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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Das Berliner Schauspielhaus

Neues aus dem Boden stampft, und wenn er den Geist des Modernen auch
zuweilen zu sehr schminkt, doch wieder zeigt, wie er aus einem Kunstwerk heraus¬
geholt werden kann und muß. Immer werden uns seine starken Gerichte,
die wenigstens dem Eifer und Geschick der Köche kein schlechtes Zeugnis aus¬
stellen, willkommener sein als die Wassersuppen der Wald- und Wiesen¬
aufführungen, die früher Moliöre zu einem altmodischen Nachmittagsprediger
und den vulkanischen Schiller zu einem begeisterten Bezirksredner greulich ent¬
stellen wollten. Unsere klassischen Werke dürfen niemals als tote Stil- und
Sprachmuster mumifiziert werden, wie es bei den Franzosen mit Corneille und
Racine geschieht, denn unsere dramatischen Großmeister sind bei allem, was
wir denken und tun, unsere führenden Geister geblieben.

Der klassische Spielplan des Schauspielhauses verlangt durchweg eine
neue Schulung der Künstler, die sich in ihren Fächern zum großen Teil bereits
abgenützt haben, und die Durchbildung eines Stils, der sich von dem bisher
befolgten durch eine viel größere Wärme und Natürlichkeit unterscheiden muß.
Auf Neuheiten, soweit sie überhaupt in Frage kommen, könnten wir an dieser
Stelle zur Not verzichten. Das historische und patriotische Drama läßt sich
nun einmal nicht, wie man dort noch immer hofft, gewaltsam aus dem Boden
stampfen. Könnte heute ein Stück wie der "Prinz von Homburg" geschrieben
werden, so dürfte sein Dichter zu allerletzt an unser Hoftheater denken. Es gibt in
Berlin genug Bühnen, die jungen Dramatikern auf die Beine helfen. Aber zur
mustergültigen Wiedergabe unserer klassischen Literaturschätze ist das Schauspielhaus
da. und es gibt gar keine Entschuldigung, wenn es diese Aufgabe nicht mit der
größten Vollendung erfüllt. Wie weit ist unsere Hofbühne aber von diesem Ziel in
Wirklichkeit entfernt! Man kann behaupten, daß jede Vorstellung einer Dichtung
von tieferem literarischen Wert schon nach einer Reihe von Jahren vollständig
umgestaltet werden muß, wenn sie nicht den Eindruck des Brüchigen und Ver¬
alteten hinterlassen soll. Ältere Schauspieler müssen von ihren Rollen Abschied
nehmen und sich an ein Fach gewöhnen, das ihrem Alter entspricht. Jüngere
Kräfte sollten herangezogen und ausgebildet werden, noch ehe sich die entstehenden
Lücken allzu deutlich bemerkbar machen. Tempo und Färbung des Spiels
sind abhängig von der Empfindung des Publikums und verlangen immer
erneute Abstimmung auf den modernen Geschmack. Man denke nur an die
Hebbelschen "Nibelungen", die anfänglich mit Matkowskn eine künstlerische Tat
waren, dann aber szenisch und darstellerisch so herunterkamen, daß man sie
gar nicht mehr sehen lassen konnte. Kurzum, wohin man blickt, eröffnet sich
ein reiches Arbeitsfeld, das recht beackert werden muß. Hoffnungen, Zweifel
und Befürchtungen werden für unser Bühnenleben vielfach laut. Man ist
betrübt und schwer enttäuscht, wenn man die Ergebnisse der letzten Winter
heranzieht und sich fragt, was man als bleibenden Gewinn in die Geschichte
unserer dramatischen Kunst einstellen könnte. Es ist alles gegeneinander auf-
sässig geworden und trotz des wilden Flugelschlagens kommen wir zu keinem


Das Berliner Schauspielhaus

Neues aus dem Boden stampft, und wenn er den Geist des Modernen auch
zuweilen zu sehr schminkt, doch wieder zeigt, wie er aus einem Kunstwerk heraus¬
geholt werden kann und muß. Immer werden uns seine starken Gerichte,
die wenigstens dem Eifer und Geschick der Köche kein schlechtes Zeugnis aus¬
stellen, willkommener sein als die Wassersuppen der Wald- und Wiesen¬
aufführungen, die früher Moliöre zu einem altmodischen Nachmittagsprediger
und den vulkanischen Schiller zu einem begeisterten Bezirksredner greulich ent¬
stellen wollten. Unsere klassischen Werke dürfen niemals als tote Stil- und
Sprachmuster mumifiziert werden, wie es bei den Franzosen mit Corneille und
Racine geschieht, denn unsere dramatischen Großmeister sind bei allem, was
wir denken und tun, unsere führenden Geister geblieben.

Der klassische Spielplan des Schauspielhauses verlangt durchweg eine
neue Schulung der Künstler, die sich in ihren Fächern zum großen Teil bereits
abgenützt haben, und die Durchbildung eines Stils, der sich von dem bisher
befolgten durch eine viel größere Wärme und Natürlichkeit unterscheiden muß.
Auf Neuheiten, soweit sie überhaupt in Frage kommen, könnten wir an dieser
Stelle zur Not verzichten. Das historische und patriotische Drama läßt sich
nun einmal nicht, wie man dort noch immer hofft, gewaltsam aus dem Boden
stampfen. Könnte heute ein Stück wie der „Prinz von Homburg" geschrieben
werden, so dürfte sein Dichter zu allerletzt an unser Hoftheater denken. Es gibt in
Berlin genug Bühnen, die jungen Dramatikern auf die Beine helfen. Aber zur
mustergültigen Wiedergabe unserer klassischen Literaturschätze ist das Schauspielhaus
da. und es gibt gar keine Entschuldigung, wenn es diese Aufgabe nicht mit der
größten Vollendung erfüllt. Wie weit ist unsere Hofbühne aber von diesem Ziel in
Wirklichkeit entfernt! Man kann behaupten, daß jede Vorstellung einer Dichtung
von tieferem literarischen Wert schon nach einer Reihe von Jahren vollständig
umgestaltet werden muß, wenn sie nicht den Eindruck des Brüchigen und Ver¬
alteten hinterlassen soll. Ältere Schauspieler müssen von ihren Rollen Abschied
nehmen und sich an ein Fach gewöhnen, das ihrem Alter entspricht. Jüngere
Kräfte sollten herangezogen und ausgebildet werden, noch ehe sich die entstehenden
Lücken allzu deutlich bemerkbar machen. Tempo und Färbung des Spiels
sind abhängig von der Empfindung des Publikums und verlangen immer
erneute Abstimmung auf den modernen Geschmack. Man denke nur an die
Hebbelschen „Nibelungen", die anfänglich mit Matkowskn eine künstlerische Tat
waren, dann aber szenisch und darstellerisch so herunterkamen, daß man sie
gar nicht mehr sehen lassen konnte. Kurzum, wohin man blickt, eröffnet sich
ein reiches Arbeitsfeld, das recht beackert werden muß. Hoffnungen, Zweifel
und Befürchtungen werden für unser Bühnenleben vielfach laut. Man ist
betrübt und schwer enttäuscht, wenn man die Ergebnisse der letzten Winter
heranzieht und sich fragt, was man als bleibenden Gewinn in die Geschichte
unserer dramatischen Kunst einstellen könnte. Es ist alles gegeneinander auf-
sässig geworden und trotz des wilden Flugelschlagens kommen wir zu keinem


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[0120] Das Berliner Schauspielhaus Neues aus dem Boden stampft, und wenn er den Geist des Modernen auch zuweilen zu sehr schminkt, doch wieder zeigt, wie er aus einem Kunstwerk heraus¬ geholt werden kann und muß. Immer werden uns seine starken Gerichte, die wenigstens dem Eifer und Geschick der Köche kein schlechtes Zeugnis aus¬ stellen, willkommener sein als die Wassersuppen der Wald- und Wiesen¬ aufführungen, die früher Moliöre zu einem altmodischen Nachmittagsprediger und den vulkanischen Schiller zu einem begeisterten Bezirksredner greulich ent¬ stellen wollten. Unsere klassischen Werke dürfen niemals als tote Stil- und Sprachmuster mumifiziert werden, wie es bei den Franzosen mit Corneille und Racine geschieht, denn unsere dramatischen Großmeister sind bei allem, was wir denken und tun, unsere führenden Geister geblieben. Der klassische Spielplan des Schauspielhauses verlangt durchweg eine neue Schulung der Künstler, die sich in ihren Fächern zum großen Teil bereits abgenützt haben, und die Durchbildung eines Stils, der sich von dem bisher befolgten durch eine viel größere Wärme und Natürlichkeit unterscheiden muß. Auf Neuheiten, soweit sie überhaupt in Frage kommen, könnten wir an dieser Stelle zur Not verzichten. Das historische und patriotische Drama läßt sich nun einmal nicht, wie man dort noch immer hofft, gewaltsam aus dem Boden stampfen. Könnte heute ein Stück wie der „Prinz von Homburg" geschrieben werden, so dürfte sein Dichter zu allerletzt an unser Hoftheater denken. Es gibt in Berlin genug Bühnen, die jungen Dramatikern auf die Beine helfen. Aber zur mustergültigen Wiedergabe unserer klassischen Literaturschätze ist das Schauspielhaus da. und es gibt gar keine Entschuldigung, wenn es diese Aufgabe nicht mit der größten Vollendung erfüllt. Wie weit ist unsere Hofbühne aber von diesem Ziel in Wirklichkeit entfernt! Man kann behaupten, daß jede Vorstellung einer Dichtung von tieferem literarischen Wert schon nach einer Reihe von Jahren vollständig umgestaltet werden muß, wenn sie nicht den Eindruck des Brüchigen und Ver¬ alteten hinterlassen soll. Ältere Schauspieler müssen von ihren Rollen Abschied nehmen und sich an ein Fach gewöhnen, das ihrem Alter entspricht. Jüngere Kräfte sollten herangezogen und ausgebildet werden, noch ehe sich die entstehenden Lücken allzu deutlich bemerkbar machen. Tempo und Färbung des Spiels sind abhängig von der Empfindung des Publikums und verlangen immer erneute Abstimmung auf den modernen Geschmack. Man denke nur an die Hebbelschen „Nibelungen", die anfänglich mit Matkowskn eine künstlerische Tat waren, dann aber szenisch und darstellerisch so herunterkamen, daß man sie gar nicht mehr sehen lassen konnte. Kurzum, wohin man blickt, eröffnet sich ein reiches Arbeitsfeld, das recht beackert werden muß. Hoffnungen, Zweifel und Befürchtungen werden für unser Bühnenleben vielfach laut. Man ist betrübt und schwer enttäuscht, wenn man die Ergebnisse der letzten Winter heranzieht und sich fragt, was man als bleibenden Gewinn in die Geschichte unserer dramatischen Kunst einstellen könnte. Es ist alles gegeneinander auf- sässig geworden und trotz des wilden Flugelschlagens kommen wir zu keinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/120>, abgerufen am 14.06.2024.