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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Politik in Gstervoich

deutsche Bauern aus den Alpenländern Hand in Hand mit den Slawen gingen,
ist wohl für immer vorbei. Nur ein Teil der deutschen Arbeiterschaft steht
abseits. Aber auch deren Führer betonen gerne und gewiß aus ehrlicher Über¬
zeugung, daß sie an nationalem Bewußtsein nicht hinter den Vertretern der
bürgerlichen Parteien zurückständen. So ist denn die Politik der Dentschösterreicher
in steigendem Maße in den Dienst ihres eigenen Volkstums gestellt worden.

Auch in der Stellung der Deutschen zum Staate hat sich ein Wandel
vollzogen. Die ältere Generation identifizierte sich voll und ganz mit dem
Staate und erblickte demgemäß in dem Wachsen des slawischen Einflusses eine
schwere Schädigung des Staates. Im Gegensatze zu ihnen nehmen die Ver¬
treter der Jungen dem Staate gegenüber eine indifferente oder ablehnende
Haltung ein. Sie sahen, wie sich dieser systematisch gegen sie wandte und ver¬
zweifelten daran, in ihn: eine erträgliche nationale Existenz zu finden. Erst
die letzten Jahre haben hierin Wandel geschaffen. Der Hauptgrund für diesen
Wandel liegt wohl in der Tatsache, daß die Regierung angesichts der immer
mächtiger werdenden nationalen Bewegung unter den Deutschen nicht mehr
offen slawische Politik betreibt, sondern sich bemüht, eine neutrale Haltung
einzunehmen. Mitgewirkt hat aber gewiß auch die Erkenntnis, daß das
wirtschaftliche Leben unbekümmert um die politische Aufregung seinen Weg
geht, und daß die moderne Volkswirtschaft den Staat nicht entbehren kann.
So ist denn auch der größte Teil der noch so entschieden national gesinnten
Deutschösterreicher zur Einsicht gekommen, daß man nicht mit dein Gefühl allein
Politik machen kann, sondern daß das warme Herz seinen Regulator an dem
kühlen, nüchternen Verstände finden muß. Der national gesinnte Deutsch¬
österreicher steht heute durchaus auf dem Boden des österreichischen Staats¬
gedankens und ist geneigt, für den Bestand des Staates alle Opfer zu bringen.
Das hat sich in voller Deutlichkeit im letzten Frühjahre gezeigt, wo die deutsch¬
österreichische Bevölkerung mit ruhiger Entschlossenheit und großem sittlichen
Ernst dem Kriegsgespenst in die Augen sah.

Der Deutschösterreicher steht also auf dem Boden des Staates, aber er
verlangt von ihm, daß er ihm Garantien für die ruhige, ungestörte nationale
Entwicklung gibt. Er weiß, daß neben ihm andere Volksstämme leben, mit
denen er zu konkurrieren hat, und die er nicht beherrschen kann. Er will aber
nicht, daß sich die anderen mit staatlicher Hilfe Riemen aus seiner Haut
schneiden. Er verlangt deshalb nationale Abgrenzung und nationale Autonomie.

Nun beginnen die Deutschen Österreichs auch sich mit der Frage einer Neu¬
gestaltung der Gcsamtmonarchie zu beschäftigen. Indem sie sich nämlich auf den
Boden des Staates stellen, sind sie gezwungen, zu den zwei großen Fragen Stellung
zu nehmen, deren Lösung Staat und Dynastie beschäftigen: zur ungarischen
und südslawischen Frage. Und dabei trifft es sich, daß die Interessen der
Dynastie und des Staates einerseits und die des deutschen Volkes anderseits
vollkommen zusammenfallen.


Deutsche Politik in Gstervoich

deutsche Bauern aus den Alpenländern Hand in Hand mit den Slawen gingen,
ist wohl für immer vorbei. Nur ein Teil der deutschen Arbeiterschaft steht
abseits. Aber auch deren Führer betonen gerne und gewiß aus ehrlicher Über¬
zeugung, daß sie an nationalem Bewußtsein nicht hinter den Vertretern der
bürgerlichen Parteien zurückständen. So ist denn die Politik der Dentschösterreicher
in steigendem Maße in den Dienst ihres eigenen Volkstums gestellt worden.

Auch in der Stellung der Deutschen zum Staate hat sich ein Wandel
vollzogen. Die ältere Generation identifizierte sich voll und ganz mit dem
Staate und erblickte demgemäß in dem Wachsen des slawischen Einflusses eine
schwere Schädigung des Staates. Im Gegensatze zu ihnen nehmen die Ver¬
treter der Jungen dem Staate gegenüber eine indifferente oder ablehnende
Haltung ein. Sie sahen, wie sich dieser systematisch gegen sie wandte und ver¬
zweifelten daran, in ihn: eine erträgliche nationale Existenz zu finden. Erst
die letzten Jahre haben hierin Wandel geschaffen. Der Hauptgrund für diesen
Wandel liegt wohl in der Tatsache, daß die Regierung angesichts der immer
mächtiger werdenden nationalen Bewegung unter den Deutschen nicht mehr
offen slawische Politik betreibt, sondern sich bemüht, eine neutrale Haltung
einzunehmen. Mitgewirkt hat aber gewiß auch die Erkenntnis, daß das
wirtschaftliche Leben unbekümmert um die politische Aufregung seinen Weg
geht, und daß die moderne Volkswirtschaft den Staat nicht entbehren kann.
So ist denn auch der größte Teil der noch so entschieden national gesinnten
Deutschösterreicher zur Einsicht gekommen, daß man nicht mit dein Gefühl allein
Politik machen kann, sondern daß das warme Herz seinen Regulator an dem
kühlen, nüchternen Verstände finden muß. Der national gesinnte Deutsch¬
österreicher steht heute durchaus auf dem Boden des österreichischen Staats¬
gedankens und ist geneigt, für den Bestand des Staates alle Opfer zu bringen.
Das hat sich in voller Deutlichkeit im letzten Frühjahre gezeigt, wo die deutsch¬
österreichische Bevölkerung mit ruhiger Entschlossenheit und großem sittlichen
Ernst dem Kriegsgespenst in die Augen sah.

Der Deutschösterreicher steht also auf dem Boden des Staates, aber er
verlangt von ihm, daß er ihm Garantien für die ruhige, ungestörte nationale
Entwicklung gibt. Er weiß, daß neben ihm andere Volksstämme leben, mit
denen er zu konkurrieren hat, und die er nicht beherrschen kann. Er will aber
nicht, daß sich die anderen mit staatlicher Hilfe Riemen aus seiner Haut
schneiden. Er verlangt deshalb nationale Abgrenzung und nationale Autonomie.

Nun beginnen die Deutschen Österreichs auch sich mit der Frage einer Neu¬
gestaltung der Gcsamtmonarchie zu beschäftigen. Indem sie sich nämlich auf den
Boden des Staates stellen, sind sie gezwungen, zu den zwei großen Fragen Stellung
zu nehmen, deren Lösung Staat und Dynastie beschäftigen: zur ungarischen
und südslawischen Frage. Und dabei trifft es sich, daß die Interessen der
Dynastie und des Staates einerseits und die des deutschen Volkes anderseits
vollkommen zusammenfallen.


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[0206] Deutsche Politik in Gstervoich deutsche Bauern aus den Alpenländern Hand in Hand mit den Slawen gingen, ist wohl für immer vorbei. Nur ein Teil der deutschen Arbeiterschaft steht abseits. Aber auch deren Führer betonen gerne und gewiß aus ehrlicher Über¬ zeugung, daß sie an nationalem Bewußtsein nicht hinter den Vertretern der bürgerlichen Parteien zurückständen. So ist denn die Politik der Dentschösterreicher in steigendem Maße in den Dienst ihres eigenen Volkstums gestellt worden. Auch in der Stellung der Deutschen zum Staate hat sich ein Wandel vollzogen. Die ältere Generation identifizierte sich voll und ganz mit dem Staate und erblickte demgemäß in dem Wachsen des slawischen Einflusses eine schwere Schädigung des Staates. Im Gegensatze zu ihnen nehmen die Ver¬ treter der Jungen dem Staate gegenüber eine indifferente oder ablehnende Haltung ein. Sie sahen, wie sich dieser systematisch gegen sie wandte und ver¬ zweifelten daran, in ihn: eine erträgliche nationale Existenz zu finden. Erst die letzten Jahre haben hierin Wandel geschaffen. Der Hauptgrund für diesen Wandel liegt wohl in der Tatsache, daß die Regierung angesichts der immer mächtiger werdenden nationalen Bewegung unter den Deutschen nicht mehr offen slawische Politik betreibt, sondern sich bemüht, eine neutrale Haltung einzunehmen. Mitgewirkt hat aber gewiß auch die Erkenntnis, daß das wirtschaftliche Leben unbekümmert um die politische Aufregung seinen Weg geht, und daß die moderne Volkswirtschaft den Staat nicht entbehren kann. So ist denn auch der größte Teil der noch so entschieden national gesinnten Deutschösterreicher zur Einsicht gekommen, daß man nicht mit dein Gefühl allein Politik machen kann, sondern daß das warme Herz seinen Regulator an dem kühlen, nüchternen Verstände finden muß. Der national gesinnte Deutsch¬ österreicher steht heute durchaus auf dem Boden des österreichischen Staats¬ gedankens und ist geneigt, für den Bestand des Staates alle Opfer zu bringen. Das hat sich in voller Deutlichkeit im letzten Frühjahre gezeigt, wo die deutsch¬ österreichische Bevölkerung mit ruhiger Entschlossenheit und großem sittlichen Ernst dem Kriegsgespenst in die Augen sah. Der Deutschösterreicher steht also auf dem Boden des Staates, aber er verlangt von ihm, daß er ihm Garantien für die ruhige, ungestörte nationale Entwicklung gibt. Er weiß, daß neben ihm andere Volksstämme leben, mit denen er zu konkurrieren hat, und die er nicht beherrschen kann. Er will aber nicht, daß sich die anderen mit staatlicher Hilfe Riemen aus seiner Haut schneiden. Er verlangt deshalb nationale Abgrenzung und nationale Autonomie. Nun beginnen die Deutschen Österreichs auch sich mit der Frage einer Neu¬ gestaltung der Gcsamtmonarchie zu beschäftigen. Indem sie sich nämlich auf den Boden des Staates stellen, sind sie gezwungen, zu den zwei großen Fragen Stellung zu nehmen, deren Lösung Staat und Dynastie beschäftigen: zur ungarischen und südslawischen Frage. Und dabei trifft es sich, daß die Interessen der Dynastie und des Staates einerseits und die des deutschen Volkes anderseits vollkommen zusammenfallen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/206>, abgerufen am 06.06.2024.