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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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An der Wiege des Jarenhauses

Charlotte von Braunschweig-Wolffenbüttel hinterließ Alexis einen Sohn, der --
ebenso wie sein Vater in der Blüte verdorben -- nach den: Tode Katharinens
der Ersten im Mai 1727 als Kaiser Peter der Zweite den Thron bestieg. Noch
lebte seine Großmutter, die ehemalige Zarin Eudoxia, als Nonne Helene im
Kloster. Der Enkel setzte sie in alle kaiserlichen Ehren wieder ein, im September 1727
traf sie in Moskau ein und nahm: ihren Aufenthalt im dortigen Jungfrauen-
Kloster. Den Fürsten Menschikow, der den jungen Kaiser mit seiner Tochter
verlobt hatte, ereilte nun sein Geschick. Peter der Zweite löste die Verlobung
und schickte Menschikow nach Sibirien in die Verbannung und in den Tod.
Doch nach drei Jahren der Negierung starb Peter der Zweite und seine Nach¬
folgerin wurde Anna, die Tochter des Zaren Iwan des Fünften, des ältern
Halbbruders Peters des Großen und der Zarin Praskowja, aus dem Geschlecht
der Saltykow.

Als die Kaiserin Anna, Peters des Großen Nichte, im Jahre 1740 starb,
kam Anna Leopoldowna, die Tochter ihrer Schwester Katharina, die mit dem
Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin vermählt war, als Regentin
für ihren zwei Monate alten Sohn, den Kaiser Iwan den Sechsten, zur Regierung.
Sie war die Gemahlin des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolffen¬
büttel. Doch schon nach einen, Jahre wurde die Regentin und mit ihr das
Haus Braunschweig durch eine Palastrevolution gestürzt, und Peters des Großen
Tochter Elisabeth bestieg als Kaiserin den Thron.

Unter der Kaiserin Anna war die Tochter der Generalin Ball, geborenen
Mons, Natalie, verheiratet mit Stephan Lopuchin, einem Vetter der Zarin
Eudoxia, Staatsdame der Kaiserin geworden. Unter der Herrschaft Elisabeths
ging das Glück der Lopuchins in Stücke. Sie wurden fälschlich der Teilnahme,
ja Urheberschaft an einer Verschwörung zur Wiedereinsetzung des Hauses Braun-
schweig angeklagt, Natalie Lopuchin wie ihr Gemahl Stephan und ihr Sohn
Iwan Lopuchin wurden mit der Knute geschlagen, die Zungen wurden ihnen
ausgeschnitten, sie wurden in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Nach dein
Tode Elisabeths gestattete Kaiser Peter der Dritte der stummen Natalie Lopuchiu,
aus der Verbannung zurückzukehren.

Peter der Dritte, der Sohn des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-
Gottorp und Annas, Peters des Großen Tochter, war, von seiner Tante Elisabeth
dazu ersehen, ihr als Nachfolger auf dem russischen Kaiserthrone gefolgt.
Er war seit 1745 mit Katharina, einer Prinzessin von Anhalt-Zerbst, vermählt.
Peter der Dritte hatte nur ein halbes Jahr als Kaiser über Rußland geherrscht,
als er von den Großen des Reiches vom Throne gestoßen und ermordet wurde.
Ihm folgte seine Gemahlin, als Selbstherrscherin und Kaiserin Katharina die
Zweite genannt. Noch lebte der unglückliche Kaiser Iwan der Sechste aus dem
Hause Braunschweig: auch er wurde im Jahre 1764 im Gefängnis erdrosselt.

Der älteste Sohn der Generalin Ball. der zu gleicher Zeit wie auch sein
unglücklicher Oheim Willim Mons Kammerherr der Kaiserin Katharina der


An der Wiege des Jarenhauses

Charlotte von Braunschweig-Wolffenbüttel hinterließ Alexis einen Sohn, der —
ebenso wie sein Vater in der Blüte verdorben — nach den: Tode Katharinens
der Ersten im Mai 1727 als Kaiser Peter der Zweite den Thron bestieg. Noch
lebte seine Großmutter, die ehemalige Zarin Eudoxia, als Nonne Helene im
Kloster. Der Enkel setzte sie in alle kaiserlichen Ehren wieder ein, im September 1727
traf sie in Moskau ein und nahm: ihren Aufenthalt im dortigen Jungfrauen-
Kloster. Den Fürsten Menschikow, der den jungen Kaiser mit seiner Tochter
verlobt hatte, ereilte nun sein Geschick. Peter der Zweite löste die Verlobung
und schickte Menschikow nach Sibirien in die Verbannung und in den Tod.
Doch nach drei Jahren der Negierung starb Peter der Zweite und seine Nach¬
folgerin wurde Anna, die Tochter des Zaren Iwan des Fünften, des ältern
Halbbruders Peters des Großen und der Zarin Praskowja, aus dem Geschlecht
der Saltykow.

Als die Kaiserin Anna, Peters des Großen Nichte, im Jahre 1740 starb,
kam Anna Leopoldowna, die Tochter ihrer Schwester Katharina, die mit dem
Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin vermählt war, als Regentin
für ihren zwei Monate alten Sohn, den Kaiser Iwan den Sechsten, zur Regierung.
Sie war die Gemahlin des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolffen¬
büttel. Doch schon nach einen, Jahre wurde die Regentin und mit ihr das
Haus Braunschweig durch eine Palastrevolution gestürzt, und Peters des Großen
Tochter Elisabeth bestieg als Kaiserin den Thron.

Unter der Kaiserin Anna war die Tochter der Generalin Ball, geborenen
Mons, Natalie, verheiratet mit Stephan Lopuchin, einem Vetter der Zarin
Eudoxia, Staatsdame der Kaiserin geworden. Unter der Herrschaft Elisabeths
ging das Glück der Lopuchins in Stücke. Sie wurden fälschlich der Teilnahme,
ja Urheberschaft an einer Verschwörung zur Wiedereinsetzung des Hauses Braun-
schweig angeklagt, Natalie Lopuchin wie ihr Gemahl Stephan und ihr Sohn
Iwan Lopuchin wurden mit der Knute geschlagen, die Zungen wurden ihnen
ausgeschnitten, sie wurden in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Nach dein
Tode Elisabeths gestattete Kaiser Peter der Dritte der stummen Natalie Lopuchiu,
aus der Verbannung zurückzukehren.

Peter der Dritte, der Sohn des Herzogs Karl Friedrich von Holstein-
Gottorp und Annas, Peters des Großen Tochter, war, von seiner Tante Elisabeth
dazu ersehen, ihr als Nachfolger auf dem russischen Kaiserthrone gefolgt.
Er war seit 1745 mit Katharina, einer Prinzessin von Anhalt-Zerbst, vermählt.
Peter der Dritte hatte nur ein halbes Jahr als Kaiser über Rußland geherrscht,
als er von den Großen des Reiches vom Throne gestoßen und ermordet wurde.
Ihm folgte seine Gemahlin, als Selbstherrscherin und Kaiserin Katharina die
Zweite genannt. Noch lebte der unglückliche Kaiser Iwan der Sechste aus dem
Hause Braunschweig: auch er wurde im Jahre 1764 im Gefängnis erdrosselt.

Der älteste Sohn der Generalin Ball. der zu gleicher Zeit wie auch sein
unglücklicher Oheim Willim Mons Kammerherr der Kaiserin Katharina der


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[0499] An der Wiege des Jarenhauses Charlotte von Braunschweig-Wolffenbüttel hinterließ Alexis einen Sohn, der — ebenso wie sein Vater in der Blüte verdorben — nach den: Tode Katharinens der Ersten im Mai 1727 als Kaiser Peter der Zweite den Thron bestieg. Noch lebte seine Großmutter, die ehemalige Zarin Eudoxia, als Nonne Helene im Kloster. Der Enkel setzte sie in alle kaiserlichen Ehren wieder ein, im September 1727 traf sie in Moskau ein und nahm: ihren Aufenthalt im dortigen Jungfrauen- Kloster. Den Fürsten Menschikow, der den jungen Kaiser mit seiner Tochter verlobt hatte, ereilte nun sein Geschick. Peter der Zweite löste die Verlobung und schickte Menschikow nach Sibirien in die Verbannung und in den Tod. Doch nach drei Jahren der Negierung starb Peter der Zweite und seine Nach¬ folgerin wurde Anna, die Tochter des Zaren Iwan des Fünften, des ältern Halbbruders Peters des Großen und der Zarin Praskowja, aus dem Geschlecht der Saltykow. Als die Kaiserin Anna, Peters des Großen Nichte, im Jahre 1740 starb, kam Anna Leopoldowna, die Tochter ihrer Schwester Katharina, die mit dem Herzog Karl Leopold von Mecklenburg-Schwerin vermählt war, als Regentin für ihren zwei Monate alten Sohn, den Kaiser Iwan den Sechsten, zur Regierung. Sie war die Gemahlin des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolffen¬ büttel. Doch schon nach einen, Jahre wurde die Regentin und mit ihr das Haus Braunschweig durch eine Palastrevolution gestürzt, und Peters des Großen Tochter Elisabeth bestieg als Kaiserin den Thron. Unter der Kaiserin Anna war die Tochter der Generalin Ball, geborenen Mons, Natalie, verheiratet mit Stephan Lopuchin, einem Vetter der Zarin Eudoxia, Staatsdame der Kaiserin geworden. Unter der Herrschaft Elisabeths ging das Glück der Lopuchins in Stücke. Sie wurden fälschlich der Teilnahme, ja Urheberschaft an einer Verschwörung zur Wiedereinsetzung des Hauses Braun- schweig angeklagt, Natalie Lopuchin wie ihr Gemahl Stephan und ihr Sohn Iwan Lopuchin wurden mit der Knute geschlagen, die Zungen wurden ihnen ausgeschnitten, sie wurden in die Verbannung nach Sibirien geschickt. Nach dein Tode Elisabeths gestattete Kaiser Peter der Dritte der stummen Natalie Lopuchiu, aus der Verbannung zurückzukehren. Peter der Dritte, der Sohn des Herzogs Karl Friedrich von Holstein- Gottorp und Annas, Peters des Großen Tochter, war, von seiner Tante Elisabeth dazu ersehen, ihr als Nachfolger auf dem russischen Kaiserthrone gefolgt. Er war seit 1745 mit Katharina, einer Prinzessin von Anhalt-Zerbst, vermählt. Peter der Dritte hatte nur ein halbes Jahr als Kaiser über Rußland geherrscht, als er von den Großen des Reiches vom Throne gestoßen und ermordet wurde. Ihm folgte seine Gemahlin, als Selbstherrscherin und Kaiserin Katharina die Zweite genannt. Noch lebte der unglückliche Kaiser Iwan der Sechste aus dem Hause Braunschweig: auch er wurde im Jahre 1764 im Gefängnis erdrosselt. Der älteste Sohn der Generalin Ball. der zu gleicher Zeit wie auch sein unglücklicher Oheim Willim Mons Kammerherr der Kaiserin Katharina der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/499>, abgerufen am 28.05.2024.