versteht man also in konservativen Kreisen die Haltung der National¬
liberalen bei der Reichssinanzreform in ihrer ganzen Tragweite zu würdigen?
Eine Partei, bei der es geradezu Tradition ist, bei jeder nationalen Aufgabe
anzutun, versagt mit einemmal in der denkbar schroffsten Form. Noch auf
keinem Parteitage, an dem wir teilgenommen haben, loderte eine derartige
helle Begeisterung, war eine derartige Einmütigkeit vorhanden wie auf dem
Berliner Parteitage vom 4. Juli 1909. Wenn sich trotz des Bruchs mit
allen Parteitraditionen nicht eine Stimme der Mißbilligung erhebt, wenn eine
Versammlung von mehr als 700 Männern in innerer Ergriffenheit plötzlich
das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles!" anstimme, wenn alte, ergraute
Männer der Partei in Träne» ausbrechen, dann sollten auch die politischen
Gegner einmal der Bedeutung solcher Tatsachen still nachhängen und nicht mit
Redensarten von dem Einfluß der Jungliberalen und dergleichen kommen.

Wollen die Konservativen die Gleichberechtigung des liberalen Ge¬
dankens anerkennen, so ist ein neuer Block möglich, sonst nicht. Hierüber
muß absolute Klarheit herrschen. Aber auch Klarheit darüber, daß die Libe¬
ralen zu gut dazu sind, den Konservativen und ihrer Politik Handlangerdienste


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[0410] Der Blockgedcmke Industrie, Handel und Verkehr für das Leben des deutschen Staates gewormeu. Daß diese Erwerbszweige ihrer selbst wegen einer liberalem Gesetzgebung und Ver¬ waltung bedürfen als die patriarchalischen Verhältnisse des Ackerbaustaates, bedarf nicht erst des Beweises. Daß den in diesen Berufen tätigen Teilen des Bürgertums, die auch prozentual berechnet immer größer werden, ein stärkerer Einfluß auf die Politik eingeräumt wird als bisher, ist eine Forderung der Billigkeit. Daß ein Volk, das Weltpolitik und Weltwirtschaft treibt, nicht dauernd konservativ regiert werden kann, ist eine Schulweisheit, deren Nichtachtung sich über kurz oder lang sicher rächen muß. Daß den liberalen Gedankengängen die Gleich¬ berechtigung mit den konservativen zuerkannt wird, ist eine Forderung, die die Liberalen aller Schattierungen stellen müssen. Solange die Konservativen diese Gleichberechtigung nicht anerkennen, so¬ lange sie für diese Forderung, wie es jüngst noch ihr Führer von Heydebrand getan hat, nur Hohn und Spott haben, werden die Liberalen sie bis aufs äußerste bekämpfen müssen. Der Einsatz, den die Konservativen wagen, ist hoch. Bleiben sie auf die Hilfe der Ultramontanen und Polen angewiesen, so wird ihre protestantische Wählerschaft bald genug in hellen Haufen von ihnen ab¬ fallen, sie werden mit ungeahnter Schnelligkeit zu Schleppenträgern des Zentrums degradiert werden. Wenn sich dadurch die destruktiven Tendenzen im schwarz¬ blauen Block immer mehr verstärken, wenn die Reichsverdrossenheit wächst, wenn die linksstehenden Parteien durch die Politik dieses neuen Blocks erstickt werden, dann wird sich auch die Reichsregierung— vielleicht schweren Herzens — auf einen Block der Linken stützen müssen, und die Konservativen werden dann, wenn auch nicht mehr in einer Droschke, so doch in einem Automobil ins Parlament fahren können. Versteht man also in konservativen Kreisen die Haltung der National¬ liberalen bei der Reichssinanzreform in ihrer ganzen Tragweite zu würdigen? Eine Partei, bei der es geradezu Tradition ist, bei jeder nationalen Aufgabe anzutun, versagt mit einemmal in der denkbar schroffsten Form. Noch auf keinem Parteitage, an dem wir teilgenommen haben, loderte eine derartige helle Begeisterung, war eine derartige Einmütigkeit vorhanden wie auf dem Berliner Parteitage vom 4. Juli 1909. Wenn sich trotz des Bruchs mit allen Parteitraditionen nicht eine Stimme der Mißbilligung erhebt, wenn eine Versammlung von mehr als 700 Männern in innerer Ergriffenheit plötzlich das Lied: „Deutschland, Deutschland über alles!" anstimme, wenn alte, ergraute Männer der Partei in Träne» ausbrechen, dann sollten auch die politischen Gegner einmal der Bedeutung solcher Tatsachen still nachhängen und nicht mit Redensarten von dem Einfluß der Jungliberalen und dergleichen kommen. Wollen die Konservativen die Gleichberechtigung des liberalen Ge¬ dankens anerkennen, so ist ein neuer Block möglich, sonst nicht. Hierüber muß absolute Klarheit herrschen. Aber auch Klarheit darüber, daß die Libe¬ ralen zu gut dazu sind, den Konservativen und ihrer Politik Handlangerdienste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/410>, abgerufen am 13.05.2024.