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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

für einen Teil der Abgeordneten, ein Geschäft, der Landesausschuß der Tummel¬
platz nicht nur deutschfeindlicher Bestrebungen, sondern auch persönlicher
Gehässigkeiten und geschäftlicher Rivalitäten. Das in drei Jahrzehnten mühsam
angesammelte Kapital an Zutrauen und Autorität, das die Regierung sich
trotz mancher Fehler durch eine zielbewußte und energische, aber doch gerechte
Verwaltung erworben hatte, wird nach den: Abgange Puttkamers in wenigen
Jahren schmählich vertan. Was aber die Regierung an Vertrauen einbüßt, verliert
das Deutschtum als solches an Achtung. Bald ist es der verhältnismäßig
kleinen, durch die Fehler der Regierung einflußreich und mächtig gewordenen
Gruppe von Hetzpolitikern gelungen, die zahlreichen erfreulichen Ansätze zu fried¬
licher Verständigung und freundnachbarlichem Zusammenleben zwischen Ein¬
heimischen und Eingewanderten größtenteils zu zerstören. Die planmäßige
Bearbeitung der dem Kampfe an sich abgeneigten Bevölkerung durch eine
hetzerische Presse, die täglich von neuem predigt, daß der Deutsche der Feind
der Elsaß-Lothringer sei, der immer und überall bekämpft werden müsse, daß die
Notabeln allein die Männer seien, die furchtlos und unverzagt deutscher
Anmaßung und Bedrückung Widerstand leisteten, daß jeder gute Elsässer ohne
Rücksicht auf Stand, Konfession oder Beruf ihnen im Kampfe gegen den gemein¬
samen Feind Gefolgschaft leisten müsse -- die ständige Wiederholung der gleißenden
Phrase, daß es das gute Recht des elsaß-lothringischen Volkes sei, vom Reiche
Autonomie zu erhalten, und daß nur die Bosheit und Niedertracht der altdeutschen
Beamten im Lande die Anerkennung seiner heiligsten Rechte verhindere,
verfehlen ihre Wirkung auf die Massen nicht. Heute ist selbst der gewöhnliche
Mann auf dein Lande der festen Überzeugung, das goldene Zeitalter werde
anbrechen, sobald dein Lande mit der Autonomie die ihm bisher freventlich
vorenthaltenen Rechte und Freiheiten zurückgegeben würden. Einführung der
Autonomie ist heute -- genau wie vor etwa zwölf Jahren die Beseitigung des
Diktaturparagraphen -- das Schlagwort, unter dem sich jeder Ungebildete den
Beginn einer neuen glücklichen Ära vorstellt.

Die derzeitige Lage in Elsaß-Lothringen ist hiernach, was die Gesinnung
der Bevölkerung dem Deutschen gegenüber anbelangt, der der siebziger Jahre
nicht unähnlich. Heute wie damals besteht in weiten Kreisen der Bevölkerung
Unzufriedenheit mit den jetzigen Verhältnissen, Haß und Erbitterung gegen das
Deutschtum, nur mit dem Unterschiede, daß in den ersten Jahren nach der
Annektion die unter französischer Herrschaft an ein straffes Regiment gewöhnte,
noch unter dem Eindruck des Kriegsschreckens stehende Bevölkerung dem Sieger
Achtung entgegenbrachte, während wir jetzt durch eigene Schuld fast allen
Anspruch auf Respekt eingebüßt haben.

Es gilt also gewissermaßen von neuem anzufangen. Wie soll das geschehen?

Ist die Grundlage, auf der wir versucht haben Elsaß-Lothringen dem Reiche
einzugliedern, das ist die Schaffung eines besonderen staatsrechtlichen Gebildes
des Reichslandes, von Grund aus falsch und muß sie durch etwas anderes


Elsaß-lothringische Fragen

für einen Teil der Abgeordneten, ein Geschäft, der Landesausschuß der Tummel¬
platz nicht nur deutschfeindlicher Bestrebungen, sondern auch persönlicher
Gehässigkeiten und geschäftlicher Rivalitäten. Das in drei Jahrzehnten mühsam
angesammelte Kapital an Zutrauen und Autorität, das die Regierung sich
trotz mancher Fehler durch eine zielbewußte und energische, aber doch gerechte
Verwaltung erworben hatte, wird nach den: Abgange Puttkamers in wenigen
Jahren schmählich vertan. Was aber die Regierung an Vertrauen einbüßt, verliert
das Deutschtum als solches an Achtung. Bald ist es der verhältnismäßig
kleinen, durch die Fehler der Regierung einflußreich und mächtig gewordenen
Gruppe von Hetzpolitikern gelungen, die zahlreichen erfreulichen Ansätze zu fried¬
licher Verständigung und freundnachbarlichem Zusammenleben zwischen Ein¬
heimischen und Eingewanderten größtenteils zu zerstören. Die planmäßige
Bearbeitung der dem Kampfe an sich abgeneigten Bevölkerung durch eine
hetzerische Presse, die täglich von neuem predigt, daß der Deutsche der Feind
der Elsaß-Lothringer sei, der immer und überall bekämpft werden müsse, daß die
Notabeln allein die Männer seien, die furchtlos und unverzagt deutscher
Anmaßung und Bedrückung Widerstand leisteten, daß jeder gute Elsässer ohne
Rücksicht auf Stand, Konfession oder Beruf ihnen im Kampfe gegen den gemein¬
samen Feind Gefolgschaft leisten müsse — die ständige Wiederholung der gleißenden
Phrase, daß es das gute Recht des elsaß-lothringischen Volkes sei, vom Reiche
Autonomie zu erhalten, und daß nur die Bosheit und Niedertracht der altdeutschen
Beamten im Lande die Anerkennung seiner heiligsten Rechte verhindere,
verfehlen ihre Wirkung auf die Massen nicht. Heute ist selbst der gewöhnliche
Mann auf dein Lande der festen Überzeugung, das goldene Zeitalter werde
anbrechen, sobald dein Lande mit der Autonomie die ihm bisher freventlich
vorenthaltenen Rechte und Freiheiten zurückgegeben würden. Einführung der
Autonomie ist heute — genau wie vor etwa zwölf Jahren die Beseitigung des
Diktaturparagraphen — das Schlagwort, unter dem sich jeder Ungebildete den
Beginn einer neuen glücklichen Ära vorstellt.

Die derzeitige Lage in Elsaß-Lothringen ist hiernach, was die Gesinnung
der Bevölkerung dem Deutschen gegenüber anbelangt, der der siebziger Jahre
nicht unähnlich. Heute wie damals besteht in weiten Kreisen der Bevölkerung
Unzufriedenheit mit den jetzigen Verhältnissen, Haß und Erbitterung gegen das
Deutschtum, nur mit dem Unterschiede, daß in den ersten Jahren nach der
Annektion die unter französischer Herrschaft an ein straffes Regiment gewöhnte,
noch unter dem Eindruck des Kriegsschreckens stehende Bevölkerung dem Sieger
Achtung entgegenbrachte, während wir jetzt durch eigene Schuld fast allen
Anspruch auf Respekt eingebüßt haben.

Es gilt also gewissermaßen von neuem anzufangen. Wie soll das geschehen?

Ist die Grundlage, auf der wir versucht haben Elsaß-Lothringen dem Reiche
einzugliedern, das ist die Schaffung eines besonderen staatsrechtlichen Gebildes
des Reichslandes, von Grund aus falsch und muß sie durch etwas anderes


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[0601] Elsaß-lothringische Fragen für einen Teil der Abgeordneten, ein Geschäft, der Landesausschuß der Tummel¬ platz nicht nur deutschfeindlicher Bestrebungen, sondern auch persönlicher Gehässigkeiten und geschäftlicher Rivalitäten. Das in drei Jahrzehnten mühsam angesammelte Kapital an Zutrauen und Autorität, das die Regierung sich trotz mancher Fehler durch eine zielbewußte und energische, aber doch gerechte Verwaltung erworben hatte, wird nach den: Abgange Puttkamers in wenigen Jahren schmählich vertan. Was aber die Regierung an Vertrauen einbüßt, verliert das Deutschtum als solches an Achtung. Bald ist es der verhältnismäßig kleinen, durch die Fehler der Regierung einflußreich und mächtig gewordenen Gruppe von Hetzpolitikern gelungen, die zahlreichen erfreulichen Ansätze zu fried¬ licher Verständigung und freundnachbarlichem Zusammenleben zwischen Ein¬ heimischen und Eingewanderten größtenteils zu zerstören. Die planmäßige Bearbeitung der dem Kampfe an sich abgeneigten Bevölkerung durch eine hetzerische Presse, die täglich von neuem predigt, daß der Deutsche der Feind der Elsaß-Lothringer sei, der immer und überall bekämpft werden müsse, daß die Notabeln allein die Männer seien, die furchtlos und unverzagt deutscher Anmaßung und Bedrückung Widerstand leisteten, daß jeder gute Elsässer ohne Rücksicht auf Stand, Konfession oder Beruf ihnen im Kampfe gegen den gemein¬ samen Feind Gefolgschaft leisten müsse — die ständige Wiederholung der gleißenden Phrase, daß es das gute Recht des elsaß-lothringischen Volkes sei, vom Reiche Autonomie zu erhalten, und daß nur die Bosheit und Niedertracht der altdeutschen Beamten im Lande die Anerkennung seiner heiligsten Rechte verhindere, verfehlen ihre Wirkung auf die Massen nicht. Heute ist selbst der gewöhnliche Mann auf dein Lande der festen Überzeugung, das goldene Zeitalter werde anbrechen, sobald dein Lande mit der Autonomie die ihm bisher freventlich vorenthaltenen Rechte und Freiheiten zurückgegeben würden. Einführung der Autonomie ist heute — genau wie vor etwa zwölf Jahren die Beseitigung des Diktaturparagraphen — das Schlagwort, unter dem sich jeder Ungebildete den Beginn einer neuen glücklichen Ära vorstellt. Die derzeitige Lage in Elsaß-Lothringen ist hiernach, was die Gesinnung der Bevölkerung dem Deutschen gegenüber anbelangt, der der siebziger Jahre nicht unähnlich. Heute wie damals besteht in weiten Kreisen der Bevölkerung Unzufriedenheit mit den jetzigen Verhältnissen, Haß und Erbitterung gegen das Deutschtum, nur mit dem Unterschiede, daß in den ersten Jahren nach der Annektion die unter französischer Herrschaft an ein straffes Regiment gewöhnte, noch unter dem Eindruck des Kriegsschreckens stehende Bevölkerung dem Sieger Achtung entgegenbrachte, während wir jetzt durch eigene Schuld fast allen Anspruch auf Respekt eingebüßt haben. Es gilt also gewissermaßen von neuem anzufangen. Wie soll das geschehen? Ist die Grundlage, auf der wir versucht haben Elsaß-Lothringen dem Reiche einzugliedern, das ist die Schaffung eines besonderen staatsrechtlichen Gebildes des Reichslandes, von Grund aus falsch und muß sie durch etwas anderes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/601>, abgerufen am 09.06.2024.