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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Nationalstaat oder Mrtschaftsverband?

M?le kommt es, daß das Deutschtum der Gegenwart überall, wo
es in nähere Beziehungen zu anderen Nationalitäten tritt, von
diesen zurückgedrängt wird? Und wie kommt es, daß die Zurück¬
drängung um so augenscheinlicher wird, je näher die betreffende
fremde Nation an die Hauptmasse des deutschen Volks herangerückt
ist? Wie ist es möglich, daß gerade in der Schweiz, im Elsaß, in Dänemark,
Litauen, Polen, Schlesien, Böhmen und Tirol die Verwelschung und Slawi-
sierung schnellere Fortschritte gemacht hat als z. B. in Südamerika, in Ungarn
und in den baltischen Provinzen Rußlands? und daß diese Fortschritte grade
zur Zeit der größten Machtstellung des Deutschen Reichs erheblich zunahmen?

Unter dem Gesichtswinkel dieser Fragen wurden in den "Grenzboten"
verschiedene Beiträge veröffentlicht über das Deutschtum in der Schweiz und
im Elsaß wie auch über die Schwaben in Ungarn; weiteres Material ist in
meiner "Zukunft Polens" niedergelegt.

Zwei Aufsätze über innerpolitische Zustände in Deutschland (Ur. 27 von
1909 und Ur. 1 von 1910) weisen uns auf den Weg. Dort war die Frage
nach dem Grunde für den Niedergang der politischen Parteien erörtert worden;
die Auflösung der Nation in Tausende von Jnteressenverbänden wurde als letzte
Ursache angegeben. Es wurde auch darauf hingewiesen, wie diese organische
Entwicklung noch durchaus nicht abgeschlossen sei und daß sie neben
gewissen schädlichen Folgen auch die erfreuliche Gewähr in sich trage, den
Partikularismus im Reich überwinden zu können. Letzten Endes heißt das:
die die Entwicklung hemmenden politischen Grenzen zwischen den Bundesstaaten
zu beseitigen. An die Säkularisierung von Fürstenhäusern braucht dabei gar
nicht gedacht zu werden, solange die einzelnen Fürsten, der Bundesrat, die


Grenzboten II 1910 1


Nationalstaat oder Mrtschaftsverband?

M?le kommt es, daß das Deutschtum der Gegenwart überall, wo
es in nähere Beziehungen zu anderen Nationalitäten tritt, von
diesen zurückgedrängt wird? Und wie kommt es, daß die Zurück¬
drängung um so augenscheinlicher wird, je näher die betreffende
fremde Nation an die Hauptmasse des deutschen Volks herangerückt
ist? Wie ist es möglich, daß gerade in der Schweiz, im Elsaß, in Dänemark,
Litauen, Polen, Schlesien, Böhmen und Tirol die Verwelschung und Slawi-
sierung schnellere Fortschritte gemacht hat als z. B. in Südamerika, in Ungarn
und in den baltischen Provinzen Rußlands? und daß diese Fortschritte grade
zur Zeit der größten Machtstellung des Deutschen Reichs erheblich zunahmen?

Unter dem Gesichtswinkel dieser Fragen wurden in den „Grenzboten"
verschiedene Beiträge veröffentlicht über das Deutschtum in der Schweiz und
im Elsaß wie auch über die Schwaben in Ungarn; weiteres Material ist in
meiner „Zukunft Polens" niedergelegt.

Zwei Aufsätze über innerpolitische Zustände in Deutschland (Ur. 27 von
1909 und Ur. 1 von 1910) weisen uns auf den Weg. Dort war die Frage
nach dem Grunde für den Niedergang der politischen Parteien erörtert worden;
die Auflösung der Nation in Tausende von Jnteressenverbänden wurde als letzte
Ursache angegeben. Es wurde auch darauf hingewiesen, wie diese organische
Entwicklung noch durchaus nicht abgeschlossen sei und daß sie neben
gewissen schädlichen Folgen auch die erfreuliche Gewähr in sich trage, den
Partikularismus im Reich überwinden zu können. Letzten Endes heißt das:
die die Entwicklung hemmenden politischen Grenzen zwischen den Bundesstaaten
zu beseitigen. An die Säkularisierung von Fürstenhäusern braucht dabei gar
nicht gedacht zu werden, solange die einzelnen Fürsten, der Bundesrat, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/13>, abgerufen am 26.05.2024.