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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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La Reichsnotschatz

Ein Reichsschatz für nationale Not

le Hilfsbereitschaft und Opferfähigkeit des deutschen Volkes bei
großen elementaren Unglücksfällen innerhalb und außerhalb der
Reichsgrenzen ist weltbekannt. Unvergessen wird es bleiben, wie
beim Untergang von Messina und Reggio das deutsche Volk in
der Hilfstätigkeit wetteiferte und in wenigen Monaten sechs
Millionen Mark zur Unterstützung der Unglücklichen in Sizilien und Kalabrien
aufbrachte. Gleich darauf aber mußte für die Altmark und andere deutsche
Landstriche gesammelt werden, die unter Überschwemmungen schwer gelitten
hatten. Der Winter 1909/10 hat dann mit unaufhörlichen Stürmen und neuen
Überschwemmungen nicht nur im Auslande, sondern auch in Deutschland und
namentlich an den deutschen Küsten unabsehbaren Schaden angerichtet. Und jetzt
sehen wir das blühende Ahrtal durch verheerende Wolkenbrüche furchtbar heini¬
gesucht. Gleichzeitig beklagen Bayern, die Schweiz und Ungarn verwüstete
Ernten, zerstörte Dörfer und verlorene Menschenleben. Auch jetzt wieder setzt
die Hilfsarbeit ein, Ausschüsse bilden sich, Aufrufe werden erlassen und die
Liebesgaben werden auch zweifellos reichlich fließen.

Dieses periodische Aufflackern der werktätigen öffentlichen Hilfsbereitschaft
ans Anlaß verderblicher Naturereignisse ist gewiß ein Beweis für das gute Herz
und die Selbstlosigkeit vieler deutscher Männer und Frauen. Es hat aber auch
große Schattenseiten und führt zu unverkennbaren Ungerechtigkeiten. Ebenso wie
es meist stets dieselben Männer und Frauen sind, die die Hilfsausschüsse bilden und
die Aufrufe unterzeichnen, so sind es auch immer ungefähr dieselben Leute, die
zu den Sammlungen für die Notleidenden beisteuern. Will es nun das Unglück,
daß kurz nacheinander wiederholt Verheerungen durch Wasser, Feuer, Erdbeben,
schlagende Wetter usw. sich ereignen, so ist es nur natürlich, daß in diesen
opferfähiger und opferbereiten Kreisen bald eine gewisse Erschöpfung eintritt.
Während daher z. B. bei Unfällen, die das öffentliche Mitleid durch besouders
schreckliche Umstände ungewöhnlich erregen, oft sehr bedeutende Summen für eine
verhältnismäßig geringe Zahl von Hilfsbedürftigen aufkommen (Radbod!) oder
übergroße Summen ins Ausland fließen (Ischia, Martinique, Aalcsuud, MessinaI),
bleiben für andere bald darauf ebenso oder noch mehr durch Naturereignisse
Geschädigte in Deutschland selbst weit weniger Mittel aus privater Hilfsbereitschaft
verfügbar. Vom Auslande vollends fließen stets nur sehr dürftige Summen
nach Deutschland, wenn einmal hier ein größeres Unglück große Hilfsmittel
erfordert. Ltiaritzs be^inZ at Kome! Alle anderen Völker verfahren nach diesem,
vielleicht hartherzig klingenden, den eigenen Landsleuten gegenüber aber nur
gerechten Grundsatz.

Ist es ferner nicht sehr traurig, daß die von einem elementaren Unglück
Betroffenen sich noch freuen müssen, wenn gleichzeitig recht viele Leidensgenossen
in dieselbe Notlage geraten? Denn nur dann wird die Öffentlichkeit zu großen


La Reichsnotschatz

Ein Reichsschatz für nationale Not

le Hilfsbereitschaft und Opferfähigkeit des deutschen Volkes bei
großen elementaren Unglücksfällen innerhalb und außerhalb der
Reichsgrenzen ist weltbekannt. Unvergessen wird es bleiben, wie
beim Untergang von Messina und Reggio das deutsche Volk in
der Hilfstätigkeit wetteiferte und in wenigen Monaten sechs
Millionen Mark zur Unterstützung der Unglücklichen in Sizilien und Kalabrien
aufbrachte. Gleich darauf aber mußte für die Altmark und andere deutsche
Landstriche gesammelt werden, die unter Überschwemmungen schwer gelitten
hatten. Der Winter 1909/10 hat dann mit unaufhörlichen Stürmen und neuen
Überschwemmungen nicht nur im Auslande, sondern auch in Deutschland und
namentlich an den deutschen Küsten unabsehbaren Schaden angerichtet. Und jetzt
sehen wir das blühende Ahrtal durch verheerende Wolkenbrüche furchtbar heini¬
gesucht. Gleichzeitig beklagen Bayern, die Schweiz und Ungarn verwüstete
Ernten, zerstörte Dörfer und verlorene Menschenleben. Auch jetzt wieder setzt
die Hilfsarbeit ein, Ausschüsse bilden sich, Aufrufe werden erlassen und die
Liebesgaben werden auch zweifellos reichlich fließen.

Dieses periodische Aufflackern der werktätigen öffentlichen Hilfsbereitschaft
ans Anlaß verderblicher Naturereignisse ist gewiß ein Beweis für das gute Herz
und die Selbstlosigkeit vieler deutscher Männer und Frauen. Es hat aber auch
große Schattenseiten und führt zu unverkennbaren Ungerechtigkeiten. Ebenso wie
es meist stets dieselben Männer und Frauen sind, die die Hilfsausschüsse bilden und
die Aufrufe unterzeichnen, so sind es auch immer ungefähr dieselben Leute, die
zu den Sammlungen für die Notleidenden beisteuern. Will es nun das Unglück,
daß kurz nacheinander wiederholt Verheerungen durch Wasser, Feuer, Erdbeben,
schlagende Wetter usw. sich ereignen, so ist es nur natürlich, daß in diesen
opferfähiger und opferbereiten Kreisen bald eine gewisse Erschöpfung eintritt.
Während daher z. B. bei Unfällen, die das öffentliche Mitleid durch besouders
schreckliche Umstände ungewöhnlich erregen, oft sehr bedeutende Summen für eine
verhältnismäßig geringe Zahl von Hilfsbedürftigen aufkommen (Radbod!) oder
übergroße Summen ins Ausland fließen (Ischia, Martinique, Aalcsuud, MessinaI),
bleiben für andere bald darauf ebenso oder noch mehr durch Naturereignisse
Geschädigte in Deutschland selbst weit weniger Mittel aus privater Hilfsbereitschaft
verfügbar. Vom Auslande vollends fließen stets nur sehr dürftige Summen
nach Deutschland, wenn einmal hier ein größeres Unglück große Hilfsmittel
erfordert. Ltiaritzs be^inZ at Kome! Alle anderen Völker verfahren nach diesem,
vielleicht hartherzig klingenden, den eigenen Landsleuten gegenüber aber nur
gerechten Grundsatz.

Ist es ferner nicht sehr traurig, daß die von einem elementaren Unglück
Betroffenen sich noch freuen müssen, wenn gleichzeitig recht viele Leidensgenossen
in dieselbe Notlage geraten? Denn nur dann wird die Öffentlichkeit zu großen


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[0622] La Reichsnotschatz Ein Reichsschatz für nationale Not le Hilfsbereitschaft und Opferfähigkeit des deutschen Volkes bei großen elementaren Unglücksfällen innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen ist weltbekannt. Unvergessen wird es bleiben, wie beim Untergang von Messina und Reggio das deutsche Volk in der Hilfstätigkeit wetteiferte und in wenigen Monaten sechs Millionen Mark zur Unterstützung der Unglücklichen in Sizilien und Kalabrien aufbrachte. Gleich darauf aber mußte für die Altmark und andere deutsche Landstriche gesammelt werden, die unter Überschwemmungen schwer gelitten hatten. Der Winter 1909/10 hat dann mit unaufhörlichen Stürmen und neuen Überschwemmungen nicht nur im Auslande, sondern auch in Deutschland und namentlich an den deutschen Küsten unabsehbaren Schaden angerichtet. Und jetzt sehen wir das blühende Ahrtal durch verheerende Wolkenbrüche furchtbar heini¬ gesucht. Gleichzeitig beklagen Bayern, die Schweiz und Ungarn verwüstete Ernten, zerstörte Dörfer und verlorene Menschenleben. Auch jetzt wieder setzt die Hilfsarbeit ein, Ausschüsse bilden sich, Aufrufe werden erlassen und die Liebesgaben werden auch zweifellos reichlich fließen. Dieses periodische Aufflackern der werktätigen öffentlichen Hilfsbereitschaft ans Anlaß verderblicher Naturereignisse ist gewiß ein Beweis für das gute Herz und die Selbstlosigkeit vieler deutscher Männer und Frauen. Es hat aber auch große Schattenseiten und führt zu unverkennbaren Ungerechtigkeiten. Ebenso wie es meist stets dieselben Männer und Frauen sind, die die Hilfsausschüsse bilden und die Aufrufe unterzeichnen, so sind es auch immer ungefähr dieselben Leute, die zu den Sammlungen für die Notleidenden beisteuern. Will es nun das Unglück, daß kurz nacheinander wiederholt Verheerungen durch Wasser, Feuer, Erdbeben, schlagende Wetter usw. sich ereignen, so ist es nur natürlich, daß in diesen opferfähiger und opferbereiten Kreisen bald eine gewisse Erschöpfung eintritt. Während daher z. B. bei Unfällen, die das öffentliche Mitleid durch besouders schreckliche Umstände ungewöhnlich erregen, oft sehr bedeutende Summen für eine verhältnismäßig geringe Zahl von Hilfsbedürftigen aufkommen (Radbod!) oder übergroße Summen ins Ausland fließen (Ischia, Martinique, Aalcsuud, MessinaI), bleiben für andere bald darauf ebenso oder noch mehr durch Naturereignisse Geschädigte in Deutschland selbst weit weniger Mittel aus privater Hilfsbereitschaft verfügbar. Vom Auslande vollends fließen stets nur sehr dürftige Summen nach Deutschland, wenn einmal hier ein größeres Unglück große Hilfsmittel erfordert. Ltiaritzs be^inZ at Kome! Alle anderen Völker verfahren nach diesem, vielleicht hartherzig klingenden, den eigenen Landsleuten gegenüber aber nur gerechten Grundsatz. Ist es ferner nicht sehr traurig, daß die von einem elementaren Unglück Betroffenen sich noch freuen müssen, wenn gleichzeitig recht viele Leidensgenossen in dieselbe Notlage geraten? Denn nur dann wird die Öffentlichkeit zu großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/622>, abgerufen am 10.06.2024.