Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.Zwei politische Romane aufzuhalten. Wer sich nicht durch die Kampfarbeit im engern Kreise um den H. G. Wells ist dagegen ein vollendeter Schriftsteller mit hinreißender Zwei politische Romane aufzuhalten. Wer sich nicht durch die Kampfarbeit im engern Kreise um den H. G. Wells ist dagegen ein vollendeter Schriftsteller mit hinreißender <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0600" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314947"/> <fw type="header" place="top"> Zwei politische Romane</fw><lb/> <p xml:id="ID_2626" prev="#ID_2625"> aufzuhalten. Wer sich nicht durch die Kampfarbeit im engern Kreise um den<lb/> Blick ins weite hat bringen lassen, vermag die Richtigkeit hiervon schon aus<lb/> den Vorgängen der letzten zwei Jahrzehnte in Österreich zu erkennen. Je mehr<lb/> sich die Deutschösterreicher von jenem parlamentarisch-journalistischen Milieu,<lb/> das dort lange Jahre hindurch die öffentliche Meinung beherrscht hat und auch<lb/> noch jetzt in Deutschland die Hauptursache aller innern Schwächen bildet, los¬<lb/> lösen und praktische deutsche Volkspolitik treiben, um so mehr wächst ihre Stärke.<lb/> Das zeigt sich schon unten und oben in der ganzen Monarchie des Donau¬<lb/> reichs. Weder die tschechischen noch die magyarischen Bäume werden in den<lb/> Himmel wachsen. Alle politischen und kommunalen, wirklichen oder bloß ein¬<lb/> gebildeten Verluste — meist Wahlverluste — der Deutschen sind auf das Konto<lb/> jener Milieuwirtschaft zu hundelt, für die wegen des Mißlingens ihrer parla¬<lb/> mentarischen Herrschaftsbestrebungen das Deutschtum gerade gut genug war,<lb/> angeblich seinetwegen Klagelieder anzustimmen und ihm dadurch noch Mut und<lb/> Kraft zu rauben. Es ist jetzt anders geworden, die Deutschösterreicher haben<lb/> sich davon losgemacht und ihr Selbstvertrauen wiedergefunden. Die schon in<lb/> kurzer Zeit crrungnen Erfolge erfüllen sie für die Zukunft mit berechtigten<lb/> Hoffnungen. Diese zu stärken, den Willen zur Erhaltung und Kräftigung des<lb/> deutschen Volkstums zu stählen, dazu hat Schild sein Buch geschrieben, und<lb/> die Zeiten sind gerade jetzt danach angetan, daß es eine zweite Auflage erlebt hat.<lb/> Namentlich der deutsche Leser im Reich kann sich aus den getreuen Schilderungen<lb/> des deutschböhmischen Volkslebens ein andres, richtigeres Bild schaffen, als die<lb/> deutsche Tagespresse hüben und drüben ihm bietet. Er wird Einsicht gewinnen<lb/> in das eigentliche Kampfesleben der Deutschösterreicher um ihr Volkstum,<lb/> wovon er bisher in der Regel nur so viel und in einer Beleuchtung erfuhr, als<lb/> den Berichterstattern über parlamentarische Vorgänge zu deren Verbrämung<lb/> gut schien. Das oft sehr geräuschvoll betriebne parlamentarische Leben ist nicht<lb/> mehr die Hauptsache und findet in Österreich — wie auch in Deutschland — längst<lb/> nicht mehr eine so lebhafte Teilnahme, wie sie der eifrigen Beschäftigung der<lb/> Presse damit entsprechen würde. Schild nimmt in seinem umfangreichen Buche<lb/> (639 Seiten) auch nicht mit einer Silbe darauf bezug. Dafür widmet er sich<lb/> mit warmer Hingebung der sogenannten nationalen Kleinarbeit, die allein das<lb/> Deutschtum erhalten und heben kann. Diese nationale Wärme, die das ganze<lb/> Buch durchzieht und belebt, ist dessen größter Vorzug. Ein eigentlicher Roman¬<lb/> schreiber ist der Verfasser nicht, und er hat diese Darstellungsform wohl auch<lb/> bloß gewählt, um einen größern Leserkreis zu interessieren. Die Anschaulichkeit<lb/> der Darstellung hat dadurch nur gewonnen. Das Buch sei deutschen Lesern<lb/> angelegentlich empfohlen, denn leider wissen wir im allgemeinen noch viel zu<lb/> wenig von dem, was oft dicht hinter unsern Grenzen wirklich vorgeht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2627" next="#ID_2628"> H. G. Wells ist dagegen ein vollendeter Schriftsteller mit hinreißender<lb/> Phantasie und fesselnder Darstellung. Seine phrasenreiche sozialistische Phantastik<lb/> hat schon kürzlich in den Grenzboten (1909. 2. Band, Seite 111. 222) von<lb/> berufner Feder eine gerechte Beurteilung erfahren. Hier soll er nur als Roman-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0600]
Zwei politische Romane
aufzuhalten. Wer sich nicht durch die Kampfarbeit im engern Kreise um den
Blick ins weite hat bringen lassen, vermag die Richtigkeit hiervon schon aus
den Vorgängen der letzten zwei Jahrzehnte in Österreich zu erkennen. Je mehr
sich die Deutschösterreicher von jenem parlamentarisch-journalistischen Milieu,
das dort lange Jahre hindurch die öffentliche Meinung beherrscht hat und auch
noch jetzt in Deutschland die Hauptursache aller innern Schwächen bildet, los¬
lösen und praktische deutsche Volkspolitik treiben, um so mehr wächst ihre Stärke.
Das zeigt sich schon unten und oben in der ganzen Monarchie des Donau¬
reichs. Weder die tschechischen noch die magyarischen Bäume werden in den
Himmel wachsen. Alle politischen und kommunalen, wirklichen oder bloß ein¬
gebildeten Verluste — meist Wahlverluste — der Deutschen sind auf das Konto
jener Milieuwirtschaft zu hundelt, für die wegen des Mißlingens ihrer parla¬
mentarischen Herrschaftsbestrebungen das Deutschtum gerade gut genug war,
angeblich seinetwegen Klagelieder anzustimmen und ihm dadurch noch Mut und
Kraft zu rauben. Es ist jetzt anders geworden, die Deutschösterreicher haben
sich davon losgemacht und ihr Selbstvertrauen wiedergefunden. Die schon in
kurzer Zeit crrungnen Erfolge erfüllen sie für die Zukunft mit berechtigten
Hoffnungen. Diese zu stärken, den Willen zur Erhaltung und Kräftigung des
deutschen Volkstums zu stählen, dazu hat Schild sein Buch geschrieben, und
die Zeiten sind gerade jetzt danach angetan, daß es eine zweite Auflage erlebt hat.
Namentlich der deutsche Leser im Reich kann sich aus den getreuen Schilderungen
des deutschböhmischen Volkslebens ein andres, richtigeres Bild schaffen, als die
deutsche Tagespresse hüben und drüben ihm bietet. Er wird Einsicht gewinnen
in das eigentliche Kampfesleben der Deutschösterreicher um ihr Volkstum,
wovon er bisher in der Regel nur so viel und in einer Beleuchtung erfuhr, als
den Berichterstattern über parlamentarische Vorgänge zu deren Verbrämung
gut schien. Das oft sehr geräuschvoll betriebne parlamentarische Leben ist nicht
mehr die Hauptsache und findet in Österreich — wie auch in Deutschland — längst
nicht mehr eine so lebhafte Teilnahme, wie sie der eifrigen Beschäftigung der
Presse damit entsprechen würde. Schild nimmt in seinem umfangreichen Buche
(639 Seiten) auch nicht mit einer Silbe darauf bezug. Dafür widmet er sich
mit warmer Hingebung der sogenannten nationalen Kleinarbeit, die allein das
Deutschtum erhalten und heben kann. Diese nationale Wärme, die das ganze
Buch durchzieht und belebt, ist dessen größter Vorzug. Ein eigentlicher Roman¬
schreiber ist der Verfasser nicht, und er hat diese Darstellungsform wohl auch
bloß gewählt, um einen größern Leserkreis zu interessieren. Die Anschaulichkeit
der Darstellung hat dadurch nur gewonnen. Das Buch sei deutschen Lesern
angelegentlich empfohlen, denn leider wissen wir im allgemeinen noch viel zu
wenig von dem, was oft dicht hinter unsern Grenzen wirklich vorgeht.
H. G. Wells ist dagegen ein vollendeter Schriftsteller mit hinreißender
Phantasie und fesselnder Darstellung. Seine phrasenreiche sozialistische Phantastik
hat schon kürzlich in den Grenzboten (1909. 2. Band, Seite 111. 222) von
berufner Feder eine gerechte Beurteilung erfahren. Hier soll er nur als Roman-
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