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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher

Natur im großen und im kleinen hatte er immer ein offenes Ange und für
die verschiednen Formen der künstlerischen Betätigung ein fein empfuudnes
Urteil. Seine ganz besondre Neigung gehörte der Musik. Dem Spiele seiner
zweiten Gattin lauschend mag er manchmal die Lösung verwickelter Natur-
Prozesse gefunden oder neue Gedankengänge in bisher dunkle Gebiete getrieben
haben. Und wenn sich vollends zu der Künstlerin auf dem Klavier Joseph
Joachim, Robert Hausmann oder Generalarzt Schayer, der unvergeßliche
Meister des Cello, gesellten, dann gedachte er sicherlich jenes Satzes von Platon:
we,' y?,^.oc7o^>t"s ovo^' ^e//c?r^L ^o^<7ex^s.

Ein besondres Kapitel müßte seiner Freundschaft mit Johannes Brahms
gewidmet werden, mit dem er in regem Briefwechsel stand. Die Engelmannsche
gewinnende Herzlichkeit löste verwandte Eigenschaften bei dem Wiener Kom¬
ponisten aus, und schwerlich hätte einer dem sonst so knorrigen Meister der
Töne so viel schalkhaften Humor und harmlose Fröhlichkeit zugetraut, wie sie
in diesem Kreise in Wort und Schrift zum Vorschein kam. "Seinem Freunde
Professor Dr. Engelmann" hat Brahms sein drittes Streichquartett B-Dur,
Opus 67 gewidmet zum bleibenden Gedächtnis an so manche Stunde gemeinsam
getragnen Leides und gemeinsamer Freude. Gehend und nehmend, in klarer
Erkenntnis, daß ihre scheinbar verschiednen Gedankenwelten einen gemeinsamen
Ursprung und das gleiche Streben nach Vervollkommnung hatten, blieben die
beiden Männer in treuer Freundschaft bis zum Tode verbunden.

Für die Griechen war der Nachruhm das Höchste, wonach sie strebten.
Dieses Ziel hat Engelmann vollauf erreicht. Aber nicht nur in Abhand¬
lungen und Büchern wird er fortleben, sondern noch mehr im Herzen seiner
vielen Schüler, die über die weite Welt verstreut sein Andenken und seine
Lehren heilig halten. Zwar hat es gewiß Lehrer gegeben und mag es in
Zukunft geben, die durch glänzendere Beredsamkeit oder geistreichere Apercus
bestechen; aber stärker gefesselt hat wohl selten einer. Der Zauber, den die
Göttin der Wissenschaft, der er sein Leben und seine Arbeit gewidmet hatte,
über ihn ausgoß, wirkte eben auf jeden und führte den Hörer besser und
unmittelbarer in ihr Reich ein als Thesen und Hypothesen, die nicht selten ein
kurzes Dasein fristen und dann ihre eignen Propheten unter sich begraben.

Der frische Grabhügel, an dem wir stehn, bedeutet nicht bloß den Ab¬
schluß eines Menschenlebens, sondern vielleicht noch eindringlicher den Abschluß
einer ganzen Ära; und angesichts eines solchen Abschnitts lernen wir den
alten arabischen Spruch neu begreifen: "Das Sinken der Wissenschaft ist ein
kleineres Übel als der Tod ihrer Meister."


Oberstabsarzt!)>', Buttersack


Theodor Wilhelm Engelmann, ein deutscher Forscher

Natur im großen und im kleinen hatte er immer ein offenes Ange und für
die verschiednen Formen der künstlerischen Betätigung ein fein empfuudnes
Urteil. Seine ganz besondre Neigung gehörte der Musik. Dem Spiele seiner
zweiten Gattin lauschend mag er manchmal die Lösung verwickelter Natur-
Prozesse gefunden oder neue Gedankengänge in bisher dunkle Gebiete getrieben
haben. Und wenn sich vollends zu der Künstlerin auf dem Klavier Joseph
Joachim, Robert Hausmann oder Generalarzt Schayer, der unvergeßliche
Meister des Cello, gesellten, dann gedachte er sicherlich jenes Satzes von Platon:
we,' y?,^.oc7o^>t«s ovo^' ^e//c?r^L ^o^<7ex^s.

Ein besondres Kapitel müßte seiner Freundschaft mit Johannes Brahms
gewidmet werden, mit dem er in regem Briefwechsel stand. Die Engelmannsche
gewinnende Herzlichkeit löste verwandte Eigenschaften bei dem Wiener Kom¬
ponisten aus, und schwerlich hätte einer dem sonst so knorrigen Meister der
Töne so viel schalkhaften Humor und harmlose Fröhlichkeit zugetraut, wie sie
in diesem Kreise in Wort und Schrift zum Vorschein kam. „Seinem Freunde
Professor Dr. Engelmann" hat Brahms sein drittes Streichquartett B-Dur,
Opus 67 gewidmet zum bleibenden Gedächtnis an so manche Stunde gemeinsam
getragnen Leides und gemeinsamer Freude. Gehend und nehmend, in klarer
Erkenntnis, daß ihre scheinbar verschiednen Gedankenwelten einen gemeinsamen
Ursprung und das gleiche Streben nach Vervollkommnung hatten, blieben die
beiden Männer in treuer Freundschaft bis zum Tode verbunden.

Für die Griechen war der Nachruhm das Höchste, wonach sie strebten.
Dieses Ziel hat Engelmann vollauf erreicht. Aber nicht nur in Abhand¬
lungen und Büchern wird er fortleben, sondern noch mehr im Herzen seiner
vielen Schüler, die über die weite Welt verstreut sein Andenken und seine
Lehren heilig halten. Zwar hat es gewiß Lehrer gegeben und mag es in
Zukunft geben, die durch glänzendere Beredsamkeit oder geistreichere Apercus
bestechen; aber stärker gefesselt hat wohl selten einer. Der Zauber, den die
Göttin der Wissenschaft, der er sein Leben und seine Arbeit gewidmet hatte,
über ihn ausgoß, wirkte eben auf jeden und führte den Hörer besser und
unmittelbarer in ihr Reich ein als Thesen und Hypothesen, die nicht selten ein
kurzes Dasein fristen und dann ihre eignen Propheten unter sich begraben.

Der frische Grabhügel, an dem wir stehn, bedeutet nicht bloß den Ab¬
schluß eines Menschenlebens, sondern vielleicht noch eindringlicher den Abschluß
einer ganzen Ära; und angesichts eines solchen Abschnitts lernen wir den
alten arabischen Spruch neu begreifen: „Das Sinken der Wissenschaft ist ein
kleineres Übel als der Tod ihrer Meister."


Oberstabsarzt!)>', Buttersack


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/91>, abgerufen am 13.05.2024.