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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor
Line psychologische Studie
Zur ersten Wiederkehr seines Todestages (20. Oktober)

olange er lebte, wurden immer wieder die Stimmen derer, die
ihn schalten, gleich häufig gehört mit solchen, die ihn priesen,
ja im ganzen wohl häufiger, mit Ausnahme etwa der letzten
Periode seines Lebens. Das Schelten beruhte zumeist auf per¬
sönlichen Erfahrungen der einzelnen, das Rühmen auf der Er¬
wägung seiner Bedeutung für das Ganze. Man darf wohl von vornherein
aussprechen, daß die einzelnen dem viel müssen verzeihen können, der für das
Ganze viel getan hat. Jedenfalls pflegt die Allgemeinheit mit der Zeit über
die Klagen der einzelnen, ja über das ihnen unzweifelhaft widerfcchrne Un¬
recht hinwcgzugehn, wenn ein Wertvolles im ganzen von jemand geleistet
wurde. Sonst möchte die ganze Menschengeschichte kaum eine einzige voll
sympathische Gestalt aufzuweisen haben. Ferner: wenn in gewissem Sinne
beinahe wir alle als problematische Naturen bezeichnet werden könnten, da
jeder zuzeiten den ihm näher kommenden Rätsel zu raten aufgibt, so sind doch
überragende Persönlichkeiten fast immer auch besonders kompliziert. Sehr oft
scheinen sie ganz Unvereinbares in ihrem Wesen darzubieten. Es scheint fast,
daß sich ganz kraftvolle Naturen erst auf einer Basis von weit auseinander
laufenden Linien erheben. Und mehr noch, als die sich ausprägenden
Charakterzüge, mögen die einzelnen Handlungen auseinanderfallen. Ist doch
selbst der Edle nicht unfähig, gelegentlich Gemeines zu tun, und der an Wohl¬
wollen reiche vermag sich in einzelnen Momenten grausam zu erweisen.

Aber es gibt freilich besondre Naturen, die uns immer wieder von neuem
überraschen, selbst dann, wenn wir sie längst völlig zu kennen glauben. Das
könnten solche sein, deren Unstetigkeit, Wandelbarkeit, ja ewige Unfertigkeit
einen gewissen leicht pathologischen Untergrund hat, und unter den als normal
geltenden bewegen sich ja allerwärts der leicht abnormen so viele. Aber


Grenzboten IV 19yg ^


Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor
Line psychologische Studie
Zur ersten Wiederkehr seines Todestages (20. Oktober)

olange er lebte, wurden immer wieder die Stimmen derer, die
ihn schalten, gleich häufig gehört mit solchen, die ihn priesen,
ja im ganzen wohl häufiger, mit Ausnahme etwa der letzten
Periode seines Lebens. Das Schelten beruhte zumeist auf per¬
sönlichen Erfahrungen der einzelnen, das Rühmen auf der Er¬
wägung seiner Bedeutung für das Ganze. Man darf wohl von vornherein
aussprechen, daß die einzelnen dem viel müssen verzeihen können, der für das
Ganze viel getan hat. Jedenfalls pflegt die Allgemeinheit mit der Zeit über
die Klagen der einzelnen, ja über das ihnen unzweifelhaft widerfcchrne Un¬
recht hinwcgzugehn, wenn ein Wertvolles im ganzen von jemand geleistet
wurde. Sonst möchte die ganze Menschengeschichte kaum eine einzige voll
sympathische Gestalt aufzuweisen haben. Ferner: wenn in gewissem Sinne
beinahe wir alle als problematische Naturen bezeichnet werden könnten, da
jeder zuzeiten den ihm näher kommenden Rätsel zu raten aufgibt, so sind doch
überragende Persönlichkeiten fast immer auch besonders kompliziert. Sehr oft
scheinen sie ganz Unvereinbares in ihrem Wesen darzubieten. Es scheint fast,
daß sich ganz kraftvolle Naturen erst auf einer Basis von weit auseinander
laufenden Linien erheben. Und mehr noch, als die sich ausprägenden
Charakterzüge, mögen die einzelnen Handlungen auseinanderfallen. Ist doch
selbst der Edle nicht unfähig, gelegentlich Gemeines zu tun, und der an Wohl¬
wollen reiche vermag sich in einzelnen Momenten grausam zu erweisen.

Aber es gibt freilich besondre Naturen, die uns immer wieder von neuem
überraschen, selbst dann, wenn wir sie längst völlig zu kennen glauben. Das
könnten solche sein, deren Unstetigkeit, Wandelbarkeit, ja ewige Unfertigkeit
einen gewissen leicht pathologischen Untergrund hat, und unter den als normal
geltenden bewegen sich ja allerwärts der leicht abnormen so viele. Aber


Grenzboten IV 19yg ^
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[0105] [Abbildung] Friedrich Althoff, der preußische Ministerialdirektor Line psychologische Studie Zur ersten Wiederkehr seines Todestages (20. Oktober) olange er lebte, wurden immer wieder die Stimmen derer, die ihn schalten, gleich häufig gehört mit solchen, die ihn priesen, ja im ganzen wohl häufiger, mit Ausnahme etwa der letzten Periode seines Lebens. Das Schelten beruhte zumeist auf per¬ sönlichen Erfahrungen der einzelnen, das Rühmen auf der Er¬ wägung seiner Bedeutung für das Ganze. Man darf wohl von vornherein aussprechen, daß die einzelnen dem viel müssen verzeihen können, der für das Ganze viel getan hat. Jedenfalls pflegt die Allgemeinheit mit der Zeit über die Klagen der einzelnen, ja über das ihnen unzweifelhaft widerfcchrne Un¬ recht hinwcgzugehn, wenn ein Wertvolles im ganzen von jemand geleistet wurde. Sonst möchte die ganze Menschengeschichte kaum eine einzige voll sympathische Gestalt aufzuweisen haben. Ferner: wenn in gewissem Sinne beinahe wir alle als problematische Naturen bezeichnet werden könnten, da jeder zuzeiten den ihm näher kommenden Rätsel zu raten aufgibt, so sind doch überragende Persönlichkeiten fast immer auch besonders kompliziert. Sehr oft scheinen sie ganz Unvereinbares in ihrem Wesen darzubieten. Es scheint fast, daß sich ganz kraftvolle Naturen erst auf einer Basis von weit auseinander laufenden Linien erheben. Und mehr noch, als die sich ausprägenden Charakterzüge, mögen die einzelnen Handlungen auseinanderfallen. Ist doch selbst der Edle nicht unfähig, gelegentlich Gemeines zu tun, und der an Wohl¬ wollen reiche vermag sich in einzelnen Momenten grausam zu erweisen. Aber es gibt freilich besondre Naturen, die uns immer wieder von neuem überraschen, selbst dann, wenn wir sie längst völlig zu kennen glauben. Das könnten solche sein, deren Unstetigkeit, Wandelbarkeit, ja ewige Unfertigkeit einen gewissen leicht pathologischen Untergrund hat, und unter den als normal geltenden bewegen sich ja allerwärts der leicht abnormen so viele. Aber Grenzboten IV 19yg ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/105>, abgerufen am 22.05.2024.