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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frage der Fleischteuerung

Erachtens ruhig behaupten, daß 1910 die Viehproduktion im Reiche der Zunahme
an Einwohnern ebensowenig gefolgt ist wie bisher. Die Schuld an der geringen
Zunahme der Viehzüchtung ist einmal dem Umstände zuzumessen, daß in Jahren
mit knappein Futter, wie sie im letzten Dezennium ja vorgekommen sind, weniger
Vieh gezogen wird; hauptsächlich aber verursacht wohl die allgemeine Verteuerung
der Lebensverhältnisse sowie der Hilfskräfte auf dein Lande eine Beschränkung
in der Menge der auszuziehenden Tiere. Indes diesem Mißstände der zu
langsam sich steigernden Viehproduktion wäre ein so großer Einfluß auf die
Steigerung der Fleischpreise nicht zuzumessen, wenn nicht der Staat seit langem
eifrig bemüht wäre, mit allen Mitteln die Einfuhr ausländischen Viehs und
Fleisches nach Deutschland zu verhindern.

Wie am 31. Oktober 1905 der damalige Reichskanzler, Fürst von Bülow,
einer Abordnung des Deutschen Städtetages eröffnete, sollen die Maßnahmen
gegen ausländisches Vieh und Fleisch vitale Interessen unseres gesamten Volkes,
nicht der Landwirtschaft allein, schützen. In weiten Kreisen der Bevölkerung ist
man jedoch über die Wirkung dieser Vorsichtsmaßregeln ganz anderer Meinung
und kann sich dem Empfinden nicht verschließen, daß in dieser Aussperrung
ausländischen Fleisches nur eine einseitige Begünstigung der heimischen Land¬
wirtschaft auf Kosten der übrigen Stände geschaffen ist, obwohl das Inland ja
gar nicht imstande ist, den Bedarf an tierischen Produkten zu decken. Die
Sperrung der deutschen Grenzen gegen die ausländische Vieheinfuhr mit der
Motivierung der Verhütung vou Einschleppung der Viehseuchen begann 1867
mit einschneidenden Vorschriften, vor allem gegen Rinderpest, denen sodann 1881
Maßnahmen zur Bekämpfung des Milzbrandes, der Tollwut, der Rotz-, Maul-
und Klauenseuche folgten und die besonders dahin zielten, eine scharfe Beauf¬
sichtigung der Märkte und Schlachthäuser durch beamtete Tierärzte zu schaffen.
Die 1834 in großem Umfange auftretende Maul- und Klauenseuche brachte für
alles ausländische Vieh, das in das Inland eingeführt werden sollte, eine vier-
wöchige Quarantäne, das Verbot der Einfuhr russischer Schweine und russischen
Geflügels, sowie eine zeitweise Sperrung der Rindereinfuhr aus Österreich-
Ungarn. Die neuen Handelsverträge befassen sich ebenfalls mit der Einfuhr
ausländischen Viehs nach Deutschland. Nach ihnen wurde Österreich-Ungarn
gegenüber in einer Veterinärkonvention die Präventivsperre aufrecht erhalten
(wonach die Sperrung der Grenze schon bei der Vermutung der Einschlevpungs-
gefahr erfolgen kann); Rußland dagegen wurden besondere Zugeständnisse für
die Vieheinfuhr gemacht. Die lagen darin, daß das für Rußland bestehende
Recht, 1360 Schweine wöchentlich in den oberschlesischen Industriebezirk ein¬
zuführen, so erweitert wurde, daß 2500 Stück pro Woche (jährlich 130000 Stück)
importiert werden dürfen. Allerdings müssen diese Schweine sofort in den
Schlachthäusern des Jndustriebezirks geschlachtet werden. Auch Rumänien sind
handelsvertraglich gewisse Vergünstigungen für die Vieh- und Fleischeinfuhr nach
Deutschland zugestanden worden. Am meisten ausschlaggebend für eine Ver-


Grenzboten IV 1910 14
Zur Frage der Fleischteuerung

Erachtens ruhig behaupten, daß 1910 die Viehproduktion im Reiche der Zunahme
an Einwohnern ebensowenig gefolgt ist wie bisher. Die Schuld an der geringen
Zunahme der Viehzüchtung ist einmal dem Umstände zuzumessen, daß in Jahren
mit knappein Futter, wie sie im letzten Dezennium ja vorgekommen sind, weniger
Vieh gezogen wird; hauptsächlich aber verursacht wohl die allgemeine Verteuerung
der Lebensverhältnisse sowie der Hilfskräfte auf dein Lande eine Beschränkung
in der Menge der auszuziehenden Tiere. Indes diesem Mißstände der zu
langsam sich steigernden Viehproduktion wäre ein so großer Einfluß auf die
Steigerung der Fleischpreise nicht zuzumessen, wenn nicht der Staat seit langem
eifrig bemüht wäre, mit allen Mitteln die Einfuhr ausländischen Viehs und
Fleisches nach Deutschland zu verhindern.

Wie am 31. Oktober 1905 der damalige Reichskanzler, Fürst von Bülow,
einer Abordnung des Deutschen Städtetages eröffnete, sollen die Maßnahmen
gegen ausländisches Vieh und Fleisch vitale Interessen unseres gesamten Volkes,
nicht der Landwirtschaft allein, schützen. In weiten Kreisen der Bevölkerung ist
man jedoch über die Wirkung dieser Vorsichtsmaßregeln ganz anderer Meinung
und kann sich dem Empfinden nicht verschließen, daß in dieser Aussperrung
ausländischen Fleisches nur eine einseitige Begünstigung der heimischen Land¬
wirtschaft auf Kosten der übrigen Stände geschaffen ist, obwohl das Inland ja
gar nicht imstande ist, den Bedarf an tierischen Produkten zu decken. Die
Sperrung der deutschen Grenzen gegen die ausländische Vieheinfuhr mit der
Motivierung der Verhütung vou Einschleppung der Viehseuchen begann 1867
mit einschneidenden Vorschriften, vor allem gegen Rinderpest, denen sodann 1881
Maßnahmen zur Bekämpfung des Milzbrandes, der Tollwut, der Rotz-, Maul-
und Klauenseuche folgten und die besonders dahin zielten, eine scharfe Beauf¬
sichtigung der Märkte und Schlachthäuser durch beamtete Tierärzte zu schaffen.
Die 1834 in großem Umfange auftretende Maul- und Klauenseuche brachte für
alles ausländische Vieh, das in das Inland eingeführt werden sollte, eine vier-
wöchige Quarantäne, das Verbot der Einfuhr russischer Schweine und russischen
Geflügels, sowie eine zeitweise Sperrung der Rindereinfuhr aus Österreich-
Ungarn. Die neuen Handelsverträge befassen sich ebenfalls mit der Einfuhr
ausländischen Viehs nach Deutschland. Nach ihnen wurde Österreich-Ungarn
gegenüber in einer Veterinärkonvention die Präventivsperre aufrecht erhalten
(wonach die Sperrung der Grenze schon bei der Vermutung der Einschlevpungs-
gefahr erfolgen kann); Rußland dagegen wurden besondere Zugeständnisse für
die Vieheinfuhr gemacht. Die lagen darin, daß das für Rußland bestehende
Recht, 1360 Schweine wöchentlich in den oberschlesischen Industriebezirk ein¬
zuführen, so erweitert wurde, daß 2500 Stück pro Woche (jährlich 130000 Stück)
importiert werden dürfen. Allerdings müssen diese Schweine sofort in den
Schlachthäusern des Jndustriebezirks geschlachtet werden. Auch Rumänien sind
handelsvertraglich gewisse Vergünstigungen für die Vieh- und Fleischeinfuhr nach
Deutschland zugestanden worden. Am meisten ausschlaggebend für eine Ver-


Grenzboten IV 1910 14
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[0117] Zur Frage der Fleischteuerung Erachtens ruhig behaupten, daß 1910 die Viehproduktion im Reiche der Zunahme an Einwohnern ebensowenig gefolgt ist wie bisher. Die Schuld an der geringen Zunahme der Viehzüchtung ist einmal dem Umstände zuzumessen, daß in Jahren mit knappein Futter, wie sie im letzten Dezennium ja vorgekommen sind, weniger Vieh gezogen wird; hauptsächlich aber verursacht wohl die allgemeine Verteuerung der Lebensverhältnisse sowie der Hilfskräfte auf dein Lande eine Beschränkung in der Menge der auszuziehenden Tiere. Indes diesem Mißstände der zu langsam sich steigernden Viehproduktion wäre ein so großer Einfluß auf die Steigerung der Fleischpreise nicht zuzumessen, wenn nicht der Staat seit langem eifrig bemüht wäre, mit allen Mitteln die Einfuhr ausländischen Viehs und Fleisches nach Deutschland zu verhindern. Wie am 31. Oktober 1905 der damalige Reichskanzler, Fürst von Bülow, einer Abordnung des Deutschen Städtetages eröffnete, sollen die Maßnahmen gegen ausländisches Vieh und Fleisch vitale Interessen unseres gesamten Volkes, nicht der Landwirtschaft allein, schützen. In weiten Kreisen der Bevölkerung ist man jedoch über die Wirkung dieser Vorsichtsmaßregeln ganz anderer Meinung und kann sich dem Empfinden nicht verschließen, daß in dieser Aussperrung ausländischen Fleisches nur eine einseitige Begünstigung der heimischen Land¬ wirtschaft auf Kosten der übrigen Stände geschaffen ist, obwohl das Inland ja gar nicht imstande ist, den Bedarf an tierischen Produkten zu decken. Die Sperrung der deutschen Grenzen gegen die ausländische Vieheinfuhr mit der Motivierung der Verhütung vou Einschleppung der Viehseuchen begann 1867 mit einschneidenden Vorschriften, vor allem gegen Rinderpest, denen sodann 1881 Maßnahmen zur Bekämpfung des Milzbrandes, der Tollwut, der Rotz-, Maul- und Klauenseuche folgten und die besonders dahin zielten, eine scharfe Beauf¬ sichtigung der Märkte und Schlachthäuser durch beamtete Tierärzte zu schaffen. Die 1834 in großem Umfange auftretende Maul- und Klauenseuche brachte für alles ausländische Vieh, das in das Inland eingeführt werden sollte, eine vier- wöchige Quarantäne, das Verbot der Einfuhr russischer Schweine und russischen Geflügels, sowie eine zeitweise Sperrung der Rindereinfuhr aus Österreich- Ungarn. Die neuen Handelsverträge befassen sich ebenfalls mit der Einfuhr ausländischen Viehs nach Deutschland. Nach ihnen wurde Österreich-Ungarn gegenüber in einer Veterinärkonvention die Präventivsperre aufrecht erhalten (wonach die Sperrung der Grenze schon bei der Vermutung der Einschlevpungs- gefahr erfolgen kann); Rußland dagegen wurden besondere Zugeständnisse für die Vieheinfuhr gemacht. Die lagen darin, daß das für Rußland bestehende Recht, 1360 Schweine wöchentlich in den oberschlesischen Industriebezirk ein¬ zuführen, so erweitert wurde, daß 2500 Stück pro Woche (jährlich 130000 Stück) importiert werden dürfen. Allerdings müssen diese Schweine sofort in den Schlachthäusern des Jndustriebezirks geschlachtet werden. Auch Rumänien sind handelsvertraglich gewisse Vergünstigungen für die Vieh- und Fleischeinfuhr nach Deutschland zugestanden worden. Am meisten ausschlaggebend für eine Ver- Grenzboten IV 1910 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/117>, abgerufen am 29.05.2024.