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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die politische Lage der Türkei

Freilich ist der Vorsprung, den die Verbreitung ihrer Sprache im Orient
den Franzosen gewährt, bislang weder in politischer noch wirtschaftlicher Beziehung
voll ausgenützt worden. Politisch hat sich Frankreich im wesentlichen mit der
Respektsstellung einer Schutzmacht der Christen im Orient begnügt, und in
wirtschaftlicher Beziehung hat es sich lange Zeit, dank der geringen Expansions¬
krast seines eigenen nationalen Wirtschaftslebens, auf die Gewährung von
Staatsanleihen beschränkt; doch scheint in beiden Beziehungen ein Wandel ein¬
treten zu sollen. Politisch bekämpft Frankreich an der Seite Englands das
Vordringen Deutschlands, d. h. es sucht den immer wieder als Hauptachse der
Entwicklung der Dinge erscheinenden Bau der Bagdadbahn zu hintertreiben,
der den ziemlich ausgedehnten französischen Unternehmungen in Syrien aller¬
dings wenig günstig ist. Wirtschaftlich tritt Frankreich, durch seine sprach¬
kundigen Ingenieure glänzend vertreten, in der letzten Zeit sehr erfolgreich bei
den Ausschreibungen öffentlicher Arbeiten mit den andren Staaten in Wett¬
bewerb. Vor wenigen Tagen erst wurde ihm die Ausführung von acht Neunteln
der in der europäischen und asiatischen Türkei auszuführenden Chausseebauten
übertragen, und auch die Neuordnung des Agrarkreditwesens und die damit ver¬
bundenen Geschäfte in Grund und Boden scheinen in der Hauptsache französischen:
Gelde vorbehalten zu sein.

Ganz andern Charakter tragen die Beziehungen der Türkei zu Deutsch¬
land. Deutschlands Ansehen basiert im Gegensatz zu dem französischen auf
seinem Ruf, die gewaltigste Militärmacht zu sein. Dieser Ruf, gestützt durch
die opferfreudige Arbeit schneidiger preußischer Offiziere im Dienste der türkischen
Armee, begründet bei einem waffenstolzen Volke, wie es die Türken sind, ein
Prestige, das sicherlich nicht von heute auf morgen vernichtet werden kann.
Dazu kommt, daß Deutschland in seinen wirtschaftlichen Unternehmungen von
allen europäischen Staaten am großartigsten auftritt und dadurch seinem
militärischen Ansehen den Ruf hinzufügt, auch in wirtschaftlicher Beziehung das
gewaltigste Land der Erde zu sein. Das Empfangsgebäude der Anatolischen
Eisenbahn in Haidar-Pascha, das an monumentaler Wucht wetteifert mit dem
gegenüberliegenden Kolossalbau der Agia Sophia, die Paläste der deutschen
Banken und der nunmehr in Angriff genommene Bau einer Riesenbrücke über
das Goldene Horn, die täglich von etwa sechzigtausend Menschen passiert werden
wird, sind auch in der Tat glänzende Zeugnisse von Deutschlands wirtschaft¬
licher Entwicklung. Aber all solche Dinge wären bedeutungslos, wenn nicht
die Zuneigung des türkischen Volkes an ihnen haftete. Zwar mag der National-
stolz des jungen Volkes sich manchmal daran stoßen, daß derartige Werke die
Arbeit und der Besitz Fremder sind, aber die Erwartung, durch die Arbeit der
Fremden die Entwicklung des eigenen Landes schnell gefördert zu fehen, und
die Hoffnung, alsbald zu Reichtum und Macht zu gelangen, läßt das türkische
Volk dennoch diesen Zeichen der neuen Zeit Sympathie und Interesse entgegen¬
bringen. Sicherlich schneidet Deutschland hier nicht ungünstig ab. Denn von


Die politische Lage der Türkei

Freilich ist der Vorsprung, den die Verbreitung ihrer Sprache im Orient
den Franzosen gewährt, bislang weder in politischer noch wirtschaftlicher Beziehung
voll ausgenützt worden. Politisch hat sich Frankreich im wesentlichen mit der
Respektsstellung einer Schutzmacht der Christen im Orient begnügt, und in
wirtschaftlicher Beziehung hat es sich lange Zeit, dank der geringen Expansions¬
krast seines eigenen nationalen Wirtschaftslebens, auf die Gewährung von
Staatsanleihen beschränkt; doch scheint in beiden Beziehungen ein Wandel ein¬
treten zu sollen. Politisch bekämpft Frankreich an der Seite Englands das
Vordringen Deutschlands, d. h. es sucht den immer wieder als Hauptachse der
Entwicklung der Dinge erscheinenden Bau der Bagdadbahn zu hintertreiben,
der den ziemlich ausgedehnten französischen Unternehmungen in Syrien aller¬
dings wenig günstig ist. Wirtschaftlich tritt Frankreich, durch seine sprach¬
kundigen Ingenieure glänzend vertreten, in der letzten Zeit sehr erfolgreich bei
den Ausschreibungen öffentlicher Arbeiten mit den andren Staaten in Wett¬
bewerb. Vor wenigen Tagen erst wurde ihm die Ausführung von acht Neunteln
der in der europäischen und asiatischen Türkei auszuführenden Chausseebauten
übertragen, und auch die Neuordnung des Agrarkreditwesens und die damit ver¬
bundenen Geschäfte in Grund und Boden scheinen in der Hauptsache französischen:
Gelde vorbehalten zu sein.

Ganz andern Charakter tragen die Beziehungen der Türkei zu Deutsch¬
land. Deutschlands Ansehen basiert im Gegensatz zu dem französischen auf
seinem Ruf, die gewaltigste Militärmacht zu sein. Dieser Ruf, gestützt durch
die opferfreudige Arbeit schneidiger preußischer Offiziere im Dienste der türkischen
Armee, begründet bei einem waffenstolzen Volke, wie es die Türken sind, ein
Prestige, das sicherlich nicht von heute auf morgen vernichtet werden kann.
Dazu kommt, daß Deutschland in seinen wirtschaftlichen Unternehmungen von
allen europäischen Staaten am großartigsten auftritt und dadurch seinem
militärischen Ansehen den Ruf hinzufügt, auch in wirtschaftlicher Beziehung das
gewaltigste Land der Erde zu sein. Das Empfangsgebäude der Anatolischen
Eisenbahn in Haidar-Pascha, das an monumentaler Wucht wetteifert mit dem
gegenüberliegenden Kolossalbau der Agia Sophia, die Paläste der deutschen
Banken und der nunmehr in Angriff genommene Bau einer Riesenbrücke über
das Goldene Horn, die täglich von etwa sechzigtausend Menschen passiert werden
wird, sind auch in der Tat glänzende Zeugnisse von Deutschlands wirtschaft¬
licher Entwicklung. Aber all solche Dinge wären bedeutungslos, wenn nicht
die Zuneigung des türkischen Volkes an ihnen haftete. Zwar mag der National-
stolz des jungen Volkes sich manchmal daran stoßen, daß derartige Werke die
Arbeit und der Besitz Fremder sind, aber die Erwartung, durch die Arbeit der
Fremden die Entwicklung des eigenen Landes schnell gefördert zu fehen, und
die Hoffnung, alsbald zu Reichtum und Macht zu gelangen, läßt das türkische
Volk dennoch diesen Zeichen der neuen Zeit Sympathie und Interesse entgegen¬
bringen. Sicherlich schneidet Deutschland hier nicht ungünstig ab. Denn von


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[0331] Die politische Lage der Türkei Freilich ist der Vorsprung, den die Verbreitung ihrer Sprache im Orient den Franzosen gewährt, bislang weder in politischer noch wirtschaftlicher Beziehung voll ausgenützt worden. Politisch hat sich Frankreich im wesentlichen mit der Respektsstellung einer Schutzmacht der Christen im Orient begnügt, und in wirtschaftlicher Beziehung hat es sich lange Zeit, dank der geringen Expansions¬ krast seines eigenen nationalen Wirtschaftslebens, auf die Gewährung von Staatsanleihen beschränkt; doch scheint in beiden Beziehungen ein Wandel ein¬ treten zu sollen. Politisch bekämpft Frankreich an der Seite Englands das Vordringen Deutschlands, d. h. es sucht den immer wieder als Hauptachse der Entwicklung der Dinge erscheinenden Bau der Bagdadbahn zu hintertreiben, der den ziemlich ausgedehnten französischen Unternehmungen in Syrien aller¬ dings wenig günstig ist. Wirtschaftlich tritt Frankreich, durch seine sprach¬ kundigen Ingenieure glänzend vertreten, in der letzten Zeit sehr erfolgreich bei den Ausschreibungen öffentlicher Arbeiten mit den andren Staaten in Wett¬ bewerb. Vor wenigen Tagen erst wurde ihm die Ausführung von acht Neunteln der in der europäischen und asiatischen Türkei auszuführenden Chausseebauten übertragen, und auch die Neuordnung des Agrarkreditwesens und die damit ver¬ bundenen Geschäfte in Grund und Boden scheinen in der Hauptsache französischen: Gelde vorbehalten zu sein. Ganz andern Charakter tragen die Beziehungen der Türkei zu Deutsch¬ land. Deutschlands Ansehen basiert im Gegensatz zu dem französischen auf seinem Ruf, die gewaltigste Militärmacht zu sein. Dieser Ruf, gestützt durch die opferfreudige Arbeit schneidiger preußischer Offiziere im Dienste der türkischen Armee, begründet bei einem waffenstolzen Volke, wie es die Türken sind, ein Prestige, das sicherlich nicht von heute auf morgen vernichtet werden kann. Dazu kommt, daß Deutschland in seinen wirtschaftlichen Unternehmungen von allen europäischen Staaten am großartigsten auftritt und dadurch seinem militärischen Ansehen den Ruf hinzufügt, auch in wirtschaftlicher Beziehung das gewaltigste Land der Erde zu sein. Das Empfangsgebäude der Anatolischen Eisenbahn in Haidar-Pascha, das an monumentaler Wucht wetteifert mit dem gegenüberliegenden Kolossalbau der Agia Sophia, die Paläste der deutschen Banken und der nunmehr in Angriff genommene Bau einer Riesenbrücke über das Goldene Horn, die täglich von etwa sechzigtausend Menschen passiert werden wird, sind auch in der Tat glänzende Zeugnisse von Deutschlands wirtschaft¬ licher Entwicklung. Aber all solche Dinge wären bedeutungslos, wenn nicht die Zuneigung des türkischen Volkes an ihnen haftete. Zwar mag der National- stolz des jungen Volkes sich manchmal daran stoßen, daß derartige Werke die Arbeit und der Besitz Fremder sind, aber die Erwartung, durch die Arbeit der Fremden die Entwicklung des eigenen Landes schnell gefördert zu fehen, und die Hoffnung, alsbald zu Reichtum und Macht zu gelangen, läßt das türkische Volk dennoch diesen Zeichen der neuen Zeit Sympathie und Interesse entgegen¬ bringen. Sicherlich schneidet Deutschland hier nicht ungünstig ab. Denn von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/331>, abgerufen am 27.05.2024.