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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Intelligenz an diesem allerdings seit liber 450 Jahren bestehenden Zustande
festhält.

Also: Schwächung und Isolierung ist das Ergebnis der bisherigen
griechischen Politik, der staatlichen wie der kirchlichen. Es ist die Politik einer
von abgelebten byzantinischen Traditionen erfüllten Herrschcrkaste, nicht die
Politik der gesunden und lebensfähigen Elemente des griechischen Volkes, die
das Griechentum in Europa in Mißkredit gebracht und seine Stellung unter
den Nachbarvölkern erschüttert hat. Zum Glück sehen das die wirklich intelli¬
genten und reformfreudigen Griechen immer mehr ein, und es gibt ihrer mehr,
als man glaubt; sie spielen in Griechenland etwa die Rolle wie die Jungtürkeu
in der Türkei, nur daß sie das Regiment noch nicht an sich gerissen haben
und sich damit begnügen müssen, durch Gründung einer sprachlichen und sozialen
Neformpresse für ihre nationalen Ideen erst Stimmung zu machen.

Daneben aber ist die reaktionäre offizielle Bildungsschicht munter am Werke,
in hochmütig-dünkelhafter Weise alle ehrliche Neformarbeit als nationalen Hoch¬
verrat zu brandmarken und die Rivalen am Balkan, anstatt sie offen zu be¬
kämpfen, zu beschimpfen und zu verleumden: die byzantinische Hydra erhebt wieder
ihr Haupt, und zwar sind sie jetzt nicht mehr unter den Phanarioten zu suchen,
sondern seltsamerweise in der Professorenschaft der Athener Universität mit ihrem
studentischen Anhang; diese machen sich zu Aposteln des Rückschritts, in dem
Wahn, damit den Interessen der Nation zu dienen. Da ist der freilich selbst in
Griechenland nicht ernst genommene Philologe Mistriotis, der in wütenden
Tirciden gegen jede Modernisierung der griechischen Sprache und gegen die
Vorkämpfer dieser Sprachbewegnng eifert; da ist ferner der als Sprachforscher
bedeutende Hatzidakis, der Broschüre auf Broschüre und Artikel auf Artikel häuft,
um den Strom der Sprachreform zu stauen und mit echt byzantinischen
Sophismen seine Gegner aus dem Felde zu schlagen sucht; da ist weiter der
Jurist und Nationalökonom Kasasis, Präsident des griechischen Nationalvcreins
"Hellenismos", der schon seit zehn Jahren mit politischen Pamphleten Mazedonien
den Bulgaren zu entreißen sucht und bei seinen Anhängern als nationaler Heros
gilt, während er durch seine geradezu läppischen Ausfälle gegen die Bulgaren
das Griechentum nur kompromittiert; neuerdings sucht dieser Herr auch das
Philhelleuische Deutschland unsicher zu machen, indem er eins seiner Pamphlete
(Griechen und Bulgaren im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert) ins
Deutsche hat übersetzen lassen und mit Hilfe eines in Leipzig lebenden griechischen
Gymnasialprofessors sogar eine Monatsschrift "Hellenismus" gegründet hat, deren
Zweck es ist, denen, die nicht alle werden, weis zu machen, daß allein die
Griechen berufen seien, die türkische Herrschaft anzutreten -- das byzantinische
Gespenst steht, in philhelleuische Lappen gewickelt, auch hier im Hintergrunde --. und
die daher gegen alle Mitbewerber, Albanesen, Bulgaren, Rumänen, mit naiver
Anmaßung auftritt, in der Hoffnung, bei philhcllenischen Gemütern Furcht und
Mitleid zu erwecken, oder gar, wie neuerdings in Frankreich, eine Liga zum


Intelligenz an diesem allerdings seit liber 450 Jahren bestehenden Zustande
festhält.

Also: Schwächung und Isolierung ist das Ergebnis der bisherigen
griechischen Politik, der staatlichen wie der kirchlichen. Es ist die Politik einer
von abgelebten byzantinischen Traditionen erfüllten Herrschcrkaste, nicht die
Politik der gesunden und lebensfähigen Elemente des griechischen Volkes, die
das Griechentum in Europa in Mißkredit gebracht und seine Stellung unter
den Nachbarvölkern erschüttert hat. Zum Glück sehen das die wirklich intelli¬
genten und reformfreudigen Griechen immer mehr ein, und es gibt ihrer mehr,
als man glaubt; sie spielen in Griechenland etwa die Rolle wie die Jungtürkeu
in der Türkei, nur daß sie das Regiment noch nicht an sich gerissen haben
und sich damit begnügen müssen, durch Gründung einer sprachlichen und sozialen
Neformpresse für ihre nationalen Ideen erst Stimmung zu machen.

Daneben aber ist die reaktionäre offizielle Bildungsschicht munter am Werke,
in hochmütig-dünkelhafter Weise alle ehrliche Neformarbeit als nationalen Hoch¬
verrat zu brandmarken und die Rivalen am Balkan, anstatt sie offen zu be¬
kämpfen, zu beschimpfen und zu verleumden: die byzantinische Hydra erhebt wieder
ihr Haupt, und zwar sind sie jetzt nicht mehr unter den Phanarioten zu suchen,
sondern seltsamerweise in der Professorenschaft der Athener Universität mit ihrem
studentischen Anhang; diese machen sich zu Aposteln des Rückschritts, in dem
Wahn, damit den Interessen der Nation zu dienen. Da ist der freilich selbst in
Griechenland nicht ernst genommene Philologe Mistriotis, der in wütenden
Tirciden gegen jede Modernisierung der griechischen Sprache und gegen die
Vorkämpfer dieser Sprachbewegnng eifert; da ist ferner der als Sprachforscher
bedeutende Hatzidakis, der Broschüre auf Broschüre und Artikel auf Artikel häuft,
um den Strom der Sprachreform zu stauen und mit echt byzantinischen
Sophismen seine Gegner aus dem Felde zu schlagen sucht; da ist weiter der
Jurist und Nationalökonom Kasasis, Präsident des griechischen Nationalvcreins
„Hellenismos", der schon seit zehn Jahren mit politischen Pamphleten Mazedonien
den Bulgaren zu entreißen sucht und bei seinen Anhängern als nationaler Heros
gilt, während er durch seine geradezu läppischen Ausfälle gegen die Bulgaren
das Griechentum nur kompromittiert; neuerdings sucht dieser Herr auch das
Philhelleuische Deutschland unsicher zu machen, indem er eins seiner Pamphlete
(Griechen und Bulgaren im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert) ins
Deutsche hat übersetzen lassen und mit Hilfe eines in Leipzig lebenden griechischen
Gymnasialprofessors sogar eine Monatsschrift „Hellenismus" gegründet hat, deren
Zweck es ist, denen, die nicht alle werden, weis zu machen, daß allein die
Griechen berufen seien, die türkische Herrschaft anzutreten — das byzantinische
Gespenst steht, in philhelleuische Lappen gewickelt, auch hier im Hintergrunde —. und
die daher gegen alle Mitbewerber, Albanesen, Bulgaren, Rumänen, mit naiver
Anmaßung auftritt, in der Hoffnung, bei philhcllenischen Gemütern Furcht und
Mitleid zu erwecken, oder gar, wie neuerdings in Frankreich, eine Liga zum


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/415>, abgerufen am 17.06.2024.