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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Molmerschwende und Schielo

ihm zu selten gelingt, bloß Mensch zu sein, vergessend die Last der Überlieferung,
die Bürde der Kultur. "Eines zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstver¬
gessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und
Freuden, das ist die heilige Vergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag
seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert, und das kochende Meer der
Woge des Kornfeldes gleicht." So schiens mir zu tönen und herabzusingen, viel¬
stimmig, aus der goldiggrüner Dämmerung über mir; und harmonisch klang es aus
meinem Innern zurück, wiederum mit den wunderbaren Worten des naturfrommen
Hölderlin: "Eines zu sein mit allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend
den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken
schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, ... und aus dem Bunde der Wesen
schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert
die Welt." Ich öffne die träumenden Angen und richte sie auf den Waldboden -- da
ist sie schon wieder, die Kultur! da liegt ausgebreitet die Landkarte, neben Meyers
Reisebuch über den Harz. Die Ellbogen auf die Erde gestemmt, den Kopf auf beide
Fäuste gestützt, beginne ich mit den Blicken das verschlungn? Netz der tausend Wege
und Stege zu befahren, das da über Täter und Höhen, zwischen Städten, Dörfern,
Weilern und einsamen Forsthäusern ausgebreitet säuberlich gezeichnet ist. Welche
Fülle sagenhafter, Weltgeschichtlicherund kulturgeschichtlicher Erinnerungen weckt ein
Blick auf die Karte des Harzgebirges: von Quedlinburg, Ballenstedt und Gernrode
im äußersten Osten bis hinüber nach dem steingrauen, turmreichen Goslar, nach dem
alten Senhor (jetzt Seesen) und Gandersheim im äußersten Westen; und wieder
herüber, südostwärts, über die Bergstädte Wildemann, Zellerfeld und Klausthal
bis herunter nach Walkenried, Ilfeld und Stolberg!

Wohl keines unsrer deutschen Gebirge ruft auch so viele Namen der Literatur¬
geschichte wach wie der Harz. Gleims "Hüttchen" in Halberstadt haben wir schon
besucht; ganz nahe südwestlich davon liegt das Örtchen Langenstein, bei dem wir
der schönen Frau Marquise Branconi gedenken und ihres Verkehrs mit Lavater und
Goethe; in Quedlinburg, einer der alleröltesten Städte Deutschlands, stehen die
Geburtshäuser Klopstocks, des Geographen Karl Ritter und des Turnvaters Guts
Muths; Ballenstedt ist die Heimat des trefflichen Johann Amt, des Verfassers der
Bücher "Vom wahren Christentum", südlich von Ballenstedt, in dem wellverlassenen
Dörfchen Molmerschwende ist Gottfried August Bürger geboren, das liebliche
Stolberg ist die Heimat Johann Gottfried Schnabels und seines einst vielgelesenen
Romans "Die Insel Felsenburg", auch Schönborn, der Freund Klopstocks und
Goethes, stammt aus Stolberg. Und so tauchen vor dem rückgewandtem Blick immer
neue Gestalten und Charakterköpfe auf, bis uns in Gandersheim ans tausendjähriger
Tiefe der Zeiten auch der ehrwürdige Schatten Hruodswinthas, der dichtenden
Benediklinernonne, entgegentritt.

Wie aber der hohe Scheitel des Brockens, "den mit Geisterreihen kränzten
ahnende Völker", alle Höhen ringsum überragt, so hebt eine Dichtergestalt, wenn
wir an den Harz denken, sich über alle hoch empor, das ist -- nicht Heinrich Heine,
der uns in seiner beliebten "Harzreise" zwar mit recht amüsanten Witzen unter¬
hält, zugleich aber das von ihm Geschaute: Berge und Täter, Wälder und Ort¬
schaften, Gewässer und Felsen mit einem so dichten Gespinst von Reflexion und
subjektiven Gefühlsfaden überzieht und zudeckt, daß wir vom Wesen des Harzes in
Wirklichkeit nichts gewahr werden. Mit Recht sagt daher auch der beste Schilder"
dieses Gebirges. Hans Hoffmann, in seinem trefflichen Büchlein "Harzwanderungen"
von Heines Reisebeschreibung: "Über den Harz bringt sie eigentlich gar nichts als
klingende Reden, die ebensogut auf jedes andre Gebirge der Welt oder wenigstens
Deutschlands passen." Der Eine, alle Gestalten überragende heißt Goethe; er ist
es, der uns in seinen Gedichten "Harzreise im Winter" und "Die erste Walpurgis-


Molmerschwende und Schielo

ihm zu selten gelingt, bloß Mensch zu sein, vergessend die Last der Überlieferung,
die Bürde der Kultur. „Eines zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstver¬
gessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und
Freuden, das ist die heilige Vergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag
seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert, und das kochende Meer der
Woge des Kornfeldes gleicht." So schiens mir zu tönen und herabzusingen, viel¬
stimmig, aus der goldiggrüner Dämmerung über mir; und harmonisch klang es aus
meinem Innern zurück, wiederum mit den wunderbaren Worten des naturfrommen
Hölderlin: „Eines zu sein mit allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend
den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken
schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, ... und aus dem Bunde der Wesen
schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert
die Welt." Ich öffne die träumenden Angen und richte sie auf den Waldboden — da
ist sie schon wieder, die Kultur! da liegt ausgebreitet die Landkarte, neben Meyers
Reisebuch über den Harz. Die Ellbogen auf die Erde gestemmt, den Kopf auf beide
Fäuste gestützt, beginne ich mit den Blicken das verschlungn? Netz der tausend Wege
und Stege zu befahren, das da über Täter und Höhen, zwischen Städten, Dörfern,
Weilern und einsamen Forsthäusern ausgebreitet säuberlich gezeichnet ist. Welche
Fülle sagenhafter, Weltgeschichtlicherund kulturgeschichtlicher Erinnerungen weckt ein
Blick auf die Karte des Harzgebirges: von Quedlinburg, Ballenstedt und Gernrode
im äußersten Osten bis hinüber nach dem steingrauen, turmreichen Goslar, nach dem
alten Senhor (jetzt Seesen) und Gandersheim im äußersten Westen; und wieder
herüber, südostwärts, über die Bergstädte Wildemann, Zellerfeld und Klausthal
bis herunter nach Walkenried, Ilfeld und Stolberg!

Wohl keines unsrer deutschen Gebirge ruft auch so viele Namen der Literatur¬
geschichte wach wie der Harz. Gleims „Hüttchen" in Halberstadt haben wir schon
besucht; ganz nahe südwestlich davon liegt das Örtchen Langenstein, bei dem wir
der schönen Frau Marquise Branconi gedenken und ihres Verkehrs mit Lavater und
Goethe; in Quedlinburg, einer der alleröltesten Städte Deutschlands, stehen die
Geburtshäuser Klopstocks, des Geographen Karl Ritter und des Turnvaters Guts
Muths; Ballenstedt ist die Heimat des trefflichen Johann Amt, des Verfassers der
Bücher „Vom wahren Christentum", südlich von Ballenstedt, in dem wellverlassenen
Dörfchen Molmerschwende ist Gottfried August Bürger geboren, das liebliche
Stolberg ist die Heimat Johann Gottfried Schnabels und seines einst vielgelesenen
Romans „Die Insel Felsenburg", auch Schönborn, der Freund Klopstocks und
Goethes, stammt aus Stolberg. Und so tauchen vor dem rückgewandtem Blick immer
neue Gestalten und Charakterköpfe auf, bis uns in Gandersheim ans tausendjähriger
Tiefe der Zeiten auch der ehrwürdige Schatten Hruodswinthas, der dichtenden
Benediklinernonne, entgegentritt.

Wie aber der hohe Scheitel des Brockens, „den mit Geisterreihen kränzten
ahnende Völker", alle Höhen ringsum überragt, so hebt eine Dichtergestalt, wenn
wir an den Harz denken, sich über alle hoch empor, das ist — nicht Heinrich Heine,
der uns in seiner beliebten „Harzreise" zwar mit recht amüsanten Witzen unter¬
hält, zugleich aber das von ihm Geschaute: Berge und Täter, Wälder und Ort¬
schaften, Gewässer und Felsen mit einem so dichten Gespinst von Reflexion und
subjektiven Gefühlsfaden überzieht und zudeckt, daß wir vom Wesen des Harzes in
Wirklichkeit nichts gewahr werden. Mit Recht sagt daher auch der beste Schilder«
dieses Gebirges. Hans Hoffmann, in seinem trefflichen Büchlein „Harzwanderungen"
von Heines Reisebeschreibung: „Über den Harz bringt sie eigentlich gar nichts als
klingende Reden, die ebensogut auf jedes andre Gebirge der Welt oder wenigstens
Deutschlands passen." Der Eine, alle Gestalten überragende heißt Goethe; er ist
es, der uns in seinen Gedichten „Harzreise im Winter" und „Die erste Walpurgis-


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[0578] Molmerschwende und Schielo ihm zu selten gelingt, bloß Mensch zu sein, vergessend die Last der Überlieferung, die Bürde der Kultur. „Eines zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstver¬ gessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden, das ist die heilige Vergeshöhe, der Ort der ewigen Ruhe, wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert, und das kochende Meer der Woge des Kornfeldes gleicht." So schiens mir zu tönen und herabzusingen, viel¬ stimmig, aus der goldiggrüner Dämmerung über mir; und harmonisch klang es aus meinem Innern zurück, wiederum mit den wunderbaren Worten des naturfrommen Hölderlin: „Eines zu sein mit allem, was lebt! Mit diesem Worte legt die Tugend den zürnenden Harnisch, der Geist des Menschen den Zepter weg, und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, ... und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget, verschönert die Welt." Ich öffne die träumenden Angen und richte sie auf den Waldboden — da ist sie schon wieder, die Kultur! da liegt ausgebreitet die Landkarte, neben Meyers Reisebuch über den Harz. Die Ellbogen auf die Erde gestemmt, den Kopf auf beide Fäuste gestützt, beginne ich mit den Blicken das verschlungn? Netz der tausend Wege und Stege zu befahren, das da über Täter und Höhen, zwischen Städten, Dörfern, Weilern und einsamen Forsthäusern ausgebreitet säuberlich gezeichnet ist. Welche Fülle sagenhafter, Weltgeschichtlicherund kulturgeschichtlicher Erinnerungen weckt ein Blick auf die Karte des Harzgebirges: von Quedlinburg, Ballenstedt und Gernrode im äußersten Osten bis hinüber nach dem steingrauen, turmreichen Goslar, nach dem alten Senhor (jetzt Seesen) und Gandersheim im äußersten Westen; und wieder herüber, südostwärts, über die Bergstädte Wildemann, Zellerfeld und Klausthal bis herunter nach Walkenried, Ilfeld und Stolberg! Wohl keines unsrer deutschen Gebirge ruft auch so viele Namen der Literatur¬ geschichte wach wie der Harz. Gleims „Hüttchen" in Halberstadt haben wir schon besucht; ganz nahe südwestlich davon liegt das Örtchen Langenstein, bei dem wir der schönen Frau Marquise Branconi gedenken und ihres Verkehrs mit Lavater und Goethe; in Quedlinburg, einer der alleröltesten Städte Deutschlands, stehen die Geburtshäuser Klopstocks, des Geographen Karl Ritter und des Turnvaters Guts Muths; Ballenstedt ist die Heimat des trefflichen Johann Amt, des Verfassers der Bücher „Vom wahren Christentum", südlich von Ballenstedt, in dem wellverlassenen Dörfchen Molmerschwende ist Gottfried August Bürger geboren, das liebliche Stolberg ist die Heimat Johann Gottfried Schnabels und seines einst vielgelesenen Romans „Die Insel Felsenburg", auch Schönborn, der Freund Klopstocks und Goethes, stammt aus Stolberg. Und so tauchen vor dem rückgewandtem Blick immer neue Gestalten und Charakterköpfe auf, bis uns in Gandersheim ans tausendjähriger Tiefe der Zeiten auch der ehrwürdige Schatten Hruodswinthas, der dichtenden Benediklinernonne, entgegentritt. Wie aber der hohe Scheitel des Brockens, „den mit Geisterreihen kränzten ahnende Völker", alle Höhen ringsum überragt, so hebt eine Dichtergestalt, wenn wir an den Harz denken, sich über alle hoch empor, das ist — nicht Heinrich Heine, der uns in seiner beliebten „Harzreise" zwar mit recht amüsanten Witzen unter¬ hält, zugleich aber das von ihm Geschaute: Berge und Täter, Wälder und Ort¬ schaften, Gewässer und Felsen mit einem so dichten Gespinst von Reflexion und subjektiven Gefühlsfaden überzieht und zudeckt, daß wir vom Wesen des Harzes in Wirklichkeit nichts gewahr werden. Mit Recht sagt daher auch der beste Schilder« dieses Gebirges. Hans Hoffmann, in seinem trefflichen Büchlein „Harzwanderungen" von Heines Reisebeschreibung: „Über den Harz bringt sie eigentlich gar nichts als klingende Reden, die ebensogut auf jedes andre Gebirge der Welt oder wenigstens Deutschlands passen." Der Eine, alle Gestalten überragende heißt Goethe; er ist es, der uns in seinen Gedichten „Harzreise im Winter" und „Die erste Walpurgis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/578>, abgerufen am 22.05.2024.