Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Recht und Meinst

gar nicht behandelt, und es hat auch noch keinen Namen. Und doch besteht
es. Sogar seine Rechtsverfolgung ist, wie soeben berührt, in mehrfacher
Hinsicht durch die zweite Haager Konferenz gesichert. So soll nach deren
Beschluß über die Verletzung von neutralem Gut im Seekriege in letzter Instanz
ein internationales Prisengericht entscheiden. Dieses soll sich dabei richten
erstens nach den Abkommen der Mächte, zweitens nach den Regeln des inter¬
nationalen Rechts, drittens nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit
und der Billigkeit. Dieses Gebiet berührt sich freilich nahe mit dem Völkerrecht;
doch zeigt sich der wahre Charakter dieses Rechts darin, daß der verletzte
Private sein Recht vor dem Oberprisengericht ohne Zuziehung seines Heimats-
staates verfolgen kann. Entsprechend wird es in dem Falle sein, daß ein
Ausländer einem Staate Geld geliehen oder ihm etwas verkauft hat. Hier
wird in Zukunft die Entscheidung durch ein Schiedsgericht -- regelmäßig wohl
das ständige im Haag -- gefällt werden, und zwar auch zwischen Privat¬
gläubiger und Schuldnerstaat. Letzteres sagt das Haager Abkommen zwar
nicht ausdrücklich, der Zusammenhang ergibt es aber unzweifelhaft. Maßgebend
für die Entscheidung kann dann nicht ein nationales Recht sein, sondern das
erwähnte internationale namenlose Recht.

Damit dieses aber einen Namen hat, wollen wir es Völkerprivatrecht
nennen, um anzudeuten, daß es die Beziehungen zwischen Völkern -- richtiger
Staaten -- und Privaten regelt. Für besonders treffend halte ich den Namen
nicht, und ich würde mich freuen, wenn ein anderer einen besseren fände.
Aber einen Namen muß das Recht haben, schon damit deutlich wird, daß
es wirklich als etwas Besonderes existiert. Allerdings steht es dem Völkerrecht
näher als dem innerstaatlichen Recht. Mit jenem hat es vor allem gemein,
daß es über der Staatsgewalt steht. Der beteiligte Staat kann durch seine
Gesetzgebung seine privatvölkerrechtlichen Verpflichtungen nicht beseitigen oder
beschränken, denn das wären rein einseitige Erklärungen von seiner Seile.
Seine Gesetzgebung gilt auch hier nur ergänzend, soweit das Völkerprivatrecht
es gestattet, insbesondere, soweit es dem erklärten oder vorauszusetzenden
Willen beider Beteiligten entspricht. Und dann nur das zur Zeit des Vertrags-
schlusses geltende Recht, nicht das später einseitig abgeänderte. Das ist ganz
anders als beim eignen Untertanen eines Staates, mit dem dieser in
vertraglichen Beziehungen steht. Die gelten nur so lange, als es mit der
Gesetzgebung des Staates übereinstimmt. Da diese gegen die Untertanen
formell unbeschränkt ist, so verlieren sie ihre Rechte an den Staat aus
Verträgen oder sonstigen Entstehungsgründen, sobald die Gesetzgebung es so
will. Ob der Staat vom Standpunkt eines höheren Rechts, des Naturrechts
aus, solches tun darf, ist dabei für die rechtliche Wirksamkeit der Gesetze
unerheblich. Übrigens kann eine solche Beschränkung der Rechte, die ein
Privater gegen seinen Staat erworben hat, unter Umständen durch das
öffentliche Interesse geboten sein, und tatsächlich hat keine Staatsgewalt sich


Recht und Meinst

gar nicht behandelt, und es hat auch noch keinen Namen. Und doch besteht
es. Sogar seine Rechtsverfolgung ist, wie soeben berührt, in mehrfacher
Hinsicht durch die zweite Haager Konferenz gesichert. So soll nach deren
Beschluß über die Verletzung von neutralem Gut im Seekriege in letzter Instanz
ein internationales Prisengericht entscheiden. Dieses soll sich dabei richten
erstens nach den Abkommen der Mächte, zweitens nach den Regeln des inter¬
nationalen Rechts, drittens nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit
und der Billigkeit. Dieses Gebiet berührt sich freilich nahe mit dem Völkerrecht;
doch zeigt sich der wahre Charakter dieses Rechts darin, daß der verletzte
Private sein Recht vor dem Oberprisengericht ohne Zuziehung seines Heimats-
staates verfolgen kann. Entsprechend wird es in dem Falle sein, daß ein
Ausländer einem Staate Geld geliehen oder ihm etwas verkauft hat. Hier
wird in Zukunft die Entscheidung durch ein Schiedsgericht — regelmäßig wohl
das ständige im Haag — gefällt werden, und zwar auch zwischen Privat¬
gläubiger und Schuldnerstaat. Letzteres sagt das Haager Abkommen zwar
nicht ausdrücklich, der Zusammenhang ergibt es aber unzweifelhaft. Maßgebend
für die Entscheidung kann dann nicht ein nationales Recht sein, sondern das
erwähnte internationale namenlose Recht.

Damit dieses aber einen Namen hat, wollen wir es Völkerprivatrecht
nennen, um anzudeuten, daß es die Beziehungen zwischen Völkern — richtiger
Staaten — und Privaten regelt. Für besonders treffend halte ich den Namen
nicht, und ich würde mich freuen, wenn ein anderer einen besseren fände.
Aber einen Namen muß das Recht haben, schon damit deutlich wird, daß
es wirklich als etwas Besonderes existiert. Allerdings steht es dem Völkerrecht
näher als dem innerstaatlichen Recht. Mit jenem hat es vor allem gemein,
daß es über der Staatsgewalt steht. Der beteiligte Staat kann durch seine
Gesetzgebung seine privatvölkerrechtlichen Verpflichtungen nicht beseitigen oder
beschränken, denn das wären rein einseitige Erklärungen von seiner Seile.
Seine Gesetzgebung gilt auch hier nur ergänzend, soweit das Völkerprivatrecht
es gestattet, insbesondere, soweit es dem erklärten oder vorauszusetzenden
Willen beider Beteiligten entspricht. Und dann nur das zur Zeit des Vertrags-
schlusses geltende Recht, nicht das später einseitig abgeänderte. Das ist ganz
anders als beim eignen Untertanen eines Staates, mit dem dieser in
vertraglichen Beziehungen steht. Die gelten nur so lange, als es mit der
Gesetzgebung des Staates übereinstimmt. Da diese gegen die Untertanen
formell unbeschränkt ist, so verlieren sie ihre Rechte an den Staat aus
Verträgen oder sonstigen Entstehungsgründen, sobald die Gesetzgebung es so
will. Ob der Staat vom Standpunkt eines höheren Rechts, des Naturrechts
aus, solches tun darf, ist dabei für die rechtliche Wirksamkeit der Gesetze
unerheblich. Übrigens kann eine solche Beschränkung der Rechte, die ein
Privater gegen seinen Staat erworben hat, unter Umständen durch das
öffentliche Interesse geboten sein, und tatsächlich hat keine Staatsgewalt sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316530"/>
          <fw type="header" place="top"> Recht und Meinst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_879" prev="#ID_878"> gar nicht behandelt, und es hat auch noch keinen Namen. Und doch besteht<lb/>
es. Sogar seine Rechtsverfolgung ist, wie soeben berührt, in mehrfacher<lb/>
Hinsicht durch die zweite Haager Konferenz gesichert. So soll nach deren<lb/>
Beschluß über die Verletzung von neutralem Gut im Seekriege in letzter Instanz<lb/>
ein internationales Prisengericht entscheiden. Dieses soll sich dabei richten<lb/>
erstens nach den Abkommen der Mächte, zweitens nach den Regeln des inter¬<lb/>
nationalen Rechts, drittens nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit<lb/>
und der Billigkeit. Dieses Gebiet berührt sich freilich nahe mit dem Völkerrecht;<lb/>
doch zeigt sich der wahre Charakter dieses Rechts darin, daß der verletzte<lb/>
Private sein Recht vor dem Oberprisengericht ohne Zuziehung seines Heimats-<lb/>
staates verfolgen kann. Entsprechend wird es in dem Falle sein, daß ein<lb/>
Ausländer einem Staate Geld geliehen oder ihm etwas verkauft hat. Hier<lb/>
wird in Zukunft die Entscheidung durch ein Schiedsgericht &#x2014; regelmäßig wohl<lb/>
das ständige im Haag &#x2014; gefällt werden, und zwar auch zwischen Privat¬<lb/>
gläubiger und Schuldnerstaat. Letzteres sagt das Haager Abkommen zwar<lb/>
nicht ausdrücklich, der Zusammenhang ergibt es aber unzweifelhaft. Maßgebend<lb/>
für die Entscheidung kann dann nicht ein nationales Recht sein, sondern das<lb/>
erwähnte internationale namenlose Recht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_880" next="#ID_881"> Damit dieses aber einen Namen hat, wollen wir es Völkerprivatrecht<lb/>
nennen, um anzudeuten, daß es die Beziehungen zwischen Völkern &#x2014; richtiger<lb/>
Staaten &#x2014; und Privaten regelt. Für besonders treffend halte ich den Namen<lb/>
nicht, und ich würde mich freuen, wenn ein anderer einen besseren fände.<lb/>
Aber einen Namen muß das Recht haben, schon damit deutlich wird, daß<lb/>
es wirklich als etwas Besonderes existiert. Allerdings steht es dem Völkerrecht<lb/>
näher als dem innerstaatlichen Recht. Mit jenem hat es vor allem gemein,<lb/>
daß es über der Staatsgewalt steht. Der beteiligte Staat kann durch seine<lb/>
Gesetzgebung seine privatvölkerrechtlichen Verpflichtungen nicht beseitigen oder<lb/>
beschränken, denn das wären rein einseitige Erklärungen von seiner Seile.<lb/>
Seine Gesetzgebung gilt auch hier nur ergänzend, soweit das Völkerprivatrecht<lb/>
es gestattet, insbesondere, soweit es dem erklärten oder vorauszusetzenden<lb/>
Willen beider Beteiligten entspricht. Und dann nur das zur Zeit des Vertrags-<lb/>
schlusses geltende Recht, nicht das später einseitig abgeänderte. Das ist ganz<lb/>
anders als beim eignen Untertanen eines Staates, mit dem dieser in<lb/>
vertraglichen Beziehungen steht. Die gelten nur so lange, als es mit der<lb/>
Gesetzgebung des Staates übereinstimmt. Da diese gegen die Untertanen<lb/>
formell unbeschränkt ist, so verlieren sie ihre Rechte an den Staat aus<lb/>
Verträgen oder sonstigen Entstehungsgründen, sobald die Gesetzgebung es so<lb/>
will. Ob der Staat vom Standpunkt eines höheren Rechts, des Naturrechts<lb/>
aus, solches tun darf, ist dabei für die rechtliche Wirksamkeit der Gesetze<lb/>
unerheblich. Übrigens kann eine solche Beschränkung der Rechte, die ein<lb/>
Privater gegen seinen Staat erworben hat, unter Umständen durch das<lb/>
öffentliche Interesse geboten sein, und tatsächlich hat keine Staatsgewalt sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] Recht und Meinst gar nicht behandelt, und es hat auch noch keinen Namen. Und doch besteht es. Sogar seine Rechtsverfolgung ist, wie soeben berührt, in mehrfacher Hinsicht durch die zweite Haager Konferenz gesichert. So soll nach deren Beschluß über die Verletzung von neutralem Gut im Seekriege in letzter Instanz ein internationales Prisengericht entscheiden. Dieses soll sich dabei richten erstens nach den Abkommen der Mächte, zweitens nach den Regeln des inter¬ nationalen Rechts, drittens nach den allgemeinen Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Billigkeit. Dieses Gebiet berührt sich freilich nahe mit dem Völkerrecht; doch zeigt sich der wahre Charakter dieses Rechts darin, daß der verletzte Private sein Recht vor dem Oberprisengericht ohne Zuziehung seines Heimats- staates verfolgen kann. Entsprechend wird es in dem Falle sein, daß ein Ausländer einem Staate Geld geliehen oder ihm etwas verkauft hat. Hier wird in Zukunft die Entscheidung durch ein Schiedsgericht — regelmäßig wohl das ständige im Haag — gefällt werden, und zwar auch zwischen Privat¬ gläubiger und Schuldnerstaat. Letzteres sagt das Haager Abkommen zwar nicht ausdrücklich, der Zusammenhang ergibt es aber unzweifelhaft. Maßgebend für die Entscheidung kann dann nicht ein nationales Recht sein, sondern das erwähnte internationale namenlose Recht. Damit dieses aber einen Namen hat, wollen wir es Völkerprivatrecht nennen, um anzudeuten, daß es die Beziehungen zwischen Völkern — richtiger Staaten — und Privaten regelt. Für besonders treffend halte ich den Namen nicht, und ich würde mich freuen, wenn ein anderer einen besseren fände. Aber einen Namen muß das Recht haben, schon damit deutlich wird, daß es wirklich als etwas Besonderes existiert. Allerdings steht es dem Völkerrecht näher als dem innerstaatlichen Recht. Mit jenem hat es vor allem gemein, daß es über der Staatsgewalt steht. Der beteiligte Staat kann durch seine Gesetzgebung seine privatvölkerrechtlichen Verpflichtungen nicht beseitigen oder beschränken, denn das wären rein einseitige Erklärungen von seiner Seile. Seine Gesetzgebung gilt auch hier nur ergänzend, soweit das Völkerprivatrecht es gestattet, insbesondere, soweit es dem erklärten oder vorauszusetzenden Willen beider Beteiligten entspricht. Und dann nur das zur Zeit des Vertrags- schlusses geltende Recht, nicht das später einseitig abgeänderte. Das ist ganz anders als beim eignen Untertanen eines Staates, mit dem dieser in vertraglichen Beziehungen steht. Die gelten nur so lange, als es mit der Gesetzgebung des Staates übereinstimmt. Da diese gegen die Untertanen formell unbeschränkt ist, so verlieren sie ihre Rechte an den Staat aus Verträgen oder sonstigen Entstehungsgründen, sobald die Gesetzgebung es so will. Ob der Staat vom Standpunkt eines höheren Rechts, des Naturrechts aus, solches tun darf, ist dabei für die rechtliche Wirksamkeit der Gesetze unerheblich. Übrigens kann eine solche Beschränkung der Rechte, die ein Privater gegen seinen Staat erworben hat, unter Umständen durch das öffentliche Interesse geboten sein, und tatsächlich hat keine Staatsgewalt sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/241>, abgerufen am 28.05.2024.