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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Austauschprofessor

Tee, Kaffee, Grog, Wein, Bier zur Erfrischung. In uns ist's gut sein; seid
unsere Gäste!

"Wie behaglich sehen diese Häuser aus," sagte Miß Granton zu ihrem
Begleiter. "Auch solche Häuser haben wir nicht in Amerika. Und nun müssen
Sie mir sagen, Mr. Jerum, warum sind Sie ausgewandert, ich wollte sagen:
ausgereisen aus ein solches Land nach Persien?"

"Ausgerissen, meinen Sie? Ja, das bin ich auch mal. Ist aber schon
lange her. -- Warum ich gerade nach Persien ging. Nun, ich hatte mich schon
als Schüler ein wenig mit persischer Sprache und Literatur beschäftigt. Haben
Sie von Firdusi gehört? Von Mirza Schafs! und Hafis?"

"O ja, ich habe."

"Und von Sobeida, der Gemahlin Harun al Naschids? Die soll Täbris,
die Handelsmetropole Persiens, begründet haben, und von dort aus hab ich
fast ein Jahr lang Persien durchstreift, bald zu Pferd, bald zu Kamel. So
persische ,Tschapars', so hartgaloppierende Postgäule müßten Sie mal reiten,
vierundzwanzig, ja sechsunddreißig Stunden hintereinander, wie ich's mal bis
Teheran gemacht habe, dann würden Sie erkennen, daß es noch unangenehmere
Touren gibt, als unsere kleine Irrfahrt von heute auf dem Altpoggensieler Deich."

"Schon als Schüler haben Sie Persisch gelernt. Wie kam das?"

"Ich wollte, oder vielmehr ich sollte eigentlich Kaufmann werden. Unser
Haus -- ich meine das Geschäft meines Vaters -- arbeitete nach Persien.
So ging ich zu unserm Agenten in Täbris. Aber zum Koofmich hatte ich
doch nicht die rechte Lust. Dann studierte ich ein paar Semester und ging
wieder ein Jahr auf Reisen, mehr als ^lobe-trotter, wissen Sie. Na, bei der
Gelegenheit lernte ich auch Sie kennen."

Doktor Jerum schwieg, aber Miß Granton drängte weiter:

"Und dann? Sagen Sie, was haben Sie dann gemacht? Ich bin zu neu¬
gierig, wie Sie gekommen sind von Persien nach Bergstadt."

"Dann -- studierte ich weiter. Mein Fach war Geographie. Ich wollte
mich als Privatdozent auftun, wissen Sie, um später. . ."

"Professor zu werden," ergänzte Miß Granton, "an eine deutsche Universität.
O, Sie wären ein guter, ein sehr guter Professor geworden, und wenn ich in
Amerika in meine deutsche Zeitung hätte gelesen Ihren Rainen als ein neuer
Professor von Geographie, ich wär' gekommen herüber, um zu studieren Geographie
bei Ihnen. Warum sind Sie es nicht geworden?"

"Ich--" sagte Doktor Jerum, "ich kriegte -- hin -- auf einmal --
Heimweh nach meiner Heimat. Nach Hamburg. Nach meiner eigenen Jugendzeit,
wissen Sie. Ich habe so richtige Jungens immer riesig gern gehabt. Und da
dachte ich: wie schön muß es sein, statt ausgewachsener junger Leute -- denn
die wissen ja doch immer alles besser als man selbst -- wie schön muß es sein,
kleine Jungen zu immer größeren Jungen zu erziehen -- und zu belehren.


Der Austauschprofessor

Tee, Kaffee, Grog, Wein, Bier zur Erfrischung. In uns ist's gut sein; seid
unsere Gäste!

„Wie behaglich sehen diese Häuser aus," sagte Miß Granton zu ihrem
Begleiter. „Auch solche Häuser haben wir nicht in Amerika. Und nun müssen
Sie mir sagen, Mr. Jerum, warum sind Sie ausgewandert, ich wollte sagen:
ausgereisen aus ein solches Land nach Persien?"

„Ausgerissen, meinen Sie? Ja, das bin ich auch mal. Ist aber schon
lange her. — Warum ich gerade nach Persien ging. Nun, ich hatte mich schon
als Schüler ein wenig mit persischer Sprache und Literatur beschäftigt. Haben
Sie von Firdusi gehört? Von Mirza Schafs! und Hafis?"

„O ja, ich habe."

„Und von Sobeida, der Gemahlin Harun al Naschids? Die soll Täbris,
die Handelsmetropole Persiens, begründet haben, und von dort aus hab ich
fast ein Jahr lang Persien durchstreift, bald zu Pferd, bald zu Kamel. So
persische ,Tschapars', so hartgaloppierende Postgäule müßten Sie mal reiten,
vierundzwanzig, ja sechsunddreißig Stunden hintereinander, wie ich's mal bis
Teheran gemacht habe, dann würden Sie erkennen, daß es noch unangenehmere
Touren gibt, als unsere kleine Irrfahrt von heute auf dem Altpoggensieler Deich."

„Schon als Schüler haben Sie Persisch gelernt. Wie kam das?"

„Ich wollte, oder vielmehr ich sollte eigentlich Kaufmann werden. Unser
Haus — ich meine das Geschäft meines Vaters — arbeitete nach Persien.
So ging ich zu unserm Agenten in Täbris. Aber zum Koofmich hatte ich
doch nicht die rechte Lust. Dann studierte ich ein paar Semester und ging
wieder ein Jahr auf Reisen, mehr als ^lobe-trotter, wissen Sie. Na, bei der
Gelegenheit lernte ich auch Sie kennen."

Doktor Jerum schwieg, aber Miß Granton drängte weiter:

„Und dann? Sagen Sie, was haben Sie dann gemacht? Ich bin zu neu¬
gierig, wie Sie gekommen sind von Persien nach Bergstadt."

„Dann — studierte ich weiter. Mein Fach war Geographie. Ich wollte
mich als Privatdozent auftun, wissen Sie, um später. . ."

„Professor zu werden," ergänzte Miß Granton, „an eine deutsche Universität.
O, Sie wären ein guter, ein sehr guter Professor geworden, und wenn ich in
Amerika in meine deutsche Zeitung hätte gelesen Ihren Rainen als ein neuer
Professor von Geographie, ich wär' gekommen herüber, um zu studieren Geographie
bei Ihnen. Warum sind Sie es nicht geworden?"

„Ich--" sagte Doktor Jerum, „ich kriegte — hin — auf einmal —
Heimweh nach meiner Heimat. Nach Hamburg. Nach meiner eigenen Jugendzeit,
wissen Sie. Ich habe so richtige Jungens immer riesig gern gehabt. Und da
dachte ich: wie schön muß es sein, statt ausgewachsener junger Leute — denn
die wissen ja doch immer alles besser als man selbst — wie schön muß es sein,
kleine Jungen zu immer größeren Jungen zu erziehen — und zu belehren.


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[0628] Der Austauschprofessor Tee, Kaffee, Grog, Wein, Bier zur Erfrischung. In uns ist's gut sein; seid unsere Gäste! „Wie behaglich sehen diese Häuser aus," sagte Miß Granton zu ihrem Begleiter. „Auch solche Häuser haben wir nicht in Amerika. Und nun müssen Sie mir sagen, Mr. Jerum, warum sind Sie ausgewandert, ich wollte sagen: ausgereisen aus ein solches Land nach Persien?" „Ausgerissen, meinen Sie? Ja, das bin ich auch mal. Ist aber schon lange her. — Warum ich gerade nach Persien ging. Nun, ich hatte mich schon als Schüler ein wenig mit persischer Sprache und Literatur beschäftigt. Haben Sie von Firdusi gehört? Von Mirza Schafs! und Hafis?" „O ja, ich habe." „Und von Sobeida, der Gemahlin Harun al Naschids? Die soll Täbris, die Handelsmetropole Persiens, begründet haben, und von dort aus hab ich fast ein Jahr lang Persien durchstreift, bald zu Pferd, bald zu Kamel. So persische ,Tschapars', so hartgaloppierende Postgäule müßten Sie mal reiten, vierundzwanzig, ja sechsunddreißig Stunden hintereinander, wie ich's mal bis Teheran gemacht habe, dann würden Sie erkennen, daß es noch unangenehmere Touren gibt, als unsere kleine Irrfahrt von heute auf dem Altpoggensieler Deich." „Schon als Schüler haben Sie Persisch gelernt. Wie kam das?" „Ich wollte, oder vielmehr ich sollte eigentlich Kaufmann werden. Unser Haus — ich meine das Geschäft meines Vaters — arbeitete nach Persien. So ging ich zu unserm Agenten in Täbris. Aber zum Koofmich hatte ich doch nicht die rechte Lust. Dann studierte ich ein paar Semester und ging wieder ein Jahr auf Reisen, mehr als ^lobe-trotter, wissen Sie. Na, bei der Gelegenheit lernte ich auch Sie kennen." Doktor Jerum schwieg, aber Miß Granton drängte weiter: „Und dann? Sagen Sie, was haben Sie dann gemacht? Ich bin zu neu¬ gierig, wie Sie gekommen sind von Persien nach Bergstadt." „Dann — studierte ich weiter. Mein Fach war Geographie. Ich wollte mich als Privatdozent auftun, wissen Sie, um später. . ." „Professor zu werden," ergänzte Miß Granton, „an eine deutsche Universität. O, Sie wären ein guter, ein sehr guter Professor geworden, und wenn ich in Amerika in meine deutsche Zeitung hätte gelesen Ihren Rainen als ein neuer Professor von Geographie, ich wär' gekommen herüber, um zu studieren Geographie bei Ihnen. Warum sind Sie es nicht geworden?" „Ich--" sagte Doktor Jerum, „ich kriegte — hin — auf einmal — Heimweh nach meiner Heimat. Nach Hamburg. Nach meiner eigenen Jugendzeit, wissen Sie. Ich habe so richtige Jungens immer riesig gern gehabt. Und da dachte ich: wie schön muß es sein, statt ausgewachsener junger Leute — denn die wissen ja doch immer alles besser als man selbst — wie schön muß es sein, kleine Jungen zu immer größeren Jungen zu erziehen — und zu belehren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/628>, abgerufen am 09.06.2024.