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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Teutoburger Schlacht

sich in dem Dreieck zwischen Minden, Osnabrück und Paderborn abgespielt
hat. Aber über das Nähere stehn einander drei Ansichten gegenüber. Denn
der Name des Teutoburger Waldes (leutovui-AikQsis salws nur bei Tacitus)
ist erst im achtzehnten Jahrhundert auf den Osning übertragen worden, beruht
nicht auf alter Überlieferung, beweist also nichts. Trotzdem suchen die ältern
Ansichten das Schlachtfeld eben an diesem Gebirgszuge, bald nördlicher, bald
südlicher, Th. Mommsen dagegen, gestützt auf allerdings sehr auffällige Münz¬
funde in der Nähe von Barenau an der Nordseite des Wichengebirges, die er
für den Nachlaß eines hier vernichteten römischen Heeres erklärt, eben in dieser
Gegend. Dagegen hat sich nenerdings Hans Delbrück wieder für die Um¬
gebung der Grotenburg, in der das Armindenkmal Bärtels seit 1875 steht,
ausgesprochen; sie, die uralte "Zufluchtburg" eines umwohnenden Germanen¬
stammes, wohl der Cherusker, identifiziert er mit der "Teutoburg", das ist
Volksburg, und die letzte Katastrophe vollzieht sich nach ihm in und an der
Waldschlucht zu ihren Füßen, die hier den Gebirgszug durchsetzt, der Dören-
schlucht; er glaubt sogar zwischen dem Osning und der Weser die einzelnen
Terrainabschnitte, die Cassius Dio angibt, noch heute nachweisen zu können.
In der Tat hat diese Auffassung innerlich sehr viel sur sich. Wenn Varus
von seinem Sommerlager an der Weser etwa bei Nehme südlich von Minden
aus aufbrach, um einen nicht genannten aufständischen Stamm zu züchtigen,
so brauchte er diese Richtung nicht von Anfang an einzuschlagen; sobald er
aber erkannte -- und das muß sehr bald nach dem Ausmarsche geschehen
sein --, daß er in eine Falle gegangen sei, dann mußte er den Versuch machen,
auf dem kürzesten Wege nach dem nächsten römischen Etappenort durchzubrechen,
das heißt nach dem Kastell Aliso an den Lippequellen (Eisen bei Paderborn),
wohin sich ja auch die römischen Flüchtlinge aus der Niederlage durchgeschlagen
haben, und bis wohin die Verbindung mit dem Rheine, nach dem großen
Standlager Oastrs. vstsra (auf dem Vorstenberge bei Tanten) offen war. Bis
Aliso gab es natürlich noch keine römische Militärstraße, aber die Gegend
war ebensowenig pfadlos, sondern von alten getretner und vielbetretnen Wegen
durchzogen, die für den Marsch einer großen Armee (höchstens 20000 Mann)
mit starkem Troß freilich erst gangbar gemacht werden mußten, also nur eine
langsame Bewegung gestatteten. Mehr als zwanzig Kilometer täglich ist die
römische Kolonne, die doch wenigstens fünf Stunden Länge hatte, ganz gewiß
nicht vorgerückt. Ob jemals über das Schlachtfeld widerspruchslose Klarheit
geschaffen werden kann, hängt von zufälligen Funden, namentlich von Münz-
und Gräberfunden ab, denn von den beiden römischen Lagern der drei
Schlachttage, die doch nur Feldbefestigungen waren, kann nach beinahe zwei
Jahrtausenden kaum mehr etwas übrig sein, und die Waffen waren für die
Germanen die begehrenswertesten Beutestücke, die sie wenn möglich mit fort¬
schleppten.


Die Teutoburger Schlacht

sich in dem Dreieck zwischen Minden, Osnabrück und Paderborn abgespielt
hat. Aber über das Nähere stehn einander drei Ansichten gegenüber. Denn
der Name des Teutoburger Waldes (leutovui-AikQsis salws nur bei Tacitus)
ist erst im achtzehnten Jahrhundert auf den Osning übertragen worden, beruht
nicht auf alter Überlieferung, beweist also nichts. Trotzdem suchen die ältern
Ansichten das Schlachtfeld eben an diesem Gebirgszuge, bald nördlicher, bald
südlicher, Th. Mommsen dagegen, gestützt auf allerdings sehr auffällige Münz¬
funde in der Nähe von Barenau an der Nordseite des Wichengebirges, die er
für den Nachlaß eines hier vernichteten römischen Heeres erklärt, eben in dieser
Gegend. Dagegen hat sich nenerdings Hans Delbrück wieder für die Um¬
gebung der Grotenburg, in der das Armindenkmal Bärtels seit 1875 steht,
ausgesprochen; sie, die uralte „Zufluchtburg" eines umwohnenden Germanen¬
stammes, wohl der Cherusker, identifiziert er mit der „Teutoburg", das ist
Volksburg, und die letzte Katastrophe vollzieht sich nach ihm in und an der
Waldschlucht zu ihren Füßen, die hier den Gebirgszug durchsetzt, der Dören-
schlucht; er glaubt sogar zwischen dem Osning und der Weser die einzelnen
Terrainabschnitte, die Cassius Dio angibt, noch heute nachweisen zu können.
In der Tat hat diese Auffassung innerlich sehr viel sur sich. Wenn Varus
von seinem Sommerlager an der Weser etwa bei Nehme südlich von Minden
aus aufbrach, um einen nicht genannten aufständischen Stamm zu züchtigen,
so brauchte er diese Richtung nicht von Anfang an einzuschlagen; sobald er
aber erkannte — und das muß sehr bald nach dem Ausmarsche geschehen
sein —, daß er in eine Falle gegangen sei, dann mußte er den Versuch machen,
auf dem kürzesten Wege nach dem nächsten römischen Etappenort durchzubrechen,
das heißt nach dem Kastell Aliso an den Lippequellen (Eisen bei Paderborn),
wohin sich ja auch die römischen Flüchtlinge aus der Niederlage durchgeschlagen
haben, und bis wohin die Verbindung mit dem Rheine, nach dem großen
Standlager Oastrs. vstsra (auf dem Vorstenberge bei Tanten) offen war. Bis
Aliso gab es natürlich noch keine römische Militärstraße, aber die Gegend
war ebensowenig pfadlos, sondern von alten getretner und vielbetretnen Wegen
durchzogen, die für den Marsch einer großen Armee (höchstens 20000 Mann)
mit starkem Troß freilich erst gangbar gemacht werden mußten, also nur eine
langsame Bewegung gestatteten. Mehr als zwanzig Kilometer täglich ist die
römische Kolonne, die doch wenigstens fünf Stunden Länge hatte, ganz gewiß
nicht vorgerückt. Ob jemals über das Schlachtfeld widerspruchslose Klarheit
geschaffen werden kann, hängt von zufälligen Funden, namentlich von Münz-
und Gräberfunden ab, denn von den beiden römischen Lagern der drei
Schlachttage, die doch nur Feldbefestigungen waren, kann nach beinahe zwei
Jahrtausenden kaum mehr etwas übrig sein, und die Waffen waren für die
Germanen die begehrenswertesten Beutestücke, die sie wenn möglich mit fort¬
schleppten.


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[0505] Die Teutoburger Schlacht sich in dem Dreieck zwischen Minden, Osnabrück und Paderborn abgespielt hat. Aber über das Nähere stehn einander drei Ansichten gegenüber. Denn der Name des Teutoburger Waldes (leutovui-AikQsis salws nur bei Tacitus) ist erst im achtzehnten Jahrhundert auf den Osning übertragen worden, beruht nicht auf alter Überlieferung, beweist also nichts. Trotzdem suchen die ältern Ansichten das Schlachtfeld eben an diesem Gebirgszuge, bald nördlicher, bald südlicher, Th. Mommsen dagegen, gestützt auf allerdings sehr auffällige Münz¬ funde in der Nähe von Barenau an der Nordseite des Wichengebirges, die er für den Nachlaß eines hier vernichteten römischen Heeres erklärt, eben in dieser Gegend. Dagegen hat sich nenerdings Hans Delbrück wieder für die Um¬ gebung der Grotenburg, in der das Armindenkmal Bärtels seit 1875 steht, ausgesprochen; sie, die uralte „Zufluchtburg" eines umwohnenden Germanen¬ stammes, wohl der Cherusker, identifiziert er mit der „Teutoburg", das ist Volksburg, und die letzte Katastrophe vollzieht sich nach ihm in und an der Waldschlucht zu ihren Füßen, die hier den Gebirgszug durchsetzt, der Dören- schlucht; er glaubt sogar zwischen dem Osning und der Weser die einzelnen Terrainabschnitte, die Cassius Dio angibt, noch heute nachweisen zu können. In der Tat hat diese Auffassung innerlich sehr viel sur sich. Wenn Varus von seinem Sommerlager an der Weser etwa bei Nehme südlich von Minden aus aufbrach, um einen nicht genannten aufständischen Stamm zu züchtigen, so brauchte er diese Richtung nicht von Anfang an einzuschlagen; sobald er aber erkannte — und das muß sehr bald nach dem Ausmarsche geschehen sein —, daß er in eine Falle gegangen sei, dann mußte er den Versuch machen, auf dem kürzesten Wege nach dem nächsten römischen Etappenort durchzubrechen, das heißt nach dem Kastell Aliso an den Lippequellen (Eisen bei Paderborn), wohin sich ja auch die römischen Flüchtlinge aus der Niederlage durchgeschlagen haben, und bis wohin die Verbindung mit dem Rheine, nach dem großen Standlager Oastrs. vstsra (auf dem Vorstenberge bei Tanten) offen war. Bis Aliso gab es natürlich noch keine römische Militärstraße, aber die Gegend war ebensowenig pfadlos, sondern von alten getretner und vielbetretnen Wegen durchzogen, die für den Marsch einer großen Armee (höchstens 20000 Mann) mit starkem Troß freilich erst gangbar gemacht werden mußten, also nur eine langsame Bewegung gestatteten. Mehr als zwanzig Kilometer täglich ist die römische Kolonne, die doch wenigstens fünf Stunden Länge hatte, ganz gewiß nicht vorgerückt. Ob jemals über das Schlachtfeld widerspruchslose Klarheit geschaffen werden kann, hängt von zufälligen Funden, namentlich von Münz- und Gräberfunden ab, denn von den beiden römischen Lagern der drei Schlachttage, die doch nur Feldbefestigungen waren, kann nach beinahe zwei Jahrtausenden kaum mehr etwas übrig sein, und die Waffen waren für die Germanen die begehrenswertesten Beutestücke, die sie wenn möglich mit fort¬ schleppten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/505>, abgerufen am 11.05.2024.