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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Argentinien

und vielseitig belebt wird. So erscheinen beispielsweise täglich deutsche, englische,
italienische, französische Zeitungen, die gut geleitet sind, wenn sie auch nicht die
Bedeutung der hauptstädtischen Landespresse haben. Den größten Einfluß haben
die Engländer; sie haben das meiste Kapital (1900: 5 Milliarden Mary
in Werten angelegt. Dadurch, daß die Eisenbahnen ausschließlich in ihren Händen
sind, beeinflussen sie die Tarifpolitik, und dadurch, daß England der beste Kunde
argentinischer Erzeugnisse ist, das wirtschaftliche Leben überhaupt.

Die Deutschen sind später ins Land gekommen als die Engländer; sie
hatten im Jahre 1900 772 Millionen Mark vorzugsweise in Handelshäusern,
Industrie, Grundeigentum angelegt; sie nehmen ihrer Bedeutung nach unter den
fremden Nationen die zweite Stelle ein.

Zur Zentenarfeier werden der Republik seitens der fremden in Buenos
Aires ansässigen Kolonien Geschenke gemacht werden. Die deutsche Kolonie
errichtet einen Monumentalbrunnen, der in der Avenida-Alvear aufgestellt werden
wird; die praktischen Engländer schenken eine Hafennhr.

Argentinien ist, wie schon angedeutet, ein Agrarland, seine Hauptbedeutung
liegt zurzeit noch in der Viehzucht. Wenn man mit der Eisenbahn von Buenos
Aires quer durch das Land nach Mendoza am Fuße der Koroillere fährt, so
bietet sich einem immer das gleiche Bild: unzählige große Herden, gehütet von
berittenen Hirten, den sog. Gauchos.

Der Viehbestand Argentiniens betrug 1900: 30 Millionen Stück Rindvieh,
" Millionen Pferde, 120 Millionen Schafe. Der Viehbestand Deutschlands zu
derselben Zeit betrug: 19 Millionen Stück Rindvieh, 4 Millionen Pferde,
10 Millionen Schafe. Die Bedeutung dieser Zahlen tritt ins rechte Licht, wenn
man bedenkt, daß Deutschland damals 56 Millionen, Argentinien 5 Millionen
Einwohner hatte; sie wächst, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Ver¬
mehrung der Herden in jenem Lande in ganz anderer Steigerung vor sich
geht als in Europa. Vieh- und Schafzucht liefert die Hanptausfnhrprodukte,
während der Pferdereichtum nicht recht verwertet werden kann.

Für die Förderung der Viehzucht kommt die Alfalfa-Kultur, d. h, die
Umwandelung der Hartgraskämpe in Kleefelder, vorzugsweise in Betracht; eine
Estancia wird bewertet nach dem unter Alfalfa gesetzten Teil ihrer Kämpe
(Felder). Die Größe der Estancias ist recht verschieden, für lohnenden Betrieb
der Viehzucht rechnet man mindestens 2 Quadrat - Leguas (gleich etwa einer
deutschen Quadratmeile).

Die Bodenpreise schwanken je nach der geographischen Lage, der Entfernung
zu einer Eisenbahnlinie, der Güte des Bodens, so daß Preisangaben schwer
mitzuteilen sind. Da der Käufer aber seinen Besitz "alhambrieren", d. h. mit
Drahtzäuncn einfassen muß, da er für die ersten Viehankäufe und für in der
ersten Zeit unausbleibliche Rückschläge Kapital zur Verfügung haben muß, so
gehört heute immerhin ein verfügbares Kapital von mindestens 200000 Mark
dazu, um sich dort ankaufen zu können. Wer dann aber persönlich einige Jahre


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und vielseitig belebt wird. So erscheinen beispielsweise täglich deutsche, englische,
italienische, französische Zeitungen, die gut geleitet sind, wenn sie auch nicht die
Bedeutung der hauptstädtischen Landespresse haben. Den größten Einfluß haben
die Engländer; sie haben das meiste Kapital (1900: 5 Milliarden Mary
in Werten angelegt. Dadurch, daß die Eisenbahnen ausschließlich in ihren Händen
sind, beeinflussen sie die Tarifpolitik, und dadurch, daß England der beste Kunde
argentinischer Erzeugnisse ist, das wirtschaftliche Leben überhaupt.

Die Deutschen sind später ins Land gekommen als die Engländer; sie
hatten im Jahre 1900 772 Millionen Mark vorzugsweise in Handelshäusern,
Industrie, Grundeigentum angelegt; sie nehmen ihrer Bedeutung nach unter den
fremden Nationen die zweite Stelle ein.

Zur Zentenarfeier werden der Republik seitens der fremden in Buenos
Aires ansässigen Kolonien Geschenke gemacht werden. Die deutsche Kolonie
errichtet einen Monumentalbrunnen, der in der Avenida-Alvear aufgestellt werden
wird; die praktischen Engländer schenken eine Hafennhr.

Argentinien ist, wie schon angedeutet, ein Agrarland, seine Hauptbedeutung
liegt zurzeit noch in der Viehzucht. Wenn man mit der Eisenbahn von Buenos
Aires quer durch das Land nach Mendoza am Fuße der Koroillere fährt, so
bietet sich einem immer das gleiche Bild: unzählige große Herden, gehütet von
berittenen Hirten, den sog. Gauchos.

Der Viehbestand Argentiniens betrug 1900: 30 Millionen Stück Rindvieh,
« Millionen Pferde, 120 Millionen Schafe. Der Viehbestand Deutschlands zu
derselben Zeit betrug: 19 Millionen Stück Rindvieh, 4 Millionen Pferde,
10 Millionen Schafe. Die Bedeutung dieser Zahlen tritt ins rechte Licht, wenn
man bedenkt, daß Deutschland damals 56 Millionen, Argentinien 5 Millionen
Einwohner hatte; sie wächst, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Ver¬
mehrung der Herden in jenem Lande in ganz anderer Steigerung vor sich
geht als in Europa. Vieh- und Schafzucht liefert die Hanptausfnhrprodukte,
während der Pferdereichtum nicht recht verwertet werden kann.

Für die Förderung der Viehzucht kommt die Alfalfa-Kultur, d. h, die
Umwandelung der Hartgraskämpe in Kleefelder, vorzugsweise in Betracht; eine
Estancia wird bewertet nach dem unter Alfalfa gesetzten Teil ihrer Kämpe
(Felder). Die Größe der Estancias ist recht verschieden, für lohnenden Betrieb
der Viehzucht rechnet man mindestens 2 Quadrat - Leguas (gleich etwa einer
deutschen Quadratmeile).

Die Bodenpreise schwanken je nach der geographischen Lage, der Entfernung
zu einer Eisenbahnlinie, der Güte des Bodens, so daß Preisangaben schwer
mitzuteilen sind. Da der Käufer aber seinen Besitz „alhambrieren", d. h. mit
Drahtzäuncn einfassen muß, da er für die ersten Viehankäufe und für in der
ersten Zeit unausbleibliche Rückschläge Kapital zur Verfügung haben muß, so
gehört heute immerhin ein verfügbares Kapital von mindestens 200000 Mark
dazu, um sich dort ankaufen zu können. Wer dann aber persönlich einige Jahre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/426>, abgerufen am 17.06.2024.