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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die militärische Lage in Marokko

Dieser ging von der Ansicht aus, daß positive Erfolge nur auf dem Wege
rücksichtsloser Offensive zu erreichen seien und die Entscheidung auf kurzen
Entfernungen gesucht werden müsse. Da es jedoch schwer war, den Gegner
frontal anzugehn, so bildete er häufig mehrere Kolonnen, die konvergierend
auf den Feind losgingen und ihn in die Mitte zu nehmen trachteten. An¬
gesichts des nicht sehr wirkungsvollen Feuers des Gegners rückte das erste
Treffen in dichter Kette vor, der die Reserven auf kurze Entfernung geschlossen
folgten. Gegen Kavallerieangriffe formierten die Kompagnien Karrees, kleinere
Abteilungen Klumpen. Dank dieser Maßnahmen nahmen die weitern Operationen
einen energischen Verlauf und führten zum gewünschten Erfolg.

Dieselben Gründe, die der Infanterie empfahlen, mit Vorsicht vorzugehn,
beschränkten auch die Tätigkeit der Kavallerie in ihrem wichtigsten Zweige, in
der Aufklärung. Aber selbst wenn eine solche beabsichtigt gewesen wäre, so
wären doch die Resultate wegen der außerordentlichen Beweglichkeit des
Gegners sehr dürftig gewesen. Auch die Nahaufklärung litt unter der Furcht,
abgeschnitten zu werden und in Feindeshände zu geraten, und so waren Über¬
rumpelungen an der Tagesordnung. Die Kavallerie wurde zumeist im un¬
mittelbaren Verbände mit der Infanterie verwandt, um bestimmte Punkte
rasch zu besetzen. Abgesehen jedoch davon, daß das Feuer der Kavallerie so
gut wie keinen Erfolg erzielte, scheint das Absitzen zum Feuergefecht auch aus
Besorgnis nicht gern angewandt worden zu sein, die Pferde zu verlieren und
sich von der marokkanischen Reiterei umzingelt zu sehen.

Viele sprachen während des Feldzuges ihr Bedauern darüber aus, daß
nach Casabianca nicht mehr Kavallerie entsandt worden war; doch scheint der
Vorwurf nicht gerechtfertigt. Abgesehen von den bedeutenden Transportaus¬
lagen muß man sich vor Augen halten, daß der Zweck des Feldzuges nicht
auf Vernichtung des Gegners hinzielte, sondern auf ein allmähliches Zurück¬
drängen, um nach und nach den gesicherten Raum zu vergrößern. Dieses
konnte aber nur im Wege schrittweisen Vordringens und fester Besetzung
wichtiger Punkte erreicht werden, und hierzu war wohl Kavallerie weniger ge¬
eignet als Infanterie.

Der Artillerie war, da der Gegner über solche gar nicht oder nur in
sehr bescheidnen Maße verfügte, ein äußerst ergiebiges Feld der Tätigkeit
eröffnet. Auch Maschinengewehre aller möglichen Systeme fanden auf fran¬
zösischer Seite Verwendung und erzielten nicht nur materielle, sondern auch
moralische Erfolge.

Daß es den spanischen Truppen nicht leicht wird, sich des Ansturms
ihrer Gegner zu erwehren, haben die bisherigen Kämpfe um Melitta zur
Genüge bewiesen. General Marina, der Höchstkommandiercnde im Gebiet
von Melitta, hat deshalb auch in richtiger Erkenntnis der Schwierigkeiten
seiner Lage den Entschluß gefaßt, nicht eher zu einem entscheidenden
Offensivstoß gegen die Linie Selnan-Kerl aufzubrechen, als bis alle Vor-


Grenzboten III 1909 76
Die militärische Lage in Marokko

Dieser ging von der Ansicht aus, daß positive Erfolge nur auf dem Wege
rücksichtsloser Offensive zu erreichen seien und die Entscheidung auf kurzen
Entfernungen gesucht werden müsse. Da es jedoch schwer war, den Gegner
frontal anzugehn, so bildete er häufig mehrere Kolonnen, die konvergierend
auf den Feind losgingen und ihn in die Mitte zu nehmen trachteten. An¬
gesichts des nicht sehr wirkungsvollen Feuers des Gegners rückte das erste
Treffen in dichter Kette vor, der die Reserven auf kurze Entfernung geschlossen
folgten. Gegen Kavallerieangriffe formierten die Kompagnien Karrees, kleinere
Abteilungen Klumpen. Dank dieser Maßnahmen nahmen die weitern Operationen
einen energischen Verlauf und führten zum gewünschten Erfolg.

Dieselben Gründe, die der Infanterie empfahlen, mit Vorsicht vorzugehn,
beschränkten auch die Tätigkeit der Kavallerie in ihrem wichtigsten Zweige, in
der Aufklärung. Aber selbst wenn eine solche beabsichtigt gewesen wäre, so
wären doch die Resultate wegen der außerordentlichen Beweglichkeit des
Gegners sehr dürftig gewesen. Auch die Nahaufklärung litt unter der Furcht,
abgeschnitten zu werden und in Feindeshände zu geraten, und so waren Über¬
rumpelungen an der Tagesordnung. Die Kavallerie wurde zumeist im un¬
mittelbaren Verbände mit der Infanterie verwandt, um bestimmte Punkte
rasch zu besetzen. Abgesehen jedoch davon, daß das Feuer der Kavallerie so
gut wie keinen Erfolg erzielte, scheint das Absitzen zum Feuergefecht auch aus
Besorgnis nicht gern angewandt worden zu sein, die Pferde zu verlieren und
sich von der marokkanischen Reiterei umzingelt zu sehen.

Viele sprachen während des Feldzuges ihr Bedauern darüber aus, daß
nach Casabianca nicht mehr Kavallerie entsandt worden war; doch scheint der
Vorwurf nicht gerechtfertigt. Abgesehen von den bedeutenden Transportaus¬
lagen muß man sich vor Augen halten, daß der Zweck des Feldzuges nicht
auf Vernichtung des Gegners hinzielte, sondern auf ein allmähliches Zurück¬
drängen, um nach und nach den gesicherten Raum zu vergrößern. Dieses
konnte aber nur im Wege schrittweisen Vordringens und fester Besetzung
wichtiger Punkte erreicht werden, und hierzu war wohl Kavallerie weniger ge¬
eignet als Infanterie.

Der Artillerie war, da der Gegner über solche gar nicht oder nur in
sehr bescheidnen Maße verfügte, ein äußerst ergiebiges Feld der Tätigkeit
eröffnet. Auch Maschinengewehre aller möglichen Systeme fanden auf fran¬
zösischer Seite Verwendung und erzielten nicht nur materielle, sondern auch
moralische Erfolge.

Daß es den spanischen Truppen nicht leicht wird, sich des Ansturms
ihrer Gegner zu erwehren, haben die bisherigen Kämpfe um Melitta zur
Genüge bewiesen. General Marina, der Höchstkommandiercnde im Gebiet
von Melitta, hat deshalb auch in richtiger Erkenntnis der Schwierigkeiten
seiner Lage den Entschluß gefaßt, nicht eher zu einem entscheidenden
Offensivstoß gegen die Linie Selnan-Kerl aufzubrechen, als bis alle Vor-


Grenzboten III 1909 76
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[0599] Die militärische Lage in Marokko Dieser ging von der Ansicht aus, daß positive Erfolge nur auf dem Wege rücksichtsloser Offensive zu erreichen seien und die Entscheidung auf kurzen Entfernungen gesucht werden müsse. Da es jedoch schwer war, den Gegner frontal anzugehn, so bildete er häufig mehrere Kolonnen, die konvergierend auf den Feind losgingen und ihn in die Mitte zu nehmen trachteten. An¬ gesichts des nicht sehr wirkungsvollen Feuers des Gegners rückte das erste Treffen in dichter Kette vor, der die Reserven auf kurze Entfernung geschlossen folgten. Gegen Kavallerieangriffe formierten die Kompagnien Karrees, kleinere Abteilungen Klumpen. Dank dieser Maßnahmen nahmen die weitern Operationen einen energischen Verlauf und führten zum gewünschten Erfolg. Dieselben Gründe, die der Infanterie empfahlen, mit Vorsicht vorzugehn, beschränkten auch die Tätigkeit der Kavallerie in ihrem wichtigsten Zweige, in der Aufklärung. Aber selbst wenn eine solche beabsichtigt gewesen wäre, so wären doch die Resultate wegen der außerordentlichen Beweglichkeit des Gegners sehr dürftig gewesen. Auch die Nahaufklärung litt unter der Furcht, abgeschnitten zu werden und in Feindeshände zu geraten, und so waren Über¬ rumpelungen an der Tagesordnung. Die Kavallerie wurde zumeist im un¬ mittelbaren Verbände mit der Infanterie verwandt, um bestimmte Punkte rasch zu besetzen. Abgesehen jedoch davon, daß das Feuer der Kavallerie so gut wie keinen Erfolg erzielte, scheint das Absitzen zum Feuergefecht auch aus Besorgnis nicht gern angewandt worden zu sein, die Pferde zu verlieren und sich von der marokkanischen Reiterei umzingelt zu sehen. Viele sprachen während des Feldzuges ihr Bedauern darüber aus, daß nach Casabianca nicht mehr Kavallerie entsandt worden war; doch scheint der Vorwurf nicht gerechtfertigt. Abgesehen von den bedeutenden Transportaus¬ lagen muß man sich vor Augen halten, daß der Zweck des Feldzuges nicht auf Vernichtung des Gegners hinzielte, sondern auf ein allmähliches Zurück¬ drängen, um nach und nach den gesicherten Raum zu vergrößern. Dieses konnte aber nur im Wege schrittweisen Vordringens und fester Besetzung wichtiger Punkte erreicht werden, und hierzu war wohl Kavallerie weniger ge¬ eignet als Infanterie. Der Artillerie war, da der Gegner über solche gar nicht oder nur in sehr bescheidnen Maße verfügte, ein äußerst ergiebiges Feld der Tätigkeit eröffnet. Auch Maschinengewehre aller möglichen Systeme fanden auf fran¬ zösischer Seite Verwendung und erzielten nicht nur materielle, sondern auch moralische Erfolge. Daß es den spanischen Truppen nicht leicht wird, sich des Ansturms ihrer Gegner zu erwehren, haben die bisherigen Kämpfe um Melitta zur Genüge bewiesen. General Marina, der Höchstkommandiercnde im Gebiet von Melitta, hat deshalb auch in richtiger Erkenntnis der Schwierigkeiten seiner Lage den Entschluß gefaßt, nicht eher zu einem entscheidenden Offensivstoß gegen die Linie Selnan-Kerl aufzubrechen, als bis alle Vor- Grenzboten III 1909 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/599>, abgerufen am 06.06.2024.