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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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daß ihre Lösung durch die Unterwerfung Serbiens unter den Willen der Gro߬
mächte nur vertagt, nicht aber herbeigeführt wurde. Es ist mit Sicherheit
anzunehmen, daß die Angehörigen des serbokroatischen Volkes, das außer dem
Königreich Serbien und dem Fürsteutume Montenegro noch Bosnien, Kroatien,
Dalmatien und Teile von Ungarn und Jstrien bewohnt, in immer energischerer
Weise nach Vereinigung streben werden, wenn auch augenblicklich die konfessionelle
Verschiedenheit und Unterschiede in der Schrift noch Serben und Kroaten trennen.
Und mit der gleichen Sicherheit läßt sich voraussagen, daß diese Frage der
Vereinigung des serbokroatischen Volkes immer wieder gegen Osterreich auf¬
geworfen werden wird, wenn wir uns nicht entschließen, selbst die Initiative
zu ergreifen. Osterreich hat sich den Einigungsbestrebungen des deutschen und
des italienischen Volkes in den Weg gestellt und dabei reichlich Schaden ge¬
nommen. Sollte es ans der Geschichte nichts lernen wollen? Wir denken
uns die Sache so, daß alle österreichischen und ungarischen Gebiete, die aus¬
schließlich von Allgehörigen des serbokroatischen Volkes bewohnt werden, zu
einem einheitlichen Verwaltungsgebiete vereinigt werden, dem ein weites Maß
voll Autonomie zugesichert würde. Die Bewohner dieses Gebiets wären gegen
großserbische Einflüsse inununisierl. Vielmehr dürfte dieses Gebiet eine starke
Anziehungskraft auf alle übrigen serbischen Gebietsteile ausüben. Speziell in
Serbien ist die Stellung der Dynastie eine viel zu wenig gesicherte, als daß
man dieser zuliebe auf die großen Vorteile verzichten würde, die eine Ver¬
einigung mit den Stammes genossen in ideeller, und eine Aufnahme in das
österreichische Zollgebiet in materieller Hinsicht gewähren würde. Mit der Be¬
ruhigung des serbischen Südens holten wir zugleich das Tor nach dem Balkan
offen und erweitern abermals das Gebiet deutschen kulturellen Einflusses.

So fallen auf dem Gebiete der weiteren Politik die dynastisch-staatlichen
Interessen mit denen des deutschen Volkes durchaus zusammen. Ist diese
Erkenntnis einmal gewonnen, so bedarf es nur eines energischen Willens, um
Osterreich wieder zu einem, Staate zu nlacheu, der sich kraft seiner inneren Festig¬
keit den übrigen Großmächten ruhig um die Seite stellen kann. Auf dein Gebiete
der österreichischen inneren Politik könnte ein energischer Wille einen großen Teil
der nationalen Streitigkeiten schlichten, um sodann die ungarische und südslawische
Frage gedeihlichen Lösungen zuzuführen. Hoffen wir, daß es in einer nicht zu
fernen Zukunft an einem solchen kräftigen Willen nicht fehlen wird. Ju den öster¬
reichischen Alpenländern hört man oft, wenn man Neuerungen empfiehlt: Das
ist unmöglich, das geht nicht. Die Engländer sagen im Gegensatze hierzu:
Wo ein Wille vorhanden ist, findet sich auch ein Weg zur Erreichung des
gewünschten Zieles. Und die Engländer sind, indem sie nach diesem Wahl¬
spruche handelten, nicht eben schlecht gefahren.




daß ihre Lösung durch die Unterwerfung Serbiens unter den Willen der Gro߬
mächte nur vertagt, nicht aber herbeigeführt wurde. Es ist mit Sicherheit
anzunehmen, daß die Angehörigen des serbokroatischen Volkes, das außer dem
Königreich Serbien und dem Fürsteutume Montenegro noch Bosnien, Kroatien,
Dalmatien und Teile von Ungarn und Jstrien bewohnt, in immer energischerer
Weise nach Vereinigung streben werden, wenn auch augenblicklich die konfessionelle
Verschiedenheit und Unterschiede in der Schrift noch Serben und Kroaten trennen.
Und mit der gleichen Sicherheit läßt sich voraussagen, daß diese Frage der
Vereinigung des serbokroatischen Volkes immer wieder gegen Osterreich auf¬
geworfen werden wird, wenn wir uns nicht entschließen, selbst die Initiative
zu ergreifen. Osterreich hat sich den Einigungsbestrebungen des deutschen und
des italienischen Volkes in den Weg gestellt und dabei reichlich Schaden ge¬
nommen. Sollte es ans der Geschichte nichts lernen wollen? Wir denken
uns die Sache so, daß alle österreichischen und ungarischen Gebiete, die aus¬
schließlich von Allgehörigen des serbokroatischen Volkes bewohnt werden, zu
einem einheitlichen Verwaltungsgebiete vereinigt werden, dem ein weites Maß
voll Autonomie zugesichert würde. Die Bewohner dieses Gebiets wären gegen
großserbische Einflüsse inununisierl. Vielmehr dürfte dieses Gebiet eine starke
Anziehungskraft auf alle übrigen serbischen Gebietsteile ausüben. Speziell in
Serbien ist die Stellung der Dynastie eine viel zu wenig gesicherte, als daß
man dieser zuliebe auf die großen Vorteile verzichten würde, die eine Ver¬
einigung mit den Stammes genossen in ideeller, und eine Aufnahme in das
österreichische Zollgebiet in materieller Hinsicht gewähren würde. Mit der Be¬
ruhigung des serbischen Südens holten wir zugleich das Tor nach dem Balkan
offen und erweitern abermals das Gebiet deutschen kulturellen Einflusses.

So fallen auf dem Gebiete der weiteren Politik die dynastisch-staatlichen
Interessen mit denen des deutschen Volkes durchaus zusammen. Ist diese
Erkenntnis einmal gewonnen, so bedarf es nur eines energischen Willens, um
Osterreich wieder zu einem, Staate zu nlacheu, der sich kraft seiner inneren Festig¬
keit den übrigen Großmächten ruhig um die Seite stellen kann. Auf dein Gebiete
der österreichischen inneren Politik könnte ein energischer Wille einen großen Teil
der nationalen Streitigkeiten schlichten, um sodann die ungarische und südslawische
Frage gedeihlichen Lösungen zuzuführen. Hoffen wir, daß es in einer nicht zu
fernen Zukunft an einem solchen kräftigen Willen nicht fehlen wird. Ju den öster¬
reichischen Alpenländern hört man oft, wenn man Neuerungen empfiehlt: Das
ist unmöglich, das geht nicht. Die Engländer sagen im Gegensatze hierzu:
Wo ein Wille vorhanden ist, findet sich auch ein Weg zur Erreichung des
gewünschten Zieles. Und die Engländer sind, indem sie nach diesem Wahl¬
spruche handelten, nicht eben schlecht gefahren.




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[0209] daß ihre Lösung durch die Unterwerfung Serbiens unter den Willen der Gro߬ mächte nur vertagt, nicht aber herbeigeführt wurde. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Angehörigen des serbokroatischen Volkes, das außer dem Königreich Serbien und dem Fürsteutume Montenegro noch Bosnien, Kroatien, Dalmatien und Teile von Ungarn und Jstrien bewohnt, in immer energischerer Weise nach Vereinigung streben werden, wenn auch augenblicklich die konfessionelle Verschiedenheit und Unterschiede in der Schrift noch Serben und Kroaten trennen. Und mit der gleichen Sicherheit läßt sich voraussagen, daß diese Frage der Vereinigung des serbokroatischen Volkes immer wieder gegen Osterreich auf¬ geworfen werden wird, wenn wir uns nicht entschließen, selbst die Initiative zu ergreifen. Osterreich hat sich den Einigungsbestrebungen des deutschen und des italienischen Volkes in den Weg gestellt und dabei reichlich Schaden ge¬ nommen. Sollte es ans der Geschichte nichts lernen wollen? Wir denken uns die Sache so, daß alle österreichischen und ungarischen Gebiete, die aus¬ schließlich von Allgehörigen des serbokroatischen Volkes bewohnt werden, zu einem einheitlichen Verwaltungsgebiete vereinigt werden, dem ein weites Maß voll Autonomie zugesichert würde. Die Bewohner dieses Gebiets wären gegen großserbische Einflüsse inununisierl. Vielmehr dürfte dieses Gebiet eine starke Anziehungskraft auf alle übrigen serbischen Gebietsteile ausüben. Speziell in Serbien ist die Stellung der Dynastie eine viel zu wenig gesicherte, als daß man dieser zuliebe auf die großen Vorteile verzichten würde, die eine Ver¬ einigung mit den Stammes genossen in ideeller, und eine Aufnahme in das österreichische Zollgebiet in materieller Hinsicht gewähren würde. Mit der Be¬ ruhigung des serbischen Südens holten wir zugleich das Tor nach dem Balkan offen und erweitern abermals das Gebiet deutschen kulturellen Einflusses. So fallen auf dem Gebiete der weiteren Politik die dynastisch-staatlichen Interessen mit denen des deutschen Volkes durchaus zusammen. Ist diese Erkenntnis einmal gewonnen, so bedarf es nur eines energischen Willens, um Osterreich wieder zu einem, Staate zu nlacheu, der sich kraft seiner inneren Festig¬ keit den übrigen Großmächten ruhig um die Seite stellen kann. Auf dein Gebiete der österreichischen inneren Politik könnte ein energischer Wille einen großen Teil der nationalen Streitigkeiten schlichten, um sodann die ungarische und südslawische Frage gedeihlichen Lösungen zuzuführen. Hoffen wir, daß es in einer nicht zu fernen Zukunft an einem solchen kräftigen Willen nicht fehlen wird. Ju den öster¬ reichischen Alpenländern hört man oft, wenn man Neuerungen empfiehlt: Das ist unmöglich, das geht nicht. Die Engländer sagen im Gegensatze hierzu: Wo ein Wille vorhanden ist, findet sich auch ein Weg zur Erreichung des gewünschten Zieles. Und die Engländer sind, indem sie nach diesem Wahl¬ spruche handelten, nicht eben schlecht gefahren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/209>, abgerufen am 13.06.2024.