Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Der Effendi lernt sie inmitten des Beduinenheeres kennen, wie sie nach uralter
arabischer Sitte die Männer in hieratischer Ekstase zum Kampfe aufreizt. Und
nun entspinnt sich zwischen ihm und ihr aus leichtem Getändel eine ernste Liebe.
Die, auf dem Kamele stehend, fürstlich geschmückt, mit Prophetengebärde wie
geschlechtslos erscheint, wird ganz Weib. Eifersucht schlägt dazwischen. Und
erst im Augenblick der Trennung wird das tiefe Gefühl, dem nie Erfüllung
werden kann, Wort. Und in einem wundervollen Bilde bleibt die Gestalt der
Entschwindenden für immer dem Gedächtnis des Mannes eingegraben. Hattidja
durchschreitet als letzte des friedlich heimkehrenden Stammes mit ihren Nächsten
den Euphrat. "Sie hatte sich nach mir umgewandt und hob, langsam winkend,
den nackten, schlanken Arm, und aus ihrem weit geöffneten Munde zog wie
ein Hilferuf ein Schrei über das Wasser: Taal ... Taal ... Taal!" Komm,
komm, komm -- es ist der Ruf, mit dem die Reiter, neben ihren Rossen
schwimmend, diese und sich untereinander ermutigen. Was aber gibt es hier
dem Einsamen für eine lang nachhallende Empfindung mit!

Immer wieder die Geschichte menschlicher Herzen, die unter jeder Sonne
gleichen Schmerz empfinden. So echt und fein die Umwelt dieser Menschen
festgehalten ist -- der Gestalter verleugnet sich nie, der in gehaltner Bewegung,
in beherrschten Ton sein Bestes gibt. Und dennoch darf man nicht sagen,
Rudolf Lindau habe seinem Lehrer und seinem Freunde Wasser in den Wein
gegossen, als er die Glut des Orients mit der Wärme deutschen Gefühls, eines
"deutscheren Herzens", wie es von einem seiner Helden heißt, dämpfte. Er
mußte seine Persönlichkeit durchhalten. Und wenn er wohl mit Hebbel sprechen
mochte:

so hat er wie der Dithmarscher dem Leben nie sein Recht beschränkt. Aber
er behielt im Rausch des Orients die deutsche Geste. Er verflachte nicht leicht¬
sinnig, wie der Sänger Mirza Schaffys, tiefe Weisheit zu banalen Kneipspruch,
er bannte das Leben mit sicherer Hand, hob den menschlichen Kern aus dem
fremden Gewände und ließ uns die vertraute Meisterschaft auch da spüren, wo
die kleine Welt scheinbar eine ganz fremde Welt geworden war.




Grenzboten IV 190930
Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei

Der Effendi lernt sie inmitten des Beduinenheeres kennen, wie sie nach uralter
arabischer Sitte die Männer in hieratischer Ekstase zum Kampfe aufreizt. Und
nun entspinnt sich zwischen ihm und ihr aus leichtem Getändel eine ernste Liebe.
Die, auf dem Kamele stehend, fürstlich geschmückt, mit Prophetengebärde wie
geschlechtslos erscheint, wird ganz Weib. Eifersucht schlägt dazwischen. Und
erst im Augenblick der Trennung wird das tiefe Gefühl, dem nie Erfüllung
werden kann, Wort. Und in einem wundervollen Bilde bleibt die Gestalt der
Entschwindenden für immer dem Gedächtnis des Mannes eingegraben. Hattidja
durchschreitet als letzte des friedlich heimkehrenden Stammes mit ihren Nächsten
den Euphrat. „Sie hatte sich nach mir umgewandt und hob, langsam winkend,
den nackten, schlanken Arm, und aus ihrem weit geöffneten Munde zog wie
ein Hilferuf ein Schrei über das Wasser: Taal ... Taal ... Taal!" Komm,
komm, komm — es ist der Ruf, mit dem die Reiter, neben ihren Rossen
schwimmend, diese und sich untereinander ermutigen. Was aber gibt es hier
dem Einsamen für eine lang nachhallende Empfindung mit!

Immer wieder die Geschichte menschlicher Herzen, die unter jeder Sonne
gleichen Schmerz empfinden. So echt und fein die Umwelt dieser Menschen
festgehalten ist — der Gestalter verleugnet sich nie, der in gehaltner Bewegung,
in beherrschten Ton sein Bestes gibt. Und dennoch darf man nicht sagen,
Rudolf Lindau habe seinem Lehrer und seinem Freunde Wasser in den Wein
gegossen, als er die Glut des Orients mit der Wärme deutschen Gefühls, eines
„deutscheren Herzens", wie es von einem seiner Helden heißt, dämpfte. Er
mußte seine Persönlichkeit durchhalten. Und wenn er wohl mit Hebbel sprechen
mochte:

so hat er wie der Dithmarscher dem Leben nie sein Recht beschränkt. Aber
er behielt im Rausch des Orients die deutsche Geste. Er verflachte nicht leicht¬
sinnig, wie der Sänger Mirza Schaffys, tiefe Weisheit zu banalen Kneipspruch,
er bannte das Leben mit sicherer Hand, hob den menschlichen Kern aus dem
fremden Gewände und ließ uns die vertraute Meisterschaft auch da spüren, wo
die kleine Welt scheinbar eine ganz fremde Welt geworden war.




Grenzboten IV 190930
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314588"/>
          <fw type="header" place="top"> Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1178" prev="#ID_1177"> Der Effendi lernt sie inmitten des Beduinenheeres kennen, wie sie nach uralter<lb/>
arabischer Sitte die Männer in hieratischer Ekstase zum Kampfe aufreizt. Und<lb/>
nun entspinnt sich zwischen ihm und ihr aus leichtem Getändel eine ernste Liebe.<lb/>
Die, auf dem Kamele stehend, fürstlich geschmückt, mit Prophetengebärde wie<lb/>
geschlechtslos erscheint, wird ganz Weib. Eifersucht schlägt dazwischen. Und<lb/>
erst im Augenblick der Trennung wird das tiefe Gefühl, dem nie Erfüllung<lb/>
werden kann, Wort. Und in einem wundervollen Bilde bleibt die Gestalt der<lb/>
Entschwindenden für immer dem Gedächtnis des Mannes eingegraben. Hattidja<lb/>
durchschreitet als letzte des friedlich heimkehrenden Stammes mit ihren Nächsten<lb/>
den Euphrat. &#x201E;Sie hatte sich nach mir umgewandt und hob, langsam winkend,<lb/>
den nackten, schlanken Arm, und aus ihrem weit geöffneten Munde zog wie<lb/>
ein Hilferuf ein Schrei über das Wasser: Taal ... Taal ... Taal!" Komm,<lb/>
komm, komm &#x2014; es ist der Ruf, mit dem die Reiter, neben ihren Rossen<lb/>
schwimmend, diese und sich untereinander ermutigen. Was aber gibt es hier<lb/>
dem Einsamen für eine lang nachhallende Empfindung mit!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1179"> Immer wieder die Geschichte menschlicher Herzen, die unter jeder Sonne<lb/>
gleichen Schmerz empfinden. So echt und fein die Umwelt dieser Menschen<lb/>
festgehalten ist &#x2014; der Gestalter verleugnet sich nie, der in gehaltner Bewegung,<lb/>
in beherrschten Ton sein Bestes gibt. Und dennoch darf man nicht sagen,<lb/>
Rudolf Lindau habe seinem Lehrer und seinem Freunde Wasser in den Wein<lb/>
gegossen, als er die Glut des Orients mit der Wärme deutschen Gefühls, eines<lb/>
&#x201E;deutscheren Herzens", wie es von einem seiner Helden heißt, dämpfte. Er<lb/>
mußte seine Persönlichkeit durchhalten. Und wenn er wohl mit Hebbel sprechen<lb/>
mochte:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_13" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1180"> so hat er wie der Dithmarscher dem Leben nie sein Recht beschränkt. Aber<lb/>
er behielt im Rausch des Orients die deutsche Geste. Er verflachte nicht leicht¬<lb/>
sinnig, wie der Sänger Mirza Schaffys, tiefe Weisheit zu banalen Kneipspruch,<lb/>
er bannte das Leben mit sicherer Hand, hob den menschlichen Kern aus dem<lb/>
fremden Gewände und ließ uns die vertraute Meisterschaft auch da spüren, wo<lb/>
die kleine Welt scheinbar eine ganz fremde Welt geworden war.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 190930</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] Rudolf Lindaus Geschichten aus der Türkei Der Effendi lernt sie inmitten des Beduinenheeres kennen, wie sie nach uralter arabischer Sitte die Männer in hieratischer Ekstase zum Kampfe aufreizt. Und nun entspinnt sich zwischen ihm und ihr aus leichtem Getändel eine ernste Liebe. Die, auf dem Kamele stehend, fürstlich geschmückt, mit Prophetengebärde wie geschlechtslos erscheint, wird ganz Weib. Eifersucht schlägt dazwischen. Und erst im Augenblick der Trennung wird das tiefe Gefühl, dem nie Erfüllung werden kann, Wort. Und in einem wundervollen Bilde bleibt die Gestalt der Entschwindenden für immer dem Gedächtnis des Mannes eingegraben. Hattidja durchschreitet als letzte des friedlich heimkehrenden Stammes mit ihren Nächsten den Euphrat. „Sie hatte sich nach mir umgewandt und hob, langsam winkend, den nackten, schlanken Arm, und aus ihrem weit geöffneten Munde zog wie ein Hilferuf ein Schrei über das Wasser: Taal ... Taal ... Taal!" Komm, komm, komm — es ist der Ruf, mit dem die Reiter, neben ihren Rossen schwimmend, diese und sich untereinander ermutigen. Was aber gibt es hier dem Einsamen für eine lang nachhallende Empfindung mit! Immer wieder die Geschichte menschlicher Herzen, die unter jeder Sonne gleichen Schmerz empfinden. So echt und fein die Umwelt dieser Menschen festgehalten ist — der Gestalter verleugnet sich nie, der in gehaltner Bewegung, in beherrschten Ton sein Bestes gibt. Und dennoch darf man nicht sagen, Rudolf Lindau habe seinem Lehrer und seinem Freunde Wasser in den Wein gegossen, als er die Glut des Orients mit der Wärme deutschen Gefühls, eines „deutscheren Herzens", wie es von einem seiner Helden heißt, dämpfte. Er mußte seine Persönlichkeit durchhalten. Und wenn er wohl mit Hebbel sprechen mochte: so hat er wie der Dithmarscher dem Leben nie sein Recht beschränkt. Aber er behielt im Rausch des Orients die deutsche Geste. Er verflachte nicht leicht¬ sinnig, wie der Sänger Mirza Schaffys, tiefe Weisheit zu banalen Kneipspruch, er bannte das Leben mit sicherer Hand, hob den menschlichen Kern aus dem fremden Gewände und ließ uns die vertraute Meisterschaft auch da spüren, wo die kleine Welt scheinbar eine ganz fremde Welt geworden war. Grenzboten IV 190930

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/241>, abgerufen am 21.05.2024.