Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bücher

wu diesem großen Künstler bewahren. Und ebenso vortrefflich ist der große
Lebensroman "Hans im Glück" des Dänen Henrik Pontoppidan gewürdigt und
analysiert. Was aber an dein Buche auf der andern Seite abstößt und empört,
ist der Ton, in dem etwa über Verhärt Hauptmann gesprochen wird. Auch wer,
wie ich, in Hauptmann nicht einen etwa Hebbel ebenbürtigen Dramatiker sieht
(und wer ente das heute noch?), muß abgestoßen tverden durch die höhnische Art,
in der hier nicht nur das völlig Falsche, sondern auch gelegentlich das ästhetisch
Richtige vorgebracht wird. Wenn Hofmiller so etwas von einem Norddeutschen
läse, so würde er dafür wahrscheinlich den Ausdruck "Berliner Schnoddrigkeit"
oder etwas ähnliches haben. Und wie kann ein auf anderm Gebiet ästhetisch
so sicherer Mann völlig verkennen, daß Gerhart Hauptmann in vielem,
und gerade in seinen Schwächen, doch auch wieder der Dramatiker unsrer Zeit
ist, in dem feiner und reiner als in andern Kampf und Krampf jäher Übergangs¬
tage vibrieren.

Die Aufsätze von Kurt Mariens bringen, wie bei diesem begabten, aber
kühlen Schriftsteller selbstverständlich, manche feine Bemerkung -- die Gesamt¬
anschauung der deutschen Literatur der Gegenwart muß ich freilich als haltlos
bestreiten. Mariens macht sich ein Schema von sieben Kammern, in die er die
deutsche Dichtung der Gegenwart sperrt, und stellt da zum Beispiel Wilhelm Raabe
und Friedrich Spielhagen, Richard Voß und Isolde .Kurz unter der Überschrift
"Tradition und Selbstbeschränkung" nebeneinander. Auf der Seite vorher spricht
er von historischen Romanen, darunter von E. von Handel-Manzetti, und fährt
dann fort: "von höherem künstlerischem Wert verschiedene Kulturromane:" Dann
folgen Georg Hermann, Rudolf Hans Bartsch und andre. Sollte man nicht
bezweifeln, daß Martens "Jesse und Maria", dies tief psychologische Werk, über¬
haupt gelesen hat?

Herbert Eulenbergs "Schattenbilder" sind meist Theaterreden, die er bei den
literarischen Matineen des Düsseldorfer Schauspielhauses gehalten hat. Daß ein
so begabter Dramatiker wie Eulenberg dabei in der Zeichnung einzelner Gestalten,
zum Beispiel Clemens Brentanos, schöne Worte findet, sei dankbar erwähnt, aber
sollte er wirklich in Buchform drucken lassen, daß zum Beispiel zwischen Hans Sachs
und Lessing Gryphius der einzige gebildete Mensch und Dichter von bleibender
Bedeutung gewesen ist, der sich mit dem deutschen Theater und damit mit unsrer
Kultur befaßt hat, sollte er wirklich drucken lassen, daß Sachsen, Schwaben und
Schlesien vor allein unsrem Vaterlande in der Literatur, der Philosophie, in der
Kunst und den Wissenschaften die führenden Geister gegeben haben? Weiß Eulenberg
nichts von Kant, Herder und Hoffmann? Als Auftakt zu einer Matinee mag das
alles leidlich scheinen. Wenn aber Eulenberg solche Arbeiten als Buch sammelt
und mit einer vielversprechenden Vorrede, nicht ohne den üblichen Tritt gegen
die Kritiker, herausgibt, so darf man denn doch einige Ansprüche erheben und
wird ruhig feststellen müssen, daß selbst bescheidene Forderungen hier nicht zu
'dre Heinrich Spiero in Rechte gekommen sind.




Bücher

wu diesem großen Künstler bewahren. Und ebenso vortrefflich ist der große
Lebensroman „Hans im Glück" des Dänen Henrik Pontoppidan gewürdigt und
analysiert. Was aber an dein Buche auf der andern Seite abstößt und empört,
ist der Ton, in dem etwa über Verhärt Hauptmann gesprochen wird. Auch wer,
wie ich, in Hauptmann nicht einen etwa Hebbel ebenbürtigen Dramatiker sieht
(und wer ente das heute noch?), muß abgestoßen tverden durch die höhnische Art,
in der hier nicht nur das völlig Falsche, sondern auch gelegentlich das ästhetisch
Richtige vorgebracht wird. Wenn Hofmiller so etwas von einem Norddeutschen
läse, so würde er dafür wahrscheinlich den Ausdruck „Berliner Schnoddrigkeit"
oder etwas ähnliches haben. Und wie kann ein auf anderm Gebiet ästhetisch
so sicherer Mann völlig verkennen, daß Gerhart Hauptmann in vielem,
und gerade in seinen Schwächen, doch auch wieder der Dramatiker unsrer Zeit
ist, in dem feiner und reiner als in andern Kampf und Krampf jäher Übergangs¬
tage vibrieren.

Die Aufsätze von Kurt Mariens bringen, wie bei diesem begabten, aber
kühlen Schriftsteller selbstverständlich, manche feine Bemerkung — die Gesamt¬
anschauung der deutschen Literatur der Gegenwart muß ich freilich als haltlos
bestreiten. Mariens macht sich ein Schema von sieben Kammern, in die er die
deutsche Dichtung der Gegenwart sperrt, und stellt da zum Beispiel Wilhelm Raabe
und Friedrich Spielhagen, Richard Voß und Isolde .Kurz unter der Überschrift
»Tradition und Selbstbeschränkung" nebeneinander. Auf der Seite vorher spricht
er von historischen Romanen, darunter von E. von Handel-Manzetti, und fährt
dann fort: „von höherem künstlerischem Wert verschiedene Kulturromane:" Dann
folgen Georg Hermann, Rudolf Hans Bartsch und andre. Sollte man nicht
bezweifeln, daß Martens „Jesse und Maria", dies tief psychologische Werk, über¬
haupt gelesen hat?

Herbert Eulenbergs „Schattenbilder" sind meist Theaterreden, die er bei den
literarischen Matineen des Düsseldorfer Schauspielhauses gehalten hat. Daß ein
so begabter Dramatiker wie Eulenberg dabei in der Zeichnung einzelner Gestalten,
zum Beispiel Clemens Brentanos, schöne Worte findet, sei dankbar erwähnt, aber
sollte er wirklich in Buchform drucken lassen, daß zum Beispiel zwischen Hans Sachs
und Lessing Gryphius der einzige gebildete Mensch und Dichter von bleibender
Bedeutung gewesen ist, der sich mit dem deutschen Theater und damit mit unsrer
Kultur befaßt hat, sollte er wirklich drucken lassen, daß Sachsen, Schwaben und
Schlesien vor allein unsrem Vaterlande in der Literatur, der Philosophie, in der
Kunst und den Wissenschaften die führenden Geister gegeben haben? Weiß Eulenberg
nichts von Kant, Herder und Hoffmann? Als Auftakt zu einer Matinee mag das
alles leidlich scheinen. Wenn aber Eulenberg solche Arbeiten als Buch sammelt
und mit einer vielversprechenden Vorrede, nicht ohne den üblichen Tritt gegen
die Kritiker, herausgibt, so darf man denn doch einige Ansprüche erheben und
wird ruhig feststellen müssen, daß selbst bescheidene Forderungen hier nicht zu
'dre Heinrich Spiero in Rechte gekommen sind.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0547" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316186"/>
          <fw type="header" place="top"> Bücher</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2885" prev="#ID_2884"> wu diesem großen Künstler bewahren. Und ebenso vortrefflich ist der große<lb/>
Lebensroman &#x201E;Hans im Glück" des Dänen Henrik Pontoppidan gewürdigt und<lb/>
analysiert. Was aber an dein Buche auf der andern Seite abstößt und empört,<lb/>
ist der Ton, in dem etwa über Verhärt Hauptmann gesprochen wird. Auch wer,<lb/>
wie ich, in Hauptmann nicht einen etwa Hebbel ebenbürtigen Dramatiker sieht<lb/>
(und wer ente das heute noch?), muß abgestoßen tverden durch die höhnische Art,<lb/>
in der hier nicht nur das völlig Falsche, sondern auch gelegentlich das ästhetisch<lb/>
Richtige vorgebracht wird. Wenn Hofmiller so etwas von einem Norddeutschen<lb/>
läse, so würde er dafür wahrscheinlich den Ausdruck &#x201E;Berliner Schnoddrigkeit"<lb/>
oder etwas ähnliches haben. Und wie kann ein auf anderm Gebiet ästhetisch<lb/>
so sicherer Mann völlig verkennen, daß Gerhart Hauptmann in vielem,<lb/>
und gerade in seinen Schwächen, doch auch wieder der Dramatiker unsrer Zeit<lb/>
ist, in dem feiner und reiner als in andern Kampf und Krampf jäher Übergangs¬<lb/>
tage vibrieren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2886"> Die Aufsätze von Kurt Mariens bringen, wie bei diesem begabten, aber<lb/>
kühlen Schriftsteller selbstverständlich, manche feine Bemerkung &#x2014; die Gesamt¬<lb/>
anschauung der deutschen Literatur der Gegenwart muß ich freilich als haltlos<lb/>
bestreiten. Mariens macht sich ein Schema von sieben Kammern, in die er die<lb/>
deutsche Dichtung der Gegenwart sperrt, und stellt da zum Beispiel Wilhelm Raabe<lb/>
und Friedrich Spielhagen, Richard Voß und Isolde .Kurz unter der Überschrift<lb/>
»Tradition und Selbstbeschränkung" nebeneinander. Auf der Seite vorher spricht<lb/>
er von historischen Romanen, darunter von E. von Handel-Manzetti, und fährt<lb/>
dann fort: &#x201E;von höherem künstlerischem Wert verschiedene Kulturromane:" Dann<lb/>
folgen Georg Hermann, Rudolf Hans Bartsch und andre. Sollte man nicht<lb/>
bezweifeln, daß Martens &#x201E;Jesse und Maria", dies tief psychologische Werk, über¬<lb/>
haupt gelesen hat?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2887"> Herbert Eulenbergs &#x201E;Schattenbilder" sind meist Theaterreden, die er bei den<lb/>
literarischen Matineen des Düsseldorfer Schauspielhauses gehalten hat. Daß ein<lb/>
so begabter Dramatiker wie Eulenberg dabei in der Zeichnung einzelner Gestalten,<lb/>
zum Beispiel Clemens Brentanos, schöne Worte findet, sei dankbar erwähnt, aber<lb/>
sollte er wirklich in Buchform drucken lassen, daß zum Beispiel zwischen Hans Sachs<lb/>
und Lessing Gryphius der einzige gebildete Mensch und Dichter von bleibender<lb/>
Bedeutung gewesen ist, der sich mit dem deutschen Theater und damit mit unsrer<lb/>
Kultur befaßt hat, sollte er wirklich drucken lassen, daß Sachsen, Schwaben und<lb/>
Schlesien vor allein unsrem Vaterlande in der Literatur, der Philosophie, in der<lb/>
Kunst und den Wissenschaften die führenden Geister gegeben haben? Weiß Eulenberg<lb/>
nichts von Kant, Herder und Hoffmann? Als Auftakt zu einer Matinee mag das<lb/>
alles leidlich scheinen. Wenn aber Eulenberg solche Arbeiten als Buch sammelt<lb/>
und mit einer vielversprechenden Vorrede, nicht ohne den üblichen Tritt gegen<lb/>
die Kritiker, herausgibt, so darf man denn doch einige Ansprüche erheben und<lb/>
wird ruhig feststellen müssen, daß selbst bescheidene Forderungen hier nicht zu<lb/>
'dre<note type="byline"> Heinrich Spiero</note> in Rechte gekommen sind. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0547] Bücher wu diesem großen Künstler bewahren. Und ebenso vortrefflich ist der große Lebensroman „Hans im Glück" des Dänen Henrik Pontoppidan gewürdigt und analysiert. Was aber an dein Buche auf der andern Seite abstößt und empört, ist der Ton, in dem etwa über Verhärt Hauptmann gesprochen wird. Auch wer, wie ich, in Hauptmann nicht einen etwa Hebbel ebenbürtigen Dramatiker sieht (und wer ente das heute noch?), muß abgestoßen tverden durch die höhnische Art, in der hier nicht nur das völlig Falsche, sondern auch gelegentlich das ästhetisch Richtige vorgebracht wird. Wenn Hofmiller so etwas von einem Norddeutschen läse, so würde er dafür wahrscheinlich den Ausdruck „Berliner Schnoddrigkeit" oder etwas ähnliches haben. Und wie kann ein auf anderm Gebiet ästhetisch so sicherer Mann völlig verkennen, daß Gerhart Hauptmann in vielem, und gerade in seinen Schwächen, doch auch wieder der Dramatiker unsrer Zeit ist, in dem feiner und reiner als in andern Kampf und Krampf jäher Übergangs¬ tage vibrieren. Die Aufsätze von Kurt Mariens bringen, wie bei diesem begabten, aber kühlen Schriftsteller selbstverständlich, manche feine Bemerkung — die Gesamt¬ anschauung der deutschen Literatur der Gegenwart muß ich freilich als haltlos bestreiten. Mariens macht sich ein Schema von sieben Kammern, in die er die deutsche Dichtung der Gegenwart sperrt, und stellt da zum Beispiel Wilhelm Raabe und Friedrich Spielhagen, Richard Voß und Isolde .Kurz unter der Überschrift »Tradition und Selbstbeschränkung" nebeneinander. Auf der Seite vorher spricht er von historischen Romanen, darunter von E. von Handel-Manzetti, und fährt dann fort: „von höherem künstlerischem Wert verschiedene Kulturromane:" Dann folgen Georg Hermann, Rudolf Hans Bartsch und andre. Sollte man nicht bezweifeln, daß Martens „Jesse und Maria", dies tief psychologische Werk, über¬ haupt gelesen hat? Herbert Eulenbergs „Schattenbilder" sind meist Theaterreden, die er bei den literarischen Matineen des Düsseldorfer Schauspielhauses gehalten hat. Daß ein so begabter Dramatiker wie Eulenberg dabei in der Zeichnung einzelner Gestalten, zum Beispiel Clemens Brentanos, schöne Worte findet, sei dankbar erwähnt, aber sollte er wirklich in Buchform drucken lassen, daß zum Beispiel zwischen Hans Sachs und Lessing Gryphius der einzige gebildete Mensch und Dichter von bleibender Bedeutung gewesen ist, der sich mit dem deutschen Theater und damit mit unsrer Kultur befaßt hat, sollte er wirklich drucken lassen, daß Sachsen, Schwaben und Schlesien vor allein unsrem Vaterlande in der Literatur, der Philosophie, in der Kunst und den Wissenschaften die führenden Geister gegeben haben? Weiß Eulenberg nichts von Kant, Herder und Hoffmann? Als Auftakt zu einer Matinee mag das alles leidlich scheinen. Wenn aber Eulenberg solche Arbeiten als Buch sammelt und mit einer vielversprechenden Vorrede, nicht ohne den üblichen Tritt gegen die Kritiker, herausgibt, so darf man denn doch einige Ansprüche erheben und wird ruhig feststellen müssen, daß selbst bescheidene Forderungen hier nicht zu 'dre Heinrich Spiero in Rechte gekommen sind.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/547
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/547>, abgerufen am 18.05.2024.