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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

Und dennoch ist es wahr, daß die Freude der Grundton aller Kriegsdichtung
dieses Jahres ist. Freiligraths Gedicht geht sofort aus dem traurigen in einen
mutvollen Ton, aus diesem in freudige Zuversicht über. Der Dichter spricht
den Wunsch aus, der Krieg möge bis zum völligen Ende durchgeführt werden,

Der sichere Lohn, den das Blutopfer des Einzelnen der deutschen Gesamtheit
tragen muß, ist eben ein so großer, daß es der Dichter gewissermaßen für
einen Undank gegen das Schicksal hält, lange beim Schmerz über den einzelnen
Leidenden zu verweilen. So haftet seiner Freude denn auch nichts Unmensch¬
liches, sondern etwas über das Persönliche hinausgreifend Großes an. Aber
freilich, solch ein Darüberhincmsgreifen bedeutet auch ein gewisses Aufgeben des
Persönlichen, und dem Freudenausdruck Freiligraths muß die Freude der anderen
Kriegsdichter mehr oder minder ähnlich sehen.

Es kommt noch ein anderes hinzu, das die persönliche Eigenart notwendig
einschränken muß. Sonst verleihen die Stammesunterschiede der deutschen Dich¬
tung ihren Farbenreichtum. 1870 betont man dagegen jubelnd die neue Einheit,
das schlechthin Deutsche. Die Soldaten singen von der Überbrückung der
sonst schroffsten Trennung:

Dies "Wer fragt da dernach?", dieses Hintaustellen süd- und norddeutscher
Eigenart ist jetzt eine Ehrensache.

Ausnahmen bilden nur einige Deutschösterreicher, die im bewußten Gegen¬
satz zu ihrer neutralen Negierung stehn, sich aber doch auch nicht mit zu den
kämpfenden Deutschen rechnen dürfen. Alfred Meißner leiht seiner Empörung
über diese Neutralität kräftige Worte. Man habe sich doch sonst "an der
blauen, der schönen Donau" mit seinem Deutschtum gebrüstet.


Die Lyrik des siebziger Krieges

Und dennoch ist es wahr, daß die Freude der Grundton aller Kriegsdichtung
dieses Jahres ist. Freiligraths Gedicht geht sofort aus dem traurigen in einen
mutvollen Ton, aus diesem in freudige Zuversicht über. Der Dichter spricht
den Wunsch aus, der Krieg möge bis zum völligen Ende durchgeführt werden,

Der sichere Lohn, den das Blutopfer des Einzelnen der deutschen Gesamtheit
tragen muß, ist eben ein so großer, daß es der Dichter gewissermaßen für
einen Undank gegen das Schicksal hält, lange beim Schmerz über den einzelnen
Leidenden zu verweilen. So haftet seiner Freude denn auch nichts Unmensch¬
liches, sondern etwas über das Persönliche hinausgreifend Großes an. Aber
freilich, solch ein Darüberhincmsgreifen bedeutet auch ein gewisses Aufgeben des
Persönlichen, und dem Freudenausdruck Freiligraths muß die Freude der anderen
Kriegsdichter mehr oder minder ähnlich sehen.

Es kommt noch ein anderes hinzu, das die persönliche Eigenart notwendig
einschränken muß. Sonst verleihen die Stammesunterschiede der deutschen Dich¬
tung ihren Farbenreichtum. 1870 betont man dagegen jubelnd die neue Einheit,
das schlechthin Deutsche. Die Soldaten singen von der Überbrückung der
sonst schroffsten Trennung:

Dies „Wer fragt da dernach?", dieses Hintaustellen süd- und norddeutscher
Eigenart ist jetzt eine Ehrensache.

Ausnahmen bilden nur einige Deutschösterreicher, die im bewußten Gegen¬
satz zu ihrer neutralen Negierung stehn, sich aber doch auch nicht mit zu den
kämpfenden Deutschen rechnen dürfen. Alfred Meißner leiht seiner Empörung
über diese Neutralität kräftige Worte. Man habe sich doch sonst „an der
blauen, der schönen Donau" mit seinem Deutschtum gebrüstet.


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[0610] Die Lyrik des siebziger Krieges Und dennoch ist es wahr, daß die Freude der Grundton aller Kriegsdichtung dieses Jahres ist. Freiligraths Gedicht geht sofort aus dem traurigen in einen mutvollen Ton, aus diesem in freudige Zuversicht über. Der Dichter spricht den Wunsch aus, der Krieg möge bis zum völligen Ende durchgeführt werden, Der sichere Lohn, den das Blutopfer des Einzelnen der deutschen Gesamtheit tragen muß, ist eben ein so großer, daß es der Dichter gewissermaßen für einen Undank gegen das Schicksal hält, lange beim Schmerz über den einzelnen Leidenden zu verweilen. So haftet seiner Freude denn auch nichts Unmensch¬ liches, sondern etwas über das Persönliche hinausgreifend Großes an. Aber freilich, solch ein Darüberhincmsgreifen bedeutet auch ein gewisses Aufgeben des Persönlichen, und dem Freudenausdruck Freiligraths muß die Freude der anderen Kriegsdichter mehr oder minder ähnlich sehen. Es kommt noch ein anderes hinzu, das die persönliche Eigenart notwendig einschränken muß. Sonst verleihen die Stammesunterschiede der deutschen Dich¬ tung ihren Farbenreichtum. 1870 betont man dagegen jubelnd die neue Einheit, das schlechthin Deutsche. Die Soldaten singen von der Überbrückung der sonst schroffsten Trennung: Dies „Wer fragt da dernach?", dieses Hintaustellen süd- und norddeutscher Eigenart ist jetzt eine Ehrensache. Ausnahmen bilden nur einige Deutschösterreicher, die im bewußten Gegen¬ satz zu ihrer neutralen Negierung stehn, sich aber doch auch nicht mit zu den kämpfenden Deutschen rechnen dürfen. Alfred Meißner leiht seiner Empörung über diese Neutralität kräftige Worte. Man habe sich doch sonst „an der blauen, der schönen Donau" mit seinem Deutschtum gebrüstet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/610>, abgerufen am 09.06.2024.