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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zu Bülows Rücktritt

bei den andern erwirbt. Es darf nicht verkannt werden, daß sich namhafte
Führer der Liberalen, freisinnige noch mehr als nationalliberale, in der ersten
Zeit redlich bemüht haben, auf diese Vertrauensstellung hinzuwirken, und sie
haben auch bei den Konservativen dafür das wärmste Entgegenkommen ge¬
funden. Aber schon Pulteney hat gesagt: Es geht den Häuptern der Parteien
wie den Köpfen der Schlangen: der Schweif schiebt sie fort. Der Schweif der
Liberalen ist die weit über den Umfang und die Bedeutung der Partei selbst
hinausgehende Zahl der Blätter, die sämtlich in Städten erscheinen und darum,
wenn auch in den verschiedensten Nuancen, eine städtisch-liberale Haltung
haben. In diesen Blättern tauchte der zuerst in der erwähnten hauptstädtischen
Zeitung ausgesprochne Gedanke immer wieder auf, wurde zwischen ihnen hin
und her geschoben, variiert und gesteigert, und das mußte auf Leute, die bloß
zwischen Häusern und Zeitungen leben, schließlich den Eindruck machen, als
habe man die öffentliche Meinung vor sich. Dann traten bestimmte liberale
Forderungen auf, die auf demselben Wege anscheinend ebenfalls zur öffentlichen
Meinung wurden. Die auffälligste war die auf Einführung des allgemeinen
Wahlrechts in Preußen. Das allgemeine Wahlrecht ist ursprünglich gar kein
liberaler Grundsatz, im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes
hat sich gegen seine Einführung niemand entschiedner ausgesprochen als die
damalige Fortschrittspartei.

Es ist den Führern der Liberalen vollständig entgangen, daß die Aufrollung
dieser Frage, die doch eigentlich nur von der Sozialdemokratie vertreten wurde
und nur ihr zugute kommen mußte, im vollständigen Widerspruche mit der Block¬
idee stand und doch nicht erhoben werden durfte, solange man darin bleiben
wollte. Auch die entschiedn? Niederlage des Liberalismus bei den preußischen
Landtagswahlen bewies, daß die Bevölkerung nichts davon wissen will. Aber
mit um so größerer Hartnäckigkeit beharrte man darauf, und immer stürmischer
wurde das Begehren, sie als Gegengabe für die Zustimmung zur Finanzreform
im Reiche zu fordern. Das Entgegenkommen der preußischen Regierung (also
doch auch Bülows), in der Thronrede eine organische Abänderung des preußischen
Wahlrechts (kein allgemeines gleiches Wahlrecht) in Aussicht zu stellen, verfehlte
seinen Zweck. Dann kam noch die Forderung des parlamentarischen Regiments
hinzu, weil man nach der allgemeinen Abkanzelung in der Milieupresse den
Kaiser und wegen des argen Versehens im Auswärtigen Amte den Kanzler als
dafür genügend mürbe gemacht ansah. Seit der Konfliktsperiode war keine gleich
Moße Täuschung einer Partei über ihre Macht vorgekommen.

Alldem gegenüber mußte Fürst Bülow seine Idee einer Reform des parla¬
mentarischen Lebens durch den Block als gescheitert ansehen, denn der Augenblick
mußte kommen, wo die Konservativen diesem sich selbst überstürzenden demokratischen
Drängen eine unzweifelhafte Absage erteilen würden, und sie ist bei der Beratung
der Reichsfincmzreform erfolgt. Fürst Bülow hat sich danach darauf beschränkt,
wenigstens noch das gänzliche Scheiter" der Finanzreform zu verhüten, die dem


Zu Bülows Rücktritt

bei den andern erwirbt. Es darf nicht verkannt werden, daß sich namhafte
Führer der Liberalen, freisinnige noch mehr als nationalliberale, in der ersten
Zeit redlich bemüht haben, auf diese Vertrauensstellung hinzuwirken, und sie
haben auch bei den Konservativen dafür das wärmste Entgegenkommen ge¬
funden. Aber schon Pulteney hat gesagt: Es geht den Häuptern der Parteien
wie den Köpfen der Schlangen: der Schweif schiebt sie fort. Der Schweif der
Liberalen ist die weit über den Umfang und die Bedeutung der Partei selbst
hinausgehende Zahl der Blätter, die sämtlich in Städten erscheinen und darum,
wenn auch in den verschiedensten Nuancen, eine städtisch-liberale Haltung
haben. In diesen Blättern tauchte der zuerst in der erwähnten hauptstädtischen
Zeitung ausgesprochne Gedanke immer wieder auf, wurde zwischen ihnen hin
und her geschoben, variiert und gesteigert, und das mußte auf Leute, die bloß
zwischen Häusern und Zeitungen leben, schließlich den Eindruck machen, als
habe man die öffentliche Meinung vor sich. Dann traten bestimmte liberale
Forderungen auf, die auf demselben Wege anscheinend ebenfalls zur öffentlichen
Meinung wurden. Die auffälligste war die auf Einführung des allgemeinen
Wahlrechts in Preußen. Das allgemeine Wahlrecht ist ursprünglich gar kein
liberaler Grundsatz, im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes
hat sich gegen seine Einführung niemand entschiedner ausgesprochen als die
damalige Fortschrittspartei.

Es ist den Führern der Liberalen vollständig entgangen, daß die Aufrollung
dieser Frage, die doch eigentlich nur von der Sozialdemokratie vertreten wurde
und nur ihr zugute kommen mußte, im vollständigen Widerspruche mit der Block¬
idee stand und doch nicht erhoben werden durfte, solange man darin bleiben
wollte. Auch die entschiedn? Niederlage des Liberalismus bei den preußischen
Landtagswahlen bewies, daß die Bevölkerung nichts davon wissen will. Aber
mit um so größerer Hartnäckigkeit beharrte man darauf, und immer stürmischer
wurde das Begehren, sie als Gegengabe für die Zustimmung zur Finanzreform
im Reiche zu fordern. Das Entgegenkommen der preußischen Regierung (also
doch auch Bülows), in der Thronrede eine organische Abänderung des preußischen
Wahlrechts (kein allgemeines gleiches Wahlrecht) in Aussicht zu stellen, verfehlte
seinen Zweck. Dann kam noch die Forderung des parlamentarischen Regiments
hinzu, weil man nach der allgemeinen Abkanzelung in der Milieupresse den
Kaiser und wegen des argen Versehens im Auswärtigen Amte den Kanzler als
dafür genügend mürbe gemacht ansah. Seit der Konfliktsperiode war keine gleich
Moße Täuschung einer Partei über ihre Macht vorgekommen.

Alldem gegenüber mußte Fürst Bülow seine Idee einer Reform des parla¬
mentarischen Lebens durch den Block als gescheitert ansehen, denn der Augenblick
mußte kommen, wo die Konservativen diesem sich selbst überstürzenden demokratischen
Drängen eine unzweifelhafte Absage erteilen würden, und sie ist bei der Beratung
der Reichsfincmzreform erfolgt. Fürst Bülow hat sich danach darauf beschränkt,
wenigstens noch das gänzliche Scheiter» der Finanzreform zu verhüten, die dem


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[0067] Zu Bülows Rücktritt bei den andern erwirbt. Es darf nicht verkannt werden, daß sich namhafte Führer der Liberalen, freisinnige noch mehr als nationalliberale, in der ersten Zeit redlich bemüht haben, auf diese Vertrauensstellung hinzuwirken, und sie haben auch bei den Konservativen dafür das wärmste Entgegenkommen ge¬ funden. Aber schon Pulteney hat gesagt: Es geht den Häuptern der Parteien wie den Köpfen der Schlangen: der Schweif schiebt sie fort. Der Schweif der Liberalen ist die weit über den Umfang und die Bedeutung der Partei selbst hinausgehende Zahl der Blätter, die sämtlich in Städten erscheinen und darum, wenn auch in den verschiedensten Nuancen, eine städtisch-liberale Haltung haben. In diesen Blättern tauchte der zuerst in der erwähnten hauptstädtischen Zeitung ausgesprochne Gedanke immer wieder auf, wurde zwischen ihnen hin und her geschoben, variiert und gesteigert, und das mußte auf Leute, die bloß zwischen Häusern und Zeitungen leben, schließlich den Eindruck machen, als habe man die öffentliche Meinung vor sich. Dann traten bestimmte liberale Forderungen auf, die auf demselben Wege anscheinend ebenfalls zur öffentlichen Meinung wurden. Die auffälligste war die auf Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen. Das allgemeine Wahlrecht ist ursprünglich gar kein liberaler Grundsatz, im konstituierenden Reichstage des Norddeutschen Bundes hat sich gegen seine Einführung niemand entschiedner ausgesprochen als die damalige Fortschrittspartei. Es ist den Führern der Liberalen vollständig entgangen, daß die Aufrollung dieser Frage, die doch eigentlich nur von der Sozialdemokratie vertreten wurde und nur ihr zugute kommen mußte, im vollständigen Widerspruche mit der Block¬ idee stand und doch nicht erhoben werden durfte, solange man darin bleiben wollte. Auch die entschiedn? Niederlage des Liberalismus bei den preußischen Landtagswahlen bewies, daß die Bevölkerung nichts davon wissen will. Aber mit um so größerer Hartnäckigkeit beharrte man darauf, und immer stürmischer wurde das Begehren, sie als Gegengabe für die Zustimmung zur Finanzreform im Reiche zu fordern. Das Entgegenkommen der preußischen Regierung (also doch auch Bülows), in der Thronrede eine organische Abänderung des preußischen Wahlrechts (kein allgemeines gleiches Wahlrecht) in Aussicht zu stellen, verfehlte seinen Zweck. Dann kam noch die Forderung des parlamentarischen Regiments hinzu, weil man nach der allgemeinen Abkanzelung in der Milieupresse den Kaiser und wegen des argen Versehens im Auswärtigen Amte den Kanzler als dafür genügend mürbe gemacht ansah. Seit der Konfliktsperiode war keine gleich Moße Täuschung einer Partei über ihre Macht vorgekommen. Alldem gegenüber mußte Fürst Bülow seine Idee einer Reform des parla¬ mentarischen Lebens durch den Block als gescheitert ansehen, denn der Augenblick mußte kommen, wo die Konservativen diesem sich selbst überstürzenden demokratischen Drängen eine unzweifelhafte Absage erteilen würden, und sie ist bei der Beratung der Reichsfincmzreform erfolgt. Fürst Bülow hat sich danach darauf beschränkt, wenigstens noch das gänzliche Scheiter» der Finanzreform zu verhüten, die dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/67>, abgerufen am 31.05.2024.